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- Day 11
- Sunday, July 6, 2025 at 7:49 PM
- ☀️ 27 °C
- Altitude: 920 m
TurkeyAltındağ39°56’17” N 32°51’42” E
Tag 11 - Ankara

Arnd:
Unser Hotel in Ankara hatte ich danach ausgesucht, dass wir sowohl zu Fuß vom Bahnhof dahin kommen, als auch heute zu Fuss zum Museum für Anatolische Zivilisationen laufen können, was unser Ziel für heute ist. Das ist sicher eines der bedeutendsten archäologischen Museen weltweit.
Ich habe mir leider eine Darminfektion zugezogen. Deshalb fühlte ich mich krank und musste immer wieder Pausen einlegen. Zum Glück ist das Museum sehr lange geöffnet. Wir rätseln, wo das passiert sein kann, aber wir haben keine Idee, weil wir eigentlich meistens das gleiche gegessen haben. Ich habe dann morgens mal Durchfall bei Google eingetippt. Nach dem ersten Wort macht Google Vorschläge, basierend auf den häufigsten Suchtexten. Bei mir kam als erster Vorschlag “Durchfall Türkei”. Naja, Google weiß natürlich auch, dass ich gerade in der Türkei bin. Was mir das aber vor Augen geführt hat ist, dass man als Hotelreisender blöd dran ist. Die Essensratschläge sind nicht umzusetzen. In Restaurants gibt es sowas nicht und selber machen geht im Hotel auch nicht. Ich habe deshalb heute Simit und abends eine Banane gegessen.
Der Weg zum Museum verlief den Berg hinauf durch Marktgegenden. Unten gab es Werkzeug- und Metallgeschäfte, weiter oben Haushaltswaren und Kleider. Das ganze erinnerte uns stark an Korea, an das Korea, dass wir in den 80er Jahren gesehen haben. Mal schauen, ob man sowas heute noch findet.
Vom Museum haben wir außen leider keine Fotos gemacht, es war schon fast Mittag und so heiß, dass wir schnell reingegangen sind. Schade,denn das Gebäude ist auch ganz besonders. Es war mal in Muslimischer Zeit ein Markthaus mit etlichen Kuppeln, das ab etwa 1932 bis 1968 (!) für das Museum restauriert wurde. Das Museum selbst geht auf Wunsch Atatürks zurück, der hier vor allem die Hetitische Kultur zeigen wollte.
Heute ist es viel breiter aufgestellt. Es beginnt mit ein paar Objekten aus der Altsteinzeit, dem Paläolithikum und dann kommen die großen Neolitischen Ausgrabungen (Jungsteinzeit, Sesshaftwerdung und Übergang zur Landwirtschaft). Hea-Jees Ausgrabung wurde auf einer Tafel erwähnt, aber es gab keine Objekte.
Am meisten Material aus dieser Periode stammt aus Çatal Höyük, wo wir übermorgen hinfahren wollen. Das ist eine schon recht große Siedlung mit Einzelhäusern für Familien. Sie hatten keine Fenster und keine Tür, man kam per Leiter vom Dach ins Haus. Es gab einen kleinen Ofen und in dem gezeigten Beispielraum ein paar Stierköpfe, wohl für religiöse Zwecke. Die Toten wurden unter dem Fussboden recht oberflächennah bestattet. Und an den Wänden hatte man Wandmalereien. Diese Siedlung bestand wohl zwischen 7500 und 5700 BC.
Die andere ältere Ausgrabung, noch aus der Übergangszeit zur Sesshaftwerdung ist Göbekli Tepe. Das ist ein ritueller Ort, wo aber niemand gewohnt hat. In der Ausstellung gab es zwei Stelen, vermutlich Repliken. Leider können wir dort nicht hin. Das wäre ein zu großer Umweg und liegt auch in der Nähe der iranischen Grenze. Wen das interessiert: Sucht mal in der Wikipedia nach den beiden Namen, da steht viel interessantes.
Dann ging es immer weiter in der Zeit. Kulturen kamen und gingen, erst wurde die Kupferbearbeitung erfunden, später Bronze und Eisen. Dabei wurden die Artefakte immer vielseitiger und kunstvoller. Das Ende der Ausstellung war um 600 BC in der klassischen Periode der griechischen Kultur.
Faszinierend.
Ach ja, bei dem Foto durch die Häuserschlucht zoomt mal rein, dann könnt ihr das Atatürk Mausoleum sehen. Leider dreht die aktuelle Regierung viele seiner Errungenschaften wieder zurück.
Hea-Jee:
Arnd ist heute nicht so fit, hätte eigentlich ruhig einen Tag Pause haben können – aber er wollte unbedingt ins archäologische Museum. Wir beide haben großes Interesse an Archäologie. Wahrscheinlich, weil Archäologie ein Fachgebiet ist, das zeigt, wie sich Gesellschaft und die menschliche Natur im Fluss der Geschichte offenbaren.
Besonders fasziniert hat mich diesmal der Untergang hochentwickelter Zivilisationen. Viele Kulturen im Ägäischen Raum, die Kunst und Kultur liebten und wohlhabend lebten, begannen um das 12. Jahrhundert v. Chr. durch die Invasion der sogenannten „Seevölker“ aus dem Norden zu zerfallen. Schriftkundige Zivilisationen stürzten in ein rund 400‑bis‑500‑Jahre andauerndes dunkles Zeitalter zurück.
Mich interessierten die Zivilisationen, die vor Einbruch dieses dunklen Zeitalters lagen. Welche Kulturen haben wir verloren? Die Menschheit musste noch lange daran arbeiten, diesen Glanz wiederherzustellen. Deshalb habe ich mir sehr genau die Keilschrift-Tontafeln aus dem alten mesopotamischen Reich Assyrien angesehen. Beim Betrachten, wofür solche Tafeln im Alltag genutzt wurden, habe ich versucht, mir vorzustellen, was die Menschen damals dachten und wie sie lebten.
Hier sind zwei Beispiele:
"💍 Heiratsurkunde
Terrakotta, Kultepe, 19.–18. Jh. v. Chr.
In diesem Dokument wird die Ehe zwischen dem Assyrer Idi‑Adad und der Anatolierin Anana in Anwesenheit von drei Zeugen festgehalten. Der Vertrag legt fest, dass Idi‑Adad in Anatolien keine weitere Frau heiraten darf. Falls er es doch tut und sich von Anana scheidet, muss er ihr fünf Minen Silber zahlen. Da die Scheidung einvernehmlich erfolgt, ist ausdrücklich festgehalten, dass keine zusätzliche Entschädigung anfällt.“
"💔 Scheidungsurkunde
Terrakotta, Kultepe, spätere Jahrhunderte v. Chr.
Diese Tontafel dokumentiert die Scheidung zwischen dem Anatolier Sakriusva und dem assyrischen Händler Asur‑Taklaku. Das Schriftstück besagt, dass Männer und Frauen gleiche Rechte auf Scheidung, Wiederverheiratung und freie Partnerwahl haben. Außerdem betont es, dass – da beidseitiges Einvernehmen vorliegt – keine Entschädigung zu zahlen ist.“
Es scheint, dass diese Gesellschaft damals ähnliche Werte hatte wie wir im 21. Jahrhundert. Und dann ist sie untergegangen – die Menschheit hat Jahrhunderte im Dunkel verbracht.
Manche Interpretationen sehen die „Seevölker“ als Teil großer Völkerwanderungen, bei denen Flüchtlinge neue Lebensräume suchten. Die Geschichte war oft ein Konflikt zwischen „da gewesenen“ und „hineingerollten“ Steinen – um es bildlich zu sagen. Im Museum spürte ich, dass das menschliche Grundgefühl der Angst vor Fremden sich bis heute kaum verändert hat.
Angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise machen die Menschen ungebremst weiter, als wäre ihnen nicht bewusst, dass selbst die fortschrittlichsten Zivilisationen untergehen können. Als Einzelne fühlt man sich dabei oft machtlos. Wenn ich in einem archäologischen Museum stehe, denke ich oft: Was vor uns liegt, ist vielleicht kein Ausnahmezustand, sondern ein Muster, das sich in der Geschichte immer wiederholt. Dieser Gedanke hat auf seltsame Weise etwas Tröstliches. Wenn wir am Ende ohnehin untergehen, erscheint es doch würdevoller, bewusst dagegen angekämpft zu haben – statt achtlos und unbeteiligt.
Normalerweise hätten wir wohl bis zur Schließung drinnen geblieben. Aber Arnds Zustand war heute nicht gut, also sind wir etwas früher gegangen.
Auf dem Rückweg durch die belebten Marktgassen fühlte ich Dankbarkeit gegenüber Atatürk, der dieses archäologische Museum möglich gemacht hat. Atatürk war der Gründer und erste Präsident der Türkischen Republik ab 1923, nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches. Er trennte Staat und Religion, führte radikale Reformen in den Bereichen Modernisierung und Bildung durch und verwandelte die Türkei in einen modernen Nationalstaat.
In den frühen Tagen der Archäologie waren es meist europäische Forscher, die die Grabungen leiteten. Zeigte die türkische Seite nicht genügend Mittel oder Interesse, wurden die Fundstücke kurzerhand außer Landes gebracht. Wenn der Staat mit anderen Problemen beschäftigt war, nutzten Einheimische die antiken Steine zum Hausbau oder zur Reparatur von Ställen – und so verschwanden wertvolle Ausgrabungsstätten still und leise. Das Museum in Ankara hat maßgeblich dazu beigetragen, die mesopotamischen Funde im Land zu bewahren und der Zerstreuung dieses kulturellen Erbes entgegenzuwirken. Es war ein entscheidender Schritt, um den Export antiker Artefakte einzudämmen.Read more
TravelerGute Besserung Arnd!!! Ich hoffe, dass du dich von diesem heimtückischen “Türkei Durchfall” wieder schnell erholst.
TravelerHerzlichen Dank an euch, daß ihr alles so anschaulich beschreibt und daß ihr eure Eindrücke und Gedanke mit uns teilt👍👍👍
Traveler
Liebe Hea Jee, lieber Arndt, ganz gute Erholung für Arndt. Danke für die spannenden Eindrücke und Eure lehrreichen Beschreibungen.