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  • Day 89

    The Game (Das Spiel)

    June 25, 2021 in Bosnia and Herzegovina ⋅ ☀️ 25 °C

    Es ist heute unglaublich heiss in Bihac. Die Strasse flimmert und wir sind froh über den frischen Luftzug der die Una mit sich bringt, als wir die grosse Brücke überqueren. Der Ort hier stahlt eine Atmosphäre aus, die ich persönlichstark mit Urlaub verbinde. Es gibt hier fast rund um die Staat unglaublich schöne und sehr urtümliche Laubmischwälder. Die Stadt ist umgeben von sanften Hügel und und in der Ferne lässt sich ein grösserer Gebirgszug erahnen. Die Una, ein türkisblauer Fluss, der sich durch die gesamte Stadt zieht und deren Wasser sich vor Bihac trinken lässt, lädt zum Baden und ausruhen ein. Daneben ist die Stadt durchwachsen von kleinen Cafes, Restaurants, Herbergen und Bars, die zum Geniessen und Feiern einladen.

    An diesem Morgen zieht uns direkt gegenüber ein Schar von jungen Menschen auf der Brücke an uns vorbei. Sie besitzen eine merklich dunklere Hautfarbe und schwarze Haare, reden in einer Sprache, die ich nicht verstehe und tragen allesamt sowohl bequeme Sneaker wie auch einen grossen und merklich schweren Rucksack sowie einen kompakten Rucksack. Würden wir sie fragen, woher sie kommen, so würden sie hauptsächlich darauf Antworten aus Syrien, Afganistan oder Pakistan zu kommen.

    Wer hier schon etwas länger in Bihac lebt weiss, dass es sich hierbei nicht um eine Touristengruppe handelt, die einen Ausflug ins Grüne machen, sondern um Menschen auf der Flucht handelt (POM, People on the move) die in einem neuen Versuch aufs "Game" gehen.
    Ein ziemlich ironischer Name dafür, dass diese Menschen die nächsten zwei Wochen mit schlechtem Fusswerk zu Fuss durch unwegsames Gelände im Gebirge zwischen Bosnien, Kroatien und Italien unterwegs sein werden. Sie wandern in der Hoffnung, die Grenze zur europäischen Union unbemerkt überqueren zu können und irgendwann eine besser Zukunft in Frankreich, Deutschland oder der Schweiz zu haben.
    Der Weg dahin, ist nicht nur gezeichnet von vielen Strapazen und Entbehrungen sondern birgt grosse Gefahren für das eigene Leben und die Psyche. Entdeckt sie die Polizei, das Militär oder die Grenzschutzbehörde auf ihrem Weg nach Europa, werden sie mit grosser Wahrscheinlichkeit ohne einen Antrag auf Asyl stellen zu können, wieder zurück nach Bosnien abgeschoben. Davor werden sie verprügelt und gedemütigt) sowie ausgeraubt. Ihr gesamtes Hab und Gut wird vor ihren Augen angezündet und verbrannt und oftmals müssen sie nach ihrer "Rückführung" ohne Geld, Nahrung und Wasser, Kleider und Schuhe zur nächsten grösseren Ortschaft wandern, um sich dann Tage oder Wochen von Ihren Strapazen und Wunden erholen. Alsbald versuchen sich diese Menschen dann auf dieses gefährliche und teure Spiel einzulassen. Es ist ihre einzige Hoffnung, wenn sie nicht irgendwo in einem "Auffanglager" hängen zu bleiben. Dass die eine derartige Rückschaffung illegal sind und sowohl das Recht auf einen Asylantrag wie auch die Würde und das Recht auf Besitz und körperliche und psychische Unversehrtheit verletzen, ist den betreffenden Staaten scheinbar egal und bleibt ohne Konsequenzen. In sogenannten Pushback-Aktionen, werden POM sogar über mehrere Grenzen von Slowenien, Italien oder gar Österreich zurück nach Bosnien gebracht, nur um wieder in einem Sammellager zu landen, das ihnen weder eine Perspektive noch eine grundlegende Infrastrukur (Wasser, Strom, medizinische Versorgung) bietet. Die EU sieht ihre Aufgabe dagegen scheinbar eher im Ausbau von Grenzschutzorganisationen wie Frontex oder der Finanzierung von ebendiesen "Auffanglagern" in Staaten, die selber einen eher schlechten Ruf besitzen, was die Einhaltung von Menschenrechten angeht wie z.B. die Türkei. Sie trägt damit aktiv dazu bei, eine skurille und äusserst menschenfeindliche Maschinerie am Laufen zu halten, die zutiefst von Korruption und kriminellen Strukturen durchzogen ist und in der viele Hilfsgelder verloren gehen. Sie schafft damit eine Lösung, die diese Bezeichnung in keinster Weise verdient und viel eher einer Verdrängung leicht. Für Grenzländer wie Bosnien, Griechenland und Italien bedeutet dies, dass sie fast gänzlich alleine mit der Flüchtlingsthematik klar kommen müssen, was zur Überforderung führt und das ein perfekter Nährboden für faschistische Strömungen in der zunehmend frustrierten Bevölkerung bietet. Ein weiteres trauriges Kapitel in der europäischen Geschichte und ein Thema, dass sich auch dank dem Klimawandel und den destruktiven kapitalistischen und neoliberalen Strukturen weiter zuspitzen wird.
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