• Camembert

    July 16 in France ⋅ ☁️ 21 °C

    Die Straße zog sich kurvig durch das sanft gewellte Land, das Licht des bewölkten, noch regnerischen Himmels malte satte Farben auf die eh schon grünen Hügel. Weiden breiteten sich aus wie Wolldecken in verschiedenen Farbtönen – von lindgrün bis moosdunkel. Apfelbäume, windschief und stolz, standen wie Wächter am Straßenrand, und aus der Ferne roch es nach feuchtem Gras und frischem Heu. Die Normandie. Ein Land, das schmeckt, riecht und klingt – als wäre jede Ecke dafür gemacht, innezuhalten und zu genießen.

    Und dann, endlich, entdeckten wir sie.
    Direkt neben der kleinen Landstraße, kaum eingezäunt, stand eine Herde normannischer Kühe auf einer saftig grünen Weide – wie gemalt. Wir hielten an. Natürlich.

    Sie hoben kaum den Kopf, als wir ausstiegen, aber dann begegneten uns diese warmen braunen Augen mit den typischen dunklen Ringen, als trügen sie einen natürlichen Kajal. Ihr Fell war weiß mit kastanienbraunen Flecken, jede einzigartig – wie Aquarelle auf Milchhaut. Diese Rasse hat Charakter.

    Die Vache Normande ist nicht nur hübsch, sie ist auch eine der traditionsreichsten und wertvollsten Rinderrassen Frankreichs. Man schätzt sie wegen ihrer besonders reichhaltigen, protein- und fetthaltigen Milch, die sich perfekt für die Herstellung von Käse eignet – Camembert, Livarot, Pont-l’Évêque. Ohne diese Kühe wäre die Region nur halb so genussvoll.

    Wir lächelten uns an.
    So lange hatten wir von ihnen gesprochen, hatten sie vermisst, wie heimliche Promis der Käseroute – und jetzt standen sie einfach da, ruhig, geduldig, kauend. Ein kleines Wunder in Braun und Weiß.

    Ein paar Fotos, ein Moment der Stille – dann fuhren wir weiter. Ein Stück kompletter fühlten wir uns schon.

    Wir kamen durch winzige Dörfer mit klangvollen Namen, in denen die Zeit nur gemächlich voranschreitet. Fachwerk, mit Efeu umrankt. Kirchtürme, die wie Zeigefinger in den Himmel stachen. Und dann, nach einer dieser typischen Kuppen, lag es plötzlich vor uns: Camembert. Der Ort. Nicht nur der Käse.

    Er ist winzig – eine Postkarte, kein Ort. Eine Handvoll Häuser, ein kleines Museum, ein paar Kühe, ein paar Menschen. Aber der Name klingt wie Musik – und er schmeckt wie Geschichte.

    Die Fromagerie Durand, zu der wir fuhren, lag malerisch am Hang, ein einfacher, ehrlicher Bauernhof mit Seele. Die Dame des Hauses, Mademoiselle Durand, erwartete uns mit einem Lächeln, das mehr sagte als jedes „Bienvenue“. Ihr Händedruck war kräftig, ihre Stimme weich. Auf dem Tresen: Gläser mit selbstgemachter Mirabellenkonfitüre, die nach Spätsommer aussah, und daneben eine Flasche Birnensaft mit feiner Kohlensäure, die wir natürlich sofort mitnahmen.

    Die Produktion war bereits vorbei für den Tag – das merkte man an der stillen Halle, in der noch der Duft von Milch und Salz hing. Durch die Fenster drang das Licht, das letzte des Tages, und färbte die weißen Kacheln goldgelb. Auf einem der Fotos, das ich machte, liegt ein Lächeln in der Luft – nicht unseres, sondern das der Leute, die hier arbeiten. Menschen, die Käse nicht herstellen, sondern erschaffen.

    Mademoiselle Durand bot uns noch eine Verkostung an – ein liebevoller Reflex, wie man ihn auf dem Land kennt. Doch wir hatten schon genascht, gerochen, geschmeckt – und fühlten uns ohnehin längst gesättigt von all der Herzlichkeit. Wir verabschiedeten uns, stiegen wieder ins Auto – und ließen den kleinen Ort Camembert im Rückspiegel kleiner werden. Doch sein Name blieb im Kopf. Und der Geschmack auf der Zunge.

    Zwei Stunden Fahrt noch nach Rouen. Die Landschaft wurde dunkler, breiter, beruhigender. Über allem lag der Duft des Tages: von Calvados, von Milch, von Freiheit. In Rouen angekommen, gönnten wir uns zum Abschluss noch einen Snack in „unserem“ englischen Pub an der Seine. Ein kühles Bier, ein kleiner Salat, ein bisschen Schweigen – und dann nichts mehr. Nur noch Bett, Müdigkeit und ein sattes, stilles Glück.

    Ein kulinarischer Roadtrip, wie er im Buche steht – in unserem ganz eigenen.
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