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  • Day 12–15

    Bay of Islands: Reihenhäuser und Delfine

    November 14, 2023 in New Zealand ⋅ 🌬 18 °C

    In Paihia angekommen checken wir in den Paihia Holiday Camping Park ein. Wir freuen uns auf warme Duschen und müssen unseren 65 Liter Wassertank vom Camper auffüllen. Dieser Campingplatz ist ein bisschen wie eine Reihenhaussiedlung: Leben in Reih und Glied, wer hier wohnt ist weder arm, noch (unbedingt) reich, hier jedoch geeint von der Vorstellung vom Wohnglück als ultimative Freiheit seinen Handtuchgarten jeden Tag woanders ausbreiten zu können. Oder auch nicht, denn eigentlich lebt man genauso wie zuvor, dicht an dicht, muss ständig grüssen und die Vorhänge zuziehen. "Die Psychologie der Campingplätze" hätte sicher Fromms Buch "Furcht vor der Freiheit" um ein interessantes Kapitel ergänzt.

    Seitdem ich ein Kind war wollte ich Wale sehen, Chiara und Josy haben also keine Wal und ich buche uns eine 6 stündige Dolphin-Eco Cruise Tour, jedoch erst 2 Tage später, um einen Tag "Leerlauf" zu haben und die Zeit zu nutzen, um Nichtsnütziges zu machen. Mit all dem Um-, Auf-, Weg-, Nachräumen, Verlorenes suchen und Baby-on-the-road-Stress sehnen wir uns nach etwas Stillstand. So teilen wir uns mit Josy-Diensten zu festen Zeiten ein und merken, dass diese Art der Organisation essentiell für unser Glück ist, da wir beide seit langer Zeit nicht mehr alleine waren. Ich lese - aktuell das Buch " Die satanischen Verse" von Salman Rushdie, für welches er von Chomeini 1989 mit einer Fatwa belegt wurde, in der alle Muslime dazu aufgerufen wurden, Rushdie zu töten. Auf mehrere Übersetzer wurden Anschläge verübt, einige starben, er selbst überlebte nur schwer verletzt einen Messerangriff und ist seitdem auf einem Auge blind. Welch krasser Kontrast die Geschichte des Buches und Rushdis Schicksal, der lieber nicht so bekannt geworden wäre, zu den leichten, lebhaften und von Leben erfüllten Zeilen bilden.

    Dann ist es soweit, wir besteigen das Boot vom Charakter einer Butterfahrt und los geht's zum ersten Halt, der Urupukapuka Insel. Bevor wir von Bord gehen, werden wir gebeten, in unser Gepäck zu schauen, ob wir sicher keine Nagetiere dabei haben. Ja, denn seitdem Neuseelands größte Feinde, die Ratten, Oppossums und Wiesel, auf dieser Insel seit 2009 als ausgerottet gelten, konnte sich die Vogelwelt hier wieder erholen. Insgesamt sind jedoch etwa 70 Arten aufgrund dieser eingeschleppten Arten seit Ankunft der Europäer ausgestorben. Ihre Flugunfähigkeit und fehlender Fluchtinstinkt machten sie und ihre Eier zur leichten Beute. Heute gibt es beispielsweise noch den plüschtierartigen, flugunfähigen Papageien Kakapo, von dem es nur noch rund 200 Tiere auf geschützten Inseln im Süden des Landes gibt.

    Wir verbringen die nächsten 2 Stunden, bevor unsere eigentliche Delfin-Tour mit einem kleinerem Boot losgeht, mit einer kleinen Wanderung durch die sanften Hügel, auf denen gesund-mollige Schafe grasen und am Strand. Dann geht es endlich los und wir fahren mit etwa 20 anderen Leuten bei leichtem Seegang zu kleineren Buchten, Inseln und schließlich aufs offene Meer wo wir nach Vögeln über dem Wasser ausschau halten als Zeichen eines Fischschwarmes. Denn dort sind dann meist auch die Meeressäuger. Lange passiert nichts und dann sehen wir zuerst die Vögel. Vor allem Tölpel stürzen sich wie Pfeile im Sturzflug in die See, Möwen kreisen und dann sehen wir sie: Delfine! Dutzende plötzlich überall ums uns herum. Einige springen in die Luft, andere surfen auf der Bugwelle und kratzen sich am Buckel, wieder andere jagen Fische. Es ist wie eine Szene in einer BBC-Doku mit David Attenborough, der mit seinem unverwechselbar beruhigendem Timbre das "Feeding Franzy" begleitet. Viel zu früh müssen wir den Ort des Gemetzels und meiner Faszination verlassen und kehren in den Hafen zurück.

    Es ist später Nachmittag und wir fahren nun Richtung Süden, verlassen die Bay of Islands und übernachten eine Nacht auf einem Campingplatz, der den schrägen Namen "African Safari Experience" trägt. Auf unserer App "Camper Mate" haben uns die Bilder von Pferden, Wald und einem Fluss in einem verlassenem Tal überzeugt. Nachdem wir einer Schotterstrasse entlang eines Flusses für etwa 10 Minuten folgen, kommen wir an eine große Wiese, auf der einige verblichene Zelte in Safari-Manier aufgebaut sind. Ein paar Pferde schauen uns gutmütig-dümmlich mit langen Wimpern an, sonst ist hier keine Menschenseele. Auf einem vergilbten Schild mit abgeblätterten Buchstaben steht der Name Sandra und eine Telefonnummer, die ich anrufe. Es meldet sich eine Frau, die mit starkem, seltsamen, mir unbekanntem Dialekt englisch spricht. Ich verstehe nur soviel, dass wir uns hinstellen dürften, wo wir wollen und sie gleich vorbeikäme.

    In der Zwischenzeit gehen wir mit Josy zu den ersten Pferden ihres Lebens, Chiara streichelt sie furchtlos und wir tanzen auf der Wiese zu J.J. Cales Tulsa Sounds. Einige Minuten später nähert sich ein kleines, weisses Schrottauto und eine ältere Frau mit kurzem, lockigem Haar, Gummistiefeln und einem intensiven, fast unheimlichen Lächeln steigt aus. Sie fixiert Josy, schreit: " I love Babys!". und läuft auf sie zu. Josy, die nicht zum fremdeln neigt, bricht sofort in Tränen aus und krabbelt panisch davon. Ich rufe noch: "Don't take it personally, it's the age ya know", nehme sie auf den Arm und versuche sie zu beruhigen. Sandra, stellt sich raus, kommt ursprünglich aus Südafrika und ist vor 20 Jahren nach Neuseeland ausgewandert. In der scheunenartigen Küche hängen etwas deplatziert Köpfe von Oryx-Antilopen neben verblassten Fotos und Dankesbotschaften von Gästen aus alten Zeiten. Es scheint, als wäre lange niemand mehr hier gewesen. Hier fällt mir eine Geschichte von Roald Dahl ein, die "The Landlady" heisst und die mir mein Papa als Kind vorgelesen hat. In dieser wird ein junger Mann in einem "Bed and Breakfast" von einer eigenartigen Wirtin zum Tee gebeten und im Laufe der Geschichte erfährt er, dass sowohl ihr Papagei als auch der Dackel am Kamin ausgestopft sind und die Wirtin lange keine Gäste mehr empfangen hat. Das offene Ende der Geschichte, in dem der Junge einen bitter riechenden Tee zu sich nimmt, lässt den Leser nichts Gutes ahnen.

    Wir bleiben in dieser Nacht jedenfalls die einzigen Gäste auf diesem sehr schönen, einsamen und etwas schrägem Campingplatz. Chiara schließt aufwändig alle Autotüren als es dunkel wird und wir schlafen zum Ruf einer Eule ein.
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