• Cottage Time in Figheldean

    1 января, Англия ⋅ ☁️ 5 °C

    Wir erreichen also Figheldean, dieses idyllische, winzige Dörfchen, das mit einer fast magischen Nähe zu Stonehenge lockt – nur zehn Minuten entfernt. Es fühlt sich an, als wäre es der perfekte Ort, um nach einem langen Reise-Tag den Kopf frei zu bekommen. Vielleicht gibt es hier ja einen geheimen „Steinkreis-Zauber“, der uns für die Nacht fit macht.

    Unser Ziel: ein „thatched Cottage“, ein strohgedecktes Häuschen aus dem 18. Jahrhundert. Als wir vor dem Cottage stehen, sehen wir sofort, dass es aussieht wie aus einem alten Märchenbuch – das Dach aus Stroh schimmert im schwachen Straßenlicht und wir können uns fast vorstellen, dass es von einem weisen alten Raben oder einem besonders ehrgeizigen Eichhörnchen bewacht wird. Es sieht ein bisschen so aus, als könnte das Cottage bei jedem heftigen Windstoß umkippen – aber keine Sorge, das ist nur der Eindruck von außen. Im Carport steht eine rot-weiße Corvette, die irgendwie nicht ins Bild passen will.

    Das Haus hat kleine Fenster und der Duft von Holz und Stroh weht durch die Ritzen. Wenn wir eintreten, fühlt es sich an, als ob wir in eine andere Ära abtauchen: Holzbalken an der Decke, eine zusammengewürfelte Einrichtung und ein Kaminofen in der Mitte des Raumes – so als wollte uns das Cottage einladen, uns niederzulassen und die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte zu hören.

    Und dann begegnen wir ihm: Vincent. Vincent begrüßt uns mit einem breiten Lächeln, als wäre er der Chef eines privaten Clubs, den man nie verlassen möchte. „Willkommen im Cottage“, sagt er und winkt mit einer Handbewegung in Richtung der spartanischen Stube. Er zeigt uns das verwinkelte Zimmer unter dem strohgedeckten Dach: Matratze auf dem Boden, das war es - nichts weiter drinnen. Für Harald eine kleine Herausforderung zum schlafen. Vince schaltet schon mal die Elektroheizung an.

    „Es gibt hier ein paar wirklich gute Pubs im Dorf“, sagt Vince, „aber ob sie an Neujahr geöffnet sind… tja, das ist eine andere Frage.“ Ein Augenzwinkern begleitet seine Worte, als ob er uns gerade eine geheime Herausforderung stellt: Wer schafft es, einen offenen Pub zu finden?

    Natürlich sind wir mutig und beschließen, unser Glück zu versuchen. Figheldean, das verschlafene Dörfchen, ist nicht unbedingt für sein aufregendes Nachtleben bekannt, aber wie gesagt – die Herausforderung muss angenommen werden! Nach einer kurzen, aber sehr entschlossenen Autotour durch das dunkle Dörfchen – vorbei an Häusern, die genauso ruhig sind wie die Steine von Stonehenge selbst – merken wir schnell: Nichts geht. Ein Pub nach dem anderen ist geschlossen, als hätte jemand alle Türen mit „Sorry, sind geschlossen, Neujahr halt“ zugeklebt. Eines fanden wir für ein halbes Pint, aber nichts zu essen.

    „Na gut, dann eben nicht“, sagen wir uns und kehren zurück zu Vince, der uns schon erwartet. Ich habe in der Zwischenzeit eine Lösung parat: „Wenn die Pubs uns nicht wollen, dann kochen wir eben selbst!“ Ein Plan, der uns aus der Patsche hilft, also schlüpfen wir in die Küche und zaubern uns Trüffel-Gnocchi, als wären wir in einem italienischen Restaurant und hätten das Geheimrezept des Jahrhunderts entdeckt. Harald telefoniert währenddessen mit Bruder Martin, unserem Mönch aus der Trappistenbrauerei. Ich lausche den beiden, wie sie sich über den Film "Konklave" austauschen, hier und da muss ich schmunzeln und koche weiter. Vince versucht indes den Kamin anzuheizen, der schon nach wenigen Minuten einladend vor sich hin knistert.

    Das Abendessen, einfache, aber leckere Gnocchi-Kunst, wird in der warmen, rustikalen Küche serviert. Wir stoßen an, als hätten wir gerade den Nobelpreis für Gnocchi gewonnen, und dann setzt sich Vince mit uns vor den Kamin. Er ist offenbar in Plauderlaune und beginnt, uns seine Lebensgeschichte zu erzählen – und die ist, sagen wir mal, „reich an Abenteuern“. Er hatte einige Jahre in Hamburg gelebt - Ende der 90er Jahre und hat für das britische Militär gearbeitet und dort den Osten Deutschlands und die Russen abgehört. Dann ging er zurück nach London, aber nur für ein paar Monate, dann fand er einen lukrativen Job in einer IT-Firma als Customer Support Manager und zog dann auf´s platte Land, da er hauptsächlich Home-Office hat. Er springt gerne Fallschirm, joggt und liebt das Model bauen. Er ist Dauer-Single, mag es nicht allein zu sein und stellte während des ganzen Gespräches keine einzige Frage. Wir wissen so gut, wie alles über ihn und er nichts über uns. Vince erzählt uns noch, dass er uns die Ausstellung im historischen Hafen von Portsmouth empfiehlt, mit den alten Kriegsschiffen - Harald bekommt leuchtende Augen - ich beachte dieses Zeichen ;0)...

    Aber bevor die Nacht sich ganz über uns legt, muss ich noch schnell meine Wanderung zu Stonehenge planen. Ich möchte unbedingt den Sonnenaufgang dort erleben – der soll spektakulär morgen werden, laut Wetterbericht. Ich frage mein I-Pad nach der besten Route, wo ich keinen Eintritt für Stonehenge zahlen muss, während Harald, der es gemütlicher mag, bereits auf den Sprung ins Bett (Matratze) ist.
    Ich höre ihn jetzt schon schnarchen und ich denke mir - mach es und genieß es, ich schlafe ja eine ganze Etage tiefer. Er würde sich morgen früh nicht einmal vom „Steinkreis des Morgens“ erwecken lassen. Für ihn klingt das eher nach „Steinkreis der Schmerzen“ um die Uhrzeit, wo ich los möchte und dann noch wandern und Matsch - ich glaub, ich hab ihn in Derbyshire traumatisiert. Ich frag ihn trotzdem:

    „Magst Du morgen früh zu Stonehenge mitkommen? - du weißt schon“, sage ich, „Frühaufstehen, Sonne, Nebel… ich will es einfach mit Sonnenaufgang erleben!“ Harald antwortet mit einem verschmitzten Lächeln: „Na, dann, viel Glück! Aber ich will mich mal im Ausschlafen testen - du wirst dich wundern, wie gemütlich das ist, wenn der Tag ganz in Ruhe beginnt!“

    Ich ziehe mich also noch ein bisschen mehr in meine Planungen zurück, während Harald sich bettfertig macht und dann wohl in den tiefsten Schlaf driftet, der vermutlich in den nächsten Stunden nicht einmal durch das prachtvolle Brüllen von Stonehenge selbst zu wecken wäre.

    Und so endet der Abend – mit einem nachdenklichen Lächeln, einem letzten Blick in den knisternden Kamin und der unweigerlichen Erkenntnis, dass Neujahr im „thatched Cottage“ definitiv nicht der langweilige Tag war, den wir uns vorgestellt hatten.
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