• In Poprad von der Couch geschmissen

    Apr 7–11 in Slovakia ⋅ ☁️ 3 °C

    Wir kommen nun in Orte, die mit Buchstaben geschrieben werden, die auf meiner Tastatur nicht zu finden sind! Trotzdem ist mein Start gut in der Slowakei, weil immerhin ein paar Worte habe ich schon gelernt, als ich im Winter auf der Skihütte gearbeitet habe (okay, "Danke" und "Hallo" sind wirklich nur ein "Paar", aber immerhin. Die Postfrau die mir Briefmarken verkauft, freut sich sichtlich über meinen Versuch, sprachlich in dem neuen Land anzudocken.)

    Aber erstmal läuft das weitestgehend nur über den Supermarkt und das nahegelegene Café. Montag/Diesntag/Mittwoch sind meine Arbeitstage, wo ich meine Calls habe und alles das abarbeite wofür ich Ruhe und Konzentration brauche. Entsprechend buche ich an diesen Tagen immer ein eigenes Zimmer und dieses Zimmer am Fuße der Berge erinnert wahrlich an Urlaub. Ich lasse mich in die fluffige Decke des großen Doppelbettes fallen, die Sonne scheint durch die Balkontür und nicht weit entfernt winken mir die verschneiten Berggipfel der Hohen Tatra zu. EIN TRAUM.
    Das erste mal auf der Reise habe ich auch das Gefühl, richtig "leicht" zu sein. Seitdem ich slowakischen Boden betreten habe ist etwas großes von mir abgefallen, oder besser gesagt: viele kleine Dinge. Ich habe meinem Reiseflow gefunden, bin gut in meiner Selbstständigkeit und in meinen neuen Projekten angekommen, der Reiseblog steht und die Seiten füllen sich, ich habe eine Lösung für meinen Fahrradtransport gefunden, komme durch das Couchsurfing mit Land und Leuten in Kontakt und habe durch die "Arbeitstage" trotzdem auch meine Ruhe zum durchatmen, verarbeiten und "Me-Time". Zudem bin ich an meinem Happy Place, in den Bergen der Hohen Tatra und das allerbeste habe ich euch noch nicht verraten: es gibt nun auch ein Datum an dem ich Mörti wieder sehen werde!!! All das führt dazu, dass ich mich unglaublich erleichtert fühle! Eine innere Anspannung die nun abfiel.

    Und das trifft sich gut! Weil wer in die Berge will, braucht kein extra Gewicht! Nachdem ich also meine "Arbeitswoche" hinter mich gebracht habe, ziehe ich zu Katka und Rado auf die Couch. Die beiden sind Mountaineering-Experten und stopfen mich neben Sauerkrautsuppe und dem allerleckersten Essen mit reichlich Wandertipps voll.
    Es kommt wie es kommen musste. Von da an fahre ich täglich mit der Tatra-Bahn in die Berge. 25 Minuten von Poprad bewegt sich die Bahn gemütlich bergauf, hält an kleinen Dörfchen, die alle irgendwie gleich klingen und noch gleicher aussehen und schmeißt mich bei sonnigen 0 Grad da raus, wo ich nur noch zu Fuß weiterkomme. Natürlich habe ich gemäß meiner guten Manier, den Winter auch wieder mitgebracht. "So viel Schnee wie die letzten Tage hatten wir den ganzen Winter nicht!" "At your service!" Danke Frau Holle dafür und danke meinem Optimismus, der meine Wintersachen bereits vor 2 Wochen nach Deutschland geschickt hat. In solchen Momenten hilft gibt's ja zum Glück immer noch das Zwiebelprinzip und an Zwiebelschalen habe ich viele in meinem Rucksack (und die sind dank Ratka nun auch wieder frisch gewaschen!!) Kalt ist's also nicht, ein bisschen nass ums Fußwerk, aber auch dafür haben Ratka und Rado das passende Trocknungsequipment! Of course!

    Aber wie es ist, wenn es gerade so gut läuft, irgendwas ist ja immer. Und so kommt es, dass mich seit langer langer Zeit, doch auch mal wieder eine Erkältung heimsucht. Ich fühle mich wie der Hirsebrei den wir zum Frühstück essen. Weichgekocht und etwas matschig, dafür aber ordentlich heiß. (Aber noch immer genießbar!)
    Was macht man an so einem Tag: klar, langsam! Also fahre ich mit meiner gemütlichen Tatrabahn wieder in die Berge, spaziere von einem Ort zum nächsten, lasse mich von heißem Kakao verwöhnen, plane meine weiter Reise, sitze an den Unterlagen meiner Weiterbildung usw. usw... Es geht mir auch wirklich von Törtchen zu Törtchen besser, trotzdem freue ich mich sehr auf "zu Hause" und meine Couch in Poprad. Hoffe trotz der Gastfreundschaft auf einen kurzen Abend, ich merke mir fehlt es noch sehr an Energie und überlege auch, ob ich in diesem Zustand überhaupt weiter couchsurfen sollte.
    Diese Überlegung wird mir kurzerhand abgenommen als ich auf mein Handy schaue.
    "We can not host you even longer" - Du kannst nicht länger bei uns bleiben. Du musst dir etwas anderes suchen. Die Buchstaben leuchten mir hell ins Gesicht und mein Magen überschlägt sich. Es ist 17 Uhr, ich bin mitten in den Bergen, muss mir JETZT noch ein neue Unterkunft suchen? Zurückfahren, meinen ganzen Kram abholen? Ich wollte doch einfach nur ins Bett!!!
    Ja willkommen im Reisealltag. Pläne sind gut, aber es läuft dann eben doch meist anders als wie geplant.
    Aufgrund dessen, dass Katka starke Medikamente nimmt und es sich nicht leisten kann, krank zu werden, entscheiden die beiden das Hosting abzubrechen. Mit der Erklärung und einem kurzen Wiedersehen um meinen Rucksack zu holen, kann ich die Situation völlig einordnen und verstehen. Es ist einfach Vorsorge und Gesundheit geht natürlich immer vor.

    Trotz allem stand für mich jetzt an, eine neue Unterkunft zu suchen, bestenfalls nicht zu teuer. Ich finde eine. Wo? Na klar, in dem Ort in den Bergen, den keiner von uns aussprechen kann aber wo ich heute doch schon eine ganze Ecke gesünder geworden bin. Also, steige ich wieder ein, in meine gemütliche Tatra-Bahn (als hätte ich es heute morgen geahnt, als ich mir gleich das 24h Ticket geholt habe), diesmal mit großem Rucksack, wenig Lust noch weit zu laufen aber noch immer nicht genug von der wundervollen Sicht und Atmosphäre die sich ergibt, während wir uns die Serpentinen in gefühlter Schrittgeschwindigkeit nach oben kämpfen.. Nur noch einmal umsteigen, zum Glück kenne ich kenne mich hier inzwischen bestens aus. Meine Unterkunft sehe ich schon aus dem Zugfenster. Ich kann es kaum abwarten ins Bett zu fallen (Übrigens haben mir Ratka und Rado noch ein riesiges Abendbrot in meine Tupperdose gepackt!! Wahnsinn!). Zielstrebig gehe ich auf die, spärlich mit einer Lichterkette behangenen Tür zu, drücke den Klingelknopf und... nichts!
    Noch einmal drücke ich die Klingel. Und nochmal und nochmal, diesmal energischer. Ich laufe herum um das Haus, alles dunkel. Ich laufe zurück, klingele nun Sturm. Nichts. NEIN! Das kann nicht sein!! Ich will doch nur ins Bett!
    Zum Glück: auf einem A4 Blatt neben der Tür ist eine Handynummer abgedruckt: "Hello?" "Ja, Dobry den. Hier ist Franzi, ich habe eine Reservierung!" "Oh eine Reservierung?! Das wusste ich nicht! Kannst du eine Stunde warten?"
    Ich lege fassungslos und ohne etwas zu sagen auf. Gegenüber des Blattes mit der Telefonnummer hängt ein Thermometer. Es sind -1°C... Der Vollmond sorgt inzwischen auf dafür, dass ich das auch nicht übersehe...

    Danke Ratka, dein Abendessen ist noch warm. Und neben warmen Gedanken hilft mir etwas warmes im Bauch die Zeit rumzukriegen. Zumindest bis mir jemand von Innen die Tür aufmacht. Nun sitze ich hier, auf dem Boden der Tatsachen, ein Reisender ist besorgt und bietet mir Wasser und Essen an (Make humanity great again!), schreibe einen Bericht, der viel zu lang ist, als dass je jemand Zeit hätte ihn zu lesen, aber immerhin hilft es mir, den Gastgeber nicht gleich aufzufressen wenn er kommt. Es sind inzwischen 1,5 h vergangen... Oh... ich höre die Tür!

    30 Minuten später: Ich liege frisch geduscht im größten Zimmer der Pension, Janko, der Gastgeber hat sich mit Händen und Füßen entschuldigt, lässt mich für 10 Euro in der "Suit" des Hauses schlafen (es ist und bleibt recht sporadisch), wir trinken noch einen Friedensschnaps zusammen ("Flowertea", slowakischer Kräuterschnaps), unterhalten uns noch kurz darüber wie es sein kann, dass so viele junge Menschen in Ostdeutschland AFD wählen (also er erzählt mehr, weil er hat definitiv mehr Ahnung von der deutschen Politik als ich) und dann ist der ganz Ärger auch schon Schnee von gestern... Ich kurier mich jetzt aus und ihr denkt bitte immer dran:

    Am Ende wird alles Gut, und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende!
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