Satellite
Show on map
  • Day 33

    E25 : Belgrad - Pozarevac

    September 26, 2020 in Serbia ⋅ ⛅ 21 °C

    Da wache ich also auf, in meinem King-Size-Bett. Eigentlich möchte ich das Apartment nicht verlassen, doch das Abenteuer muss schliesslich weitergehen. Ich schwinge mich auf meinen Drahtesel und radle durch die Ampel-übersähte Innenstadt von Belgrad. Immer Richtung Osten, immer der Donau entlang. Das erste Zwischenziel ist Kubin. Dort soll es einen sensationelles Hühnchen mit Aivar-Füllung geben. Ich überquere das erste Mal die 2km breite Donau und schliesse mich dem Radweg "Euro6" an. Der Radweg ist abwechslungsreich und die Strecke nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Oft gibt es Verzweigungen mit mehreren Richtungen/Möglichkeiten und die notwendigen Wegweiser fehlen (waren vorhanden, jedoch abmontiert, da Blech ein gesuchter Rohstoff und Baumaterial ist). So ist es also mehrmals vorgekommen, dass ich in eine Sackgasse navigiert habe. Im Nachhinein hätte ich spätestens dann, als sich der Untergrund von Erde zu Nägel, Draht und Glas durchmischtem Sand verändert hat, Verdacht schöpfen müssen und mein Navi checken. Naja, sind ja nur ein paar zusätzliche Kilometer.......dachte ich zumindest.

    Plötzlich macht sich erneut ein schwammiges Gefühl auf meinem Fahrrad bemerkbar. "NEEEEEEI... BITTE NED JETZT"

    Schnell war also klar, platter Reifen am Hinterrad. Ich wusste, dass dieser Tag kommen würde und war natürlich Top vorbereitet....dachte ich.

    Das Hinterrad war schnell demontiert, der Schlauch ausgetauscht und zum Pumpen bereit.
    "DAMI!!!! WO ESCH MIS ÖBERGANGSVENTIL????"
    Zur Erklärung: Das Bike besitzt keine normalen Veloventile sondern die grossen Ventile, welche zum Beispiel auch am Autopneu zu finden sind. Da sowohl meine Mountainbikepumpe, wie auch Meine CO2-Kartuschen das kleine/normale Bikeventil verwenden, benötige ich ein Übergangsventil.
    Nachdem ich mein komplettes Inventar nach dem kleinen Übergangsventil durchsucht und nichts gefunden habe, war ich also doch da, wo ich nie sein wollte. Mitten im Nirgendwo 10km rundherum kein Haus oder Person, mit einem defekten Bike. Es bleibt mir also nichts übrig als zu schieben. Wenigstens erreiche ich schon bald eine asphaltierte Strasse. Nach 30min erreiche ich endlich eine Tankstelle mit Druckluftanschluss. Ich nutze die Gelegenheit und führe einen kleinen Service am Bike durch. Die Reifen sind schnell aufgepumpt, das Loch am alten Reifen lokalisiert und geflickt. Nach einem kleinen Orangina kanns auch schon weitergehen. Schliesslich habe ich genügend Zeit verlöffelt.

    10min später

    "JETZT NED IM ÄRNSCHT!"
    Diesmal war plötzlich der vordere Reifen platt. Die gleiche Situation, keine Tankstelle. Dafür ein kleiner Laden, vor welchem sich mehrere Personen das wohlverdiente Feierabendbier genehmigten. Die erste Person, welche ich ansprach und hilfesuchend auf meinen Vorderreifen klopfte, rannte sprichwörtlich nach Hause und holte dort eine rettende Luftpumpe. Währenddem konnte ich das Vorderrad demontieren und mit meinem reparierten Schlauch versehen. Das Problem konnte also schnell wieder behoben werden. Aleksa, ein Arbeiter, welcher mit seinen Kollegen vor dem Laden Bier trank, lud mich dann auf ein Bier ein und wollte mehr über mich erfahren. Da niemand weder Englisch noch Deutsch verstehen konnte, gestaltete sich das Gespräch mit den Jungs als wahre Herausforderung. Schliesslich musste ich dann aber nach dem 2 Dosenbier ein drittes ablehnen und wollte noch ein paar Kilometer gut machen.

    ........

    Erneut stand ich vor einem platten Reifen.
    Ich war ein wenig geschockt, konnte dies aber mit ein paar typisch schweizerischen Fluchwörter kaschieren.
    Dies bekam dann auch Aleksa wieder mit, brachte mir mein drittes Dosenbier und gab mir mit Zeichensprache zu verstehen, dass ich bei ihm und seiner Familie essen und übernachten darf.

    Wir luden also das Fahrrad in den alten Dacia von Aleksa.
    Wie in einem Actionfilm riss Aleksa ein paar Kabel unter dem Steuerrad hervor und wollte das Auto kurzschliessen. Die Zündung ging an, aber der Motor startete nicht. Aleksa rief seinen Kollegen herbei, diese stossen den Wagen zur Strasse und brachten den Motor zum brummen. Nun verstehe ich auch, wieso alle Kroaten und Serben dauernd ihre Autos mit laufendem Motor parkieren.

    Das Haus war nur wenige Minuten entfernt. Aleksa besitzt einen kleinen Bauernhof, arbeitet aber auf einem Kohlebagger. Seine Frau Rakka und sein Sohn Alexander warteten schon vor dem Haus und hiessen mich herzlich willkommen. Sofort wurde mir meine durchnässte Kleidung abgenommen und trockene Tücher gebracht. Nach einer kurzen Hofführung und persönlichen Begrüssung aller Hühner, Schweine, Hunde und Ziegen wurde das erste Glas Sliwowitz zusammen getrunken. Rakka zog sich in die Küche zurück und sorgte für einen himmlischen Duft, welcher sich im ganzen Haus verteilte. Bald darauf wurden wir zu Tisch gerufen und ich wurde erneut von der unendlichen Gastfreundschaft dieser Leute überfordert. Ein wahres Festmahl mit Chickenwings, Schnitzel, Wurst, Käse, diverse Salate, Ayvar, Auflauf und und und. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht klar, dass dies alles nur für mich gekocht wurde und weder Aleksa, noch seine Familie davon essen würden.
    Die Situation war für mich so überfordernd, dass ich mehrmals Aleksa und Rakka aufforderte mir Gesellschaft am Tisch zu leisten. Alexander half mir die Kommunikation mittels Google Translate zu gewährleisten. Mir wurde erzählt, dass so ein Essen nur bei sehr speziellen Anlässen gekocht wird und der Gast immer zuerst essen darf. Mit jedem Bissen wurde mir erklärt, was ich gerade esse und wie das Tier hiess, welches dafür den Kopf hinhalten musste. Diese Situation war so unangenehm fremd für mich, dass ich total überfordert war und keine Worte mehr fand. Nachdem ich dann satt war, durfte ich ins Wohnzimmer und serbisches Fernsehen geniessen. Aleksa und seine Familie sind weit und breit die einzigen Leute, welche eine stabile Internetverbindung sowie über 50 TV Sender besitzen. Währenddem assen dann auch Aleksa, Rakka und Alexander etwas.
    Nach dem obligatorischen Sliwowitz nach dem Essen, durfte ich dann ins Badezimmer um mich zu waschen. Die Dusche bestand aus einer Badewanne und einem Eimer lauwarmen Wasser. Auch dies ist eine absolute Ausnahme, dass man mit warmen Wasser duschen / sich waschen kann. Anschliessend unterhielten wir uns noch ein wenig. Wenn es nach Aleksa ging, könnten wir den ganzen Abend Sliwowitz trinken. Leider war ich vom Tag dermassen müde, dass ich mich um ca. 22:00 ins Schnapszimmer zurückzog, wo mein Bett eingerichtet wurde. Dies war ein sehr emotionaler Tag. Es ist extrem eindrücklich zu sehen, wie eine Familie, welche eher bescheiden lebt, sofort alles für eine fremde Person hergeben würde, damit diese sich so wohl wie möglich fühlt. Diese Leute haben ein riesengrosses Herz!

    Am nächsten Morgen wurde ich früh von Aleksa geweckt. Er möchte mit mir Fischen gehen und auf dem Weg bei einem Fahrradhändler Schlauch und Luftpumpe einkaufen. Ein Kollege von Aleksa betreibt an der Donau ein Restaurant und bietet frisch gefangenen Fisch an. Als wir zugefahren sind, kehrte dieser direkt von seinem erfolgreichen Angelausflug zurück und übergab Aleksa 2 grosse Stuka-Fische. Weiter ging es zum Fahrrad-Mechaniker, welcher seine Kernkompetenzen eher beim Verkauf von Matratzen, Feuerwerk und Secondhand-Kleider hatte. Unter einem Regal zauberte der Herr jedoch eine kleine Luftpumpe hervor, welche den Eindruck erweckte, dass diese aus einer Tischbombe stammte. Ebenfalls wurden mir 2 Schläuche in die Hand gedrückt, welche in einer Chipstüte verpackt wurden. Ich beschwerte mich keinesfalls und bezahlte umgerechnet 2 Franken für das Equipment. Zuhause angekommen wurde dann das Fahrrad repariert. Ich untersuchte nun den Vorderreifen nach Fremdkörper und wurde fündig. ca. 6 ganz feine Dornen haben den Pneu durchstochen und somit auch den Schlauch beschädigt. Die Löcher am Schlauch waren so extrem klein, dass ich sie auch unter Wasser kaum fand. Ich bin jetzt noch nicht sicher, ob ich alle Löcher gefunden habe, jedoch habe ich schon 8 Reparaturpads verbracht. Notfall habe ich ja noch die Chips-Schläuche =)

    Ich wurde dann noch zum Mittagessen eingeladen, da es vor dem Mittag noch einmal stark anfing zu regnen. ca. 15:00 Uhr verabschiedete ich mich dann von Aleksa, Rakka und Alexander schweren Herzens und fuhr Richtung Osten weiter. In Pozarevac flüchtete ich dann vor dem erneut eintretenden Regen und konnte in einem Hostel unterkommen.

    Besten Dank erneut an Aleksa und seine wunderbare Familie. Solche Gastfreundschaft sieht man nicht alle Tage.

    Die nächsten Tage werde ich an der Donau verbringen und mehrheitlich wild campen. Die Grenze zu Bulgarien ist schon bald in Sicht.

    Weiter gehts!
    Read more