„Rouen & die Kunst der Sinne – unterwegs in der Normandie“ Read more
  • Mandy hady Schulte

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  • Madame Caravan - Croissants mit Aussicht

    July 13 in Belgium ⋅ ☀️ 18 °C

    Ich war am Samstag bereits nach Ouddorp gefahren – eine kleine Küstenstadt in den Niederlanden, in der Margriet lebt. Troisdorf und Ouddorp trennen rund 300 Kilometer, aber an diesem Wochenende schien der Weg kürzer, fast wie der Anfang eines alten Films: Zwei Frauen, zwei Koffer, ein Ziel.

    Am nächsten Morgen, stand sie schon in der Tür. 85 Jahre – und trug schon diese jugendliche Erwartung im Gesicht, als würde gleich ein Abenteuer beginnen. Ihr Koffer stand griffbereit neben ihr. Ich hob ihn mit übertriebener Anstrengung hoch und stöhnte gespielt.
    „Margriet, was hast du eingepackt – die Steine von Étretat?“
    Sie lachte. Hell, offen, wie jemand, der sich nicht mehr beeindrucken lassen muss. „Ach was, das ist kaum etwas. Nur das Nötigste.“
    15 Minuten vor sieben – abfahrbereit. Ich hätte es wissen müssen ;0)...

    Wir rollten los, noch vor dem ersten Verkehr. Die Straßen leer, die Stimmung heiter. Das Wetter? Noch mild, ein fast zärtlicher Sommermorgen. Doch der Tag würde heiß werden, schwül sogar. Der Himmel war blassblau, als hielte er die Hitze schon bereit.

    Ich hatte einen kleinen Stopp geplant – in Middelkerke, Belgien. Dort wollte ich mit Margriet bei Madame Caravan frühstücken. Ein Café, das aussieht wie aus einem französischen Roman: klein, verspielt, mit handgeschriebenen Kreidetafeln und dem Duft nach Kaffee, der wie eine Umarmung wirkt.
    „Wusstest du eigentlich, dass unser Urlaub genau auf den französischen Nationalfeiertag fällt?“, fragte ich, als wir durch Westflandern rollten.
    „Wirklich? Dann gibt’s sicher Feuerwerk.“
    „Und volle Restaurants. Ich hab ewig gebraucht, um uns einen Tisch zu organisieren.“
    Sie nickte, so, als hätte sie nie daran gezweifelt, dass ich das hinkriege.

    In Middelkerke war es noch still. Sonntag, neun Uhr morgens – nur einige Jogger und Hundegänger auf der Promenade, der Wind trug den salzigen Duft des Meeres zu uns. Der Parkplatz war ein kleines Geduldsspiel. Wir mussten ein paar Runden drehen, ehe wir das Auto abstellen und ein Stück am Strand entlanglaufen konnten. Ich atmete tief ein. Es war dieser Moment, in dem der Tag sein Versprechen gibt.

    Ich wollte wieder ein kleines Video drehen – wie immer, ein Clip pro Tag, aus den Orten, die wir besuchen. Und Margriet? Sie sprang über das Handy wie ein junges Reh. Mitten in der Sonne, mitten im Leben. Der zweite Clip des Tages – perfekt eingefangen.

    Dann erreichten wir Madame Caravan.

    Es war so, wie ich es mir vorgestellt hatte – nur ein bisschen schöner. Die Fensterbank war ein Tresen, mit hohen Hockern, die den Blick nach draußen freigaben. Sonnenstrahlen fielen durch die Scheiben, der Raum roch nach frisch gemahlenem Kaffee. Hinter der kleinen Bar stand eine junge Frau mit Sommersprossen und einem Lächeln, das man ernst nehmen musste.
    „Habt ihr reserviert?“, fragte sie.
    Ich verneinte.
    „Frühstück gibt’s nur mit Reservierung…“ – und dann, nach einem kurzen Zögern: „…aber ich hätte da noch Croissants. Frisch aufgebacken. Mit hausgemachter Marmelade. Latte Macchiato dazu?“
    Ich sah Margriet an. Sie nickte bereits, bevor ich antworten konnte.

    Wir nahmen jeder zwei Croissants – ein Zugeständnis an die Gier, die man nicht immer zügeln sollte. Die Marmelade war aus dunklen Waldbeeren, nicht zu süß, fast herb, wie ein gutes Gespräch. Zwischen den Bissen hörte man das leise mmmhh, das manchmal ehrlicher ist als Worte.

    Draußen gingen die Hundehalter spazieren. Drinnen tranken wir langsam, beobachteten still, sagten wenig – weil man das, was schön ist, nicht immer benennen muss.

    Dann bezahlten wir. Margriet zog ihre Sonnenbrille auf.
    „Die Normandie ruft“, sagte sie.
    Ich nickte.
    Und der Weg führte uns weiter – immer an der Küste entlang. Nächster Halt: Neufchâtel.
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  • Neufchâtel - Herz aus Käse

    July 13 in France ⋅ ☀️ 27 °C

    Neufchâtel empfing uns mit einer Stille, die beinahe feierlich war. Die Straßen leer, die Fensterläden geschlossen, die Stadt wie ausgestorben – als hätte jemand auf „Pause“ gedrückt. Sonntagmittag in der Normandie.
    Wir parkten in der Nähe der Halle au Fromage, der ehrwürdigen Käsehalle des Ortes, liefen ein Stück zu Fuß durch die kopfsteingepflasterten Gassen. Über uns flatterten rote Banner mit zwei goldenen Löwen – das alte Wappen der Normandie. Ich erinnerte mich an die Anekdote, dass es einmal ernsthaft Überlegungen gab, einen dritten Löwen hinzuzufügen – angeblich als Anlehnung an das Wappen Englands. Es gab sogar offizielle Drucke, doch am Ende blieb es beim Duo. Die Normandie kennt ihren Stolz. Und ihre Geschichte.

    Hier, in diesen stillen Gassen, wurde einer der ältesten Käse Frankreichs geboren: Neufchâtel. Weiß, rustikal, mit einer Rinde wie handgeschöpftes Leinen und einem Herz aus cremigem, leicht salzigem Teig.
    Ein Käse mit Geschichte – und mit Gefühl. Während des Hundertjährigen Kriegs sollen junge Frauen der Region herzförmige Laibe gebacken und sie den englischen Soldaten überreicht haben – als Zeichen ihrer heimlichen Zuneigung. Ob aus Liebe oder aus List – man weiß es nicht. Sicher ist nur: Der Neufchâtel war der erste Käse Frankreichs, der die geschützte AOP-Kennzeichnung erhielt. Ein Käse mit Herkunft, Charakter und einem Hauch von Widerstand.

    Das kleine Käsemuseum, auf das ich mich gefreut hatte, hatte geschlossen. Auch die Halle war dunkel. Nur wir, der Käse in unserer Vorstellung – und die zunehmende Hitze. Es war drückend geworden, die Luft stand. Unsere Schritte wurden langsamer, hungriger.

    „Lass uns einfach weiterfahren“, sagte Margriet. „Irgendwo wird schon ein schattiger Garten sein.“

    Wir entschieden uns, auf die Autobahn zu verzichten – fuhren Landstraße, unter mächtigen Platanen hindurch, an Weiden vorbei, auf denen schwarz-weiße Kühe dösten wie gemalt. Die Normandie in ihrer sanften, satten Weite.

    Und dann fanden wir es: L’Auberge La Grillade – ein einfacher Name, ein Ort wie aus einem französischen Sonntagnachmittag herausgeschnitten.
    Im Garten, zwischen blühenden Lavendelbüschen und dem Zirpen der Grillen, setzten wir uns unter einen großen, alten Sonnenschirm. Die Tischdecke war weiß, das Lächeln der Kellnerin echt.
    Margriet nahm einen Garnelencocktail, ich bestellte frische Austern. Dazu eine Flasche Rosé aus der Provence, kühl, fruchtig, mit dem ersten Schluck wie ein Versprechen.
    Zum Dessert wählte Margriet Pfirsich mit Meringue – wie eine kleine Erinnerung an ihre Kindheit, sagte sie. Ich blieb beim Thema: eine Variation normannischer Käse, Neufchâtel natürlich, Livarot, ein Hauch Camembert. Weich, würzig, weltoffen.

    Wir waren angekommen.
    In der Normandie.
    Im Jetzt.

    Es war gerade einmal 15 Uhr – Rouen lag noch eine Stunde entfernt, doch die Zeit hatte ihre Eile verloren.
    Nur der Rosé war schneller leer als gedacht ;0)...
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  • Rouen - Ankommen in Zeit und Licht

    July 13 in France ⋅ ⛅ 27 °C

    Die Landstraße zog sich wie ein gemalter Fluss durch das satte Grün der Normandie. 80 Kilometer pro Stunde – schneller wäre Sünde gewesen.
    Rechts und links saßen die Heuballen wie schlafende Tiere auf den Feldern, von der Sonne gebleicht, fast golden.
    Margriet schaute aus dem Fenster.
    „Siehst du das?“, sagte sie.
    Ich nickte.
    Man hätte sie wirklich pflücken können.

    Unsere Unterkunft in Rouen lag in einem modernen Komplex, groß, fast klotzig, mit langen Balkonen und viel Beton. Kein Schloss, keine Tür, kein Schlüssel ohne Anleitung – doch wir hatten sie.
    Check-in per Code, ein Kasten, ein Klick.
    Margriet nahm den Schlüssel. Sie drehte ihn mit einem kurzen „Ah!“ im Schloss – und lies mich als Erste ein.

    Die Wohnung war ein kleines Reich: 80 Quadratmeter, zwei Schlafzimmer, viel Licht, klare Linien, freundliche Stille.
    „Such dir dein Schlafzimmer aus“, sagte ich.
    „Nein, mach du.“
    „Nein, du ;0)...“
    Sie lächelte und deutete auf eines der beiden.
    „Dieses. Ich glaube, das ist schön dunkel.“
    Wir richteten uns ein. Zwei Frauen, zwei Räume, zwei Leben, die sich für ein paar Tage im selben Takt bewegten.

    Am frühen Abend – die Sonne war noch weich und tief – beschlossen wir, durch die Altstadt zu schlendern.
    Rouen empfing uns mit seinen Fachwerkhäusern, engen Gassen und diesem historischen Herzschlag, der durch jede Mauerritze zu vibrieren scheint.

    Wir standen unter dem Gros-Horloge – der großen, goldenen Uhr, die sich über die Rue du Gros-Horloge spannt wie eine Zeitbrücke.
    Sie glänzte im Licht, als wäre sie aus einem Märchen gefallen.
    „Da ist sie“, sagte ich.
    Margriet trat einen Schritt zurück, hob das Kinn.
    „Wunderschön. Wie eine Sonne mit Ziffern.“

    Später – ein anderes Kapitel wird sich ganz ihr widmen – doch schon jetzt faszinierte sie uns.

    Unter der Uhr, auf dem Pflaster, entdeckten wir ein weiteres Zeichen: eine goldene Muschel, eingefasst in einen Stern.
    Das Zeichen des Jakobswegs.

    Ich erzählte Margriet, dass Pilger aus ganz Europa diesen Spuren folgen – zu Fuß, mit Fahrrad, manchmal auch nur im Geiste – auf dem Weg nach Santiago de Compostela in Spanien.
    Die Muschel, Symbol des Heiligen Jakobus, steht für Schutz, Orientierung und Wegfindung. Früher trugen Pilger sie an ihren Taschen – als Erkennungszeichen, als Glücksbringer.
    „Vielleicht sind wir auch auf einer Art Jakobsweg“, sagte Margriet.
    Ich schwieg – denn der Gedanke war schön.

    Dann hob ich den Blick zur Uhr.
    „Siehst du den Mond?“
    Oben links, in einem kleinen Ziffernkreis, stand ein silberner Sichelmond.
    Die Uhr zeigt nicht nur die Stunde – sie zeigt auch die Mondphase an.
    Ein Überbleibsel aus einer Zeit, in der der Mond das Leben bestimmte: Saat und Ernte, Ebbe und Flut, Geburt und Tod.
    Heute Nacht: Sichel. Leicht, ruhig, offen.

    Wir gingen weiter durch das weiche Licht des Abends.
    Langsam.
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  • Steinerne Wucht und stille Wächter

    July 13 in France ⋅ ⛅ 27 °C

    Wir bogen um eine Ecke – und blieben stehen.

    Der Justizpalast von Rouen.
    Ein Gebäude, das nicht einfach nur da steht – es tritt auf.
    Steinerne Macht, ein Schachzug aus Gotik und Renaissance, breit gebaut und doch voller filigraner Spitzen, Friese und Statuen. Ein Palast der Gerechtigkeit, wie man ihn kaum irgendwo sonst in Frankreich findet. Und wahrscheinlich auch nirgendwo sonst so schön.

    Unsere Stimmen versiegten. Selbst Margriet, die immer etwas zu sagen wusste, sah nur stumm nach oben.
    Die Fassaden waren übersät mit Ornamenten, Wappen, grotesken Fratzen und Tierwesen. Golems nannte ich sie – und ich glaube, das meinte ich nicht ganz falsch ;0), auch wenn es technisch gesehen eher Gargoyles oder Chimären waren, steinerne Wächter, die sich zwischen Fabel und Realität verfangen haben.

    Hinter einem schmiedeeisernen Zaun entdeckten wir eine riesige Plexiglasscheibe, fast wie ein Schild – durchsichtig, aber präsent. Davor: vier Informationstafeln, die das Gebäude erklärten, seinen Ursprung, seine Wunden, seine Wandlung.

    Der Justizpalast, so erfuhren wir, wurde im 15. Jahrhundert als Sitz des Parlaments der Normandie erbaut – damals eine mächtige Regionalinstanz unter der Krone Frankreichs.
    Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude schwer beschädigt. Ein Bombenangriff der Alliierten 1944 ließ Teile des Dachs einstürzen und ganze Flügel zerstören. Der Wiederaufbau dauerte Jahrzehnte.
    Und doch – oder vielleicht gerade deshalb – steht der Palast heute wie ein Monument aus Mut und Geduld.
    Das Abendlicht glitt langsam über die Steinflächen. Es entlockte dem Gebäude Geheimnisse, die bei Tag verborgen bleiben: kleine Drachen, die sich aus Fenstersimsen winden, Gesichter in Kapitellen, florale Muster zwischen den Bögen.

    Ich trat näher an das Gitter, legte die Hände auf das warme Eisen.
    „Wenn Gerechtigkeit ein Gesicht hätte“, sagte ich leise, „dann vielleicht so eines.“

    Margriet nickte.
    „Und was für eins.“

    Wir standen noch eine Weile da. Beobachteten, staunten, schwiegen.

    Und dann gingen wir weiter. Rouen hatte noch mehr zu erzählen.
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  • Rouen - eine Stadt aus Licht & Linien

    July 13 in France ⋅ ☁️ 29 °C

    20:15 Uhr.
    29 Grad.
    Die Sonne stand noch immer über den Dächern von Rouen, als wäre der Tag nicht bereit, sich zu verabschieden. Wir liefen durch die Gassen, ohne Ziel, nur dem Licht folgend. Es war ein anderes Licht – golden, weich, beinahe flüssig.
    Die Stadt schwieg.

    Die Fachwerkhäuser, mit ihren schiefen Linien und dunklen Balken, warfen lange Schatten. Rue du Romain – eine Straße wie aus einer mittelalterlichen Kulisse. Häuser, die sich nach vorne neigten, als würden sie neugierig auf uns herabblicken, Fenster, die schmal waren wie Augen, die zu viel gesehen haben.
    Und doch: Charme in jeder Fuge. Wärme in jedem Stein.

    Die Hitze lag noch schwer in der Luft. Die Stadt war fast menschenleer – als hätte sich Rouen selbst zurückgezogen, um dem Abend zu lauschen. Kein Lärm, kein Verkehr, nur unser gemächlicher Schritt und das gelegentliche Summen der fernen Glocken.

    Wir näherten uns der Église Saint-Maclou, einer spätgotischen Schönheit mit dramatischer Fassade.
    Im Abendlicht glühte sie – ein heller, fast weiß-goldener Schein, der sie wie ein Bild wirken ließ.
    Wir blieben stehen. Sagten nichts. Es war einer dieser seltenen Momente, in denen Architektur zu Emotion wird.
    „Wie ein riesiges Kunstwerk aus Licht und Stein“, flüsterte Margriet.

    Weiter vorne ragten die krummen Häuser der Altstadt empor – windschiefe Dächer, hölzerne Erker, die sich wie Träume über die Straße beugten. Manche wirkten, als hätte ein Uhrmacher sie aus dem Gleichgewicht gebaut – und genau das machte sie schön.

    Wir liefen weiter, ganz langsam, ließen uns treiben.
    Vieles würden wir in den kommenden Tagen mit dem City-Pass entdecken: Museen, Kirchen, Gärten, vielleicht ein Boot auf der Seine. Aber heute – heute war alles, was wir brauchten, dieses Licht.
    Und die Vorfreude.

    Rouen, so viel war schon jetzt klar, war keine laute Stadt.
    Sie war eine leise Schönheit. Eine, die man gehen musste, um sie zu verstehen.

    Und dann – fast wie ein Finale – standen wir plötzlich vor Notre-Dame.

    Groß. Erhaben.
    In Stein gegossene Zeit.
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  • Margriet gegen die kleine Chinesin

    July 13 in France ⋅ ⛅ 27 °C

    Da war sie.

    Notre-Dame de Rouen.
    Erhaben, still, riesig. Eine Kathedrale, die eher Wellen schluckt als Worte. Wir setzten uns auf die Stufen, mittig auf dem großen Platz – die Steine noch warm vom langen Sommertag. Der Himmel glühte nicht mehr, aber die Luft trug noch die Hitze des Tages in sich. Es war kurz vor zehn, und der Platz begann sich langsam zu füllen.

    Wir hatten davon gehört: Notre-Dame Lumière – eine Lichtshow, die die Fassade der Kirche in Bewegung setzt, in Geschichte verwandelt, in Farbe, Klang und Erzählung. Jedes Jahr ein neues Thema. Dieses Mal: die Wikinger.
    Passend, denn sie waren einst bis hierher gesegelt, die Seine hinauf, hatten Rouen belagert und später besiedelt.
    Ein Kapitel, das sich in das Steinbuch dieser Stadt eingebrannt hatte. Und nun – neu erzählt, mit Licht statt Schwertern.

    Nur… es passierte nichts.

    22 Uhr. Nichts.
    22:15 Uhr. Noch immer nichts – aber der Regen kam. Erst zögerlich, dann mit Kraft.
    Ein Gewitter zog auf, und mit ihm der Wind, der unsere Haare zerzauste und uns zu besseren Strateginnen machte.
    Wir flüchteten unter einen großen Türbogen auf der gegenüberliegenden Seite. Nicht wir allein: Drei chinesische Touristinnen suchten ebenfalls Schutz.
    Eine von ihnen drängte sich immer weiter an Margriet heran – Stück für Stück, fast unmerklich.
    Doch Margriet bemerkte es sehr wohl.

    „Die will mich hier rausdrängen!“
    „Sie ist doch klein ;0)...“, sagte ich.
    „Unverschämt ist sie, aber nicht mit mir“, sagte Margriet.

    Sie blieb standhaft, wie eine Burgherrin.
    Direkt vor uns stand noch eine junge französische Mutter mit ihrer Tochter. Das Mädchen war vielleicht acht Jahre alt, ungeduldig, gespannt.
    „Encore dix minutes,“ sagte die Mutter beruhigend.
    Ich schaute auf meine Uhr. 22:50 Uhr.

    Draußen auf dem Platz, mitten im Regen, saß ein Mann immer noch auf den Stufen.
    Reglos. Ohne Schirm.
    Er ließ den Sommerregen auf sich niederprasseln, als wäre er im Hammam.

    „Franzosen…“, murmelte ich.
    Ich begann, sie ein kleines bisschen zu hassen – für ihre lässige Unpünktlichkeit, für ihr stoisches „C’est la vie“, für ihr ewiges „Bald“.
    23 Uhr. Nichts.

    Und dann.
    23:20 Uhr.
    Licht.

    Zuerst nur ein Flackern. Dann wuchs es. Die Kathedrale lebte plötzlich.
    Ihre Fenster begannen zu leuchten, Runen flackerten über das Portal, Schlangenköpfe krochen über das Mauerwerk, als wären sie nie verschwunden. Musik setzte ein – tief, nordisch, rhythmisch. Die Geschichte der Wikinger in Rouen, erzählt in Licht und Klang.
    Wir schwiegen. Margriet lächelte.

    Der Regen hörte auf.
    Der Platz dampfte.

    Als es vorbei war, war es nach Mitternacht.
    Wir gingen zurück – durch stille Gassen, vorbei an dunklen Fenstern.
    Unser Zuhause für diese Tage lag hinter einer Schranke, in einem hohen Wohnkomplex.

    Ich öffnete die Tür zu meinem Zimmer, drehte mich noch einmal zu Margriet um und sagte mit einem Lächeln:
    „Du kannst morgen gerne ausschlafen – kein Wecker, nur der Nationalfeiertag.“

    Sie nickte, hielt inne – und verschwand in ihr Zimmer.
    Durch die geöffneten Fenster wehte die warme Nachtluft. Irgendwo im Haus wurde gefeiert und gelacht, Stimmen hallten durch die offenen Fenster – ein leiser Vorgeschmack auf den morgigen Tag.
    Ich legte mich aufs Bett, hörte, wie auch Margriet ihr Fenster öffnete.
    Die Stadt atmete tief durch nach der Hitze des Tages.
    Und wir auch.
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  • Ein Morgen in Rüschen & Ruinen

    July 14 in France ⋅ ☁️ 20 °C

    Der erste Morgen in Rouen begann, wie meine Morgen oft beginnen – früh.
    Ich bin der Vogel, der schon vor dem Sonnenaufgang im Nest zwitschert. Während Margriet noch schlief, saß ich bereits mit meinem Handy im Halbdunkel des Schlafzimmers und schnitt das Tagesvideo von gestern zusammen.
    Ich war überrascht, wie viel wir schon erlebt hatten. Nur ein Tag war vergangen, und doch fühlte es sich an wie drei.

    Als ich aufstand und mich in die Küche begab, lag noch Stille über der Wohnung. Ich freute mich, dass Margriet so ruhig schlief – ein gutes Zeichen. Ankommen, zur Ruhe kommen, sich wohlfühlen – das ist mehr wert als jedes touristische Highlight.
    Ich kochte Tee und Kaffee, rührte Rührei in der Pfanne, schob Brötchen in den Ofen. Der Duft zog langsam durch die Wohnung, schlich sich in die Flure und an ihre Zimmertür.

    Wenig später schwebte sie herein – verschlafen, im weißen Rüschennachthemd, das an eine Szene aus einem alten französischen Film erinnerte.
    Sie schnupperte, schaute auf den gedeckten Tisch und fragte halb im Ernst, halb amüsiert:
    „Soll ich erst duschen oder mich direkt hinsetzen?“
    Ich lachte.
    „Wenn es nach mir geht: genau so. Dieses Nachthemd verdient ein Frühstück.“

    Wir öffneten die Fenster, ließen die kühle, frische Morgenluft hinein und setzten uns an den Tisch. Draußen hatte der Regen aufgehört, die Luft roch nach Stein und Sommer. Wir genossen das selbstgemachte Frühstück wie ein kleines Festmahl – langsam, schweigend, zufrieden.

    Jumieges – Parade zwischen Klostermauer:

    Kurz vor halb zehn standen wir auf dem Parkplatz des Klosters Jumieges. Und wir staunten nicht schlecht: Eine ganze Flotte historischer Fahrzeuge hatte sich dort versammelt – alte Citroëns, Feuerwehrwagen, militärische Jeeps, alles blankpoliert und bereit zur Parade.
    Punkt 9:25 Uhr röhrten die Motoren los, als hätte jemand ein geheimes Startsignal gegeben.
    Margriet und ich hielten alles fest, jedes Detail.

    Dann kehrte wieder Stille ein – die andere Art von Gänsehaut.
    Wir betraten das ehemalige Benediktinerkloster, eines der ältesten der Normandie.
    Am Eingang bekamen wir ein iPad als Audioguide – und staunten: Die App zeigte uns per Augmented Reality, wie das Kloster früher aussah. Was heute Ruine war, wurde digital wieder lebendig.
    Wir liefen zwischen Mauern und Erinnerungen. Hier und da berührte Margriet den Stein – als wollte sie spüren, was dort einst gewesen war.

    Vor uns: steinerne Türme, himmelwärts strebend, ohne Dach, ohne Schutz – und doch voller Würde.

    „Schau dir das an“, sagte ich, „Victor Hugo nannte das hier die schönste Ruine Frankreichs.“
    Margriet nickte nur und ging los – direkt auf die geöffneten Bögen der Westfassade zu, die wie ein romanisches Tor ins Licht ragten.

    Es war still. Kein Vogel, kein Auto. Nur der Wind, der sanft durch das geborstene Mauerwerk strich.

    Wir betraten die alte Abtei, oder was von ihr geblieben war. Riesige Pfeiler, hohle Gewölbe, Fragmente einer Ewigkeit. Man hörte die Stille – und in ihr ein Echo der Jahrhunderte: gregorianische Gesänge, das Klirren von Hämmern, das leise Rascheln von Ordensgewändern.

    „Das war mal ein Ort des Gebets“, sagte ich leise. „Und dann ein Steinbruch.“
    Sie blieb stehen.
    „Ein Steinbruch?“
    Ich nickte. „Nach der Revolution verkauft. Alles, was brauchbar war – Mauern, Säulen, Kapitelle – wurde abgetragen. Für Bauernhöfe, Villen, Zäune. Man hat die Abtei ausgeschlachtet wie ein Tier.“

    Sie legte die Hand auf einen verwitterten Bogen. „Und trotzdem… es ist noch so viel da.“
    „Ja“, sagte ich. „Die Seele.“

    Wir standen auf den steinernen Stufen, wo einst der Chor gesungen haben musste. Über uns der Himmel, offen wie das Dach des Universums, zwischen uns der Gedanke: Wie viel Schönheit kann im Verfall liegen?

    Ich erzählte ihr vom Audio Guide, dass das Kloster im 7. Jahrhundert gegründet wurde, von Mönchen zerstört, von Normannen niedergebrannt, und immer wieder aufgebaut. Und dann – der große Schlag. Revolution, Auflösung, Verkauf.

    Und dennoch hatte dieser Ort überlebt. Nicht als Kirche. Sondern als Erinnerung.
    Als Ruine, ja – aber was für eine.

    Ich holte mein Handy aus der Tasche, machte ein Bild gegen das Licht. Die Säulen warfen Schatten, als wäre auch der Stein plötzlich lebendig.

    „Es sieht aus“, sagte sie, „als würde der Himmel hier wohnen.“
    Ich schwieg. Es war der perfekte Satz.

    Ein paar Schritte weiter, vor einem alten Farmhaus mit großen Heuballen, packte mich die spontane Idee, einen Mini-Film über das „ländliche Leben der Normandie“ zu drehen.
    Margriet zögerte keine Sekunde. Sie schnappte sich einen herumliegenden Eisenstab, das als Heugabel durchgehen konnte – und los ging’s.
    Wir lachten Tränen, filmten drauflos, improvisierten Szenen. Der Clip war goldwert – und genau so entstehen unsere schönsten Erinnerungen.

    In einem angrenzenden Herrenhaus fanden wir noch eine kleine Ausstellung – Kunst und Geschichte, verborgen hinter Mauern, die mehr gesehen haben als ein ganzes Jahrhundert erzählen kann.

    Am Ausgang stand eine kleine bronzene Plakette mit dem Zitat von Victor Hugo. Ich fuhr mit dem Finger darüber: „La plus belle ruine de France.“
    Und für einen Moment war es, als hätten wir uns eingereiht in die Jahrhunderte – als Beobachter, als Zeugen.

    Beim Weitergehen drehte sich Margriet noch einmal um.
    „Was für ein Ort“, sagte sie.
    „Und was für ein Land“, ergänzte ich.

    Als der Magen langsam knurrte, fuhren wir zurück nach Rouen. Nur ein kleiner Snack für zwischendurch.
    Ich hatte für den Abend reserviert – Nationalfeiertag, Rooftop-Restaurant, Blick auf die Seine.
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  • Pub‑Konversationen & Straßenkulinarik

    July 14 in France ⋅ ☁️ 23 °C

    Gerade als wir wieder in Rouen einfuhren, fiel mir auf der rechten Seite entlang der Seine eine Gruppe moderner und alte Hallen auf – langgezogen, industriell, irgendwie einladend. Mein kulinarisches Gespür sprang sofort an. Ich sagte zu Margriet:
    „Das macht mich neugierig.“

    Wir bogen spontan ab, fuhren langsam an den Hallen entlang. In der ersten: ein englisches Pub. Danach eine große Halle, in der im Kreis angeordnet kleine Foodtrucks standen – sie boten Spezialitäten aus aller Welt an. Brasilianisch, indisch, japanisch, Risotto, Cocktails – es duftete und dampfte, aber die klassischen Bierzeltgarnituren drinnen schreckten uns etwas ab.

    Ich wollte nicht einfach nur essen – ich wollte sitzen. In Ruhe.

    Also entschieden wir uns für das Pub mit seinen gemütlichen Leder-Loungesesseln. Und wir wurden sofort in ein kleines Theaterstück hineingezogen: Eva, unsere Bedienung – quirlig, freundlich, etwas schrill – trat auf die Bühne.

    „Woher kommt ihr?“ fragte sie uns.
    Wir antworteten – und Eva begann sofort zu erzählen. Über amerikanische Touristen, die oft unhöflich seien. Über Engländer, die nach drei Bieren die Contenance verlieren. Aber:
    „Die Deutschen… die sind respektvoll.“

    Sie blickte zu Margriet.
    „Ach, Sie sind Holländerin?“ – kurze Denkpause –
    „Na, die Holländer natürlich auch!“

    Wir mussten lachen.
    Eva war ein Original. Studierte Politik, in Wales. Möchte wieder zurück nach England, weil es dort schöner sei. Und redete wie ein Wasserfall, ungebremst, leidenschaftlich – und dabei irgendwie herzlich.

    Nach dem Essen gingen wir noch kurz hinaus, liefen ein Stück an der Seine entlang. Die Hallen zeigten sich in abwechselnden Licht – modern, industriell, doch belebt und stimmungsvoll.

    Wie wir später erfuhren, nennt sich dieser Ort:
    L’Entrepôt – Food Hall Rouen.
    Ein Konzept im historischen Hangar E, direkt am rechten Ufer der Seine gelegen. Unter dem riesigen Dach befinden sich zehn bis zwölf Küchen, Barbereiche, eine große Lounge und eine offene Terrasse mit Blick aufs Wasser.

    Hier mischt sich regionale Qualität mit internationaler Vielfalt – und genau das ist der Trend in der Normandie: Food Halls wie diese verwandeln alte Hafengebäude in lebendige Treffpunkte, in denen Kulinarik und Kultur miteinander verschmelzen.

    Ein schöner, unerwarteter Zwischenstopp auf unserem Weg zurück in die Altstadt. Und wieder ein Beweis, dass spontane Entscheidungen manchmal die besten sind.
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  • Ein Spaziergang durch Jahrhunderte

    July 14 in France ⋅ ☁️ 25 °C

    Wir standen vor dem Eingang des Musée des Beaux-Arts, kaum einen Steinwurf vom Tourismusbüro entfernt, das uns eben noch mit stickiger Luft, langen Wartezeiten und einem fehlenden Stuhl für Margriet begrüßt hatte. Die Sommerhitze flimmerte zwischen den Gassen, und der Asphalt dampfte leise unter unseren Schritten, obwohl es bewölkt war. Aber nun – hier, vor diesem ehrwürdigen Gebäude – fühlte es sich an, als würde uns ein anderer Takt empfangen. Kühler. Leiser. Würdevoller.

    Das Museum – ein klassizistischer Bau aus dem 19. Jahrhundert – erhob sich hell und klar in den blauen Himmel. Seine Geschichte? Eine Metamorphose: Vom städtischen Palast der Künste zum lebendigen Gedächtnis französischer und europäischer Meisterwerke. Hier hatten sie alle gehangen – Delacroix, Géricault, Poussin, Monet. Heute ruhten ihre Werke auf samtigem Dielenboden und unter einem Glasdach, das wie ein Himmelsauge den Innenhof mit Licht durchflutete.

    „Das ist wirklich... ein Tempel“, flüsterte Margriet.

    Ich nickte, und wir traten ein.

    Schon im Foyer empfing uns die Zeit. Antike Skulpturen, Marmor so glatt wie Butter, Gesichter aus vergangenen Jahrhunderten, die uns aus der Ewigkeit heraus anblickten. Zwischen ihnen: ein großformatiges Gemälde – die Eröffnungsszene des Museums selbst. Fein säuberlich beschriftet mit einer Timeline der Persönlichkeiten, die damals, an diesem historischen Tag, das Haus mit Leben erfüllten. Ein Bild wie ein Schaufenster in die Vergangenheit. Wir blieben lange davor stehen.

    Wir wanderten weiter. Durch Räume in sattem Petrol, in warmem Siena, in kühlem Taubenblau. Jeder Saal atmete anders, aber allen war eines gemein: Sie schenkten ihren Werken Raum zum Atmen. Besonders Margriet schien davon beflügelt. Sie blieb oft stehen, rückte die imaginäre Brille zurecht und nahm sich Zeit. Sehr viel Zeit.

    Vor einem Altarbild mit flämischen Einflüssen sagte sie leise:
    „Schau dir diese Hände an… so fein. Und diese Farben. Fast wie Stoff.“

    Ich hingegen verlor mich mehr in den Rahmen. Goldornamentik, aufwendig geschnitzt, wie kleine Tempel rund um ein Universum aus Farbe. Ich glaube, ich sagte irgendwann:
    „Diese Rahmen erzählen ihre ganz eigene Geschichte. Als wären sie nicht aus Holz, sondern aus Geschichte gemacht.“

    Margriet lachte und meinte: „Du bist der erste Mensch, den ich kenne, der sich für die Rahmen mehr interessiert als für das Bild.“

    Aber das stimmte nicht ganz. Denn als wir in den Saal traten, der Claude Monet gewidmet war, geschah etwas in ihr – und in mir.
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  • Zwei Stunden - im Takt der alten Meister

    July 14 in France ⋅ ☁️ 24 °C

    Der Monet-Raum war ruhig. Niemand sprach. Und doch war es laut – in den Farben, im Licht, in den Schatten, in den irisierenden Details der Seerosen, der Kathedralen, der Morgennebel über der Seine.

    Margriet trat vor ein Bild, das Rouens Kathedrale in zarten Pastelltönen zeigte – fast so, wie wir sie gestern Abend in der Dämmerung gesehen hatten.
    „Ich verstehe jetzt, warum er sie so oft gemalt hat“, sagte sie leise. „Sie verändert sich mit jeder Stunde. Jede Minute.“

    Ich trat neben sie.
    „Und doch ist es immer dieselbe Fassade.“

    „Nein“, sagte sie. „Das ist wie bei uns. Wir sind auch jeden Tag dieselben – und doch anders.“

    Ich schwieg. Denn sie hatte recht.

    Wir betrachteten auch ein Gemälde des Klosters von Jumièges. Es lag noch wie feucht auf der Leinwand – und in uns hallte der Morgen wider, als wir die Ruinen selbst gesehen hatten. Das Licht, das durch die Fenster fiel. Der Duft von Sommergras. Die Stille zwischen den Steinen.

    „Es ist, als hätte er unsere Erinnerung gemalt“, sagte ich.

    Später entdeckten wir Werke von Delacroix, mit all seiner dramatischen Leidenschaft, und Géricaults düstere, menschliche Tiefe – seine Skizzen von Wahnsinn und Tod, entstanden einst in Rouen. In einem abgedunkelten Raum stießen wir auf die expressionistischen Werke von Dufy und sogar auf ein frühes Selbstporträt von Degas.

    „Ich könnte hier Stunden verbringen“, murmelte Margriet, während sie in einem Saal mit Werken religiöser Symbolik verweilte. Ihr Blick blieb lange an einer Magdalena hängen – Tränen, goldenes Licht, Reue. Ein intensives Bild voller Symbolik.
    „Das ist wirklich dramatisch inszeniert…“ murmelte Margriet schließlich und schmunzelte.
    Trotz ihrer katholischen Wurzeln – oder vielleicht gerade deswegen – fand sie die Fülle an biblischen Szenen in diesem Teil des Museums ein wenig überwältigend.
    „Manchmal wirkt es fast wie ein Wettbewerb an Leiden und Erlösung,“ sagte sie leise. „Als ob jedes Bild noch mehr Tränen und Gold braucht als das vorige.“

    Doch sie sagte es nicht spöttisch, sondern mit dem liebevollen Respekt eines Menschen, der vertraut ist mit diesen Geschichten – und sich trotzdem eine gewisse kritische Distanz bewahrt hat.
    Ich musste lächeln. Margriet hatte die Gabe, selbst inmitten sakraler Schwere einen klaren, freundlichen Blick zu behalten.

    Ich hingegen war längst in einer anderen Szene. Auf der großen Treppe, mit meiner Kamera in der Hand.

    „Willst du deinen Abgang filmen?“, fragte Margriet neckisch, die Hände verschränkt.

    „Aber natürlich. Du bist meine Regisseurin.“

    Der erste Take war wackelig, der zweite nicht ganz im Rahmen. Beim dritten verhedderte sie sich fast mit ihrer Handtasche. Erst der vierte saß – und ich hatte mein Treppen-Workout für diesen Tag absolviert ;0)...

    Als wir das Museum verließen, roch die Stadt nach warmem Stein und Lavendel. Wir waren satt – nicht von Essen, sondern von Eindrücken.

    Zuhause angekommen, öffneten wir alle Fenster. Die Abendhitze hing schwer über den Straßen von Rouen. Doch in uns war es hell und leicht – wie nach einem langen, stillen Gespräch mit der Kunst.
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