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  • Day 102

    Okzident trifft Orient

    September 5, 2022 in Bosnia and Herzegovina ⋅ ⛅ 24 °C

    Was verbindet man mit Bosnien-Herzegowina? Diese Frage hatte uns Amir als erstes gestellt bevor es mit der free-walking Tour durch Sarajevo losging. Gemeinsam mit 3 weiteren Touris aus der Schweiz und aus Deutschland, fielen uns da leider nur negative Dinge ein. z.B. Krieg, Genozid und Armut. 😥 Amir hatte uns trotz der Antworten eine spaßige Tour versprochen.
    Zu allererst ging es in eine Kupfer-Werkstatt. Diese befand sich direkt in der bekanntesten Handwerker Straße Sarajevos. Denn seit über 500 Jahren hat sich optisch hier nicht viel verändert. Die Werkstätten bzw. Geschäfte sind Familienbetriebe die über Generationen existieren. Somit gehört die Kazandžiluk-Straße zum UNESCO Weltkulturerbe.
    So beeindruckend das auch alles klingt unser 1. Gedanke war: Hoffentlich wird das keine Shoppingtour. Uns wurde zwar erklärt welche Ware original hier hergestellt wird und welche Ware aus China kommt, aber tatsächlich wurden wir nicht zu irgendeinen Kauf animiert. In der Werkstatt selbst saß ein Mann der ein Lesezeichen bearbeitete. Eigentlich kann man diese Menschen als richtige Künstler bezeichnen. Jedes Werkstück, egal ob Lesezeichen, Vase, Teller oder Teekanne ist ein Unikat und wird ohne Schablone angefertigt. Es geht dabei um die Verzierungen, welche in Kupfer gestanzt oder gemeißelt werden. Per Hand versteht sich.
    Er erklärte uns die Vorgehensweise und Arbeitsschritte. Auch in der Werkstatt waren Spuren vom Krieg sichtbar. Nicht nur die angebotenen Artikel wie z.B. eine Vase aus einer alten Granatenhülse oder Kugelschreiber aus übriggebliebenen Patronen waren Zeichen aus dieser dunklen Zeit. Sondern auch das Geschäft an sich. Da war ein Teil der Decke etwas tiefer als der Rest und ein zu zementiertes Loch in der Wand. Der Künstler aus der Werkstatt kann sich genau daran erinnern wie eine Granate seine Werkstatt getroffen hatte und ist sehr froh und stolz auch nach dem Krieg wieder hier arbeiten zu können. Übrigens hat er nur auf Nachfrage vom Krieg erzählt. Also wir hatten nicht das Gefühl, dass er Mitleid erwecken wollte.
    Nach der Werkstatt ging es weiter. Wir sprachen über den Kaffee der sich hier deutlich vom türkischen Kaffe unterscheidet. Der typisch bosnische Kaffee ist stärker. Und die Art der Zubereitung unterscheidet sich ebenfalls. Bosnien-Herzegowina ist übrigens auf Platz 9 der Welt, wenn es ums Kaffeetrinken geht. Man treffe sich hier auf einen Kaffe und eine Zigarette, um die Probleme der Welt zu lösen. Christoph hat auch einen traditionellen Kaffe probiert und für gut befunden. 👌🏼 Warum ich gerade türkischen und bosnischen Kaffe voneinander unterscheide liegt daran, dass Sarajevo früher zum osmanischen Reich gehörte. Weshalb hier Muslime, Christen und Juden friedlich zusammen leben. Was wiederum der Grund dafür ist, dass Sarajevo auch als das 'Jerusalem Europas' bezeichnet wird.
    So gibt es hier eine Kirche, welche unweit von einer Moschee liegt. Zwischen diesen Gebäuden gibt es eine Kneipe; hier kommen dann beide Religionen zusammen um ein Bier zu trinken. 🍻
    Laut Amir sind hier die wenigsten wirklich streng religiös. Was ein friedliches Miteinander deutlich einfacher macht.
    Läuft man durch die Stadt erkennt man die 4 unterschiedlichen Zeiten welche die Stadt prägen. So hat man orientalische Teile aus der Zeit der Osmanen, einen habsburgischen aus der Besetzung von Österreich-Ungarn, einen aus der Zeit des Kommunismus und natürlich ganz moderne Bauten. Und so formt sich eine Multi-Kulti Stadt.
    Auch interessant ist, dass der Auslöser für den 1. Weltkrieg in Sarajevo stattgefunden hat. Prinz Franz Ferdinand (österreichisch-ungarisch) und seine Frau wurden 1914 durch einen nationalistischen Serben auf offener Straße ermordet.
    Also man merkt Sarajevo hat unglaublich viel Geschichte. Und es ist einfach so traurig und surreal, dass der Krieg gerade mal 27 Jahre her ist. Besonders die ganzen Friedhöfe und Grabsteine erinnern an diese furchtbare Zeit.
    Sarajevo liegt in einem Tal umgeben von Bergen auch sehr schlecht um einen Krieg zu überleben. 100.000 Menschen sind bei diesen Krieg insgesamt gestorben. Und noch heute werden Massengräber gefunden.
    Amir hat uns erzählt wie traumatisierend jetzt auch der Ukraine Krieg für viele Menschen sei...
    Aber lassen wir das Kriegsthema jetzt mal ruhen. Bei einer free-walking Tour entscheidet man am Ende selbst wie viel einem die Tour wert ist. Wir waren wirklich positiv überrascht. Amir war Mitte 20, sprach perfekt Deutsch (selbst beigebracht durch super RTL als Kind) und wusste einfach ALLES. Auch die Politik hat er versucht uns verständlich zu machen, aber die politischen Verhältnisse sind hier wirklich kompliziert. Irgendwas von demokratisch, korrupt und einfach nicht zukunftsweisend. Weshalb ungefähr 1 Millionen Menschen in den letzten 8 Jahren das Land verlassen haben. Auch Amir träumt davon eines Tages in den USA zu leben.
    Immerhin gehört er zu den wohlhabenden Menschen die studieren können, da ein Studium sehr kostspielig ist, gibt es viele junge Menschen denen es nicht möglich ist. Wirklich schade. Wir haben noch viele bedeutende Gebäude besichtigt. Unter anderem eine Kirche deren Dach einst aus Blei war und nun aus Kupfer. Man hatte damals für den Krieg das Blei gebraucht um daraus Munition herzustellen. Crazy?! Und jetzt bin ich schon wieder beim Krieg angekommen....
    Also Ende der Tour war ein Brunnen (auch Wahrzeichen der Stadt). Wer Wasser aus diesem Brunnen trinkt, kehrt nach Sarajevo zurück, so sagt man.
    Sollten wir zurückkommen, würden wir wieder eine free-walking Tour machen. Und überhaupt werden wir in Großstädten solche Touren buchen. 100% Empfehlung. 👍🏻👍🏻👍🏻
    Übrigens sind wir nach der Tour zurück in die Werkstatt und haben ein Lesezeichen gekauft. Christoph durfte die Buchstaben selbst einstanzen. Das Lesezeichen ist so besonders. Nirgendwo haben wir sonst Lesezeichen dieser Art gesehen und der Mann war einfach so freundlich und hat sich die Zeit genommen für dieses eine Lesezeichen. 🥰
    Des Weiteren gab es zum probieren Lokum und Börek beides türkische Spezialitäten. Für Christoph gab es Civapi.
    Außerdem waren wir beim Friseur. Neuer Haarschnitt kostete einfach nur 15 €. 😂 Für Christoph nur 10€ inkl. Bart. 😂😂 Und wir sind sehr zufrieden! Die Friseure haben sich sehr viel Mühe gegeben und waren unglaublich freundlich.
    Geschlafen haben wir auf einem Campingplatz oben auf einem Hügel mit Blick über Sarajevo. Der Hügel war seeehr steil, locker 15% Steigung. Da wollten wir auf keinen Fall mit dem Van runter oder hoch. Daher sind wir gelaufen und richtig ins Schwitzen gekommen. 😵
    Apropo ins Schwitzen gekommen. Ich habe noch nichts über unseren abenteuerlichen Grenzübergang von Montenegro nach Bosnien-Herzegowina erzählt.
    Wir sind über die Grenze sehr weit im Norden, also in den Bergen Montenegros gereist. In Montenegro waren die Straßenverhältnisse noch ok. Ab und zu ein Schlagloch oder ein Felsbrocken dem man ausweichen musste, aber sonst auf jeden Fall machbar.
    Die Grenzkontrolle in einer kleinen Blechhütte verlief ohne Probleme.
    Schlagartig! Änderten sich die Straßen bei Grenzüberschreitung. Es war eine Mischung aus nicht asphaltiert und kaputt. Riesige Schlaglöcher, Serpentinen, teilweise einspurig ohne Ausweich-Möglchkeit. An einer Stelle lag vor uns ein riesiges Loch frisch vom Regen gefüllt. Wir hatten keine Ahnung wie tief dieses Loch war und ausweichen nach links erwies sich auch als riskant, da es hunderte Meter Hang abwärts ging. Da half nur Augen zu und durch. Die Strecke ging ja nur 20 km. 🥲
    Was gibt es sonst zu Bosnien-Herzegowina zu sagen?!
    Es ist ein Land aus Herzlichkeit der Menschen, Straßenhunden, Korruption, wunderschöner Landschaften, leckeren Essen, kaputten Straßen und einer spürbar traurigen Geschichte.
    Wir haben auch aus dem Brunnen getrunken und Sarajevo würden wir für einen Städtetrip gern wieder besuchen.
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