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  • Giorno 59

    Bolivien - Wie dich beschreiben?

    30 settembre 2021, Bolivia ⋅ ⛅ 16 °C

    Bolivien - ein Land, über das ich sicherlich noch lange nachdenken werde, und bei dem es mir schwerfällt, die richtigen Worte zu finden, um es annähernd passend zu beschreiben. Alejandro, unser Guide in Uyuni, fragte uns, was wir über Bolivien wüssten. Unsere Antworten waren dürftig: Salzwüste, Kriminalität und Drogen, El Alto - eine der gefährlichsten Gegenden der Welt, schlechte Arbeitsbedingungen in den Minen, Armut, besondere Kleidung der Frauen, die größte Salzwüste, Land in den Anden... Mir geistert Miris (Pichons) Begeisterung von Bolivien im Kopf herum – vor 5 Jahren war sie hier auf ihrer Weltreise, in dem Land, „das alle [ihre ] Erwartungen übertroffen hat“.

    Und das erwartete uns hier in Bolivien:
    Wir kommen morgens um 4 in El Alto am Flughafen an, besorgen uns gleich SIM-Karten (nach einer Woche stellt sich heraus - man hat uns voll abgezogen...) und kommen dank Fernandos Flughafentransfer gut in unserem Hostel Greenpoint in La Paz an. El Alto – Boliviens zweitgrößte Stadt - sah nachts erstaunlich sauber und ordentlich aus. Trügt der Schein? Wo der Schein definitiv trügte: Bei unserem Hostel – Wo kommen die 10 Bewertungspunkte bei Hostelworld (von 10) her? Das ganze Gebäude ist sehr heruntergekommen, die Betten sehen ranzig aus, der Teppichboden muffelt und ist ungesaugt, es gibt weder Seife noch Klopapier (Fast wie in der Schule in Ba-Wü!). Zum ersten Mal benötigen wir unsere Juhe-Schlafsäcke, um der ekligen Umgebung etwas entgegenzusetzen. Chris findet es witzig und ist froh, dass ich die Unterkunft ausgesucht habe und nicht er ;-) Sie sei ein wenig wie sein 2-Euro-Zimmer in Vietnam. Dennoch dürfen wir gleich einchecken und die nächsten zwei Tage schlafen wir gefühlt fast nur. Ich bin ziemlich erschöpft von den ganzen Fahren, Flügen, Packen, Eindrücken, usw. Und Chris? Der gab ja schon bei unseren Spanischstunden an, dass „dormir“ (schlafen) sein Hobby sei.
    Damit mein Geburtstag nicht in diesem traurigem Hostel in La Paz stattfinden muss, ziehen wir dann doch noch los in die Stadt, die mich mit ihrem dichten Verkehr und zahllosen Menschen zusätzlich stresst.

    Es soll noch ein wenig dauern, bis ich mich einigermaßen mit Bolivien angefreundet habe, das Land bleibt mir bis zum Schluss sehr fremd und ich fühle mich unterwegs oftmals unwohl. Es liegt weniger an den Leuten als an den Bedingungen: Touristen finden sich hier derzeit kaum, die Menschen sind noch schwerer zu verstehen als in Peru, noch weniger können Englisch, wir wirken wie Geldesel, die jedem viel Trinkgeld geben sollten und das obwohl die Preise hier extrem gestiegen sind...
    Und das ist Bolivien auch:
    - La Paz: Straßenhunde wühlen im Müll und jagen die Autos, sind sonst aber friedlich, nicht so aggressiv wie in Asien. (Wobei – Chris wurde einmal fast an der Wade gepackt, aber das war in Cusco... )
    - Einige Viertel der Städte sind zu meiden, auf andere Weiße treffen wir sowieso quasi nicht – wir sind Fremdkörper hier, aber dennoch überall sehr willkommen.
    - Hier gibt es Städte in Höhen, wo bei uns schon lange kein Baum mehr wachsen würde. La Paz, Verwaltungshauptstadt Boliviens, mit über 3500 m/ü. M. weltweit höchste Hauptstadt, in der sich die Häuser den Hängen hinaufschlängeln, als gäbe es keine Schwerkraft.
    - Land der Vielfalt im Herzen Südamerikas – vom Titicacasee, über die Anden, die Atacamawüste bist hin zum Regenwald im Amazonasbecken – Und wir haben gleich wie in Peru nur so wenig entdeckt.
    - Man spricht nicht nur Spanisch und diverse Dialekte, sondern auch die indigenen Sprachen Quechua, Aymara und Guarani. Mit unserem Spanisch kämpfen wir uns mehr schlecht als recht durch, hier wird zudem nicht sehr deutlich gesprochen... Aber selbst wenn, es hätte uns nicht viel geholfen... ;-)
    - Wir entdecken Hightech und Moderne (Teleferico von Doppelmayr, teure Wohnviertel im Osten von La Paz, hippe und sehr westliche Restaurants und Cafés in Sucre, teure Hotels,...) und Armut und Tradition (Feldarbeit mit einfachen Harken und Geräten, Autos und Minibusse aus dem letzten Jahrhundert, altertümliche Trachten, Leben auf der Straße, schmutzige Kinder, Bettler, … Alejandro meint, „bolivianisch“ bedeute auch, „alles findet auf der Straße statt“.
    - Bolivien – ein armes, reiches Land: Hier liegen zahlreiche Bodenschätze verborgen, trotz hoher wirtschaftlicher Wachstumsraten gilt es immer noch als eines der ärmsten Länder Lateinamerikas – zwischen ausländischen Firmen, die die Bodenschätze abbauen und die Gewinne großzügig einstreichen, und der Korruption des Landes, die es in vielerlei Hinsicht lahmlegt, dazu der Drogenhandel...
    - Aberglaube, Religion und Mythos: Laut Internet sind 97% der Bolivianer Christen, die meisten Katholiken mit Einschlägen zum alten, indigenen Glauben, z. B. an Pachamama/Muttererde und anderen Gottheiten, denen regelmäßig Opfer dargebracht werden – sei es in Form von Coca-Blättern, Zuckerstatuen oder Lamaföten (!JA! auch in Grundmauern eingebettet). Schamanismus und auch Blutopfer sind weiterhin vertreten, auch wenn wir hiervon nichts mitbekommen, ich verzichte darauf, mir die Zukunft lesen zu lassen und auf dem Hexenmarkt tote, getrocknete Tierföten zu kaufen... Vielmehr fotografiere ich die Menschen nach Möglichkeit nur von hinten, denn einige glauben, dass das Fotografieren ihre Seele stiehlt...
    - So wird hier auch die Naturmedizin – Tees, Pulverchen, Tinkturen, usw. - großgeschrieben, andererseits ist auch der Standard der Krankenhäuser extrem unzureichend und leisten können es sich die wenigsten...
    - Das Essen bekommt uns in vielen Situationen schlecht, so verzichten wir leider komplett auf Streetfood oder dem Essen der einfachen Lokale, zu denen nur die Einheimischen gehen. Trotzdem - es schmeckt immer gut: Es gibt viel Reis und Kartoffelbeilagen, sonst Fleisch oder Trucha (Forelle), diverses Gemüse, oft auch Quinoa – als Beilage und Getränk... Außerdem finden sich viele französische Süßgebäcke in den Städten – leeeeecker! Ansonsten geht es weiter wie in Peru: Es gibt immer nur Erdbeermarmelade zum Frühstück, die nach Pestiziden schmeckt!
    - Und das ist Bolivien auch: unendlich weite, wunderschöne Natur, wilde Vekunas, Lamas und zahlreiche wilde Vögel. Wir sehen hunderte Flamingos und einige Vogelstrauße. Vulkanlandschaft so weit das Auge reicht und hunderte von Kilometern Schotterpiste oder Off-road-Fahren... Ein Land also, in dem es anscheinend noch viele Flecken von Freiheit gibt oder zumindest Bereiche fernab von festen Regeln und Kontrollen...
    - Die Frauen sind hier sehr altmodisch gekleidet, mit mehreren Stofflagen Rock, meist mit einem Tuch, das einer Tischdecke ähnelt, und einem Hut – je nachdem einer Melone, einer Mütze, einem Sonnenhut oder Ähnlichem. Sie tragen ihre Haare zu zwei Zöpfen geflochten, hinten meist noch kleine Quasten miteingeflochten. Die Fahrzeuge, die Kleidung, die Feldarbeit, Häuser, alles – wir werden in einer Zeitreise um die 50 bis 100 Jahre zurückgeworfen. Und ich mehrfach beinahe überfahren. Hilfe, dieser Verkehr!
    - Über allem jedoch stehen die unfassbar netten Menschen, die uns die Zeit hier so viel verschönern: Man begegnet uns stets korrekt, meist zuvorkommend und höflich, oftmals super freundlich. Die Menschen freuen sich so über uns Fremde und warten in vielerlei Hinsicht sehnsüchtig auf das Wiedererblühen des Tourismus (und auf Trinkgelder). Einerseits sind sie unfassbar stolz auf die Schätze und die Schönheit des Landes, andererseits benötigen viele nach dieser Durststrecke dringend Einnahmen. Und was gibt es für Schätze: Kulturgüter und Ruinen, UNESCO-Weltkulturerbe, Naturwunder und Artenvielfalt... Dennoch macht mich die wirtschaftliche Lage betroffen: Ein Land voll reicher Bodenschätze und Naturwunder schafft es nicht, sich Wohlstand und ein zeitgemäßes Erscheinen zu erarbeiten, gebeutelt von Korruption und einem Mangel an Know-how und Technologie führt dazu, dass die ausländischen Firmen aus den USA und vornehmlich China, die Eigentümer der Bergbauunternehmen sind und die großen Scheine einstecken. Kinder findet man hier weitläufig bei Mutter oder Großmutter auf der Straße beim Verkauf von ein paar wenigen Produkten wieder: Obst, Gemüse, Süßigkeiten, Essen, Säfte, usw. Auch verschwinden immer wieder zahlreiche Kinder...

    Als die Reise zu Ende ist, überkommt mich fast ein schlechtes Gewissen – nichts was ich unternommen habe, wurde dem Land annähernd gerecht, ich weiß kaum, wie die Locals wirklich leben, ein Großteil bleibt verborgen und ruft vielleicht nach einem neuen Besuch – zu einem anderen Zeitpunkt...
    Der Eindruck von Bolivien – er soll fragmentarisch bleiben, so groß und komplex ist das Land, als dass man es in wenigen Sätzen zusammenfassen kann. Und diese wenigen Sätze waren dann doch schon relativ viel ;.)
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