• Ein Spaziergang durch Jahrhunderte

    July 14 in France ⋅ ☁️ 25 °C

    Wir standen vor dem Eingang des Musée des Beaux-Arts, kaum einen Steinwurf vom Tourismusbüro entfernt, das uns eben noch mit stickiger Luft, langen Wartezeiten und einem fehlenden Stuhl für Margriet begrüßt hatte. Die Sommerhitze flimmerte zwischen den Gassen, und der Asphalt dampfte leise unter unseren Schritten, obwohl es bewölkt war. Aber nun – hier, vor diesem ehrwürdigen Gebäude – fühlte es sich an, als würde uns ein anderer Takt empfangen. Kühler. Leiser. Würdevoller.

    Das Museum – ein klassizistischer Bau aus dem 19. Jahrhundert – erhob sich hell und klar in den blauen Himmel. Seine Geschichte? Eine Metamorphose: Vom städtischen Palast der Künste zum lebendigen Gedächtnis französischer und europäischer Meisterwerke. Hier hatten sie alle gehangen – Delacroix, Géricault, Poussin, Monet. Heute ruhten ihre Werke auf samtigem Dielenboden und unter einem Glasdach, das wie ein Himmelsauge den Innenhof mit Licht durchflutete.

    „Das ist wirklich... ein Tempel“, flüsterte Margriet.

    Ich nickte, und wir traten ein.

    Schon im Foyer empfing uns die Zeit. Antike Skulpturen, Marmor so glatt wie Butter, Gesichter aus vergangenen Jahrhunderten, die uns aus der Ewigkeit heraus anblickten. Zwischen ihnen: ein großformatiges Gemälde – die Eröffnungsszene des Museums selbst. Fein säuberlich beschriftet mit einer Timeline der Persönlichkeiten, die damals, an diesem historischen Tag, das Haus mit Leben erfüllten. Ein Bild wie ein Schaufenster in die Vergangenheit. Wir blieben lange davor stehen.

    Wir wanderten weiter. Durch Räume in sattem Petrol, in warmem Siena, in kühlem Taubenblau. Jeder Saal atmete anders, aber allen war eines gemein: Sie schenkten ihren Werken Raum zum Atmen. Besonders Margriet schien davon beflügelt. Sie blieb oft stehen, rückte die imaginäre Brille zurecht und nahm sich Zeit. Sehr viel Zeit.

    Vor einem Altarbild mit flämischen Einflüssen sagte sie leise:
    „Schau dir diese Hände an… so fein. Und diese Farben. Fast wie Stoff.“

    Ich hingegen verlor mich mehr in den Rahmen. Goldornamentik, aufwendig geschnitzt, wie kleine Tempel rund um ein Universum aus Farbe. Ich glaube, ich sagte irgendwann:
    „Diese Rahmen erzählen ihre ganz eigene Geschichte. Als wären sie nicht aus Holz, sondern aus Geschichte gemacht.“

    Margriet lachte und meinte: „Du bist der erste Mensch, den ich kenne, der sich für die Rahmen mehr interessiert als für das Bild.“

    Aber das stimmte nicht ganz. Denn als wir in den Saal traten, der Claude Monet gewidmet war, geschah etwas in ihr – und in mir.
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