Dschungel
24. maaliskuuta 2024, Malesia ⋅ ⛅ 32 °C
Ross und ich schließen uns einer Expedition in den Dschungel an und schon auf der Fahrt im Van wird es bereits richtig unterhaltsam zwischen den Teilnehmern. So schnell bin ich selten mit Leuten warm geworden und es fühlt sich vom ersten Moment an wie eine lustige Klassenfahrt. Unsere Unterkunft liegt direkt am Kinabatangan River, umgeben von dichtem und unberührtem Dschungel. Weit und breit keine Zivilisation, nur entlang des Flusses befinden sich in regelmäßigen Abständen weitere Unterkünftige für die abenteuerlustigen Besucher.
Nach der Ankunft geht es auch schon auf ein kleines Motorboot, und wir gleiten den dunklen Fluss hinauf, um Affen am Ufer zu beobachten. Eine ganze Truppe hungriger Makaken sitzt am Ufer und futtert unbekümmert von unserem Besuch, die weichen Wurzeln einer Wasserpflanze. Ross leiht mir seine Kamera mit einem riesigen Objektiv. Wow... Ok. Das ändert ALLES. Plötzlich erscheinen die Möglichkeiten der Fotografie grenzenlos. Mir wird bewusst, wie oft ich schon Szenen nicht fotografiert habe, aus reiner Frustration, weil ich wusste, dass ich keine Chance auf einen guten Zoom hatte. An diesem Nachmittag mache ich Fotos, von denen ich jahrelang geträumt habe. Aber nun gut, die Entscheidung, nur mit Handgepäck zu reisen, bedeutete auch, auf eine vernünftige Fotoausrüstung zu verzichten. Diesen Kompromiss bin ich eingegangen.
Nach der Tour sitzen wir als Gruppe beisammen und tauschen uns aus... Wir kommen aus unterschiedlichen Teilen der Welt und könnten unterschiedlicher kaum sein. Dennoch hat uns der Wunsch, die ursprüngliche Natur zu erleben, hierher geführt, und das verbindet uns zu einer engen Gemeinschaft. Dieses zwischenmenschliche Phänomen fasziniert mich.
Nach Sonnenuntergang geht es mit dem Boot wieder hinaus auf den Fluss. Am Ufer entdecken wir mehrere regungslose Eisvögel, deren Gefieder im Licht der Taschenlampen türkis schillern. Wir besuchen ein Schwalbennest, in dem sich dutzende Vögel zappelnd zusammendrängen. Außerdem sehen wir Krokodile im Wasser und große Fledermäuse, die über unsere Köpfe hinweg sausen. Mir scheint ein Sturz aus dem Boot fast wie ein sicheres Todesurteil zu sein... sicher würde ich innerhalb von Sekunden gefressen werden?
Am frühen Morgen, in völliger Dunkelheit, geht es wieder hinaus aufs Wasser. Die Vögel erwachen kurz nach uns und singen ihren Morgengruß. Eine friedliche Stimmung liegt über dem Fluss zu dieser Zeit. Nebelschwaden ziehen träge über die Wasseroberfläche und verdampfen bei den ersten warmen Strahlen in senkrechten Wirbeln, die wie Geister über dem Fluss gleiten. Das orangene Licht blendet uns, und die Temperaturen klettern von Minute zu Minute näher an die 28 °C heran. Langsam verändern sich die Farben des Himmels, der Bäume und des Wassers – ein frischer, vielversprechender Tag bricht an.
Wir beobachten Makakenaffen bei ihrem Frühstück am Ufer, während wir aus der Ferne Nasenaffen in den Bäumen erspähen können. Ein großer Waran sonnt sich in den Morgenstrahlen und ignoriert die Kameras, die wir begeistert auf ihn richten.
Das Boot setzt uns am matschigen Ufer ab, und der Guide führt uns auf eine fußläufige Entdeckungstour durch den Dschungel. Endlich habe ich das Gefühl, wirklich im Dschungel zu sein – nicht nur ein wenig, sondern ganz und gar. Wir dürfen keine Pflanzen oder Insekten berühren, nicht vom Weg abkommen und müssen als Gruppe eng beisammenbleiben, lauten die drei wichtigsten Regeln unseres erfahrenen Guides. Hinter uns läuft ein zweiter Guide mit einer Machete, der die Umgebung im Auge behält. Es wird schnell klar: Der Dschungel ist kein Kinderspielplatz, die Sicherheitsvorkehrungen sind keineswegs übertrieben. Ich tapse etwas eingeschüchtert dicht hinter Ross her und versuche nicht zu sehr über Giftschlangen und Feuerameisen nachzudenken.
Unser Guide Bruno ist engagiert und stellt uns viele unterschiedlichen Insekten- und Pflanzenarten vor. Ich halte einen großen, fast harmlosen Tausendfüßler in der Hand, der sich fest zu einer Tischtennisball-großen Kugel zusammenrollt. An einem Baumstamm macht Bruno auf eine große Spinne aufmerksam, die so gut getarnt ist, dass sie nicht von der Baumrinde zu unterscheiden ist. Ein großer Baum, an dem wir vorbeikommen, wird von dicken Lianen erwürgt, direkt daneben sind die tiefen Fußabdrücke von Elefanten im aufgeweichten Boden zu erkennen. Bruno hebt eine unscheinbare Pflanze in die Luft, die nachweislich auf unerklärliche Weise Gallensteine komplett auflösen kann, wenn man die Wurzel als Tee zu sich nimmt. Bruno pflückt einen Blutegel von einem Blatt am Wegesrand und platziert ihn auf seinem Handrücken. Das kleine Wesen saugt sich mit dem hinteren Saugnapf fest und tastet mit seinem rosa Vorderteil die Haut nach der besten Stelle zum Beißen ab. Sehr interessant, aber auch eklig! Einige Minutten später stehen wir im Kreis um einen großen Pilz der eine Wolke an Sporen absondert.
Uns läuft der Schweiß übers Gesicht, die schwüle Luft drückt. Der Dschungel ist laut, von allen Seiten hören wir Zikaden und Vogelgesang. Ab und an raschelt es in den Baumkronen – unsichtbare Affen, die uns Eindringlinge neugierig beäugen. Auf den Blättern, die wir mit den Beinen streifen, sitzen gelegentlich große Weberknechte mit kugelrunden Körpern und langen Beinen... "The most poisonous spider in the world", sagt Bruno. Zum Glück ungefährlich für den Menschen, weil ihre Zähnchen zu klein sind, um durch die menschliche Haut zu beißen. Trotzdem mache ich einen großen Bogen um die Viecher. Es scheint, als gäbe es hier im Dschungel nur zwei Extreme: sehr giftig und tödlich oder sagenumwobenes Wunderheilmittel. Ich bin überfordert, darauf zu achten, nicht über die Baumwurzeln zu stolpern und gleichzeitig das Umfeld zu scannen. Wie ein Kleinkind torkele ich langsam auf dem Pfad vorwärts.
Bruno schlägt mit seiner Machete ein großes Stück Liane ab, hält sie über den Kopf und lässt sich einen großen Schluck Wasser, der in der Pflanze versteckt ist, in den Mund fließen. Er erklärt, dass dieser Trick ihn in der Vergangenheit beinahe getötet hätte. Er hatte versehentlich die falsche Liane abgeschnitten die fast identisch aussieht, aber giftig ist.
Der Ausflug fühlt sich an wie ein Ausschnitt aus dem Disneyfilm "Tarzan". Am Ende der Dschungel-Wanderung bin ich von Ehrfurcht erfüllt.
Dunkle Regenwolken bauen sich wie eine Drohung in der Entfernung auf. Wir starten am Nachmittag trotzdem auf eine erneute Bootstour. Kurze nach dem S-tart herrscht plötzlich Aufregung: Bruno hat Nachrichten über eine Elefantensichtung erhalten. Schnell hin! Wir sausen mit dem Speedboat den Fluss hinauf... Einige Boote kommen uns entgegen und die Kapitäne geben Zeichen: die Hände hinter den Ohren aufgestellt, das kann ja nur "Elefant" bedeuten. Wir erreichen die Stelle und tatsächlich: am Flussufer raschelt und knackt es im hohen Gebüsch, dann trotten nach und nach die berühmten Zwergelefanten über eine Lichtung. Sogar Jungtiere haben sie dabei.
Es ist ein wirklich schöner Moment den wir als Gruppe genießen. Wir hatten so darauf gehofft die Elefanten zu sehen... Die Vorfreude wird zur Aufregung, dann zur Begeisterung und schlussendlich zu Dankbarkeit und Ehrfurcht. Wir sitzen bewegungslos und schauen still aufs Flussufer. Ross hält mir wortlos seine tolle Kamera hin, ich darf auch ein paar Aufnahmen schießen. Obwohl er viel bessere Fotos macht als ich und der Moment so kostbar ist, lässt er mir auch eine Chance und ich freue mich riesig über seine Großzügigkeit. Die kleinen Dickhäuter geben uns genug Zeit für unsere Schnappschüsse, dann hat uns die Regenwolke eingeholt und öffnet die Schleusen. Die stille Wasseroberfläche beginnt plötzlich zu brodeln, dicken Wassertropfen treffen uns hart wie Hagelkörner. Auf der Rückfahrt müssen wir sogar unter den Schwimmwesten Schutz suchen. Nass und durchgefroren aber trotzdem kichernd vor Freude steigen wir am Pier von Bord. Wir haben die Elefanten gesehen, das ist alles was zählt.
Am Nachmittag rolle ich mich in meiner Decke zum Borrito zusammen und lümmel mich zu Ross, der ebenfalls erschöpft von den Abenteuern ist. Einen ganzen Nachmittag lang gucken wir lustige Videos auf dem Handy, bis wir eindösen. Ein wirklich schöner Moment, der sich nach Geborgenheit und Freundschaft anfühlt. Wann hab ich das letzte Mal meine Zeit verbummelt ohne irgendwo sein zu müssen oder etwas tun zu müssen? So ein unscheinbarer, unaufdringlicher Moment, der mir nichtsdestotrotz so viel Kraft gibt. Er führt mit deutlich vor Augen, dass ich zu wenig Zeit zum Entspannen habe weil ich ständig mit dem Planung oder Aktivitäten beschäftigt bin.
Am Abend unternehmen wir eine geführte Nachtwanderung durch den Dschungel. Die Socken sind bis zum Knie hochgezogen, das Hosenbein fest um den Knöchel gebunden und Gummistiefel drüber gezogen. Hoffentlich ist das Blutegel-sicher! Es nieselt noch immer, aber wir sind eine motivierte Truppe die auf dem matschigen Pfad ins Gestrüpp abtaucht. Irgendwann kommen wir an einem Dunghaufen vorbei der unseren Guide offenbar beunruhigt. Er sagt, das ist der einige Tage alte Haufen eines Elefantenbullen. Die Elefanten sind nicht weit weg... Unsere Gruppe reagiert freudig, der Guide macht hingegen ein angespanntes Gesicht. Weiter geht's, Tap tap tap tap... Wieder ein Dunghaufen, der diesmal allerdings sehr viel frischer wirkt. Das Gesicht des Guides verfinstert sich noch mehr und er leuchtet besorgt ins Dickicht. Im schnellen Tempo geht es weiter, auf dem restlichen Weg wird nicht mehr angehalten, uns wird nichts gezeigt oder erklärt, was ich wirklich schade finde. Die anfängliche Motivation und Vorfreude kippt in Unruhe und Enttäuschung über. Zurück am Camp erklärt uns der junge Guide, dass er es nach dem zweiten Kackhaufen mit der Angst zutun bekommen hat: Elefanten können in freier Wildbahn sehr gefährlich werden und wer nicht in wenigen Sekunden einen Baum hinaufklettern kann, hat verloren. Vor einigen Jahren wurde eine Forscherin im selben Dschungel bei einer Expedition wie dieser von einem Elefanten getötet. Er war um unsere Sicherheit besorgt, betont er. Ich frage mich immer noch ob er diese Elefantensache erfunden hat, um eine langweilige Nachtwanderung doch noch spannend zu machen, oder ob wir tatsächlich, so wie er sagt, in Gefahr schwebten von einem oder mehreren Elefanten hinterrücks überrascht zu werden.
Am nächsten Morgen sitzen wir zum gemütlichen, letzten Frühstück am Pier zusammen und dann heißt es im Anschluss auch schon Abschied nehmen. Wir umarmen uns nacheinander und tauschen die Kontaktdaten aus. Besonders die Umarmung mit Ross schmerzt. Seine muntere und neugierige Art hat mir neuen Aufschwung verliehen: Ich will mehr über das Fotografieren lernen, mehr lachen, weniger ernst sein und jede Begegnung und jedes Gespräch wertschätzen. Endlich Inspiration, endlich Wachstum. Schade nur, dass sich unsere Wege schon nach so kurzer Zeit trennen.
🥇 Dschungel
👨 Ross
🎵 Fremde wie ich - Anton Zetterholm, Elisabeth Hübert, Ensemble Stage Theater Neue FloraLue lisää






















Matkaaja
Hammer
MatkaajaSehr beeindruckend und sehr schön geschrieben