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  • Prolog: #5 Plutonic Piste - Protokoll

    June 15, 2021 in Germany ⋅ ☁️ 14 °C

    🪐 #5 Plutonic Piste🪐

    Das Fauchen der Triebwerke weckt mich aus meinem Powernap, als das Orbitshuttle aus der Planetenekliptik hinausschwenkt.
    So wie ein Jäger sich hinter seiner Beute in Position bringt, klemmt sich das Shuttle im Bahnschatten hinter den träge durch den dunklen Raum dümpelnden Pluto, um sich im nächsten Schritt mit einer 360-Grad-Schleuderbewegung in dessen Orbit zu schwingen.

    Ein heikles Manöver! Es ist so, also ob man soeben mit einem Sportwagen bei Hannover mit Maximalgeschwindigkeit über die leere nächtliche Autobahn rast, um in einer fließenden Kurve auf einen Feldweg Richtung Goslar einzubiegen und gleichzeitig auf Schrittgeschwindigkeit abzubremsen ohne zu driften.

    Pluto liegt nicht gerade um die Ecke, von der Erde aus betrachtet. „Dat is sowat von weit ab vom Schuß!“ scherzte unser Raketenballistiker Axel Gerbrandt in seiner unnachahmlich flapsigen Art, nachdem er die Anflugroute freigegeben hatte.

    Warum hat es mich so weit von zuhause weggetrieben? Nun - ich hatte zuletzt die Berge des Mars erkundet, wie viele andere vor mir, aber Pluto - das ist noch immer etwas ganz besonderes. Es ist quasi das Island des Sonnensystems: Schwer erreichbar, saukalt und eigentlich total öde; es sei denn, man sucht genau dies.

    Pluto ist schon ganz besonders: Nicht nur verweigert er sich standhaft der üblichen Ekliptik der Planeten, zudem taumelt er in einem ewigen Tanz mit seinem Aufpasser, dem wachsamen Höllenhund Charon, im Kreis, wie ein übergewichtiger Tangotänzer, der seine zarte Partnerin übers Parkett schleudert. Und in seiner Coolness sucht er im Sonnensystem seinesgleichen: An der Landestelle sollen es heute üppige 25 Grad Kelvin sein. Es verbindet mich eine innige plutonische Liebe mit diesem kleinen Gesellen.

    Das Shuttle schwenkt in den Orbit, - es ist der fünfte, den ich umkreise -, und langsam trudele ich hinab Richtung Oberfläche. Pluto kommt sehr schnell näher und näher. Wie ein schneebedeckter Basketball, den mir jemand Richtung Gesicht wirft. Und diese Schneedecke ist mein Ziel. Pluto ist so klein, dass man kaum nennenswerte Erhebungen erwarten würde. Aber es erhebt sich hier ein Mittelgebirgsrücken, den findige Astro-Geologen „HARZE“ getauft haben - „Höher Als Rational Zu Erwarten“. Hier will ich hin!

    Ich freue mich drauf, mit dem zweirädrigen Rover über die Berghänge aus gefrorenen Stickstoff und Wasser zu brettern, vorbei an Quellen von gluckerndem Methan…

    Die Rampe öffnet sich, und vor mir liegt die „Plutonic Piste“. Es ist quasi die Route 66 des Pluto: Der Weg zur Freiheit!

    Ich rolle los in den dunklen Morgen, den Restlichtverstärker auf Maximum eingestellt. Hier ist wenig Restlicht zu verstärken, da die Sonne wie ein Stecknadelkopf nur irgendwo in der Ferne vor sich hin blinkt. Auch Wärmesignaturen gibt es keine zu erfassen, außer in homöopathischen Dosen. Deshalb ergänzt der Radar das Bild für mich.

    Der Schotter aus granithartem Stickstoff fliegt unter den Rädern hinfort, weit getragen in der dünnen Atmosphäre aus Methan. Die Steigungen erscheinen zunächst noch moderat auf dem Weg zur ersten großen Bergbau-Basisstation.

    So eine Bastion der Zivilisation inmitten von schroffen dunklen Bergketten ist wie eine Offenbarung. An diesem Ort erholen sich die Minenarbeiter bei einem Schlückchen „Grubenlicht“ (ein synthetischer Fusel mit Kräuteraromen) und einer schnellen Rodelabfahrt mit teflonbekuften Schlitten.

    Auf diese geniale Idee kam der erste stationäre Astronat Werner (Werni), der hier als erster oft und gerne rodelte. Deshalb heißt die Station noch heute „Wernigernrodel“.

    Sehr beeindruckend hier ist das tollkühn auf einer Stickstoffklippe hoch über der Station thronende Kommandomodul mit pittoresken in den Himmel gereckten Funktürmen.

    Weiter geht es die kalten Bergflanken hinauf, und zum ersten Mal komme ich so richtig derbe ins Schwitzen. Nur, weil auf dem Raumanzug „Gore“ draufsteht, ist der noch lange nicht atmungsaktiv! Der Schweißrezyklator gluckert leise. Er kommt kaum hinterher mit der Entsalzung und Aufbereitung als Sprudelwasser. Ich schnaufe.

    Je höher ich mich hinaufarbeite, desto trister wird der Anblick: Fahle spitze Nadeln aus Methan recken sich gen Himmel, tot und bleich wie die Gerippe von Bäumen, wie wir sie einst auf der Erde kannten.

    Mechanische Ernter brechen die Nadeln im Akkord, um sie zu den Methansägewerken zu transportieren, von wo sie Richtung Mars verschifft werden. Methan ist teuer und wertvoll, deshalb sind die Preise gerade richtig durch die Decke gegangen. Wer im Augenblick einen Planeten terraformen möchte, muss für eine Tonne Treibhausgas sehr tief in die Tasche greifen!

    Gottseidank hat unsere Spezies im 21. Jahrhundert sehr viel Expertise beim Aufheizen von Planeten angehäuft, welche uns nun bei der Urbarmachung des Mars sehr zugute kommt. Mittlerweile kann man schon ohne Anzugheizungvam Marsäquator flanieren gehen - wenn man sich ausreichend gegen Rötgenstrahlung eingerieben hat - Ambre Solaire, LSF 32.000.

    Überall um mich herum gluckert und rauscht es, wo das Schmelzwasser aus Methan aus den Spalten gluckert. In einem tunke ich meine verdreckten Raumstiefel - Herrlich!

    Auf der letzten Anhöhe folge ich kilometerweit einem Bach, der mit rostrot gefärbter Flüssigkeit über die Steine plätschert. Hier leiten die Minenarbeiter aus den Erzminen das einsickernde Methan heraus und leiten es in den so genannten Eisenbach.

    Zum Schluss geht es noch einmal in steiler Schußfahrt hinab über eine gut planierte Piste, über die auch unzählige Ernter und Transporter mit ihren Ketten walzen. Wie gut, dass meine Bremsen ihren Dienst tun! Ich hatte auch keinen Bruch spröden Materials zu verzeichnen.

    Erschöpft und zufrieden beende und ich meine Expedition am inneren Rand des Kuipergürtels. Es hat sich gelohnt!
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