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- Day 2
- Monday, July 14, 2025 at 9:41 AM
- ☁️ 20 °C
- Altitude: 41 m
FranceRouen49°26’26” N 1°5’38” E
Ein Morgen in Rüschen & Ruinen

Der erste Morgen in Rouen begann, wie meine Morgen oft beginnen – früh.
Ich bin der Vogel, der schon vor dem Sonnenaufgang im Nest zwitschert. Während Margriet noch schlief, saß ich bereits mit meinem Handy im Halbdunkel des Schlafzimmers und schnitt das Tagesvideo von gestern zusammen.
Ich war überrascht, wie viel wir schon erlebt hatten. Nur ein Tag war vergangen, und doch fühlte es sich an wie drei.
Als ich aufstand und mich in die Küche begab, lag noch Stille über der Wohnung. Ich freute mich, dass Margriet so ruhig schlief – ein gutes Zeichen. Ankommen, zur Ruhe kommen, sich wohlfühlen – das ist mehr wert als jedes touristische Highlight.
Ich kochte Tee und Kaffee, rührte Rührei in der Pfanne, schob Brötchen in den Ofen. Der Duft zog langsam durch die Wohnung, schlich sich in die Flure und an ihre Zimmertür.
Wenig später schwebte sie herein – verschlafen, im weißen Rüschennachthemd, das an eine Szene aus einem alten französischen Film erinnerte.
Sie schnupperte, schaute auf den gedeckten Tisch und fragte halb im Ernst, halb amüsiert:
„Soll ich erst duschen oder mich direkt hinsetzen?“
Ich lachte.
„Wenn es nach mir geht: genau so. Dieses Nachthemd verdient ein Frühstück.“
Wir öffneten die Fenster, ließen die kühle, frische Morgenluft hinein und setzten uns an den Tisch. Draußen hatte der Regen aufgehört, die Luft roch nach Stein und Sommer. Wir genossen das selbstgemachte Frühstück wie ein kleines Festmahl – langsam, schweigend, zufrieden.
Jumieges – Parade zwischen Klostermauer:
Kurz vor halb zehn standen wir auf dem Parkplatz des Klosters Jumieges. Und wir staunten nicht schlecht: Eine ganze Flotte historischer Fahrzeuge hatte sich dort versammelt – alte Citroëns, Feuerwehrwagen, militärische Jeeps, alles blankpoliert und bereit zur Parade.
Punkt 9:25 Uhr röhrten die Motoren los, als hätte jemand ein geheimes Startsignal gegeben.
Margriet und ich hielten alles fest, jedes Detail.
Dann kehrte wieder Stille ein – die andere Art von Gänsehaut.
Wir betraten das ehemalige Benediktinerkloster, eines der ältesten der Normandie.
Am Eingang bekamen wir ein iPad als Audioguide – und staunten: Die App zeigte uns per Augmented Reality, wie das Kloster früher aussah. Was heute Ruine war, wurde digital wieder lebendig.
Wir liefen zwischen Mauern und Erinnerungen. Hier und da berührte Margriet den Stein – als wollte sie spüren, was dort einst gewesen war.
Vor uns: steinerne Türme, himmelwärts strebend, ohne Dach, ohne Schutz – und doch voller Würde.
„Schau dir das an“, sagte ich, „Victor Hugo nannte das hier die schönste Ruine Frankreichs.“
Margriet nickte nur und ging los – direkt auf die geöffneten Bögen der Westfassade zu, die wie ein romanisches Tor ins Licht ragten.
Es war still. Kein Vogel, kein Auto. Nur der Wind, der sanft durch das geborstene Mauerwerk strich.
Wir betraten die alte Abtei, oder was von ihr geblieben war. Riesige Pfeiler, hohle Gewölbe, Fragmente einer Ewigkeit. Man hörte die Stille – und in ihr ein Echo der Jahrhunderte: gregorianische Gesänge, das Klirren von Hämmern, das leise Rascheln von Ordensgewändern.
„Das war mal ein Ort des Gebets“, sagte ich leise. „Und dann ein Steinbruch.“
Sie blieb stehen.
„Ein Steinbruch?“
Ich nickte. „Nach der Revolution verkauft. Alles, was brauchbar war – Mauern, Säulen, Kapitelle – wurde abgetragen. Für Bauernhöfe, Villen, Zäune. Man hat die Abtei ausgeschlachtet wie ein Tier.“
Sie legte die Hand auf einen verwitterten Bogen. „Und trotzdem… es ist noch so viel da.“
„Ja“, sagte ich. „Die Seele.“
Wir standen auf den steinernen Stufen, wo einst der Chor gesungen haben musste. Über uns der Himmel, offen wie das Dach des Universums, zwischen uns der Gedanke: Wie viel Schönheit kann im Verfall liegen?
Ich erzählte ihr vom Audio Guide, dass das Kloster im 7. Jahrhundert gegründet wurde, von Mönchen zerstört, von Normannen niedergebrannt, und immer wieder aufgebaut. Und dann – der große Schlag. Revolution, Auflösung, Verkauf.
Und dennoch hatte dieser Ort überlebt. Nicht als Kirche. Sondern als Erinnerung.
Als Ruine, ja – aber was für eine.
Ich holte mein Handy aus der Tasche, machte ein Bild gegen das Licht. Die Säulen warfen Schatten, als wäre auch der Stein plötzlich lebendig.
„Es sieht aus“, sagte sie, „als würde der Himmel hier wohnen.“
Ich schwieg. Es war der perfekte Satz.
Ein paar Schritte weiter, vor einem alten Farmhaus mit großen Heuballen, packte mich die spontane Idee, einen Mini-Film über das „ländliche Leben der Normandie“ zu drehen.
Margriet zögerte keine Sekunde. Sie schnappte sich einen herumliegenden Eisenstab, das als Heugabel durchgehen konnte – und los ging’s.
Wir lachten Tränen, filmten drauflos, improvisierten Szenen. Der Clip war goldwert – und genau so entstehen unsere schönsten Erinnerungen.
In einem angrenzenden Herrenhaus fanden wir noch eine kleine Ausstellung – Kunst und Geschichte, verborgen hinter Mauern, die mehr gesehen haben als ein ganzes Jahrhundert erzählen kann.
Am Ausgang stand eine kleine bronzene Plakette mit dem Zitat von Victor Hugo. Ich fuhr mit dem Finger darüber: „La plus belle ruine de France.“
Und für einen Moment war es, als hätten wir uns eingereiht in die Jahrhunderte – als Beobachter, als Zeugen.
Beim Weitergehen drehte sich Margriet noch einmal um.
„Was für ein Ort“, sagte sie.
„Und was für ein Land“, ergänzte ich.
Als der Magen langsam knurrte, fuhren wir zurück nach Rouen. Nur ein kleiner Snack für zwischendurch.
Ich hatte für den Abend reserviert – Nationalfeiertag, Rooftop-Restaurant, Blick auf die Seine.Read more