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  • Day 126

    BA - Ausgangssperre Tag 42

    April 30, 2020 in Argentina ⋅ ☀️ 18 °C

    "Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen" hieß es früher oft, wenn wir mit der Familie unterwegs waren. Tatsächlich hat das auch gestimmt, denn es gab immer etwas zu erleben oder zu entdecken. Aber was soll man in einem Footprint erzählen, wenn man tagein tagaus auf 15 Quadratmetern verbringt? Wenn man zwar auf Reisen aber gar nicht unterwegs ist? Sechs Wochen auf dem argentinischen Abstellgleis irgendwo im Stadtteil Recoleta haben den Monat April verschluckt, ohne dass es uns wirklich aufgefallen ist. Plötzlich ist Mai. Der Blick aus dem Fenster ist bis auf anderthalb regnerische Tage immer gleich gewesen: strahlender tiefblauer Himmel mit einer hochmotivierten Sonne und einigen vereinzelten Wölkchen von Zeit zu Zeit. Irgendwie zu schön, um 24 Stunden am Tag von Mauern und Dach umgeben zu sein, aber wir haben ja keine Wahl. Egal ob Montag, Donnerstag oder Sonntag ... jeder Tag fühlt sich gleich an und verläuft mehr oder weniger nach dem gleichen Schema X ... Aufstehen, Frühstück mit dem Lesen der neuesten privaten und öffentlichen Nachrichten, ein bisschen Zeit totschlagen mit Spielen, Lesen, Nachrichten schreiben, Putzen, dann mittags eine Tütensuppe, Videotelefonate, dann wieder Zeit rumkriegen ... mit Sport, Musik hören, Spiele spielen, 2 bis 3 x pro Woche Einkaufen, am Fenster stehen, um ein bisschen Sonne zu tanken bevor sie hinter den hohen Häusern verschwindet, Abendessen kochen, 21 Uhr am Fenster der argentinischen Nationalhymne lauschen und für die Alltagshelden klatschen, ein bisschen You-Tube schauen, schlafen! Von Highlights und erzählwürdigen Erlebnissen fehlt da jede Spur! Themen, die uns beschäftigen, sind, dass unser Lieblingseisladen Rapanui ab Montag wieder Eis verkauft und ob ein Paket von meiner Mama im Laufe der nächsten Woche hier ankommt, ohne vom Zoll abgefangen zu werden oder auf dem weiten Weg von Deutschland nach Argentinien verloren zu gehen. Die Zeit hier hat aber nicht nur Nachteile (auch wenn es Phasen gibt, in denen es sich sehr danach anfühlt) ... man lernt welchen Wert vermeintliche Kleinigkeiten haben - ganz nach dem Motto "man weiß erst zu schätzen, was man hat, wenn man es nicht mehr hat!" Um das wirklich zu verstehen, möchte ich euch gern einige Beispiele geben: ein finnischer Freund von mir, schrieb gestern, er wünsche sich, dass sein Fitness-Studio wieder öffnet, weil er diese Woche nur 4x5 km (also 20km ingesamt) laufen gewesen ist und offensichtlich zweifelt, dass er sich damit ausreichend fit halten kann. Zum Vergleich ... wir gehen (zum Zwecke des Einkaufens) im Durchschnitt 1km pro Tag, das bedeutet wir sind in 3 Wochen ungefähr die Strecke gegangen, die er in einer Woche gejoggt ist. Anderes Beispiel: in Deutschland gab es Unstimmigkeiten darüber, wie denn "im wohnortnahen Umfeld" kilometertechnisch zu definieren ist und ob man sich jetzt 5km, 10km oder doch 20km von seinem Zuhause entfernen darf ... in Argentinien gibt's es einige Provinzen jetzt wieder Spazieren gehen erlaubt ist ABER ... maximal 1 Stunde am Tag, vor 20 Uhr und im Umkreis von 500m um die eigene Unterkunft! Das ist schon ein spürbarer Unterschied ... ach übrigens ... die Stadt Buenos Aires gehört nicht zu den Provinzen, wo das erlaubt ist. Letztes Beispiel für heute: an alle, die heute ihre Wäsche gewaschen oder gebügelt haben, ein Brot gebacken haben, zum Frühstück frisch getoastetes Brot gegessen haben, Blumen in ihren Garten gepflanzt oder einfach nur im Liegestuhl die Sonne genossen haben, bei Amazon bestellt haben, die von Tür zu Tür mit ihren Nachbarn geschwatzt haben, ... herzlichen Glückwunsch! Ihr habt alle etwas tolles geschafft, obwohl es euch vielleicht gar nicht außergewöhnlich vorkam. Wie wenig selbstverständlich diese Dinge sind, merkt man erst, wenn man keine Waschmaschine und kein Bügeleisen hat, keinen Toaster, keinen Backofen, keinen Balkon, keinen Garten, keinen Baumarkt ... und nein, das ist nicht schlimm, aber wir freuen uns darauf, wenn all die Dinge wieder Teil unseres Lebens sind!Read more