• Kaunas

    June 5 in Lithuania ⋅ 🌧 19 °C

    Das angekündigte Unwetter bleibt zwar aus, doch in der Nacht prasselt immer wieder starker Regen aufs Dach – die Stille des Waldes weicht dem Takt der Tropfen. Am Morgen gibt sich die "Standortkommandantur" unseres Stellplatzes wenig flexibel: Wer nach acht Uhr noch dort steht, muss nachbuchen. Und das wollen wir nicht. Also verlassen wir pünktlich die historische Stätte der Wolfsschanze.

    Ein paar Kilometer weiter finden wir einen Parkplatz bei einem kleinen Freilichtmuseum, das Kriegsgerät ausstellt. Dort frühstücken wir in aller Ruhe, begleitet vom Regen. Der Tag beginnt grau und feucht – und wird es auch bleiben.

    Unser Weg führt Richtung Kaunas. Dabei bewegen wir uns in respektvollem Abstand zur Grenze der russischen Exklave Kaliningrad – dem früheren Ostpreußen. Je weiter wir fahren, desto holpriger wird die Straße. Der Regen, die tiefhängenden Wolken, das matte Licht – alles zusammen legt einen melancholischen Schleier über die Landschaft. Und während die Reifen über das nasse Pflaster rumpeln, kommen mir Gedanken, die sich nicht so leicht abschütteln lassen.

    Was wäre, wenn Geschichte anders verlaufen wäre? Wenn das Regime, das wir gestern quasi „post mortem“ besucht haben, nicht mit solcher Rücksichtslosigkeit, Brutalität und Größenwahn gehandelt hätte? Dann wären vielleicht diese Wälder, diese weiten Wiesen, Äcker und Seen heute noch Teil Deutschlands. Es wären keine Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben worden, keine Toten auf der Flucht zu beklagen. Und auch die Polen, die durch Stalins Hand aus Ostpolen hierher umgesiedelt wurden, hätten ihre angestammte Heimat nicht verlassen müssen – selbst wenn sie hier teils auf bessere Infrastruktur trafen. Doch Geschichte ist nicht umkehrbar, und die Wunden, die sie schlug, sind tief. Man kann sie nur betrachten – und versuchen zu verstehen.

    Ein tiefes Schlagloch reißt mich zurück ins Hier und Jetzt. Wir durchqueren ein riesiges Waldgebiet, durchbrochen von kleinen Lichtungen. Immer wieder glitzern zwischen den Bäumen kleinere und größere Wasserflächen – stille Zeugen einer uralten, beinahe unberührten Landschaft. Die Dörfer sind spärlich gesät, fast scheint es, als wolle die Welt hier innehalten.

    Nach gut zwei Stunden erreichen wir einen kleinen Grenzübergang. Kein Schlagbaum, kein Häuschen – nur ein schlichtes Schild verrät, dass wir jetzt in Litauen sind. Ein stiller Moment europäischer Freiheit – und ein bemerkenswerter Kontrast zur jüngeren Vergangenheit.

    Kaum auf litauischem Boden, bessert sich der Straßenzustand spürbar. Links blüht der Raps in sattem Gelb, rechts wiegt sich der Roggen im Wind – ein Bild fast wie aus einem alten Heimatfilm. So fahren wir weiter, Kilometer um Kilometer, bis wir schließlich Kaunas erreichen.

    Unser heutiger Campingplatz ist – man muss es sagen – sündhaft teuer. Doch es gibt keine Alternative, wenn man stadtnah übernachten möchte. Von hier aus wollen wir morgen Kaunas erkunden. Trotz der grauen Wolken und der geschichtsschweren Gedanken freuen wir uns auf die Stadt – und auf einen neuen Tag im Baltikum.

    Unser Campingplatz: https://park4night.com/de/place/84287
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