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  • Day 56

    Das Dschungel Abenteuer

    September 26, 2022 in Ecuador ⋅ ⛅ 32 °C

    Nachdem wir den letzten Blick auf den Quilotoa Kratersee aufgesogen hatten, ging es zurück nach Latacunga, um unsere großen Rucksäcke zu holen. Das nächste Abenteuer stand nämlich schon vor der Tür: wir hatten vor in den Dschungel zu fliegen. Dazu mussten wir zurück nach Puyo, dem Ort wo auch das Tierheim liegt, um einiges vorzubereiten. Im angrenzenden Amazonas gibt es eine Kommune des indigenen Volkes der Waoranis, die den Zutritt gewähren. Insgesamt leben von ihnen ca. Viertausend im Dschungel, einige mit festem Wohnsitz andere dem Nomadenleben ähnlich. Letzteren sollte man als Gringo (Mitteleuropäer) nicht zu nahe kommen oder wenn, dann nur nackt. Seit der Missionierungen in den 50igern leben viele nicht mehr völlig isoliert und sehen einen Vorteil im kulturellen Austausch, aber dazu werde ich später noch etwas schreiben.

    Die Waoranis haben einen Präsidenten Daniel „Dany“, mit dem wir uns für den Abend in Puyo verabredet hatten. Nach einigen Stunden Anreise, holte er uns vom Busbahnhof ab. Grünes Capi, Poloshirt, passende grün-weiße Sneaker, braune Haut und ein Silberkettchen am Handgelenk. Eigentlich verriet nur sein Gesicht seine Herkunft. Freudestrahlend vielen wir uns in die Arme, da wir es nach viel Kommunikation im Vorhinein, etwas schwierigen Unterhaltungen und nur mit Vermittlungshilfe geschafft hatten, uns leibhaftig zu treffen. Es würde wohl klappen. Wir sprachen 2 Stunden in einem Straßenimbiss, wobei Dany eigentlich ohne Punkt und Komma redete. Wir luden ihn zum Essen ein und lauschten. Er sprach über das Dorf, was uns gezeigt werden würde, wie sie dort leben und verpasste eigentlich keine Gelegenheit, um seine Stellung als Präsident zu betonen und was er alles für die Kommune tut. Wir versuchten zu erklären, dass wir an allem interessiert wären und uns auf den Austausch sehr freuten. Uns war es wichtig, dass das keine Touri-Veranstaltung wird, sondern wir es vielleicht schaffen würden, in den wenigen Tagen die Menschen und ihre Lebensweisen besser kennenzulernen. Man wusste manchmal nicht so genau, ob alles verständlich war, aber wir hofften das Beste. Als es dann ums Geld ging war es dann doch sehr klar, dass wir nun zum Automaten gehen würden, um das Flugzeug und den Aufenthalt zu bezahlen. Taten wir auch, verabredeten uns für den folgenden Tag, bezahlten noch sein Taxi und schnappten uns selbst eines. Am nächsten Tag hatten wir den Vormittag bei Karina und Roberto, bei denen wir untergekommen waren, für uns und regenerierten ein wenig von der Wanderung.

    Ich hatte die letzten Wochen versucht, Geld für das Tierheim zu sammeln. Es kamen wunderbare 630€ zusammen, die ich direkt in der neuen Praxis übergeben wollte. Wir fuhren also am frühen Nachmittag in die Stadt, um die Praxis aufzusuchen. Alle, mit denen ich gearbeitet hatte waren da und die Wiedersehensfreude war groß. Irgendwie größer als die Freude über die Geldspende aber ich glaube das war der Situation geschuldet, da plötzlich aufzutauchen und während der OPs zu stören. Wir warteten außerdem darauf, dass sich Dany melden würde, da wir zum Lebensmittel und Geschenke kaufen verabredet waren. Gegen 16:00 tat er dies endlich und sagte uns einen Ort zum Treffen. Ganze anderthalb Stunde später hatten wir es dann endlich geschafft. Mehrere Telefonate, Erklärungen und Versuche zu navigieren waren notwendig, um ihm verständlich zu machen wo wir sind. Wir kauften Spielzeug für die Kinder, Süßigkeiten und Grundnahrungsmittel in großen Säcken. Das Budget hielten wir dabei nur bedingt ein, aber man konnte auch nur schwer nein sagen. Es war uns allerdings bewusst, dass über Geld eine andere Vorstellung herrscht und manchmal auch gar keine Relation besteht. Nun waren die Gesten gekauft, das Flugzeug bezahlt und wir langsam angefreundet. Die Tage die danach folgten sind nur schwer zu beschreiben. Alles kam irgendwie anders als gedacht und mit verschiedenen täglichen Emotionen.

    Am nächsten Tag waren wir für 7:30 Uhr vor Danys Haus verabredet, um alle Sachen in Roberto’s Auto zu bringen, der uns lieberweise zum Flughafen fuhr. Es dauerte ganze fünfeinhalb Stunden, bis wir einsteigen konnten. Ob das an einer verregneter Landebahn, dem zu spät kommenden Piloten, da seine Nachbarn die Nacht vorher gefeiert hatten oder weil hier so ziemlich nichts nach Absprache läuft lag, weiß man nicht. Man braucht unglaublich viel Geduld und Zeit, wenn man auf unterschiedliche Kulturen trifft. Wir flogen dann also zu viert mit der gefühlt kleinsten Maschine der Welt. Das dieses Propeller tragende Etwas überhaupt abhob, war ein kleines fantastisches Wunder. Wir flogen über dem grünen Dach der Bäume in den Amazonas - der absolute Wahnsinn. Wir sahen Flüsse mäandrieren und grüne Hügel in der Weite hinauf ragen. Schon nach 20 Minuten machten wir unseren ersten Stopp und versuchten auf einer Rasenpiste mit Sumpflöchern zum stehen zu kommen. Aber der Pilot machte das nicht zum ersten Mal und wir konnten die ganzen Pakete aus dem Frachtraum mit zur Kommune tragen. Als alles verteilt war, stiegen wir wieder ein und hebten erneut auf unerklärliche Weise ab, um kurz danach in unserer Kommune zu landen. Die Freifläche zwischen den Gebäuden schien überall als Landefläche zu dienen. Freundlich warteten die Bewohner am Rande und hießen uns Willkommen. Vor allem der Dorfälteste „Peque“ sah mit seinen Gummistiefeln, Baumwollunterhose und Jurrasic Park Shirt ziemlich crazy aus. Der Bruder von Dany, „Tagaca“ zeigte uns unsere Überdachung, unter der wir unsere Hängematten befestigen konnten. Das für Besucher erbaute offene Bambushaus hat zwei Etagen, Bänke zum Sitzen und eine kleine Kochstelle. Es war irre heiß, sonnig und Tagaca schlug uns ein Bad vor. Direkt am Dorf rinnt der Fluss Tihuano, der klares, wunderbares Wasser trägt. Wir zogen uns aus und sprangen nackig ins Wasser. Vielleicht war das die erste Prüfung, wie wir so drauf waren aber da sind wir ja genau die Richtigen dafür ☺️ Nach kurzem Abklären, ob es uns gut geht, ging es schon nach einer Stunde ums Geschäftliche. Er sagte uns, was sein Tagesprogramm alles kosten würde und das wir das noch bezahlen müssten. Gefühlt ein ganz schöner Dämpfer und für uns überraschende Prioritätensetzung, gleich mit sowas einzusteigen aber es war uns wichtig mit Tagaca warm zu werden und zu schauen, was die Tage so brachten. Er zeigte uns später mit seiner Tochter einen Weg im Dschungel und lies uns am ersten Wissen über die heilende Wirkung der Pflanzen teilhaben.
    Im Dorf selbst wird fast jeden Nachmittag Fußball gespielt und Groß und Klein ist mit dabei. Paul gesellte sich dazu und ich versuchte mit den restlichen Dorfbewohnern in Kontakt zu kommen. Ich fing an Gemüse für das Abendessen zu schneiden, dass von vielen Augen neugierig betrachtet wurde. Sie schauen einem zu, lachen dabei, sprechen Waorani und ziehen immer mal die Augenbrauen hoch. Ich merkte schnell, dass viele mit essen wollten und die Küche füllte sich. Am Ende waren es sicher 10 Personen und die Gelegenheiten, dass von uns gekocht wird, wurden stets sehr bereitwillig angenommen.
    Mit bei der Flugzeugfracht war auch ein riesen Lautsprecher. Schon beim Beladen waren wir etwas irritiert, dass so ein technisches Gerät mit in den Dschungel genommen wird. Am Abend wurde uns dann lautstark demonstriert, was dieses Ding, betrieben mit einem Generator, alles kann. Einer von Tagacas Söhnen hing in der Hängematte davor, koppelte sein Telefon mit der Box und spielte für alle hörbar YouTube ähnliche Clips (einschließlich Werbung) ab. Noch mehr hatten sich versammelt aber niemand verstand ein Wort des anderen, so laut dröhnte die Musik. Auch wir hatten keine Chance in Kontakt mit den Einwohnern zu treten. Die meisten schienen es einfach auszuhalten. Die Musik wurde dann für Dany‘s Ansprache ausgemacht und wir lauschten einem sehr langen Monolog auf Waorani und waren uns nicht sicher, ob das überhaupt uns gewidmet war. Kurz dürfen wir uns dann doch vorstellen, jedoch hat irgendwie niemand mehr Energie zu zuhören. Der erste Abend war vorbei und ich war sehr enttäuscht und hing mit vielen Fragen im Kopf in der Hängematte. Was hatte ich mir vorgestellt zu sehen? Gehören moderne Klamotten, jeder mit Smartphone und eine monströse Musikbox dazu? Was ist daran noch ursprünglich und im Einklang mit der Natur? Ist der kulturelle Unterschied so groß? Wollte ich nicht genau diese Erfahrung machen?
    Die Geräusche beim Einschlafen sind allerdings phänomenal. Mit der Milchstraße über uns schliefen wir mitten im Dschungel ein und freuten uns auf den kommenden Tag. Am nächsten Morgen bereiteten wir das Frühstück zu, zudem sich wieder sehr viele Personen gesellten, obwohl die Waorani‘s laut ihrer Aussage gar kein Frühstück essen. Man weiß ja nie, wann es wieder etwas gibt… Natürlich boten wir alles an, wollten teilen und uns erkenntlich zeigen. Für eine Zeremonie wurde eine neue Hütte an unsere gebaut, die weitere Palmenblätter benötigte. Wir halfen die Blätter aus dem Busch zu ziehen und trugen sie über Wasser und enge Dschungelwege. Selbst Peque war mir seinen 80 bis 90 Jahren dabei und zog fleißig mit. Er wirkt noch wie ein Mann aus einer vergangenen Zeit, der viel erlebt hat. Er lachte eigentlich die ganze Zeit und unsere nonverbale Kommunikation war erste Sahne. Am Morgen hatte er uns sogar Waorani Namen gegeben: meiner ist „Waadé“ und Paul‘s „Uña“. Das bedeutet so viel wie: „Frau die Pflanzen mag“ und „spielende Flöte“.
    Nach einer Pause liefen wir wieder in den Dschungel, um einen Wasserfall aufzusuchen. Auf dem Weg lernten wir viel mehr über den natürlichen Medizinschrank des Dschungels kennen. Alles hat eine Funktion: leckere Bonbons zum lutschen, Blätter gegen Grippe, Früchte zum Färben, natürliches Desinfektionsgel aus dem Baum, Shampoo für die Haare, Teeblätter die Energie geben und vieles mehr. Es war unheimlich interessant, Tagaca zu lauschen und die Heilkunst kennenzulernen. Ihm war es unheimlich wichtig, dass wir von allem ein Foto machten. Auch er dokumentierte alles. Dies passierte in einem Ausmaß, mit dem nicht mal ich fotografiere. Ich hatte bei dieser Wanderung und dem dröhnenden Abend zuvor den Gedanken, ob andere Besucher das Bild von Touristen derartig geprägt haben, dass es nun als normal angesehen wird, tierisch laute Musik zu hören und alles zu dokumentieren, anstatt einfach mal zu genießen. Offensichtlich brachten auch wir eine neue kulturelle Seite mit. Tagaca lies jedoch kein Gespräch aus, ohne zu betonen, dass wir die Bilder hinaustragen und unsere reichen Freunde mitbringen sollten. Die Waorani wären arm und bräuchten Unterstützung. Interessant wie unterschiedlich man das sehen kann. Aus meiner Perspektive sind die Menschen hier sehr reich: sie haben alles, was sie brauchen zum Leben im Dschungel und sind noch des ursprünglichen Wissens mächtig. Aber Geld verändert alles und Smartphones, die einem die westliche Welt zeigen erst recht. Ich kann mir vorstellen, dass die Waorani sich nicht über das Ausmaß an Veränderung bewusst sind, den viel mehr BesucherInnen herbeiführen würden. Selbstverständlich treibt sie das Selbe an wie uns beide: los ziehen und fremde Kulturen kennenlernen. Jedoch zeigt diese Kommune, welchen Preis es für die ursprüngliche Kultur hat, wenn man die Fühler zu weit ausstreckt.
    Der angepriesene Wasserfall, der eher einem Rinnsal glich, bot uns eine willkommene Abkühlung. Also ausziehen und abspülen lassen. Dass alle hier so freizügig sind und wir eigentlich die ganze Zeit hätten nackig sein können, war ein sehr willkommenes freies Gefühl.
    Zurück im Dorf gingen wir wieder baden, spielten Fußball und kochten für so manche im Dorf. An diesem Tag bekamen wir allerdings Fisch und Bananen. Wir konnten uns an diesem Abend intensiv mit Tagaca austauschen, Paul übersetzte fleißig und ich füllte mein spanisches Wörterbuch auf. Wir erfuhren zB. dass sie zu Covid Zeiten dazu aufgefordert wurden, alle Häuser zu verbrennen und Neue zu bauen. Deshalb stehen hier leider mehr Wellblechhütten rum, als traditionelle aus natürlichen Materialien. Eine Schande! Außerdem hoffen sie darauf, dass eine vorhandene Straße erweitert wird, um ihr Dorf anzuschließen. Als ich fragte, ob sie das wirklich wollen, dass hier Autos entlang fahren, da sie ja auch immer betonen wie schlimm sie den Lärm der Stadt finden, meinten sie, dass dann nur die Waoranis hier her dürften. Ich bin mir nicht sicher, ob solche Regularien eingehalten werden würden, wenn die Touris erfahren, dass es einen einfachen Weg in den Amazonas gibt.

    Der nächste Tag beginnt mit Frühstück und Helfen am neuen Häuschen für die abendliche Zeremonie. Am Vormittag gingen wir zur Schule, um Englisch-Unterricht zu geben. Erst eine Stunde bei den Kleinen, dann bei den Teenis. Wir fingen ziemlich unvorbereitet bei den absoluten Grundlagen an, wie den Zahlen. Da der Unterricht nicht mehr von ausgebildeten LehrerInnen geführt wird, wissen diese auch nicht die korrekte Aussprache, setzten sich neben ihre Schüler auf die Bank und lernten fleißig mit. Sie erzählten uns, dass es für sie nicht leicht wäre, das Notwendige zu lehren. Alle freuten sich wohl über eine Abwechslung, die mitgebrachten Geschenke und waren wirklich lieb zu uns, auch wenn den Teenis selbstverständlich alles peinlich ist. Wie ähnlich wir uns doch alle in manchen Dingen sind, ist irgendwie schön.
    Später wurden wir dann gefragt, ob wir nun zum Speerwerfen bereit wären. Paul müsse erstmal demonstrieren, ob er ein Tier erledigen könnte, denn die Zeremonie war dazu gedacht uns auf Waorani-Art zu verheiraten. Langsam kamen auch immer mehr vom Dorf hinzu. Teilweise bereits in traditioneller Tracht und roter Schminke im Gesicht, die sie aus einer kleinen Frucht gewinnen und Ketten um die halbnackten Körper. Auch die Männer schmückten sich mit Federgränzen und Ketten um den Oberkörper. Ganz speziell bei ihnen ist die Befestigung des Gemächts an einer Schnur um die Vorhaut. Auch ich wurde um- bzw. ausgezogen, bemalt und behangen. Es wurde dunkler und wir Frauen fingen an zu tanzen und leicht zu tippeln. In dem Sinne ein Tanz für die Männer, die am Rand standen und darüber viel lachten. Andere vom Dorf standen außerhalb der Hütte, um sich das
    Spektakel anzusehen und vor allem mit ihren Handys zu dokumentieren. Als wir fertig waren, kamen die Männer dran, die relativ primitive Affengeräusche von sich gaben. Irgendwie wirkte das alles etwas unkontrolliert und spontan inszeniert. Es wird viel gelacht, geneckt und rum geblödelt. Sicherlich gehört das aber eben auch einfach zu ihrer Art dazu. Ich fühlte mich wie auf einem anderen Stern, in einer Situation in der ich jetzt einfach mal mit mache und gespannt war, was wohl als Nächstes passieren würde. Sie führten uns zusammen, die Männer kreisten uns ein, Peque sagte etwas und alle waren ganz schön aufgeregt. Nun waren wir durch die Waorani verbunden. Als alles vorbei war, gingen wir in unsere Hütte zurück, die zwar angeblich für die Gäste gebaut wurde aber eher als Vereinshaus dient, denn da hingen immer alle ab und hier dröhnte nun auch erneut die Musik aus der Box. Wir sollten mit allen tanzen und die Animateure spielen. Nachdem wir einen Tanz präsentiert hatten, versuchten wir die anderen dazu zu bewegen aber keine Chance bei den Frauen, die schüchterner als ihr Kinder waren und Männern, die sich richtig schlechten Schnaps rein kippten. Obwohl wir die Zeremonie wirklich spannend und schön fanden, hielten wir den weiteren Abend nicht lange aus, fühlten uns irgendwie fremd und wussten nicht genau, ob sie das jetzt für sich oder für uns machten. Gern hätte ich in diesem Moment instrumentale, ursprüngliche Musik gehört, zu der sie vielleicht ihre traditionellen Lieder gesungen hätten. Mitten in der Nacht kam dann der ziemlich betrunkene Sohn von Tagaca in seinen Verschlag, der neben unseren Hängematten lag, getorkelt und schlief zu einem gewalttätigen Film ein. Erst als die Sonne auf ging trauten wir uns, diesen fürchterlichen Geräuschen ein Ende zu machen.

    Meine Laune war am Morgen am Tiefpunkt und der Tag repräsentierte die Achterbahn, die wir die ganzen letzten Tage durchlebt hatten. Es fiel mir schwer das Erlebte einzuordnen. Mal hatte man einen echten Zugang zu den Menschen und einen kleinen Einblick gewonnen, dann war wieder alles höchstgradig übertrieben und so sehr westlich geprägt, dass man es kaum aushielt. Nach einem wohltuenden Frühstück gingen wir mit Tagaca, seiner Frau und Peque zu einer Höhle. Auf dem Weg erfuhren wir wieder viel über den Wald. Es ist wunderbar, durch so einen dichten Dschungel zu laufen. Es gibt in der Nähe vom Dorf zwei riesige überstehende Steine, unter denen sich oberhalb die Frauen und Kinder versteckten und unterhalb die Männer mit Speeren saßen, jedes Geräusch und sämtliche Bewegungen wahrnahmen, um ihre Liebsten zu beschützen. Wir setzten uns an diese Stellen, lauschten Tagacas Erzählungen und dem Gesang von Peque. Es erfüllte mich in diesen Ort einzutauchen, ein Teil davon sein zu dürfen und ich fühlte endlich dieses besondere Gefühl einer langen Geschichte. Solche magischen Momente hatte ich mir gewünscht.
    Als wir wieder im Dorf angekommen waren, gab es einen Kunstverkauf der Frauen der unterschiedlichen Familien. Wir sollten am besten viel kaufen und gleichmäßig auf die Familien aufteilen. Für die gewobenen Taschen verlangten sie viel zu viel Geld und mir war es unangenehm mit ihnen zu feilschen. Selbstverständlich sollten nicht nur die Männer ihren Anteil bekommen aber die Art und Weise hatte mich wieder aus meinem seligen Moment geholt. Alle standen um uns herum, wir waren der Situation ausgeliefert, Paul wurde zu jungen Mädchen geschupst, ob er nicht noch eine Frau wolle und schafften damit eine ganz komische Atmosphäre. Wir kauften etwas und beendeten dieses merkwürdige Gehabe, indem wir Fußball spielen gingen. Manchmal hatten wir das Gefühl, die schnupperten an irgendwelchen Pflänzchen zu lange. Beim Fußball konnten sich alle etwas abreagieren und die Fanbank, die ich lautstark mitriss, hatte mächtig Spaß. Auch der gemeinsame Kochabend war ganz besonders schön. Tagaca und sein Bruder waren an uns interessiert und erzählten uns etwas über sich und die Missionierung. Das war ein sehr emotional aufreibender Tag.

    Der nächste Tag sollte vielleicht unser Abreisetag werden. Wir sollten uns schon mal vorbereiten und packten zusammen. Ich musste ehrlich gestehen, mich auf den Heimweg zu freuen, weil ich nicht so recht wusste, wie ich unseren Aufenthalt fand. War ich zu prüde, unentspannt oder zu deutsch? Das Flugzeug kam auf jeden Fall nicht, sondern erst am nächsten Tag am Nachmittag. Die anfängliche Enttäuschung änderte sich jedoch in Freude, denn an unseren „freien Tagen“ änderte sich etwas. Die Waorani waren mit ihrem „Programm“ durch. Dieses hatten wir zwar nicht gefordert, jedoch schienen sie so in dem Schema drin zu stecken, dass sie sich schwer vorstellen könnten, es könnte darauf unterschiedliche Sichtweisen geben. Außerdem schien das Geld zu verlockend. Wir hatten also Zeit, mal auf eigene Faust die Umgebung kennenzulernen, den Frauen beim weiteren Hausbau zu helfen und ihre Webtechnik kennenzulernen, dem Dschungel zu lauschen und ein paar Gedanken aufzuschreiben. Wir bekamen auch das erste Mal Essen zu bereitet. Anhand dieses Nudel-Reis-getrockneten-Fisch Mixes, konnten wir uns allerdings vorstellen, warum die Waoranis sich zu gern zu uns einluden. Es schmeckte fürchterlich. Mehr als das und ein paar Kochbananen, Papaya und Yucca scheinen sie nicht zu essen.
    Als dann am nächsten Tag das Flugzeug kam, fiel der Abschied schwer. Ich war richtig wehmütig, diese Menschen zu verlassen, die mir so viel gezeigt, mich so viel gelehrt und mir neue Gedanken geschenkt haben. Ich werde diese Erfahrung nie vergessen!

    Wenn mich jemand fragen würde, ob man das unbedingt mal bei dieser Kommune der Waorani erlebt haben müsste, wüsste ich nicht, welche Antwort ich geben würde. Ich weiß nicht mal selber, ob es gut war dort gewesen zu sein. Aus egoistische Denkweise war es natürlich für meine persönliche Entwicklung und Weiterbildung wunderbar und es war wunderbar diese Menschen kennengelernt zu haben aber ich habe das Gefühl, dass es den Waoranis nicht gut tut. Zumal es genügend aktive Waoranis gibt, die sich für ihre zu Hause, den Wald einsetzen und keinen westlichen Einfluss fordern, sondern Respekt für die grüne Lunge fordern. Die Waoranis, die wir kennenlernen durften, haben sich zwar für den Weg des Kontaktes entschlossen, sind sich aber den Konsequenzen in keinerlei Hinsicht bewusst. Ich verstehe völlig, dass wenn man einmal vom Kuchen gekostet hat, mehr davon haben möchte. Dennoch bedarf die westliche Ausrichtung und ein angehender Ecotourismus eine gute Betreuung.
    Im Grunde genommen sollte man diese Völker in Ruhe lassen und kein Geld zu ihnen tragen, es verändert alles und es trägt dazu bei, dass sie ihre Traditionen gegen die vermeintlich besseren westlichen Dinge eintauschen. Aber ohne einen Kontakt kann auch leider ihr Lebensraum nicht geschützt werden. Sie sprechen ständig von ihrer naturnahen Lebensweise und ihren Traditionen. Einerseits soll ihre Tradition durch viele, von ihnen forcierte Fotos in die Welt hinaus getragen werden und man spürt den Stolz ihrer Herkunft aber andererseits scheint bei dieser Kommune der Wert ihres Schatzes, nämlich im und vom Dschungel zu leben, verloren zu gehen. Die eigene Einstellung zu ihrem Status, hat mich doch sehr gewundert, da sie sich als arm bezeichnen und alles was man trägt, oder benutzt haben wollen. Dazu verlangen sie für alles Geld und scheinen an einer echten Interaktion nicht interessiert zu sein. Aber dann wieder doch. Schafft man es, über alle dem hinaus durch die Fassade zu dringen, erfährt man etwas über die wahren Gedanken, ihre lang reichende Geschichte und kann die eigene Sichtweise teilen. Es entstehen Verbindungen, die es sich lohnt einzugehen.

    Ich würde gern noch mehr über die Geschichte der Waoranis berichten, von den Taten der Missionare und Ölkonzerne erzählen aber dazu gibt es einen wunderbaren Artikel, den ich empfehlen möchte:

    https://dewiki.de/Lexikon/Waorani#Rückzug_…
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