• Von Herrlichkeiten und Dämlichkeiten

    September 14 in Germany ⋅ ☁️ 18 °C

    Der Tag begann nicht auf dem Trail, sondern auf der Landstraße. Kaum losgefahren, stand plötzlich eine Rinderherde quer über die Fahrbahn. Hörner, große Augen, dampfende Nüstern – und ein Bauer, der verzweifelt hinterherlief. Für andere ein Stau, für mich eine Gelegenheit. Ein Cowboy tut, was ein Cowboy tun muss: Also raus aus dem Wagen, Arme breit, Stimme fest, und die Rinder zusammengetrieben. Ein kurzer Job, ein dankbarer Handschlag vom Bauern, und weiter nach Neustadt (Wied), wo der eigentliche Ritt des Tages begann.

    Die Luft war noch feucht vom Regen, die Sonne blinzelte zaghaft durch Wolkenlücken. Knapp zwanzig Grad – ideales Wetter, um den Körper anzutreiben. Der Anstieg zog gleich kräftig an, hoch zum Bertenauer Kopf. Oben belohnte mich die Aussicht: Basaltblöcke, stumm und schwarz, ragten in den Himmel, und das Wiedtal breitete sich unter mir aus wie eine riesige Landkarte. Weiter östlich kam die sogenannte Mettelshahner Schweiz – eine Landschaft wie aus einem Bilderbuch: schroffe Felsen, dichtes Grün, unten der Fluss, der sich durch das Tal wand. Für einen Moment hielt ich inne, atmete tief, und spürte, dass der Westerwald auch schön kann, nicht nur hart.

    Der Trail führte weiter, Wald auf, Wald ab, bis zum alten Eisenbahntunnel und damit in die Lahrer Herrlichkeit, so nennt sich dieser Abschnitt des Wiedtals. Heute ist er beleuchtet, ein Knopfdruck, und die Röhre erstrahlt in kaltem Neonlicht. Kein Platz für Abenteuer im Dunkeln, kein Risiko. Also zog ich zügig hindurch, die Schritte hallten, Tropfen fielen von den Wänden. Kaum wieder draußen, erwischte mich meine kleine Dämlichkeit des Tages: Ich hatte die falsche Abzweigung genommen, marschierte gut einen halben Kilometer in die falsche Richtung, ehe ich den Irrtum bemerkte. Fluchend drehte ich um. Kein Beinbruch, aber diese Extra-Schritte sind wie ein höhnisches Grinsen vom Trail: „Bleib wach, Cowboy, sonst spiel ich mit dir.“

    In Peterslahr schüttelte ich den Ärger ab. Der Weg zog wieder hoch nach Horhausen, vorbei an Infotafeln über große Männer wie Krupp, der hier Erz fördern ließ, und Raiffeisen, der mit seinen Ideen Straßen und Brücken in den Westerwald brachte. Die Geschichte hängt hier nicht im Museum, sie steht am Wegrand, verankert im Boden.

    Im Grenzbachtal wartete der Holderstein-Klettersteig. Stahlseile, Eisenstufen, eine kleine Herausforderung. Ich hätte Lust gehabt, die Wand hochzugehen, doch dort kletterte gerade eine Frau mit ihrem Sohn – beide ordentlich ausgerüstet, Helm und Gurt. Ich blickte auf meine leeren Hände, keinen Helm, keinen Gurt. Da packte mich der Gedanke: Vorbildfunktion. Kein Cowboy klettert ohne Sicherung, wenn ein Kind zusieht. Also weiter, den Hang entlang, die Entscheidung im Rücken, aber ohne Reue.

    Die letzten Kilometer führten nach Bürdenbach/Bruch. Am Sportplatz lief ein Kreisliga-Kick, SC Sayn-Bendorf gegen VfL Oberlahr-Flammersfeld. Rufe hallten, der Geruch von Bratwurst lag in der Luft. Ich setzte mich an die Bushaltestelle, gönnte mir eine Grillwurst und ein kaltes Bier, und ließ die Minuten bis zur Abfahrt vergehen. Kurios am Ende: dieselbe Haltestelle trägt zwei Namen – für den Bus 125 heißt sie Westerwaldtreff, für den 120er Bürdenbach Bruch.

    Der Bus brachte mich zurück nach Neustadt. Im Fenster spiegelten sich Staub und Schweiß, und irgendwo im Hinterkopf lachte der Trail über meinen Umweg. Herrlichkeiten in der Landschaft, Dämlichkeiten in den Füßen – so läuft das Leben auf der Spur.
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