- Show trip
- Add to bucket listRemove from bucket list
- Share
- Day 4
- Thursday, October 17, 2024 at 9:00 AM
- ☁️ 17 °C
- Altitude: 1,624 m
TanzaniaLitembo10°58’36” S 34°49’32” E
Blutiger Einstieg
October 17, 2024 in Tanzania ⋅ ☁️ 17 °C
Raphael begrüßt mich im Hospital | Dr. Fred ist der Chefarzt und Allrounder im OP | Der Kleine Lewis kommt unters Messer | Avocados auf dem kleinen Markt
[alle beteiligten haben den Fotos zugestimmt]
Um 7:00 Uhr klingelt mein Wecker. Ich habe erstaunlich gut geschlafen. Das Bett, in dem ich aufwache, ist zwar ein wenig zu kurz, aber ich war von der Anreise so geschafft und habe mich gut erholt. Als ich meinen Wecker ausschalten will, fällt mir auf, dass ich in einem Netz schlafe. Also erstmal irgendwie aus diesem Netz raus. Daran gewöhnt man sich wohl schnell, heißt es. Serafina, unsere Haushälterin, Köchin und Seelenklempnerin bei Heimweh, hat schon viele von diesen Netzen repariert. Gerade die deutschen Männer seien unvorsichtig. Gut, dass ich nicht dazu gehöre. Das Netz bleibt ganz. Zumindest heute Morgen. Ab jetzt ist es, denke ich, abgespeichert.
Ich habe mich gestern Abend noch mit Raphael verabredet. Um 8 Uhr treffe ich ihn in seinem Büro. Das Diocesan Hospital in Litembo wird von ihm verwaltet. Mit vier Abteilungen (Surgery (Chirurgie), Maternity (Gyn/Entbindung), Internal Medicine (Innere), Children Ward (Kindermedizin)) hat er alle Hände voll zu tun. Hinzu kommt eine Ambulanz mit vier ambulanten Behandlungszimmern, ein Notaufnahmeraum sowie das Röntgen, das Labor und die Kantine. Aber es ist nicht so, wie wir uns das vorstellen. Es ist wirklich ganz einfach eingerichtet, und es fehlt am Nötigsten. Trotzdem hat das Krankenhaus einen exzellenten Ruf in dieser Region. Die Menschen kommen tagelang hierher gelaufen, um eine medizinische Behandlung zu bekommen. Sie warten dann manchmal noch bis zu einem Tag. Übernachten können sie nur auf einigen Bänken vor der Klinik. Wenigstens ist dieser Ort überdacht. In Decken gehüllt, reden sie miteinander, ich verstehe leider nichts, aber als ich vorbeilaufe, drehen sich alle nach mir um, winken mir zu und lächeln. „Karibu!“ Ich lächle zurück und winke. Ein schönes Gefühl, willkommen zu sein. Diese Freundlichkeit und offene Art zieht sich durch alle Begegnungen, die ich bisher hatte. Selbst als ich mit Mr. Jimmy auf dem Fischmarkt unterwegs war!
Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht pünktlich bei Raphael war, sondern zu früh. Kurz vor 8 ist Raphael noch nicht da. Ich setze mich auf die Holzbank und sehe einen Mann aus Dar es Salaam wieder. Er saß mit mir im Flugzeug. Unser kurzes Gespräch ist herzlich. Er erzählt, dass er für einen Freund Geld gebracht hat und für seine Behandlung bezahlen will. Eine andere Welt, denke ich, und werde in dem Moment von Raphael begrüßt.
Grundsätzlich muss ich erwähnen, dass die Hierarchien hier sehr flach sind. Raphael sitzt nicht in irgendeinem extra gebauten Gebäude und zählt Geld oder gibt strenge Anweisungen. Er hat ein ganz kleines Büro, das ordentlich eingerichtet ist. Ein PC, ein großer Schreibtisch und ein bequemer Sessel. Ich nehme Platz, und Raphael und ich sprechen über mich, was ich gerne sehen möchte und wie lange ich bleiben will. Da ich aktuell Hausarzt werden möchte und großes Interesse an der inneren Medizin habe, überlege ich, lieber andere Bereiche zu wählen, um doch mehr Einblicke zu bekommen. Ich entscheide mich daher, in der Chirurgie zu starten, anschließend Maternity und in der letzten Woche Innere. Raphael stimmt sofort zu und gibt mich in die Hände seiner Mitarbeiterin Anna. Sie zeigt mir das komplette Krankenhaus mit allen Abteilungen und dem Lager. Es wird nicht lange dauern, bis ich mich auskenne. Meinem kartografischen Gedächtnis sei Dank.
Die letzte Station, die Anna mir zeigt, ist der OP. Hier werde ich die ganze Woche sein. Sie übergibt mich an Dr. Fred. Und der fackelt nicht lange. Nach einem kurzen Kennenlernen geht es direkt los. Wir gehen zusammen in den OP-Raum, und Dr. Fred stellt mich vor als „Dr. Denis“. Als ich mich als Medical Student vorstelle, fällt er mir ins Wort: „Don’t say it. You’re gonna be a doctor. So you are Dr. Denis.“ (Sag das nicht. Du wirst Arzt, also bist du Dr. Denis). Ich glaube, diesen Satz würde ich in Deutschland so niemals hören. Dr. Fred ist Chefarzt der Chirurgie und ab jetzt mein Mentor.
Er operiert heute insgesamt acht Patienten, zweimal wird eine Prostata entfernt (mit bloßen Händen, offen chirurgisch und sehr martialisch). Überall ist Blut. Ich habe großen Respekt, dass Dr. Fred unter diesen Bedingungen immer noch sieht, was er tut (die detaillierte Story gibt’s unten nach der Triggerwarnung). Danach ein handballgroßer Tumor an der Bauchwand, danach wird’s orthopädisch. Zwei Brüche des Unterarms werden mit Platten versorgt und ein Oberschenkel muss ebenfalls zusammengeführt werden. Dr. Fred ist anscheinend der Allrounder, bzw. der einzige Chirurg, der sich an alles herantraut. Der nächste Patient hat einen nicht natürlichen Gang zwischen der Hautoberfläche am Po und dem Enddarm. Diese sogenannte Fistel wird eröffnet und tamponiert. Alle Patienten sind nicht intubiert, werden also nicht maschinell beatmet. Schmerzmittel werden in hoher Dosis verabreicht und dann erfolgt der erste Schnitt. Dann liegt der kleine Lewis auf dem Tisch, er ist gerade zwei Jahre alt und sein Hoden ist geschwollen. Da das Ultraschallgerät keine gute Auflösung hat und der Umgang damit nicht gut gelingt, vermuten die Ärzte eine Drehung. Später erzählen mir Anna und Robin (die freiwilligen Abiturientinnen aus Deutschland) zu Hause, dass die Nurse, die für das Ultraschall zuständig ist, nicht viel Erfahrung hat. Bei Lewis stellt sich dann heraus: Es sieht aus wie eine Entzündung des Nebenhodens. Ein Antibiotikum hätte gereicht, wenn die Diagnose im Ultraschall gestellt worden wäre. Bei Dr. Fred ist das eine Blickdiagnose, nachdem er alles aufgeschnitten hat. Dafür wird hier das Skalpell angesetzt. Für das Kleinkind mit Sicherheit traumatisch, auch wenn es recht weggedämmert scheint. Die Versorgung und Betreuung im OP ist ziemlich einfach gehalten. Die meisten Operationen am unteren Körperabschnitt erfolgen nach einer Injektion mit Schmerzmittel in den Wirbelkanal. In Deutschland kennt man das vor allem bei Kaiserschnitten als PDA. Hier ist es deswegen so gut, sagt Dr. Fred, weil eine Beatmung schwer über lange Zeit aufrechtzuerhalten ist. Ein Tubus (der Teil, der bei der Beatmung bis in die Lunge eingeführt wird) ist teuer. Geld, das die Menschen hier nicht haben, denn jede OP muss in bar bezahlt werden, bevor man aufgenommen wird. Weiter unten beschreibe ich die OP an der Prostata etwas genauer.
Ab in den zweiten OP-Raum… aber vorher lädt Dr. Fred mich auf Chapati und Tee ein. Solche Chefärzte brauchen wir in Deutschland.
Um 15:30 Uhr ist Feierabend. Anna und Robin zeigen mir heute die Umgebung des Krankenhauses, damit ich weiß, wo ich einkaufen kann und wo es sogar Milch an manchen Tagen zu kaufen gibt. Generell wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Vor dem Krankenhaus gibt es ein paar Verkaufsstände. Wir laufen zusammen dorthin und gucken, was es heute gibt. Drei Avocados liegen neben Tomaten, Zuckerrohr und Mangos. Da Avocados eine echte Seltenheit sind, nehmen wir diese mit. Perfekt zum selbstgebackenen Brot von Serafina zum Frühstück. Auch Milch wollten wir holen, allerdings gibt es bei den Ordensschwestern heute keine Milch. Erst morgen können wir etwas Milch bekommen. Wir laufen ein Stück durch Litembo. Überall spielen Kinder auf der Straße. Leider vor allem mit Müll. Hier liegt überall Plastikmüll. Als wäre das selbstverständlich, wird darin alles gesucht, was sich zum Spielen eignet. Dieser Anblick macht mich traurig. Diese Momente habe ich immer wieder. Sicherlich noch ein Teil des Kulturschocks. Man denkt automatisch an die eigene Kindheit. In welchem Luxus wir aufgewachsen sind. Jeden Tag dreimal warmes Essen und massenhaft Kinderspielzeug. Fairtrade ohne Weichmacher und so weiter. Aber es fällt auch auf, dass die Kids hier erfinderisch werden. Sie basteln mit dem Müll oder tauschen Dinge, die sie gefunden haben. Sobald wir als Weiße entdeckt werden, laufen sie auf uns zu und rufen uns gleichzeitig Begrüßungen entgegen. Da geht mir das Herz auf, und wir nehmen uns die Zeit, ein wenig mit ihnen rumzualbern. Nachdem ich heute den kleinen Lewis auf dem OP-Tisch gesehen habe, ist es eine willkommene Abwechslung, gesunde Kinder zu sehen. Die Art und Weise, wie hier operiert wird, ist wirklich nichts für schwache Nerven. Aber es hilft den Menschen!
Der erste Tag hat mich richtig nachdenklich gemacht. Dr. Fred hat abschließend angedeutet, dass er sich auf den morgigen Tag freut und sagt, ich solle morgen sterile Handschuhe anziehen, wenn ich um 8 Uhr da bin. Geplant ist eine Operation bei einer Frau. Ihr Termin steht quasi seit 9 Monaten fest. ☺️
Triggerwarnung: Wenn ihr medizinisch nicht interessiert seid oder detaillierte Beschreibungen der Operationen, die ich gesehen habe nicht lesen könnt/wollt solltet ihr hier stoppen. Ich beschreibe hier jetzt die Prostatektomie. Die Entfernung einer Prostata, die so sehr vergrößert ist, dass der Patient kein Wasser mehr lassen kann.
____________________________________
Die erste OP an diesem Tag ist die Prostatektomie. Ich habe diese OP in Deutschland in meinem Praxisblock bereits öfter gesehen. Ich hatte keine Vorahnung was dann passiert. Dr.Fred fragt Christopher ob er die Medikamente verabreicht hat. Der Pfleger, der für die Anästhesie zuständig ist nickt und gibt das Go. Ich schau mir den Patienten an. Der lächelt mir zu und deutet ein nicken an. Jetzt bin ich sprachlos. Dr.Fred nimmt eine Klemme und testet das Gefühl des Patienten auf der Bauchdecke. Keine Regung. Schmerzen hat der Patient also keine. Das Skalpell bohrt sich in die Haut ein Stück über dem Schambein. Gekonnt schlitzt der Chirurg die Haut bis zum Unterhautfettgewebe auf und stoppt unter dem Bauchnabel. Jetzt wird wie üblich gerissen, Faszien, Muskeln, einfach alles was im Weg ist. Als die Blase in Erscheinung tritt wird mit einer spitzen Klemme ein Loch in die Blase gedrückt. Ich schrecke zusammen. Zum Glück hat das keiner gesehen. Mein Mundschutz verdeckt mein Gesicht, aber meine Augen glauben nicht was sie sehen. Urin tritt aus dem Loch. Die Bauchhole füllt sich. Dr.Pete, der Assistent, ist ein Student aus Dar. Er nimmt entspannt den Sauger und saugt das Gemisch aus Blut und Urin. Die Blutung wird mit massenhaft Klemmen erstmal notdürftig gestillt. Ein Problem für später. Mit seinen sterilen Handschuhen zerrt Dr.Fred an dem Loch in der Blasenwand. Jetzt macht er es größer. Das knirschen des Gewebes lässt Erinnerung an den Situs Präpkurs aufleben. Ein unvergleichliches Geräusch; so ähnlich als würde man ein Stück Stoff reißen. Als zwei Finger hindurch in die Blase passen, fängt er mit einem kräftezehrenden Blick an in Richtung der Prostata zu wühlen. Er muss so viel Kraft in Richtung Beckenboden aufwenden, dass der Patient fragt was er da tue. Zwei Minuten später zieht er die Prostata in zwei Teilen aus dem Loch dass er in die Blase gerissen hat. Der blutige Klumpen fällt auf den einzigen Tisch der am OP-Feld steht. Mir fällt die Mundlade runter. Ich frage sofort, ob das wirklich die Prostata des Patienten ist. Dr.Fred lacht und sagt auf Englisch: „Ich weiß in Deutschland macht ihr das anders. Aber wir haben hier und diese Möglichkeit.“. Ich will mir garnicht vorstellen was genau alles gerade im Körper des Patienten kaputt gegangen ist. Jetzt folgt allerdings die Kür. Mit einem Metallstab gehts durch die Harnröhre bist zur Blase. Vorderbein sagt Dr.Fred, sonst passt der Blasenkatheter nicht. Es gibt nur die großen aktuell. Dann wird der geblockt. Ein zweiter Blasenkatheter wird über die Bauchdecke in ein (zusätzliches!!!!) Loch in die Blase gebracht. Das wird mal der Spülkatheter. Als alles geblockt ist kommt die Naht. Die Blase wird genäht und auf Dichtigkeit überprüft. Dafür gibt der Chirurg zwei volle Blasenspritzen von NaCl in den Spühlkatheter. Kein Urin tritt aus. Perfekt. Jetzt nur noch zwei Nähte um die Bauchmuskeln zumindest wieder in die Nähe zu bringen. Noch eine durchgehende Naht des Unterhautfettgewebes.
Die Hautnaht ist eine durchgehende einfache Naht, die wirklich nicht schön ist. Aber dafür reicht der Faden und die Wunde ist zu. Der Patient wird umgelagert. Auf zur nächsten OP im Nebenraum.Read more











Traveler
Das DoctorsHouse. Platz für 8 Volunteers/Famulierende.
Traveler
Der kleine Lewis 🥺
Traveler
Periduralanästhesie (PDA)