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  • Day 4

    Der Schöne und die Biest

    January 20, 2018 in Argentina ⋅ ☀️ 27 °C

    Nun haben wir es also endlich geschafft. Und ihr auch. Ständig und über Wochen davon zu hören, dass man nun für unbestimmte Zeit verreist, sich die ganze Welt anschauen wird und keine Ahnung hat, wann oder ob man jemals wieder arbeiten wird, muss einem irgendwann irgendwie ganz schön auf den Sack gehen. Das ist jetzt vorbei, wir reden nicht mehr nur darüber, wir tun es. Und ja, keine Ahnung wann wir zurückkommen und ob wir jemals wieder arbeiten werden.

    Ich könnte jetzt allerlei Dinge über unsere erste Destination schreiben, Positives wie das Wetter, das unglaubliche Fleisch (wie machen die das?!), den Wein, etc. Oder die zwischen zynisch und echt genervt liegenden Dinge wie: "Ein Hostel ist definitiv kein 5* Hotel". Wer zur Hölle kann auf 25 Quadratzentimetern duschen? In welchem Universum serviert man 28-grädigen Rotwein? Aber hey, das interessiert ja doch niemanden und wenn doch, schau Dir die Fotos an!

    Viel interessanter ist doch, wieso "Der Schöne und die Biest"? Zuerst aber noch ein ernsthaftes Wort zum Thema Stalking. Es ist ja ok, sich die Flugnummer(n) aufzuschreiben, um sich der sicheren Ankunft der Verreisten zu versichern. Aber die Verspätung in Zürich kundzutun noch bevor sie am Flughafen publik gemacht wurde und die sichere Landung in Argentinien über den Äther zu trällern, noch bevor die Reisenden selber wieder Empfang haben? Naja, Mütter ...

    Apropos, nach pünktlichem und erstaunlich professionell koordiniertem Boarding in Madrid, wurde klar, dass die in der App beim Online-Checkin vermeintlich fehlende Sitzreihe vor unseren Sitzen nichts mit unendlicher Beinfreiheit zu tun hatte, sondern eine scheiss Wand darstellte, vor der zu sitzen, zu massiv endlicher Beinfreiheit führt. Jup, genau so hab ich mir das bei Iberia vorgestellt, Trombose-Bomber bis unter die Decke gefüllt mit spanischer Unfreundlichkeit. Aber da war ja noch das Mutter-ähnliche Wesen (etwa in gleichem Alter jedoch mit doppeltem Volumen) zu meiner Linken. Sie war anders. Von Beginn an hatte sie ein Lächeln auf den Lippen und als sie offensichtlich keinen Schimmer hatte, was sie mit dem durch die Crew ausgehändigten Formular für die Einreise tun sollte, suchte sie gedanklich um Hilfe schreiend meinen Blick. Nachdem ich diesen für zirka eine halbe Sekunde erwiderte, säuselte sie mir en paar Laute entgegen - es muss Spanisch gewesen sein -, von denen ich nicht ansatzweise eine Frage oder Information extrahieren konnte. Ich lächelte. Oder war sie gar eine "Flugbegleitung" angeheuert von Stalking-Mam? Als sie weiter auf mich einredete und den visuellen Kontakt mit mir offensichtlich genoss, beendete ich die bis dato nicht entstandene Diskussion mit meinem gewohnt akzentfreien Italienisch: "nono kapische!" ... Mein Lächeln behielt ich an.

    12 Stunden später, die Maschine war eben gelandet, wiederholte sich die vor Empathie sprudelnde Konversation, welche ich erneut - diesmal in eindeutig britischem Englisch - einseitig beendete. Ich dachte, das wars. Zeit zum Aussteigen, Koffer holen, hoffen jemand hält ein Schild mit meinem Namen in der Ankunftshalle, etc. Das sah die ältere Dame anders und sie nahm wohl allen Mut (und, wie ihr gleich verstehen werdet, offensichtlich auch sämtliche im Flugzeug anwesende Dreistigkeit) zusammen, um mir via den Mann der sich in der Zwischenzeit einige Reihen vor- und somit zwischen uns gedrängelt hatte (habe ich die spanische Unfreundlichkeit bereits erwähnt?), eine Visitenkarte zuzustecken. Da ich erneut - und für alle Anwesenden sichtbar - kein Wort von ihr verstanden hatte, was ich denn mit dieser auf Papier gedruckten Kontaktinformation anfangen sollte, "übersetzte" der kleine Drängler simultan mit dem eindeutigen Handzeichen für "call me, baby!" (Daumen im Ohr und kleiner Finger vor dem Mund) und einer Art "Chapau-You'reTheMan-Grimasse".

    Passiert das gerade wirklich? Ich stecke die Karte ein und lächle, etwas verkrampfter als davor, aber ich lächle. Sue hat das eben Geschehene vorerst als Flirt des kleinen Dränglers interpretiert, was nicht minder schwer zu verkraften gewesen wäre, als dass ich eben von meiner Ersatz-Mutter von Iberia Flug IB6841 angegraben wurde. Die Biest. Doch dann kam der Moment. Mein Moment. Der Kopf wurde ganz klar. Ja, ich wurde eben massiv angeflirtet (die Gütige heisst übrigens Maria Inés A., wie dem Beweisfoto zu entnehmen ist), obwohl ich keinerlei sinnvolle Worte von mir gab. Also muss das in Wallung geratene Blut ausschliesslich auf die äusserlichen Merkmalen zurückzuführen sein. Nachdem ich mich die letzten Tage aufgrund der seit Weihnachten unübersehbar gewachsenen Wampe und neu entstandener Fleischkappe eher auf der Seite "aber er isch wenigschtens nid de Dümmscht" gesehen habe, bin ich mir nun sicher: Die Glatze steht mir! Bescheiden? Ja. Schön? Auch!

    Nur eine Person strahlte an diesem Tag noch heller und das war Sue. Sonnencreme hätte das zwar zu verhindern gewusst, aber so konnten wir an unserem ersten Tag gemeinsam um die Wette strahlen und die an der Fasnacht schon oft verloren gegangene Sue in einer Menschenmenge zu verlieren war an diesem Tag nur böswillig möglich ... So haben wir die Zeit in Buenos Aires bisher zusammen verbracht und doch schon einige Walking-Tours absolviert und Spots gesehen. Ist schön hier. Einzig beim "Fluss" trifft diese Beschreibung definitiv nicht zu. Weder optisch noch geruchstechnisch vermag das üble Wässerlein zu gefallen. Mit deutscher Gelassenheit schliesse ich bezüglich der Ursache auf die (wohl unfreiwillige) Aufnahme vieler Kriegsverbrecher in der Nachkriegszeit. Es wird also noch einige wenige Jahre dauern, bis das untergetauchte Pack ausgestorben und der Fluss endlich von der braunen Sosse befreit ist. Vielleicht hat es aber auch eine andere Ursache. Vielleicht frage ich mal jemanden, wahrscheinlich aber nicht.

    So, es wird Zeit das nächste Steak-House aufzusuchen und weiter über das Geheimnis der lokalen Fleischzartmacher zu rätseln. Ihr hört von uns, wahrscheinlich aus Montevideo, wo wir ab Sonntag sein werden ... Eine Flugnummer gibt es nicht, wir nehmen die Fähre. Eine Fährennummer gibt es, bleibt aber zum Schutz unserer eigenen Privatsphäre geheim. Sorry Mam!
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