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  • Der Winter ist zurück - mit aller Gewalt

    March 20, 2018 in Spain ⋅ 🌬 7 °C

    Zur heutigen Etappe etwas zu schreiben fällt mir schwer - sie liegt auf der Skala meiner ganz persönlichen Erfahrungen in der Natur wohl auf Platz 1 - und ich kann mir nur schwer vorstellen, dass da mal was in der Platzierung davor kommen wird. Aber fangen wir mal früh morgens an...

    ...da wache ich nämlich um kurz vor sechs auf, aha der Wind rüttelt am Haus und allen beweglichen Teilen. Das ist ungewöhnlich, bedingt durch die Thermik des Tages ist es normalerweise um diese Zeit ruhig und steigert sich nach Sonnenaufgang bis zum Tagesmaximum gegen 14 Uhr. Ich döse wieder ein, wache aber ständig wieder von den Geräuschen auf. Der Padron des Hauses, selbst ein passionierter Wanderer meint etwas von "tonto" (verrückt) aber sagt auch, dass ein Deutscher heute die Etappe wohl hinbekommen würde, die seien den Umgang mit dieser Art des Wetter ja gewohnt.
    Ich lasse das mal so stehen, mir ist ja noch nicht klar, was mich erwartet. Kaum aus dem Haus der erste Schock, ich werde beinahe vom Wind in der Gasse zwischen den Häusern umgepustet, und kalt ist es noch dazu; maximal 5 Grad. Mein erster Abschnitt bis zum Puig del Mig in ca. 800 m Höhe hat ca. 10 KM Länge, 650 Höhenmeter Anstieg, die relativ gleichmäßig über Wirtschaftswege verlaufen sollen. Bei Els Vilars wird mir nach einer Stunde klar, dass ich falsch angezogen bin; egal wie, ich komme nicht auf Betriebstemperatur. Glücklicherweise ist kurz hinter Els Vilars ein winziger Unterstand aus Steinen und ich ziehe mich beherzt im Wind um: Mein langärmeliges Merino-Base kommt unters Hemd und ein Unterhemd funktioniere ich kurzerhand als Schal um. Eine lange Unterhose fehlt in meinem Kleidungsvorrat, naja, die Beine sollen sich halt warmlaufen. Inzwischen muss ich immer wieder unglaublich gegen den Wind ankämpfen. Mal reisst er mir die Kapuze vom Kopf, mal wirft er mich links oder rechts fast vom Weg runter. Bei nichtmal 300 Metern Höhe fängt eine leichte Schneedecke an, sich zu bilden und der Schnee haftet an den Stämmen der Korkeichen. 300 Meter - ich will heute noch auf über 800 rauf! Der Pass neben dem Gipfel auf den ich muss, liegt momentan in den Wolken, der Himmel ist Grau und der sturm fegt um mich herum ständig Schneeböen vor sich her. Mir wird ein wenig anders, aber da der Weg gut ist, geht es weiter bergan. Ab ca. 400 Meter stapfe ich den Spuren von...keine Ahnung. Irgendein Tier hat sich den Wanderweg nutzend langsam nach oben gearbeitet. Ich folge dem Weg und der Spur und komme schließlich kurz vor dem Puig an eine Weggabelung.
    Das größte Problem heute sollte der Schnee an den Stämmen und auf den Steinen werden: Die Wegmarkierungen sind oft kaum zu sehen und ich muß viel öfters als sonst mein Handy mt Karte konsultieren. Und da kommt der erste Schock des Tages: Ich habe es auf der Luv-Seite an einer Außentasche meiner Hose getragen und offenbar hat der Windchill Akku, Display oder was auch immer gekillt - auf jeden Fall stehe ich ohne Karte und ohne Wegmarkierungen mitten im Sturm im Schnee.
    Manchmal hilft einfach nur Gottvertrauen - oder Umkehren. Ich vertraue darauf, dass das Tier, dessen Spuren immer noch sichtbar sind, nach wie vor dem Wanderweg folgt und laufe dess Spuren hinterher. Der Schnee ist inzwischen zwischen 30 und 50 cm tief, darauf war ich nicht annähernd vorbereitet. Auf der Anhöhe vor dem Puig wirft mich der Wind dann in eine Schneewehe, einfach so. Ich stehe verdattert auf und werde mich den Rest der Anhöhe so eine Art kriechenden 4-Füßlergang mit Stöcken entlang hangeln. Da der Wind sicherlich mit 120 KMh von rechts kommt, torkele ich ziemlich im Kapf darum, das Gleichgewicht zu halten. Von Außen betrachtet würde ich mal sagen, wenigstens 1 Promille... Ab und zu ist rot-weiß zu sehen, die Markierung des GR11 - und die Tierspur immer schön entlang.Auf einmal bin ich in Lee, der Wind hört fast schlagartig auf und der Schnee wird in Verwehungen bis zu einem Meter tief. Die Tierspur biegt plötzlich in eine Richtung in den Wald ab, die definitiv nicht meine ist. Tja....ich laufe noch 100 Meter weiter und begrüße mit einem Jubelschrei den ersten Wegweise seit heute morgen in Espolla. Von hier an ist der Weg wieder halbwegs gut zu finden, es geht gemäßigt leicht bergab Richtung Requesens. Es wird wärmer, die Sonne lugt ab und zu zwischen den Wolken raus und das Castell Requensens erscheint plötzlich hinter einer Kurve. Ich bin völlig baff; gerade noch so eine existentielle Erfahrung, plötzlich eine riesige Burg, gefühlt mitten im Nichts. Kurz drauf, hinter der Fince del Requesens treffe ich eine deutsch-spanische Chica (welch Zufall!), die mir noch schnell das Highlight des kommenden Weges erklärt: Ein Flugzeugwrack fast direkt am Weg. Es soll allerdings noch über 1 1/2 Stunden dauern, bis ich dran vorbei laufen. 1986 ist es abgestürzt und offenbar als Attraktion hinreichend originell, um nicht weggeräumt zu werden. Man kann rein-, rum- oder draufklettern, aber das ist mir heute egal, ich mache ein Foto und will nur noch bis zum Ziel durchwandern.
    Der Aufstieg zum zweiten Berg, diesmal geht es wirklich zum Gipfel rauf, ist wieder eine einzige Torkelei. Jedesmal wenn nach einer Kurve am Berg der Wind von Lee nach Luv wechselt, ist eine regelrechte Ohrfeige fällig. Rund eine halbe Stunde vor dem Coll dˋl Auleda reisst der Himmel jedoch endgültig auf, knallblau, und mit einem unglaublichen Panorama sehe ich die Landschaft vor mir. Die Pyrenäen stürzen hier rund 30-40 KM vor dem Mittelmeer einfach zu Boden und die gesamte Tiefebene von Roses, die Halbinsel bei Cadaquesc und sogar das Montseny-Massif tauchen auf. Wow, das sind die Moment wofür sich ein solcher Tag schon lohnt!
    Oben auf dem Coll komme ich allerdings nochmal herzlich ins Fluchen. Auf dem Berggipfel muss ich mich teilweise an den den Steinen festhalten um nicht weggeweht zu werden. Entsprechend langsam komme ich voran und auch der dann folgende Abstieg ist sehr mühselig. Ginster links und rechts, Dornensträuche und anderes Gewüchs schlagen einem durch den Wind getrieben immer wieder ins Gesicht. Ich bin froh, keine meiner Kontaktlinsen zu verlieren, die wäre hier unweigerlich verloren. Der Weg befindet sich über die Hälfte des Abstiegs in einer steilen, ausgewaschenen Rinne, die mit Schnee, Matsch, Wasser, Steinen und losgerissenen Pflanzen gefüllt ist. Das ist einfach nur noch mühselig und nach weiteren 2 Stunden erreiche ich völlig ausgepowert La Jonquera. Der Ort dient leider nur der Autoahnverbindung zwischen Frankreich und Spanien und hat damit in etwa den gleichen Charme wie eine zu groß geratene Autobahnraststätte. Der Padron von Can Sala hatte mir die Pension Marfil empfohlen, die ich tatsächlich schnell finde. 30 EUR sind ein super Preis, die Unterkunft ist einfach und ich verbringe, inzwischen spüre ich die Kälte deutlich, die nächste Stunde in der Sitzbadewanne und heize meinen Körper wieder auf Normaltemperatur auf.

    Den heutigen Tag vernünftig in Worten zu verarbeiten fällt mir immer noch schwer. Es waren teils gefühlt recht existenzielle Momente, wo das gewöhnliche, rationale Denken irgendwie stoppt und man nur daran denken kann, die nächsten Sekunden über die Bühne zu bringen. Das wechselt dann plötzlich mit Glücksgefühlen ab, wenn man plötzlich in der Sonne durch knietiefen Pulverschnee stapft, wie ein Indianer eine Tierspur erfolgreich verfolgt oder hinter eine Kurve plötzlich eine Aussicht geboten bekommt, die schlichtweg einmalig ist. Im Nachgang war es auch nie richtig gefährlich, am Ende war die Zivilisation dafür doch zu nahe. Ich war zwar auf der ganzen Strecke der einzige Wanderer (el tonto Alemán...), aber mehrere Unterschlupfe, zwei Refugios und eben der eine oder andere Wagen der Forstverwaltung zwischendurch gaben einem das Gefühl, dass man nicht komplett den Elementen ausgesetzt war. Trotzdem vermittelte mir der Tag heute erneut, wie klein ein Mensch gegenüber der Natur sein kann, nämlich quasi nicht-existent. Dieses Gefühl zu bekommen ist jedoch wohl auch für viele Wanderer einer der Gründe, überhaupt zu wandern.
    Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass mein Handy zwei Stunden später wieder funktionierte, eine gute Portion Körperwärme hatte es wieder beleben können ;-))
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