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  • Tag 4: Planänderung & Genußwandern

    March 21, 2018 in Spain ⋅ 🌬 7 °C

    Vorsicht Spoiler: Genußwandern in Katalonien gibt es doch, man muss nur manchmal den richtigen Anlass finden...
    Da mich mein linker kleiner Zeh gestern Abend noch ziemlich fies geplagt hat, hatte ich mir vorgenommen, die heutige Etappe evtl. zu verkürzen. Wie sehr, wollte ich mal sehen. Es ging also etwas später raus und ich lernte gleich mal, warum das "petit dejeuner" im Französischen so heißt - es ist vor allen Dingen eines, petit. Konkret hatte ich nur ein Croissant und einen Kaffee im Bauch als ich ins Zimmer packen ging und daher wanderten so viele Energieriegel wie möglich in die Gürteltaschen des Rucksacks, aus denen ich mir tagsüber im Laufen die Verpflegung holen kann.
    Nur schnell weg, dachte ich, eine Unterführung unter der Autobahn, noch eine unter der Schnellbahnlinie und nach 30 Minuten geht es dann über eine Forststraße leicht und kontinuierlich bergauf. Wind: etwas weniger, Temperatur: mehr, Sonne: viel mehr ;-) Ich lege einen kurzen Stop ein und lege direkt mal eine Schicht Merino-Klamotten ab und justiere meine Schuhe nach.
    Da probiere ich was neues aus: Gestern und heute bin ich jeweils locker gebunden losgelaufen und habe dann ein- oder nach Bedarf zweimal fester nachgebunden. So finde ich ein gutes Gleichgewicht zwischen sicherem Gehen und schmerzhaftem Zeh.
    Wind ist eigentlich immer noch zu viel, aber ansonsten sind Wetter und Strecke ein Traum: Azurblauer Himmel, Hügel und Berge mit Korkeichen so weit der Blick reicht und gut angelegte Forststraßen machen das Wandern recht leicht heute. Dazu wird es der einsamste Wandertag bisher überhaupt werden, weder Wanderer noch Mountainbiker kreuzen meinen Weg und so lasse ich die Gedanken schweifen.
    Ich mache Sorgen wegen der übernächsten Etappe und versuche einen Plan B auszuknobeln. Heute hätte ich eigentlich rund 32 KM mit 1500 HM laufen müssen, bis 6 KM vor Albanya und dann wild campen sollen, 128 IBP-Punkte, das hätte ich irgendwie noch hinbekommen. Der Tag danach ist aber mit Abstand der schwerste Tag im Plan, 34 KM mit 2300 HM - oder eben 197 IBP-Punkte.

    IB-was? Auf https://www.ibpindex.com/index.php/en/ findet sich die Möglichkeit, alle Arten von Tracks einer Art quantitativen Schwierigkeitsanalyse zu unterziehen. Entfernungen, Steigungen im Auf und Ab und in Grenzen das Terrain gehen in die Wertung ein und ergeben einen nach oben offenen Index für einen bestimmten Weg. Gerechnet wird das für Laufen, Wandern und Radfahren jeweils leicht unterschiedlich. Für ein Streckenprofil kommt also ein bestimmter Wert raus, und den muss man nun seinem Fitnesslevel gegenüber halten. Eine 100 fürs Wandern ist für den Sofa-Surfer schon anstrengend, für den Normalwanderer aber nur Mittelmaß. Schwieriges Gelände erkennt der Rechner leider nicht (wie bspw. gestern der Abstieg nach L Jonquera) ebenso muss man persönliche Faktoren selbst berücksichtigen, wie bspw. ein demolierter Zeh oder 15 Kilo zusätzlich auf dem Rücken.

    Ich habe schon die eine oder andere Tour alleine bis 200 gewandert, das war aber nur mit Tagesgepäck (3 bis 4 Liter Wasser und ein wenig zu Essen) und in Normalform. Zusätzlich zu Distanz und Höhenmetern kann ich am IBP ablesen, dass ich mein Ziel, Oix, am übernächsten Tag vermutlich nicht erreichen werde. Klar, wenn das eigene Leben, das Wohl der Familie oder viel Geld auf dem Spiel stünde, würde das natürlich trotzdem gehen, aber die Wanderung ist ja ohne äußere Zwänge und soll am Ende nach Möglichkeit ein weng Freude bereiten...

    Ich bin inzwischen n Santa Eugenia angekommen, eine Art Landschulheim mit über 200 Plätzen. Es ist weiterhin sehr einsamen, ab und zu ein verlassenes und ab un zu ein belebtes Gehöft. Relativ schnell erreiche ich schließlich die Landstraße 501, die mich eine Stunde bergauf bis nach La Vajo führen soll. Langweilig schon die Straße, praktisch aber kein Verkehr, dafür sehr meditativ. Die Wanderstöcke machen klack-klack im Zweiertakt der Füße und so schweifen die Gedanken wieder ab.
    Mir ist nicht klar, warum ich die Mörder-Etappe übermorgen überhaupt so geplant habe, die ist ja schon im Normalzustand eine abolute Herausforderung. Selbst wenn ich morgen bis zum Campingplatz hinter Albanya laufen würde, wäre es übermorgen immer noch mörderisch, die vollen Höhenmeter und nur 2 KM weniger. Und heute bis Albanya und die andere Etappe aufteilen...kann ich ebenfalls vergessen.
    Ich habe aber eine Idee und checke beim Gehen nochmal die Beschreibung der 41. Etappe (i.d.R. fängt man den GR11 am Atlantik an, und nicht wie ich, am Mittelmeer). Aha, 10 KM hinter Albanya gibt es eine Art Hütte, Can Nou, und die bewirtschaften ein Refugio. D.h. 28 KM bis Can Nou, 1500 HM, beides okay, und die Etappe am Tag drauf wäre so entschärft, dass ich ebenfalls bis Oix käme.
    Aber das beste: Ich kann heute beruhigt in Macanet de Cabrenys Feierabend machen und den Wandertag so als richtige Genußwanderung ausklingen lassen. Die letzten Kilometer des Tages haben die Wegwarte des GR11 nochmal alles gegeben, um die paar KM Landstraße zu kompensieren: Über Stock und Stein geht es ähnlich wie gestern abwärts nach La Jonquera diesmal bergauf. An Kreuzungspunkten ist wie üblich wenig ausgeschildert und ich erwische mich ein paarmal fluchend wie ein Rohrspatz über die übele Wegauszeichnung - ich will für heute nur noch ankommen. Nach rund 90 Minuten ist aber auch dieser McGuyver-Abschnitt genommen und um kurz nach Drei bin ich im Ort (ca. 300 Einwohner) und checke ein im "Els Cacadors de Macanet". Ein wundervolles Berghotel, tolles Zimmer, Aussicht auf die Berge, mit Frühstück 40 EUR - ich freue mich wie ein kleines Kind über die erfreuliche Wendung und verbringe die nächste Stunde in der Badewanne bis sich alle Tapes an den Füßen abgelöst haben und ich mir zum ersten Mal seit zwei Tagen die Bescherung anschauen kann. Alles gut, keine Entzündung, die Schmerzen kommen rein von den Blasen. Ich bringe einen offene Kreuzpflasterverband am, damit Haut und Blase atmen können und um die Haut vor der Ablösung zu bewahren. Über Nacht wird das sicherlich nochmal helfen, weiter auszuheilen. Ich nutze den frühen Tag, funktioniere das Waschbecken in eine Waschmaschine um, drapiere alle Klamotten auf meinem Balkon (!), kriege noch einen phantastischen Sonnenuntergang zu sehen - und eine Geräuschkulisse als ob ständig ein Güterzug um das Hotel fährt. Der Wind jagt mir einen Schauer über den Rücken und ich hoffe, dass Morgen Richtung Can Nou alles gut gehen wird. Nach dem heutigen Tag bin ich jedenfalls ganz gut gestimmt und bin inzwischen der Ansicht, dass Planen zwar toll, aber Überraschungen eben noch toller sind - gute Nacht!
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