• Kulturschock im Tana Toraja Hochland

    Oct 16–19, 2024 in Indonesia ⋅ ☁️ 25 °C

    Hier schreit nicht morgens halb 5 der Muezzin, dafür krähen die ganze Nacht die Tausend Hähne in der Umgebung. Ich weiß gar nicht, wann ich mal endlich dazu komme, mein Schlafdefizit auszugleichen. Nach einem ganz guten Frühstück machen wir uns mit Rollern auf zu einer zu einer Beerdigungszeremonie. Der Gastgeber und zwei junge Französinnen kommen mit uns. Der Weg dahin führt durch eine wundervolle Karstlandschaft, an leuchtend grünen Reisfeldern vorbei und überall sind Büffel, die sich manches Mal im Schlamm wälzen oder gemütlich Gras fressen. Leider fahren wir nur ziemlich schnell, wahrscheinlich weil die Zeremonie schon lange am Gange ist.
    Die Toraja haben ein kompliziertes Kastensystem und leben streng nach bestimmten Regeln und Traditionen. Stirbt jemand, so glauben die Toraja, kann dessen Seele erst ins Paradies eintreten, wenn deren Angehörige eine entsprechend sehr sehr aufwendige Beerdigungsfeier abgehalten hat. Dazu werden Hunderte Leute eingeladen, Büffel und Schweine geschlachtet und aufwendigste Sarg-Tempel gebaut. Je nach Kaste steigen die Kosten für so eine Beerdigung dann auch unermesslich an. Beim Adel kann so eine Zeremonie schon mal 200.000 Euro oder mehr kosten.
    Bis die Familie das Geld zusammen hat, kann das einige Zeit in Anspruch nehmen, manchmal mehrere Jahre. Was macht man dann mit den Verstorbenen: sie werden schön einbalsamiert und leben (ja, leben(!) ) im Haus als "krank", nicht "tot" weiter.
    Die Familie einigt sich über einen längeren Zeitraum, wie viele Büffel geopfert werden. Je nach Kaste sind es 24-50/60 Büffel. Besonders reiche Familien kaufen dafür einen Albino-Büffel, der bis 40.000 Euro kosten kann. Wenn das geregelt ist, wird ein Zeremoniemeister mit der Beerdigung beauftragt. Von etwa 100 Arbeitern werden auf einem bestimmten Platz Gebäude, der Sargtempel, Sitzplätze, Küche etc.gebaut, um die Hunderte von Gästen empfangen zu können. Die Zeremonie dauert auch wieder je nach Kaste 3 oder 6 Tage und manchmal noch länger an. Am ersten Tag wird der "Kranke" in den Sarg auf dem Tempel gelegt und gilt von nun an als "tot". Es wird ein Büffel geopfert und die Gäste sprechen nun ihre Beileidsbekundungen aus und überreichen je nach Verbindung zur Familie sehr teure Geschenke bis zu mehreren Päckchen Zigaretten. Am zweiten Tag werden die Gäste verpflegt und dafür zig Schweine geschlachtet. An diesem Tag sind wir dabei. DAS WAR EIN FEHLER!! (Ich hätte mich vorher genauer informieren müssen) Schon an der Zufahrtsstraße liegen überall noch lebende Schweine, deren Füße an Bambusstämmen festgebunden sind und quiecken hilflos. Als wir auf das Zeremonie-Gelände gehen, kommt uns der Geruch von Blut entgegen und überall liegen verteilt auf dem Boden die Teile der schon geschlachteten Tiere, alles ist in Blut getränkt. Ich halte es fast nicht mehr aus und die Tränen steigen mir in die Augen, aber Micha meint, dass das nun mal eine andere Kultur ist und damit müssen wir jetzt klarkommen. Die französischen Mädels schauen auch etwas erschrocken drein, halten sich aber ganz tapfer. Mir bleibt nichts anderes übrig: da muss ich jetzt durch! Und man muss es mal so sehen: Zum Glück sind wir nicht am 3. Tag der Zeremonie da, wenn die 24 Büffel geopfert werden! Denn die Schweine werden mit einem gezielten Messerstich getötet, aber den Büffeln wird mit einer Machete in den Hals geschlagen und manchmal sind sie nicht gleich tot, sondern laufen noch qualvoll herum. DER REINSTE HORROR!
    Touristen sind hier auch gern gesehene Gäste, denn dann unterstreicht dies noch den hohen Status der Verstorbenen. Wir sollen Platz nehmen und werden mit Gebäck und Schweinefleisch bewirtet, das in einem Bambusrohr auf offenem Feuer stundenlang gegart wurde. Eigentlich kann ich wegen des Schocks gar nichts zu mir nehmen, aber das würde als unhöflich gelten, somit essen wir von den dargebotenen Speisen, die überraschend gut schmecken.
    Nach dem Mittag verlassen wir die Feier und fahren nach Ke'te Kesu, dem ältesten traditionellen Dorf (Ein Dorf besteht immer aus einer Familie). Ein Dorf besteht aus den Wohnhäusern und auf der gegenüberliegenden Seite aus den Reisspeichern. Ringsherum sind Reisfelder und Monolithen, die bei jeder durchgeführten Beerdigung am 6.Tag aufgestellt werden. In der Mitte des Dorfes ist der Tongonkan, der Versammlungsplatz. Hinter dem Dorf liegt der "Friedhof". Hier sind verschiedene Begräbnismöglichkeiten, die sich im Laufe der Jahrhunderte verändert haben. So gibt es hängende Särge an der Steilwand eines Felsens, Särge, die sich in Höhlen im Felsen befinden oder Gebäude in Art eines Mausoleums. Oft stehen Tao Taos davor, das sind Holzpuppen, die die Abbilder der Verstorbenen darstellen. Der Tod ist hier bei den Toraja das zentrale Thema im Leben. Alles dreht sich nur darum, dass genügend Büffel gekauft werden können, um eine dem Stand angemessene Beerdigung zu haben.
    Nun besuchen wir noch Marta. Marta ist eine "Kranke", mit deren Familie unser Guide befreundet ist. Wir fahren zum Haus der Familie und klopfen höflich an ihre Tür. Dann gehen wir hinein und da liegt dann auch schon Marta in einem geöffneten Sarg, schön einbalsamiert und hübsch zurecht gemacht. Man darf auf keinen Fall davon sprechen, dass sie tot ist oder irgendwelche Beileidsbekundungen aussprechen, denn sie ist ja nur "krank". Unser Guide überreicht unsere kleine Spende, die in die Zeremoniekasse kommt.
    Schließlich fahren wir zurück nach Rantepao in unser Guesthouse, machen uns noch auf die Suche nach einem Restaurant, was sich als nicht so einfach herausstellt, denn in einem Restaurant gibt es keine der von uns gewünschten Speisen, ein anderes ist schon geschlossen und im dritten wird Live-Musik gespielt, die so laut ist, dass uns danach die Ohren wehtun. Aber da das die letzte Option ist, wählen wir dies. Das Essen ist auch sehr gut, dennoch sind wir froh, als wir wieder gehen können.
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