• Day 8

    #6 - Der Tag, an dem Marta mich küsste

    May 3, 2024 in Italy ⋅ ⛅ 16 °C

    Foto: Eingang des coworking spaces

    >> Everyday Life Nuggets <<
    • Cappuccino kostet hier nur 1,50€ !! (statt bei uns 4€)
    • Vorurteile bzgl. Pünktlichkeit stimmen, aber nicht so extrem wie ich dachte
    • In der Schlange zu stehen, empfinde ich als weniger stressig, weil von hinten kein Druck kommt, wenn man sich nicht direkt bewegt, sobald der Vordermann nach vorne rückt!
    • An Waschbecken in privaten Küchen gibt es einen extra Hahn für Trinkwasser (… ob das tatsächlich eine extra Leitung ist, weiß ich nicht :D )

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    3. Mai
    Am Morgen werde ich vom Geräusch rollender Koffern über den Asphalt geweckt. Als ich merke, dass es mehr als eine Person ist, stehe ich auf und schaue neugierig aus dem Fenster: kleine Kinder ziehen wie Entchen ihre Koffer hinter sich her und laufen -vermutlich- zu ihrer Grundschule. In den folgenden Tagen stelle ich fest, dass das jeden Morgen um ziemlich genau 8.30h passiert.

    Bevor ich gehe, sage ich Tschüss zu Marta und sie verabschiedet mich das erste Mal „italienisch“: mit zwei Küsschen auf die Wangen (wie die Franzosen das auch machen). Und irgendwie erwärmt mir das sehr das Herz, ich fühle mich mehr zugehörig dadurch. Mittlerweile nennt sie mich oft „cara Lea“ (liebe Lea) oder „amore“ (Schatz).

    Heute ist mein erster Arbeitstag im coworking space!

    Der space ist nicht groß, aber sehr modern und hell. Im Gegensatz zu gestern, bei meiner Besichtigung, sind die Räume voll und es herrscht ein buntes Treiben. Nachdem ich mich an meinen persönlichen Platz gesetzt habe, kommen nach und nach die anderen Coworker dazu. Sie sind alle eher zurückhaltend und vorsichtig. Ich frage mich, ob das an meiner unsicheren Art liegt (ich fühle mich noch sehr unwohl, wenn mich jemand aus der Kalten heraus auf Italienisch anspricht) oder ob sie mich auch einfach als neue Person erst beschnuppern wollen.

    Alle arbeiten schweigend nebeneinander und gegenüber. Wir sind mittlerweile sechs Personen in dem Büro (maximal acht Plätze). Ich hoffe innerlich, dass ich irgendwie mit ihnen mehr in Kontakt kommen kann. Sie anzusprechen, traue ich mich aber nicht, da ich in Konversationen sehr schnell nichts mehr verstehe oder nicht antworten kann.

    Gegen 13 Uhr steht einer auf und fragt in die Runde, ob wir Mittagessen wollen. Ich steh sofort auf und sage: „Ja, ich!“ . Insgeheim weiß ich nicht, ob ich ihn überhaupt richtig verstanden habe. Und wo wir hingehen, was wir da essen, wie lange das dauern wird und wann genau es losgeht. Ich fühl mich wie ein Schaf in der Schafsherde, das darauf wartet, in die richtige Richtung getrieben zu werden – aber ohne in der Lage zu sein, selbst großartig die Situation beeinflussen zu können. Es ist interessant, dass ich viele Dinge hinnehmen muss - denn ich kann mich nicht richtig ausdrücken oder nachfragen. Ich weiß (noch) nicht genau warum, aber ich versuche den Moment meines „Outings“ immer so lange wie möglich hinauszuzögern.

    Es kommt also oft vor, dass ich nicht weiß, was passiert. Oder dass ich etwas gesagt habe und wirklich nur die ganz grundlegende Message rüberbringen kann - aber keine Zwischentöne. Was mir ja sonst immer sehr wichtig ist: dass ich nicht falsch verstanden werde oder der andere angepisst ist von irgendwas. Da muss ich aktuell drüber stehen - weil richtig stellen kann ich es nicht.

    Wir laufen also zu viert los (Andrea, Leo, Camilo und ich) und ich fühle mich wieder wie im Studium: in die Stadt tingeln, im gleichen Raum arbeiten/lernen, neue Leute kennen lernen, in einer fremden Stadt unterwegs sein.

    Und wie man sich das so vorstellt, dauert alles extreeeem lange. Wir laufen -oder eher: schlendern- in die Stadt, die ca. 10 Minuten zu Fuß entfernt ist. Als wir fast da sind, sagt der eine „Ich muss noch Geld abheben, hab kein Bargeld mehr“. Alle sind vollkommen entspannt und wir schlendern zum Geldautomaten.

    Die Deutsche in mir schreit nur: „GEHT DAS NICHT SCHNELLER!?“ …ich muss schließlich irgendwann nochmal arbeiten. Herrgott…

    Mit 10 Minuten Umweg haben wir dann auch das Geld abgeholt und sind endlich auf dem Weg zum Imbiss. Da ist es sehr eng, viele Menschen, laut, chaotisch. So richtig, wie ich mir das in Italien vorstelle. Wir bestellen uns Panini und Andrea hilft mir bei der Auswahl: Es gibt nur ein (!) vegetarisches Panino und ohne ihn würde ich nicht alle Begriffe für diverse Wurst- und Fleischwaren verstehen. Wir warten ungefähr 20 Minuten auf unsere Panini und trinken in der Zwischenzeit Wasser aus Plastikbechern (no comment…). Andrea und Leo holen sich für die Wartezeit noch einen Rotwein in Plastikbechern dazu und verziehen die Gesichter, als sie die eklige Plörre trinken; ich muss lachen.

    Alle Panini kommen an den Tisch – bis auf meins. Nach einiger Zeit fragt Andrea nach und es stellt sich heraus, dass mein Panino an einen anderen Tisch gebracht wurde; warum auch immer die Personen das dann gegessen haben bzw. es nicht aufgefallen ist… keine Ahnung! Die Wirte entschuldigen sich und versprechen, es direkt als nächstes zu machen. Es vergehen weitere 15 Minuten… und meine Kollegen warten alle mit dem Essen, was ich extrem höflich und lieb finde, denn alle haben Hunger.

    Während dem Laufen, dem Warten und dem Essen unterhalten wir uns auf Italienisch. Ich höre hauptsächlich zu, kann aber auch manche Dinge sagen, wenn sie mich etwas fragen. Das allermeiste kann ich gut verstehen und bin wahnsinnig stolz. Sie müssen langsam sprechen, aber zum Glück haben sie nicht viel Dialekt, sodass es kein Problem ist.

    Wenn mich Leute plötzlich und ohne Kontext ansprechen, versteh ich nicht die Bohne. Aber mit etwas Vorlauf, ohne Druck und mit Kontext läuft es ganz gut.

    Andrea ist 50 Jahre halt, arbeitet als ITler und hat eine jugendliche Tochter, die Koreanisch und Finnisch lernt; Camilo ist 30 Jahre alt, Wirtschaftsingenieur und arbeitet in einem Start-up, ist eigentlich Kolumbianer und wegen seiner italienischen Freundin nach Prato gezogen; Leo ist Mitte 20 und macht Videos für Influencer.

    Nachdem alle aufgegessen haben, machen wir uns auf den Rückweg – den wir wieder extrem laaaangsam schlendern. Wir sind mittlerweile seit 1,5 Stunden unterwegs und ich frage mich, wie lange diese Mittagspause verdammt nochmal noch dauern soll ! Auf dem Weg trinken wir noch einen schnellen Espresso (= jeder schüttet ihn herunter wie einen alkoholischen Shot) … und schlendern weiter Richtung Büro.

    Zurück im Büro sind alle wieder hoch konzentriert und arbeiten bis mindestens 18 oder 19 Uhr. Dolce far niente ist auch hier eher fern – bis auf die Mittagspause.

    Als ich nach Hause komme, grüßt Marta mich wieder sehr herzlich und fragt mich, ob ich etwas zu Essen haben möchte. Ich stimme zu, denn ich will unbedingt typisch toskanische / italienische Gerichte probieren. Sie gibt mir „Panzanella“, ein bäuerliches, traditionelles Gericht aus der Region mit saisonalem Gemüse und getrocknetem Brot – und es ist seeeehr lecker! (obwohl es nicht so aussieht)

    Der Tag hat mich sehr glücklich gemacht, weil ich mich erneut sehr willkommen hier fühle. Alle sind so nett, offen und auch geduldig mit meinen minimalen Sprachkenntnissen. Bello!
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