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  • Day 338

    Die Kunst zu reisen

    July 6, 2022 in Indonesia ⋅ ⛅ 24 °C

    Reisen ist nicht immer Beach, Cocktails, Sightseeing und Party. Reisen heißt für mich nicht nur Urlaub zu machen, sondern auch aus meiner Komfortzone zu treten und zu wachsen. Denn es ist bedeutet es auch Organisieren, Warten, Schwitzen, Beobachten, Umorganisieren, Fragen und Antworten, nochmal Umorganisieren, Missverstehen, Suchen und Finden, Improvisieren, wieder Fragen und Antworten, noch mehr Schwitzen, plötzlich Frieren. Reisen ist eine Kunst und verlangt dem Reisenden viel mehr ab, als man als Außenstehender meinen würde, aber belohnt den Wandernden gleichermaßen: mit Lebenserfahrung (only first, Lebendigkeit, mit Authentizität, mit Horizonterweiterung, mit Vertrauen, Hilfe und Gelassenheit. (Prbier's mal und so...)

    Heute reise ich! Denn nach einem atemberaubenden Sonnaufgang auf Karimun hätte ich nach der Fähre auch einfach in ein Shuttle direkt nach Yogya, wie die Inselhauptstadt meist genannt wird, steigen können. Aber ich wollte noch mehr von Land und Leuten sehen und hatte mir nun für diesen letzten Abschnitt ein Zugticket gebucht. Dies hieß aber zunächst nach Semarang zu kommen, dort das historische Viertel erkunden, übernachten und am nächsten Morgen eine kleine Rundreise mit dem Zug zu starten.

    Problem 1: Kreditkarten-Gerät der Unterkunft streikt. Lösung: Ich zahle mit meinem letzten Bargeld den Großteil und will dem Taxifahrer den Rest mitgeben.
    Problem 2: Es ist kein Geld im Geldautomaten. Lösung: Erst einmal mit Kreditkarte zahlen wie bei der Hinfahrt. Restzahlung an Hotel bleibt offen.
    Problem 3: Keine Kreditkartenzahlung für das Fährticket möglich. L: Eine Frau beschreibt mir im schlechten Englisch die Zahlungsmöglichkeit mit einer anderen Karte und lädt mir Geld darauf.
    Problem 4: Erst nach dem 4. Erklärungsversuch begreift die Dame, dass ich ihr kein Bargeld dafür geben kann. L: Ein Mann („This father“) soll mich im andern Hafen zum Automaten begleiten. Ich lerne - es gibt immer eine Lösung! (Aber in D wäre die Fähre ohne mich gefahren)

    5 Stunden Fährfahrt, die Hälfte schlafe ich. Für Essen fehlt mir das Bargeld, also muss das Frühstück des Hotels reichen.

    Problem 5: Bei Ankunft ist jener Mann unauffindbar. L: Ich ziehe nach 10 Minuten los, ohne meine Schulden beglichen zu haben. Mein Gewissen pickst!
    Problem 6: Die zwei ersten Geldautomaten akzeptieren nur indonesische Debitkarten. L: Ich laufe bei 30 Grad Hitze eine Stunde durch den stinkenden Ort. Automat 3 spuckt endlich Geld aus.

    Ich kann endlich essen gehen, Wasser und ein Busticket kaufen. Juhu! Während ich genüsslich eine riesige Portion Gemüse und Nudeln verzehre, ist mir noch nicht klar, dass Problem 7 bereits eingetreten ist. Das w erde ich jedoch erst in der nächsten Stadt herausfinden, in die ich nach nahezu 5 Stunden Fahrt mit einem richtig abgewracktem Bus gelange. Die Einheimischen wollen alle wissen, woher ich bin. Wo ist mein Ehemann? Wie sie lachen, als ich meine, den Mann hätte ich verlassen. Sie gratulieren mir. Wieder mal Fotosession, verstohlene Blicke. Aber soweit verläuft die Fahrt ganz gut und man verlangt diesmal nicht einen Platz für den Rucksack, sondern sucht andere Lösungen.

    Als der Taxifahrer in der nächsten Stadt 100k statt 42k (Grab-App) verlangt, lache ich nur. Er geht runter auf die Hälfte, bleibt hartnäckig. Ich winke ich nur leicht lächelnd ab und buche online. Manchmal geht es mir dann doch ums Prinzip... Dann angekommen am Hotel...

    Problem 7: Wo ist meine Kreditkarte? Doch nicht etwa im Geldautomat in Jepara? Nooooooo! L: Nicht in Sicht! Oder natürlich doch: Backup Kreditkarte von Rene verwenden und sich selbst verfluchen und ironisch den Kopf schütteln! (

    Nach diesem Tag hilft nur noch: Lage mit Freunden kurz analysieren, heiß duschen, Zimmerservice (Sich still für ein Hotelzimmer feiern!). Musik.

    Neuer Tag, neues Glück: Zum ersten Mal Mie Goreng zum Frühstück essen und los. Zugreise indonesische Art. Während die leuchtend grünen Reisfelder an unserem Fenster vorbeiziehen, denke ich an meinen Papa, wie immer bei meinen Bahnreisen. Denn er würde es einfach auch lieben, das gemütliche Sitzen und schauen, das Rattern, die vorbeiziehende Landschaft! Mama würde das wunderbare Grün der Felder draußen bewundern. Ich weiß, dass die ländliche Idylle, die sich hier für mich entspinnt, alles andere als entspannt ist.

    Dies unterstreichen dann die folgenden Sequenzen, die sich wie kleine Videoclips aneinanderreihen: Dürre, alte Männer, zäh und sonnengebräunt ernten die Reisähren mit einer kleinen Handsense – Büschel für Büschel. Die mittelalterlichen, schweren Holzpflüge werden von Hand geführt. Ein umgebautes Fahrrad mit großen Rädern lockert das Erdreich, ab und an gehen Frauen oder Männer mit Pestiziden umher und besprühen alles. Ohne ausreichenden Selbstschutz versteht sich. Oftmals sitzen die Bauern zusammen unter kleinen Unterständen und rauchen. Roller transportieren alle Arten von Gütern. Bäuerinnen waten barfuß durch den Schlamm der unter Wasser gesetzten frischen Felder. Auch wird oftmals das Gras mit Hand gemäht. Die Ernte des Zuckerrohrs – ebenfalls händisch.

    Um mich herum im grauen Zug nur Einheimische, mir gegenüber Kalis, die so viel von mir wissen möchte, wie ihr Englisch hergibt. Danach eine Mutter mit einem etwa 10-jährigen übergewichtigem Kind, das ständig isst und kleckert. Er singt vor sich hin und ist in seinem Verhalten so ungeschickt, dass die Dame das Gefühl hat, sich mehrfach bei mir entschuldigen zu müssen. Dahinter ein Kind dessen Kopftuch Hasen-Öhrchen hinzugefügt wurden. Humor haben die Indonesier, das muss man ihnen wirklich lassen! Meist schlafen die Menschen, reden reise oder beschäftigen sich liebevoll mit ihren Kindern.

    Problem 8: Mein Ticket deckt nicht die ganze Strecke ab und ich kann in dem System nicht online bezahlen. L: Der Schaffner Arvin bucht und organisiert alles für mich, ich gebe ihm Bargeld dafür. Er lässt mich sogar wissen, wann es wieder Essen im Boardrestaurant gibt 14:05 Uhr (!) und verabschiedet sich am Ende seiner Schicht: 13:51 Uhr. Keine Spur von dieser „Gummizeit“ hier auf den Bahngleisen!

    Am späten Nachmittag, nein pünktlich um 16:36 Uhr erreiche ich erholt und beglückt den Bahnhof in Yogyakarta und kurz darauf mein Hostel, das mir die nächsten Tage ein wunderbares Ersatzheim bieten wird. Oder doch nicht?
    2:30 Uhr Problem 9: Es raschelt um mich herum. Was ist das? Machen Kakerlaken solche Geräusche? Nein, zu laut. Hoffentlich nicht schon wieder eine Ratttttttte? L: Licht an.
    Problem 10: Eine Maus! Ich liebe Lösung 10: In die Küche gehen und Equipment holen. Dann aber Nichtstun und vor dem Dorm warten, bis das kleine graue Nagetier von alleine wieder verschwindet... Zurück ins Bett und weiterschlafen. ;-)

    Wie gesagt, ist das Reisen eben manchmal auch eine Kunst!
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