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  • Day 37

    Huayna Potosi Tag 1: Der verrückte Hugo

    May 7, 2016 in Bolivia ⋅ ☀️ 10 °C

    Da war er endlich. Der erste Tag von dreien, die uns auf den Huayna Potosi führen sollten. Ein Berg mit 6088m, der angeblich nicht besonders schwierig zu erklimmen ist, aber nicht zu unterschätzen ist. Man hat mit der Höhe an sich zu kämpfen, der wenige Sauerstoff kann zu Kopfschmerzen, Übelkeit und Durchfall führen und macht zusätzlich jeden Schritt unglaublich anstrengend. Aber wir waren durch unsere Tage in La Paz bereits gut akklimatisiert, einzig die diversen Krankheiten von Jule und Annabelle beeinträchtigten die Fitness der Gruppe noch. Aber von vorne...

    Pünktlich wie die Maurer standen wir um 9 Uhr an vereinbarter Abholstelle. Wir waren auch nicht allein. 2 Polen und 5 Franzosen standen mit uns etwas ratlos vor Doktor Hugo's Büro, denn die Tür war mit Rollos verrammelt und kein Bus in Sicht. Eine knappe halbe Stunde später kam Bewegung in die Sache. Zwei Minibusse tauchten auf, wir luden unser Gepäck ein und setzten uns in die Busse. Aber dann war es mit der Bewegung auch schon wieder vorbei, denn einer der Minibusse hatte wohl vollkommen verkehrswidrig zu nah an der Straßenkreuzung geparkt und hatte nun eine Kralle am Reifen. Also Gepäck wieder raus, alle in den anderen Bus und ab zum Equipment Lager.

    Das Lager befand sich auf einem kompletten Stockwerk eines Wohnhauses und war fürchterlich unordentlich. Mit ähnlicher Unorganisiertheit wurde auch das Material verteilt. Der eine bekam Schuhe, der nächste einen Helm, und der andere wiederum einen Skihose. Dann hastete auf einmal Doktor Hugo wieder an einem vorbei und monierte, dass man ja immer noch keine Steigeisen hätte... Aber irgendwann hatten wir dann doch alles zusammen: Basti durfte mit seinen eigenen Bergschuhen los ziehen, Chris hatte so etwas ähnliches wie Plastik-Touren-Skischuhe bekommen (bestimmt sehr gemütlich zum gehen), für die Mädels fanden sich sehr gute steigeisenfeste Scarpa Bergschuhe (wenn man sich lang genug über die Plastik-Schuhe beschwert, wird man auf einmal in das geheime Lager mit den guten Sachen im Stockwerk tiefer geführt). Dazu gab es für alle Steigeisen, Gamaschen, eine Skihose, dicke Handschuhe, Klettergurt, Helm und Eispickel.

    Doktor Hugo drängte uns bald schon zur Eile und hetzte uns voll bepackt zurück zum Minibus, damit es endlich los ging. Mittlerweile stand neben unsrem Minibus auch ein geländegängiger Jeep zur Verfügung, den Doktor Hugo persönlich fahren wollte. Wir entschieden uns natürlich für dieses Gefährt, auch wenn man hinten nur quer zur Fahrtrichtung auf windschiefen Bänken und ohne Anschaller sitzen konnte. Doktor Hugo blühte vollkommen auf. Kaum auf den Fahrersitz gesetzt, sprang er schon wieder aus dem Auto und rannte zurück ins Lager... und das ungelogen ca. 30x hintereinander immer mit den Worten “Shit“ oder “Fuck“. Aber irgendwann fuhren wir los, natürlich mit Vollgas schon beim Anfahren. Wir waren ja schließlich spät dran. Dass direkt vor uns der andere Minibus stand, hemmte den Druck auf's Gaspedal nur wenig.

    Mit Vollgas rasten wir los durch die Stadt. Die doch recht häufigen Speedbumper in La Paz nahm Doktor Hugo mit wenig angepasster Geschwindigkeit. Wir hatten ja einen geländegängigen Jeep unter'm Hintern. Dass seine Fahrgäste, also wir, dabei jedes Mal einer Satz machten und fast mit dem Kopf an die Decke stießen, schien ihm nicht bewusst oder wenigstens egal zu sein. Dank der hohen Geschwindigkeit verfuhren wir uns dann auch noch und verloren den Minibus hinter uns. Soweit machte uns das erstmal nichts aus, denn Doktor Hugo hielt vor einem kleinen Laden, wo wir uns mit Chips und Schoko-Waffeln versorgten, während Doktor Hugo dem Minibus hinterher telefonierte. Als aber der Akku des Handys sich seinem Ende neigte, sprang Doktor Hugo und natürlich auch wir wieder in den Jeep. Mit den Worten “you should never work with family“ rasten wir zurück zum Lager, gerne auch mal in der Stadt in der Kurve überholend.

    Am Lager gab es erstmal Ärger für die Angestellten, keine Ahnung warum eigentlich. Ebenso schnell wie wir hier angekommen waren, ging es auch schon wieder los. Dass Annabelle beim Anfahren mit Vollgas noch in der hinteren Jeep-Tür stand, war auch wieder eher nebensächlich. Bei der jetzigen Fahrt durch die Stadt hatten wir nicht mehr ganz so viel Glück. Da Samstag war, war auf vielen Straßen Markt und daher Stau für die Autos. Mehrmals bugsierte uns Doktor Hugo wieder rückwärts aus verstopften Straßen heraus. In einem Stau stoppte er auf einmal den Motor und rannte mit einem Benzin-Kanister weg. Aus der Ferne machte er uns noch wilde Zeichen, die alles bedeuten hätten können von “fahrt das Auto weiter“ über “kommt mit mir mit“ bis hin zu “steigt bloß nicht mitten in El Alto aus dem Auto“. Bis wir ausgekasperlt hatten, was los war, riss Doktor Hugo die hintere Jeep-Tür auf und reichte uns den tropfenden Benzin-Kanister mit den Worten “put this between your legs“.

    Ein paar Straßen weiter hatten wir uns gerade mit der Benzin-Kanister-Situation mit Hilfe von Taschentüchern arrangiert, da hielt Doktor Hugo schon wieder, diesmal um zwei große Gasflaschen zu seinen Gästen einzuladen. Mit einem Fingerzeig auf eine leere Flasche bedeutete er danach Chris und einem weiteren Gast, den Tank aus dem Kanister aufzufüllen... bloß nicht selber die Finger schmutzig machen. Neben dem Jeep stehend schien Doktor Hugo aufzufallen, dass ja die Equipment-Taschen auf dem Dach gar nicht festgezurrt waren. Lachend fragte er uns “did you count how many bags we put up there?“, bevor er die Jungs anwieß, die Taschen nach der rasanten Fahrt durch die Stadt doch noch festzubinden.

    Weiter ging es auf einer recht holprigen Feldstraße, die für uns auf den wackeligen Bänken die reinste Freude war. Nachdem sein Handy ja den Geist aufgegeben hatte, hielt Doktor Hugo auf der Fahrt den erst besten entgegen kommenden Minibus an, um ihn um ein Telefonat zu bitten. Natürlich nur mit einer angemessenen Tirade von Schimpfworten, die sogar wir verstanden. Bei diesem längeren Stopp mitten in der Pampa erfuhren wir auch endlich den Grund all der Hektik: der andere Minibus, den wir dank Raserei verloren hatten, hatte irgendeinen Schlüssel, den Doktor Hugo unbedingt brauchte. Was auch immer sich während des nicht erfolgreichen Telefonats verändert hatte, auf einmal verbesserte sich Doktor Hugo's Laune schlagartig und zur Musik von Bob Marley heizten wir die Feldstraße zum Base Camp auf 4700m hoch. Weiterhin schien er aber weder von sanft anfahren, sanft einkuppeln und der Bremse gehört zu haben. Diesem Fahrstil fiel beinahe ein winziges Lama Baby zum Opfer und zwang Annabelle wegen Übelkeit auf den letzten 100m zum Aussteigen. Aber wir hatten ihn jetzt immerhin schon von Nahem gesehen: Huayna Potosi thronte prächtig, leicht Wolken verhangen und Schnee bedeckt über dem Base Camp.

    Mit all dem hin und her waren wir erst um 14 Uhr am Base Camp. Vollkommen verdurstet und hungrig bezogen wir unser Lager für die Nacht. Was als nächstes passiert, wurde uns erstmal nicht mitgeteilt. Schließlich machten sich aber unsere Guides an unserem Equipment zu schaffen und wir erfuhren, dass wir etwas zu Essen kriegen sollten und danach trotz der schon sehr fortgeschrittenen Zeit noch zum Gletscher aufbrechen würden.

    Mit einem riesigen Teller Eintopf im Bauch brachen wir um 16 Uhr auf zum Gletscher. Alle Berg-affinen Leute werden sich denken können, wie merkwürdig wir das fanden, da doch um kurz nach 18 Uhr die Sonne untergehen sollte und man dann um 16 Uhr lieber schon fast daheim wäre als auf dem Berg. Aber gut, Stirnlampen eingepackt und los. 200m stiegen wir durch leichtes Gelände auf, wir merkten die Höhe an unserer Atmung sofort. Wir erreichten den Rand des Gletschers. Wir übten das Anlegen der Steigeisen, das Gehen auf der schrägen Eisfläche und das Klettern mit Eispickel, wenn das Eis zu steil wurde. Annabelle erlebte auch gleich noch einen kleinen Schrecken, als sie beim Klettern die Zacken der Steigeisen nicht ordentlich ins Eis gehauen hatte und ein wenig am glatten Eis nach unten abrutschte. Aber im Großen und Ganzen verlief die Gletscher-Einführung gut.

    Im Dunkeln erreichten wir schließlich wieder das Base Camp. Wir würden die Nacht wieder 200m tiefer als auf den heutigen höchsten Punkt verbringen, was für die Akklimatisierung sehr gut ist. Das zwei-gängige Abendessen stärkte uns nochmal. Danach hieß es trotz früher Stunde sofort ab ins Bett. Basti konnte nicht mal mehr seine Gute-Nacht-Zigarette rauchen, da wir bereits sicher im Base Camp eingeschlossen worden waren.
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