Satellite
Show on map
  • Day 87

    Ciudad de la plata: Potosí

    April 2 in Bolivia ⋅ 🌩️ 16 °C

    Auf der Weiterreise nach Sucre machen wir einen Zwischenstop in der Minenstadt Potosí. Bereits seit Jahrhunderten werden hier allerhand Metalle und Mineralien abgebaut. Allen voran das beliebte Silber. Zudem wurde hier die erste internationale Währung in Form von Silbermünzen und das Dollarzeichen erfunden.

    Für uns steht eine Führung in einer der zahlreichen Minen an. Mutig wagen wir uns mit unserem Führer Julio in die Tiefen der Welt der Minenarbeiter vor. Dass dies kein Sonntagsspaziergang ist, wird uns spätestens klar, als wir in der Agentur einen Haftungsausschluss unterzeichnen. Schließlich betreten wir eine aktive Mine, die wir nur in Schutzkleidung und mit einer großen Portion Ehrfurcht betreten dürfen.

    Bevor es aber losgeht, erhalten wir erst einmal eine Einführung in die Arbeit untertage. Julio selbst ist aufgrund einer finanziellen Notlage seiner Familie zum ersten Mal mit 14 Jahren in die Mine eingefahren. Anschaulich und mit flinken Bewegungen erklärt er uns noch bei Tageslicht die verschiedenen Arbeiten, die die Minenarbeiter ausführen, und lässt uns den 35kg schweren Bohrer probeheben. Dass man 8h und länger täglich mit diesem Werkzeug hantieren muss - für uns unvorstellbar.

    Dann besorgen wir Geschenke für die Minenarbeiter in einer Tienda. Statt für 94%igen Alkohol (Alkoholismus ist unter den Minenarbeitern ein weit verbreitetes Problem) entscheiden wir uns für Saft und Cocablätter. Einen ganzen Beutel dieser Blätter benötigt ein Minenarbeiter täglich als Energielieferant und angeblich auch zum Schutz vor dem teilweise toxischen Staub untertage.

    Ob das wohl funktioniert? Wir habe unsere Zweifel. Schließlich erkranken die meisten Minenarbeiter nach ca. 10 Berufsjahren an unheilbaren Lungenkrankheiten oder Krebs. Überleben sie diese nicht, so erhalten die Witwen und Familien eine kleine Rente. Einen gefährlicheren Job gibt es wohl kaum. Neben den Lungenkrakheiten sterben viele Arbeiter an fehlgezündeten Explosionen oder anderen Arbeitsunfälle, so auch einige von Julio Freunden. Das Dynamit, das uns der Verkäufer ebenfalls als Geschenk für die Arbeiter anbietet, lehnen wir dankend ab.

    In diesem Bewusstsein und mit viel Respekt für diese Männer machen wir uns auf den Weg. Eingestimmt werden wir vor dem Mineneingang in einem kleinen Steinbau, in deren Nische eine Marienstatue aufgestellt ist. Wir fragen uns, was es mit den braunen Farbspritzern an den Wänden auf sich hat, bis uns Julio erklärt, dass die Minen einmal im Jahr durch Lamaopfer gesegnet werden, um Gott um ein ertragreiches Jahr und den Schutz der Minenarbeiter zu bitten. Hier oben, im Tageslicht, ist der göttliche Beistand maßgebend. Im Reich der Tiefe aber gelten die Gesetze des Tio - dem Gott der Unterwelt. Wie zur Erinnerung ertönen dumpf, wie in weiter Ferne, donnerte Töne. Explosionen, wie Julio uns wissen lässt.

    Nun wagen wir uns ins Reich der Dunkelheit vor. Kaum einige hundert Meter später werden wir von Julio aufgefordert, schnell auf die Seite zu springen und uns an die Wand zu pressen. Der Grund dafür wird und klar, als sekunden später ein mit Schutt und Geröll beladener Wagen mit zwei jungen Arbeitern an uns vorbeidonnert. Schlagartig wird uns klar: Dies ist kein Freilichtmuseum, sondern eine aktive Mine.

    Weiter geht es über Schutt und Geröll, durch Schlamm, Staub und Felsöffnungen, immer weiter in den Berg hinein. Immer wieder begegnen uns Mineros, denen wir unsere Geschenke übergeben und die von Julio, teilweise in der indigenen Sprache Quetchua, mit uns sprechen. Einige von ihnen wirken sehr jung. Auf Nachfrage sind sie alle über 20. Ob das so stimmt?

    In Eimer Nische machen wir halt und entdecken eine meterhohe Statue mit Teufelsfraze: Der Tio ist mit Cocablätterm überhäuft, Zigaretten stecken in seinem Mund und sein Körper ist mit Luftschlangen vom vergangenen Carnaval geschmückt - alles Opfergaben der Mineros. Hier in der Unterwelt hat Gott keine Macht, nur der Tio kann die Arbeiter vor Krankheit und Tod bewahren und für ein gutes Auskommen sorgen.

    Nun machen wir uns über einen abschüssigrn Geröllgang, teilweise klettern, teilweise auf dem Hosenboden rutschend, auf in Richtung Level 2. Hier unten ist es bereits sehr warm und wir kommen gehörig ins Schwitzen. Der Gang ist teilweise mannshoch, teilweise müssen wir aber auch auf den Knien vorankrabbeln. Immer wieder kommen uns Wagen entgegen, denen wir ausweichen müssen.

    Julio erklärt uns, dass er hier teilweise bei über 40 Grad über Stunden hinweg im Stollen Schwerstarbeit geleistet hat. In einer Felsöffnung im Boden entdecken wir einen Minero beim Steineklopfen. Wir erfahren, dass er Ende 40 und krank ist und eigentlich beim Arzt behandelt werden müsste. Dafür fehlt aber das nötige Geld, das er sich erst erarbeiten muss. Da sein Arbeitsplatz zu weit von den Schinen weg ist, schleppt er die schweren, mit Steinem vollbeladenen Körbe auf dem Rücken zur nächsten Sammelstelle. Uns wird ganz anders zumute.

    Wir kämpfen uns weiter über abschüssige enge Gänge, klapproge Leitern und Gestein. An den Wänden sehen wir Ausblühungen von Arsen und vernehmen dumpfe Explosionen, viele hundert Meter unter uns. Die Arbeitsbedingungen dort unten wollen wir uns gar nicht vorstellen.

    Allmählich steigen wir wieder bergauf, immer dem Ausgang entgegen, bis wir schließlich blasses Tageslicht sehen. Vor uns öffnet sich der Schlund des Berges. Erleichtert treten wir den Sonnenstrahlen entgegen. Doch die bittere Erkenntnis bleibt: Was für uns ein einmaliges, eindrückliches und zum Teil verstörendes Erlebnis war, wird schon morgen früh für tausende Mineros in Potosí wieder zum Alltag.
    Read more