Dem toten Rind

An das Tier
O edles Haupt, vom Sturme fest,
du trugst das Joch, du trugst den Rest
der Welt, die auf dem Rücken lag –
nun ruhst du still am Todestag.
Nicht feig, nicht wild, du gingst dahin,
wieRead more
An das Tier
O edles Haupt, vom Sturme fest,
du trugst das Joch, du trugst den Rest
der Welt, die auf dem Rücken lag –
nun ruhst du still am Todestag.
Nicht feig, nicht wild, du gingst dahin,
wie Helden einst für Höhres ziehn.
Dein Fleisch, es nährt den Menschensohn,
ein Opfer gleich dem Götterthron.
Drum, Mensch, verzehr mit reiner Hand,
was Leben ließ für deinen Stand.
Sei Demut dir Gesetz und Gruß –
so wird der Tod zum Hochgenuss.Read more
Der Tag beginnt unerwartet chaotisch: Ein anhaltendes Klacken reißt uns aus dem Schlaf – unser Ventilator fährt automatisch hoch und wieder herunter. Bei näherer Betrachtung stelle ich fest, dass der Wohnmobilaufbau nur noch geringe Spannung hat. Nach dem kurzzeitigen Anschluss an den Landstrom funktioniert wieder alles einwandfrei. Die Ursache des Stromausfalls ist mir mittlerweile bekannt – jedoch ist sie zu komplex, um sie an dieser Stelle nachvollziehbar zu erläutern.
Für die erste Etappe zu unserem neuen Ziel nutzen wir die Bundesstraßen, später wechseln wir auf die Autobahn. Das Fahren auf deutschen Straßen ist eine Wohltat: Die Fahrspuren sind angenehm breit, der Belag in gutem Zustand, das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer überwiegend rücksichtsvoll. So erreichen wir nach knapp zwei Stunden Fahrt ohne nennenswerte Vorkommnisse das Ostseequelle Camp.
Die Strecke wirkt beinahe meditativ – der Geist wird frei. Wir sind uns bewusst, wie viel Glück wir haben: Für unser Alter sind wir erstaunlich gesund und aktiv - seit einem halben Jahrhundert ein Paar. Auch wenn wir nicht zu den Wohlhabenden zählen, können wir reisen und entdecken, was uns begeistert. Wir dürfen stolz auf unsere Kinder und Schwiegerkinder sein und sechs gesunde Enkel ins Leben begleiten. Was will man mehr?
Ich nutze den Link aus der Buchungsbestätigung zur Navigation – und bin überrascht: Das Navi lotst uns metergenau zu unserem reservierten Stellplatz. Zudem wird unser Kennzeichen bei der Einfahrt gescannt und automatisch geprüft, die Schranke öffnet sich ohne weitere Formalitäten – ein Check-in an der Rezeption ist nicht nötig. Besser kann moderne Technik kaum eingesetzt werden.
Die Temperaturen steigen mittlerweile auch hier an der Ostsee auf über 35 °C. Alle Fenster des Fahrzeugs sind geöffnet, wir nutzen jeden Luftzug zur Abkühlung. Wir hoffen, dass ein Gewitter in den Abendstunden für etwas Erleichterung sorgen wird.Read more
Am heutigen Dienstag planen wir unseren nächsten Halt: den Campingplatz Ostseequelle Camp in Hohenkirchen (http//:ostsee-campingplatz.de), direkt an der Ostseeküste, rund zweihundert Kilometer entfernt. Die Online-Buchung gestaltet sich überraschend komfortabel – vermutlich die beste, die wir bislang erlebt haben. Von der Auswahl eines konkreten, freien Stellplatzes mithilfe eines aktuellen Lageplans über die problemlose Zahlung via PayPal bis hin zur sofortigen Buchungs- und Zahlungsbestätigung per E-Mail – alles läuft intuitiv und reibungslos.
Wir haben bis zum kommenden Sonntag reserviert und hoffen nun, dass der Aufenthalt ebenso angenehm wird, wie es die Buchung vermuten lässt.
Das Wetter lädt zum Radfahren ein. Wir nutzen einen alten Militärweg in Richtung Peenemünde. Diese Wege sind minimalistisch gehalten: Dort, wo die Reifen eines Fahrzeugs laufen, wurden Betonplatten verlegt. Dazwischen, sowie rechts und links davon, sprießt Gras oder kommt der kiesige Untergrund zum Vorschein. Der Weg wird beidseitig von Silberweiden und wilden Kirschbäumen gesäumt.
Auf den etwa zwölf Kilometern sehen wir viele mit Wasser gefüllte Bombenkrater aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Natur hat sich hier längst zurückgeholt, was ihr einst genommen wurde – vermutlich finden Frösche und andere Amphibien dort heute ein ruhiges Zuhause. Immer wieder passieren wir zerstörte Bunkerreste und andere Ruinen militärischer Vergangenheit, bis wir erst Karlshagen und schließlich Peenemünde erreichen.
Ich brauche keine Uhr – mein Magen teilt mir mit, dass es Zeit für eine Mittagspause ist. In einer kleinen Pizzeria mit Blick auf den Hafen finden wir einen schattigen Tisch. Vor uns liegt ein ausgemustertes Raketen-U-Boot, daneben andere alte Schiffe. Die Pasta schmeckt hervorragend, und frisch gestärkt treten wir den Rückweg an.
Die ehemalige Heeresversuchsanstalt der Wehrmacht – dort, wo einst die ersten V-Raketen konstruiert und getestet wurden – sowie das zugehörige alte Kraftwerk lassen wir aus. Stattdessen folgen wir einem kleinen Waldweg entlang der alten Militär- und Versorgungsstrecke der Wehrmacht bis zurück nach Karlshagen. Heute fährt auf diesen Schienen die Usedomer Inselbahn. Im Ort biegen wir wieder auf unseren morgendlichen Weg ein.
Mittlerweile ist es so heiß geworden, dass wir die Rückkehr zum Wohnmobil begrüßen. Alle Fenster werden geöffnet – Querluft ist angesagt. Im Schatten des Fahrzeugs lässt sich die Nachmittagshitze gut aushalten.Read more
Unser Abschied von den Gastgebern am Morgen verläuft herzlich. Obwohl ursprünglich nicht vorgesehen, erlauben sie uns großzügig die vollständige Ver- und Entsorgung unseres Fahrzeugs. Danach nehmen wir wieder Fahrt auf und begeben uns zurück auf die Landstraße.
Heute fährt es sich deutlich entspannter als in den vergangenen Tagen. Vermutlich liegt es an der zunehmenden Nähe zum Westen, dass sich die Verkehrsverhältnisse merklich verbessern. Unsere Route verläuft parallel zur Ostseeküste – leider bleibt der Blick aufs Meer meist verwehrt, denn ein dichter Waldstreifen säumt die Straße und nimmt uns die Aussicht.
Je weiter wir gen Deutschland vorstoßen, desto deutlicher zeigt sich der Wandel: Die Ortschaften nehmen einen zunehmend touristischen Charakter an. Über hunderte Meter hinweg säumen kleine Verkaufsstände die Straße – ein Sammelsurium an Dingen, die Mensch nicht braucht, aber dennoch erwirbt. Besonders erschreckend sind die vielen Rodungen im Wald, wo nun Hotels und hohe Ferienwohnanlagen stehen. Was daraus wird, zeigt der Blick nach Spanien – keine Entwicklung zum Besseren.
Unser ursprünglich geplantes Ziel in der Nähe von Swienemünde (Świnoujście) überzeugt uns vor Ort nicht. Da der Tag noch jung ist, beschließen wir, rund hundert Kilometer weiterzufahren. In Zecherin bei Wolgast an der Peene finden wir Quartier. Wir waren hier bereits vor einiger Zeit und haben den Ort in guter Erinnerung behalten – ein Grund, direkt für mehrere Tage zu buchen.
Mit gut zwanzig Grad ist die Temperatur angenehm, allein der kräftige Wind, der ums Wohnmobil pfeift, hält uns davon ab, draußen länger zu verweilen. Doch wir setzen auf die kommenden Tage: Ein fester Standplatz, etwas Muße und hoffentlich weniger Wind – das wird uns gut tun.
Der Montag vergeht in wohltuender Ruhe – beinahe meditativ. Wir schlafen aus, genießen ein wenig die Sonne und durchstöbern in aller Gemächlichkeit das Internet. Es ist einer dieser Tage, an denen die Zeit langsamer zu fließen scheint.Read more
Nach einer ruhigen, erholsamen Nacht spazieren wir am Morgen des Freitag die kurze Strecke zum Kriegsdenkmal auf der Westerplatte. Schon von Weitem grüßt uns die hohe Betonsäule, ernst und unübersehbar. Davor, auf einer großen Rasenfläche, mahnen große Buchstaben: „Nigdy więcej wojny“ – „Nie wieder Krieg“. Ein frommer Wunsch, der leider oft wie beim Überfall auf die Ukraine weniger vom eigenen Willen als vom Verhalten der Nachbarn abhängt.
Wir sind froh, Danzig auf unserer Reise nicht ausgelassen zu haben. Ursprünglich war angedacht gewesen, die Rückfahrt ohne einen Abstecher in die Stadt fortzusetzen. Doch nun blicken wir dankbar darauf zurück, einige Stunden in dieser historisch wie kulturell bedeutsamen Hansestadt verbracht zu haben. Wie bereits in Vilnius, Riga, Tallinn und anderen großen Städten auf unserer Route zeigt sich auch hier: Ein vertiefter Besuch, begleitet durch sachkundige Führungen, lohnt sich in jeder Hinsicht. So lassen sich die vielschichtigen Facetten von Geschichte, Architektur und Lebensart weit besser erfassen, als es ein flüchtiger Blick vermag.
Beim Verlassen Danzigs wird spürbar, wie weitläufig die Stadt ist – restaurierte Altstadt, weitläufiges Hafengelände, Industrieviertel, große Wohnblocks. Auch der Verkehr rund um die Metropole ist fordernd. Zwar anders als in den Tagen zuvor, aber nicht weniger anstrengend. Viele fahren hier rasant, manche würden wir als regelrecht rücksichtslos beschreiben. Nur ein kurzer Abschnitt, der über eine Nebenstraße führt, bringt etwas Abwechslung – wenn auch keine angenehme. Fünf Kilometer lang holpert und rumpelt das Wohnmobil über eine Fahrbahn, die am ehesten mit großflächigen Rasengitterstein zu vergleichen ist. Ein "fahrtechnisches Vergnügen" besonderer Art – mit entsprechendem Lärm aus dem Fahrwerk und dem Aufbau.
Diese Fahrt verlangt mir sowohl physisch, als auch psychisch einiges ab. Deshalb legen wir eine längere Mittagspause ein, bevor wir uns auf das letzte Stück bis zum Quartier machen. Nach einer Abzweigung von der Landstraße führt ein schmaler geschotterter Weg zu einem umfriedeten Grundstück mitten in den Äckern.
Wir werden von einem deutsch-polnischen Ehepaar herzlich empfangen , das sich hier ein kleines Paradies geschaffen hat. Der Stellplatz liegt auf einer gepflegten Rasenfläche, von hohen Bäumen geschützt, durchsetzt mit Blumeninseln, Ziersträuchern und großen Findlingen. Wir dürfen das Fahrzeug frei platzieren – wo es uns gefällt.
Es ist einer jener Orte, an denen man sich vom ersten Moment an sicher und willkommen fühlt. Wir beschließen, noch einen weiteren Tag zu bleiben – einfach um durchzuatmen, zur Ruhe zu kommen und Kraft für die weitere Reise zu schöpfen.
Wir erwachen am Samstag mit frisch gestärkten Lebensgeistern. Nach dem Frühstück plauschen wir lange mit unseren Gastgebern. Wir erfahren, dass sie noch vor etwas mehr als vier Jahren in Arloff in der Eifel gelebt haben. Nachdem ihr Sohn nach Australien ausgewandert ist, sind sie hier in die Nähe des Heimatortes des Mannes gezogen. Hier haben sie das Anwesen in einem bedauernswürdigen Zustand von einem alten Polen gekauft und wieder aufgebaut.
Wir verzichten heute auf das Mittagessen und legen früh eine Kaffeepause mit dem letzten Kuchen ein, den wir noch eingefroren aus Deutschland mitführen. Die Zeit bis dahin verbringen wir auf den Campingstühlen vor unserem Wohnmobil. Der Himmel ist recht dunstig, aber es reicht die Wärme der Sonne zu spüren. Juliane beschäftigt sich mit ihren Sprachstudien und ich lese das Buch "Deutschland in der Krise" vom ehemaligen obersten Katastrophenschützer Albrecht Brömme https://amzn.to/3GiM5Dt. Das Buch ist allgemeinverständlich und sehr interessant geschrieben. Ich kann die Lektüre jedem ans Herz legen.
Am Nachmittag bringt uns unsere Gastgeberin ein Schälchen mit Sauerkirchen und ein Glas selbstgemachte Konfitüre. Die Zeit hier hat unsere Lebensgeister gestärkt und wir freuen uns auf die Weiterfahrt.Read more
Der Morgen begrüßt uns mit Sonnenschein. Am Himmel hängen kleine weiße Wolken wie Wattebäuschen am blauen Himmel – ein schöner Anblick nach den vergangenen grauen Tagen. Auch die Temperatur ist spürbar milder. Noch ist das Tor des Campingplatzes verschlossen, also mache ich mich auf die Suche nach dem Platzwart. Ich rufe ihm ein freundliches „Dzień dobry!“ zu; schließlich spreche ich in vielen Zungen. Er winkt mir daraufhin mit dem Schlüsselbund und begrüßt mich mit einem kräftigen Händedruck.
Heute kommen wir auf den engen Landstraßen besser voran als in den letzten Tagen – vielleicht liegt es am Wetter. Doch plötzlich durchbricht ein lauter Knall die Fahrt: Ein überholender Lieferwagen hat unseren Außenspiegel touchiert. Zum Glück ist nichts weiter passiert – der Spiegel ist nur nach vorn geklappt und lässt sich leicht wieder in Position bringen. Der Verursacher allerdings denkt nicht daran, anzuhalten, sondern verschwindet rasch in der Ferne.
Je weiter wir fahren, desto mehr fällt uns auf: Die Wiesen rechts und links der Straße leuchten in ungewohnter Farbenpracht. Bei einem kurzen Halt zücke ich das Handy und bestimme mit „Flora Incognita“ die blühenden Pflanzen: roter Klatschmohn, blaue Lupinen, gelbe Wilde Kamille und weißer Kälberkropf – ein wahres Farbenorchester, begleitet von zahllosen Gräsern in fein abgestimmten Grüntönen. Auf manchen Abschnitten zählen wir ein Dutzend Storchenpaare, die in ihren Nestern hocken oder gemächlich über die Felder schreiten. Die Fülle des Lebens hier beeindruckt uns – es ist, als wolle die Natur zeigen, was sie kann.
Später lotst uns die Navigation auf eine Schnellstraße und schließlich auf die Autobahn. Da wir uns über das Mautsystem nicht sicher sind, verlassen wir bei der nächsten Ausfahrt die Strecke und kehren zurück auf die Landstraße. Wenig später erreichen wir Danzig und finden einen Stellplatz im Hafengebiet. Von hier aus wollen wir die Stadt erkunden.
Es ist Mittagszeit, der Magen meldet sich. In einem Restaurant bestelle ich eine Auswahl klassischer polnischer Hausmannskost: Roulade, Schweinefilet, Entenkeule – dazu gebratene Rote Bete. Für 18 Euro ist das nicht nur sättigend, sondern auch ehrlich und gut. Anschließend schlendern wir durch die Altstadt – entlang der Langen Gasse, vorbei an alten Fassaden, bis wir einen Seitenarm der Weichsel erreichen, dessen Ufer uns zurück zum Fahrzeug führt.
Doch der abendliche Blick auf den Stellplatz trübt unsere Vorfreude auf eine ruhige Nacht: Grelles Flutlicht taucht den Platz in Taghelligkeit, und ringsum locken zahlreiche Lokale mit lauter Musik. Wir vermuten, dass es bis weit nach Mitternacht turbulent bleiben wird. So beschließen wir weiterzufahren und finden nach kurzer Suche einen ruhigeren Ort auf der Westerplatte.
Dort, wo einst der Zweite Weltkrieg begann, verbringen wir die Nacht – in stiller Umgebung,Read more
Wir streben der Heimat entgegen. Das kühle, nasse Wetter macht uns den Abschied vom Osten leichter – es treibt uns förmlich nach Westen. Heute hoffen wir auf bessere Straßenverhältnisse als gestern. Und tatsächlich: Die Strecke bleibt lange Zeit ruhig und gut befahrbar. Doch kurz vor der polnischen Grenze ist es mit dem Komfort vorbei – wir geraten erneut auf die fast schon obligatorische Rappelpiste, die Litauen scheinbar zur Tradition erhoben hat, um sich von seinen Nachbarn abzutrennen. Diesmal erwischt es uns besonders heftig. Selbst mit Schrittgeschwindigkeit lässt sich das Poltern und Durcheinander im Fahrzeug nicht vermeiden.
Kaum haben wir das Grenzschild zu Polen passiert, bewegen wir uns wieder auf feinem Asphalt – eine Wohltat für Mensch und Maschine. Doch die Entspannung währt nur kurz: Direkt nach dem ersten kleinen Anwesen taucht unvermittelt ein mobiler Kontrollposten der polnischen Grenzpolizei auf. Eine derart gründliche Kontrolle haben wir seit einem halben Jahrhundert nicht mehr erlebt. Führerschein, Ausweise und ein prüfender Blick in den Innenraum stehen auf dem Programm. Immerhin bleiben die Beamten freundlich und korrekt – wir fühlen uns nicht schikaniert, nur überrascht.
Die Weiterfahrt verläuft anschließend reibungslos. Doch die schmalen, von alten Bäumen gesäumten Alleen fordern höchste Konzentration. Wenn uns ein LKW entgegenkommt, bleibt oft nur die Schrittgeschwindigkeit – die Straße stammt sichtbar noch aus der Zeit von Postkutschen und Pferdefuhrwerken. Mancherorts bröckelt der Asphalt so weit ab, dass das ursprüngliche Kopfsteinpflaster des späten 19. Jahrhunderts wieder zum Vorschein kommt. Man fährt wie auf einem historischen Denkmal – und fühlt sich manchmal auch so.
Am Nachmittag finden wir einen kleinen Campingplatz an einem der zahllosen Seen dieser Region. Wir sind die einzigen Gäste – und ein wenig überrascht, als der Platzwart uns hinter einem hohen Zaun einschließt. Immerhin hoffen wir, dass wir am Morgen auch wieder hinaus dürfen. Wir nehmen es mit Humor.
Bei einem Abendspaziergang rund um den Platz erleben wir ein Naturphänomen: Tausende kleiner Frösche queren das Gelände in Richtung See. Sie kommen offenbar aus den umliegenden Feldern – ein wahrer Froschzug. Man muss seine Schritte mit Bedacht setzen, um keines der winzigen Tiere zu verletzen. Es ist, als würde sich die Natur auf leisen Sohlen zur Ruhe begeben – und wir tun es ihr gleich.Read more
Am Morgen werden wir durch das Rauschen des Sturms in den Wipfeln der Bäume geweckt. Der Blick auf den See zeigt weiße Schaumkronen – es weht offenbar ein kräftiger Wind. Wir stehen jedoch in einer geschützten Ecke hinter hohen Bäumen und bekommen von den Wetterkapriolen kaum etwas mit.
Auf der Weiterfahrt wird der Wind dann deutlicher spürbar. Das Wohnmobil wird immer wieder von Böen erfasst, doch dank der Luftfederung bleibt das Fahrgefühl insgesamt angenehm gedämpft. Bald fällt uns auf, dass die Landstraße über viele Kilometer hinweg von einem durchgehenden Wildschutzzaun flankiert wird – in dieser Länge haben wir das noch nie gesehen.
Nach einiger Zeit beginnt unser ganz persönliches Abenteuer Straße. Ohne Vorankündigung befinden wir uns inmitten einer großen Baustelle. Der Verkehr wird abschnittsweise über Ampeln geregelt – mal dürfen wir, mal der Gegenverkehr. Die Strecke führt uns durch sämtliche Phasen des Straßenbaus: alte, aufgebrochene Betonplatten wie von früheren DDR-Autobahnen, grobe Schotterwege, Matsch- und Lehmabschnitte, bei denen wir tief hinunter und ebenso steil wieder hinauf müssen, weil Brücken noch fehlen. Das Ganze zieht sich über viele Kilometer – eine wahre Geduldsprobe.
Schließlich entdecken wir eine Ausfahrt zu einer kleinen Nebenstraße und wittern die Chance auf ruhigere Fahrbahn. Leider erwartet uns hier der nächste Nervenkitzel: Die ohnehin enge Straße ist auf beiden Seiten ausgebrochen – nur ein schmaler Streifen bleibt. Und genau hier quält sich jetzt auch der übrige Verkehr entlang, viele mit deutlichem Zeitdruck. Immer wieder werden wir überholt, teils rücksichtslos.
„Ich habe Angst, dass wir durch einen Überholer in einen Unfall verwickelt werden“, sage ich zu Juliane – und kaum ausgesprochen, sehe ich genau das im Rückspiegel: Zwei Fahrzeuge überholen sich gegenseitig, keiner achtet auf den anderen. Nur ein beherztes Ausweichmanöver verhindert das Schlimmste. Kurz darauf schert einer der Wagen direkt vor uns ein. Ich bin bedient. Wir halten an und machen Kaffeepause. Danach übernimmt Juliane das Steuer.
Da das Wetter weiterhin ungemütlich ist, lassen wir Vilnius sprichwörtlich links liegen. Von der Straße aus sehen wir nur moderne Hochhäuser – die sicher sehenswerte Altstadt bleibt hinter dieser Silhouette verborgen. Schade, aber wir verspüren keinen Drang mehr nach Stadt.
Am Nachmittag finden wir unser Nachtquartier an einem kleinen See. Der Platz ist ruhig gelegen, mit einem kleinen Sandstrand – eigentlich ein Ort zum Verweilen, Schwimmen, Seele baumeln lassen. Doch bei zwölf Grad Lufttemperatur und gelegentlichen Regenschauern vergeht uns die Lust auf Aktivitäten draußen. Stattdessen richten wir uns gemütlich im Wohnmobil ein – und sind dankbar für einen ruhigen Abend.Read more
Nicht nur das Wetter ist freundlich, auch unsere österreichischen Nachbarn sind einem netten Plausch nicht abgeneigt. Sie standen während der letzten Tage bereits mehrmals in unserer Nähe. Wir tauschen uns vor unserer Weiterfahrt über Gott und die Welt aus; die Männer über Technik und Politik, während die Frauen allgemeine Themen besprechen - so soll es sein.
Der weitere Weg hält eine Überraschung für uns bereit - zwanzig Kilometer Sandpiste. So schleichen wir uns mit Postkutschengeschwindigkeit von einem Schlagloch zum anderen. Es rumpelt und scheppert im Fahrzeug. Immerhin haben wir ausgiebig Gelegenheit, die Kuhherden rechts und links der Straße zu beobachten. Eine Kommunikation durch lautes Muhen meinerseits lehnen sie leider ab - lettische Rinder eben. Als wir nach einer gefühlt endlosen Zeit wieder auf ruhigem Aspalt fahren, plätschert es im Wagenheck. Durch die Erschütterungen hat sich der Wasserhahn an der Spüle geöffnet.
Die Stadt Gulbene bietet eine ungewöhnliche Straßenführung: Die Hauptstraße verläuft direkt durch einen großen, nicht umzäunten Friedhof. Die Fahrbahn führt in geringer Distanz an den gepflegten, reich geschmückten Gräbern vorbei. Wir tanken und genießen ein leckeres Mittagessen in einem kleinen feinen Bistro, das an die Partyräume vergangener Zeiten erinnert.
Am Nachmittag erreichen wir Daugavpils, die zweitgrößte Stadt Lettlands. In einem kleinen Park finden wir direkt neben einem Parkplatz eine öffentliche Wassersäule. Dort ergänzen wir das beim morgendlichen Missgeschick verlorene Trinkwasser. Ein Schlauch lässt sich zwar nicht anschließen, aber mehrmaliges Befüllen mit der Gießkanne füllt den Tank und stählt den Körper.
Der angefahrene Stellplatz am örtlichen See erweist sich als ungeeignet. Bereits bei der Ankunft sind laute Bässe zu hören, offenbar im Zusammenhang mit dem aktuellen Feiertag. Zahlreiche Besucher halten sich in Ufernähe auf. Wir entscheiden uns, zu einem ruhigeren Stellplatz an einem anderen See weiterzufahren.
Unvermittelt und unerwartet überqueren wir die Grenze nach Litauen. Wir haben sie eigentlich erst später erwartet. Nach dem Grenzort sehen wir abseits der Strasse ein Kranichpärchen beim Balzen und einen Storch, der ihnen zuschaut. Auch in Litauen gibt es Natur pur.
Unser Quartier befindet sich auf einem kleinen Parkplatz direkt am Wasser. Am Abend sind keine weiteren Besucher mehr vor Ort, sodass wir auf eine ruhige Nacht hoffen. Eine über Mobilfunk verbreitete Sturmwarnung nehmen wir zur Kenntnis, lassen uns davon jedoch nicht beunruhigen.Read more
Am Vortag kam es erneut zu Problemen mit dem Parkautomaten – ähnlich wie bereits in Tallinn. Dieses Mal entschieden wir uns bewusst dafür, lediglich einen reduzierten Betrag zu zahlen. Um möglichen Konsequenzen durch eine morgendliche Kontrolle zuvorzukommen, setzen wir unsere Fahrt noch vor dem Frühstück fort.
Die ersten Kilometer nach der Abfahrt bieten jedoch keine geeignete Möglichkeit zum Anhalten. Die Landstraße ist schmal und wird beidseitig von tiefen, gut gefüllten Entwässerungsgräben gesäumt. Parkbuchten oder befahrbare Waldzufahrten fehlen gänzlich. Nach einigen Kilometern entschließen wir uns, das Frühstück an einer Bushaltestelle einzunehmen – ruhig und ungestört.
Wir verspüren verstärkt den Wunsch, die Heimreise anzutreten. Die Strecke führt lange Zeit parallel zum Peipussee, dem größten Binnengewässer Europas. Direkten Zugang zum Ufer gibt es nur selten. Zahlreiche private Grundstücke mit zum Teil großzügigen Holzhäusern behindern sowohl die Sicht als auch den Zugang. Bei niedrigen Temperaturen kommt ein Bad ohnehin nicht infrage.
Wir fahren weiter, passieren die zweitgrößte Stadt Estlands ohne Halt und nähern uns anschließend der lettischen Grenze. Ein ehemaliger Schlagbaum oder gar ein altes Grenzerhäuschen gibt es nicht. Stattdessen erwartet uns ein rund zehn Kilometer langes sandiges Straßenstück beidseitig der Grenze. Die "Wellblechpiste" ist speziell im Wohnmobil äußerst unangenehm.
Auch die lettische Stadt Alūksne (Marienburg) lassen wir unbeachtet hinter uns. Der heutige Stellplatz befindet sich auf dem Gelände des Museumsdorfs Vidzemes Lauku Sēta. Wir erreichen ihn über eine gleich schlechte Zufahrt, wie zuvor an der Grenze erlebt.
Während der Fahrt begegnen uns zweimal junge Füchse, die die Straße queren. Dank angepasster Geschwindigkeit gelingt es, rechtzeitig zu bremsen, sodass wir die Tiere jeweils kurz beobachten können. Kurz vor Ankunft kreuzen zwei Rehe die Straße – auch hier entsteht keine Gefahrensituation, weder für uns noch für das Wild.
Am Ende des Tages machen sich gemischte Gefühle bemerkbar: die Wehmut über das baldige Ende der Reise steht der Vorfreude auf die Rückkehr in die Heimat gegenüber. Diese Stimmung dürfte uns noch einige Tage begleiten – denn der Heimweg ist noch weit.Read more