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- Day 1
- Monday, October 14, 2024 at 2:30 PM
- ☁️ 11 °C
- Altitude: 17 m
GermanyKalkar51°44’3” N 6°17’20” E
Prolog
October 14, 2024 in Germany ⋅ ☁️ 11 °C
Hallo an alle, die sich hierher verirrt haben und verfolgen, wo ich mich in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten rumtreibe. Jahre werden es nicht! Aber es fühlt sich schon nach einem großen Abschied an. In den letzten Tagen haben viele Freundinnen und Freunde sowie die Großfamilie noch einmal die Gelegenheit genutzt, mich zu treffen. Die ganzen Vorbereitungen der letzten Wochen münden in den heutigen Tag. Ich bin kein großer Poet, aber ich habe vor, die Eindrücke und Erlebnisse, die mir auf der ganzen Reise begegnen, hier festzuhalten. In erster Linie soll es auch als Erinnerung für mich dienen. Deshalb kann es gut sein, dass es auch mal emotional wird. Aber trotzdem möchte ich auch, dass alle, die sich zu Hause den Kopf darüber zerbrechen, was ich so tue, hier reinschauen können und lachen, sich wundern, erschrocken sind oder sich einfach mit mir freuen.
Abschiede haben auch immer etwas Besonderes. Ich weiß nicht, wann meine Brüder und ich zuletzt gleichzeitig im Elternhaus waren. Ich glaube, diesen Moment zu erleben, ist seltener, als die Nadel im Heuhaufen zu finden. Wir arbeiten alle im Schichtdienst, und selbst an Geburtstagen muss auf mehrere Tage ausgewichen werden. Dann kommt mal der eine, mal der andere zu Besuch. Umso schöner war es heute, noch einmal alle an einem Ort zu versammeln. So unterschiedlich wie wir sind, am Ende des Tages hält unser Band schon extrem eng. Dafür bin ich unheimlich dankbar! Es liegt in der Natur der Sache, dass Brüder diskutieren und teils hitzig um die beste Lösung ringen. Bei uns vielleicht ausgeprägter als bei anderen. Eins aber ist bisher immer klar gewesen: Wenn etwas Großes und Wichtiges ansteht, ist Verlass aufeinander. Für mich sind die nächsten Monate genau das.
14:30 Abfahrt. Nächster Halt: Nijmegen Centraal. Ich habe mich entschieden, mit dem Zug nach Amsterdam Schiphol zu reisen. Wenn dann etwas schiefgeht, kann ich die Schuld zumindest der niederländischen Bahn zuschieben!
Großer Dank an dieser Stelle an meine wundervollen Eltern. Samstag Nacht habe ich noch bis in den Morgen auf einer Hochzeit in Ulm ausgelassen gefeiert, heute Morgen war die benötigte Wäsche vom Wochenende schon wieder trocken und gefaltet, während ich den Schlaf nachgeholt habe. Auch im besten Alter bleibt man ein bisschen Kind.Read more
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- Day 1
- Monday, October 14, 2024 at 8:35 PM
- 🌙 9 °C
- Altitude: Sea level
NetherlandsFlughafen Schiphol52°18’55” N 4°45’18” E
In 13h um die halbe Welt (fast)
October 14, 2024 in the Netherlands ⋅ 🌙 9 °C
Aufbruch
Der Tag ist endlich gekommen. Heute geht’s los. Die Reise, auf die ich monatelang hingefiebert habe: meine Famulatur in Tansania. Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich im Zug, der mich zum Flughafen Amsterdam bringt. Mein Herz schlägt schneller als gewohnt, eine Mischung aus Vorfreude und Nervosität macht sich in mir breit. Alles, was ich in den letzten Wochen vorbereitet habe, wird heute Realität – ich kann es kaum erwarten!
Der Tag begann früh, viel zu früh für meinen Geschmack, aber ich konnte nicht länger schlafen, und ein Frühstück mit meiner Tante und meiner Oma stand noch auf dem Programm. Die Gedanken drehten sich die ganze Nacht im Kreis: Habe ich alles gepackt? Werde ich zurechtkommen? Wie wird das Leben in Tansania sein? Es ist ein Gefühl, das irgendwo zwischen Neugier und Angst schwebt. Und doch weiß ich, dass diese Reise mich unglaublich wachsen lassen wird. Gleichzeitig ist da dieses Gefühl: Ich komme als anderer Mensch wieder. Vielleicht ist es sogar eher ein Wunsch, der im Laufe des vergangenen Jahres gewachsen ist.
Während die Kilometer auf der Fahrt zum Flughafen vorbeiziehen, denke ich darüber nach, was vor mir liegt: eine völlig neue Kultur, eine fremde Sprache, Menschen, die ich noch nie getroffen habe, und eine Klinik, die mir ihre Türen öffnet, um von den Ärzten vor Ort zu lernen. Allein die Vorstellung davon erfüllt mich mit einer unbeschreiblichen Aufregung und Dankbarkeit. Dankbar, dass mir so etwas überhaupt möglich ist. Ich bin zuvor nie so lange und vor allem nie alleine weg gewesen.
Für mich bedeutet dieser Abschnitt sehr viel. Nicht nur aufgrund der praktischen Erfahrung für meinen Weg zum Traumberuf Arzt, sondern auch emotional.
Es fühlt sich an, als wäre ich auf dem Sprung in ein völlig neues Kapitel meines Lebens – und das bin ich wahrscheinlich auch.
Als ich den Flughafen erreiche, realisiere ich, dass es wirklich losgeht. Die Aufregung wird stärker, aber auch das Gefühl der Freiheit – ein seltenes Gefühl, wenn man merkt, dass eine Reise nicht nur einen neuen Ort bedeutet, sondern vor allem auch eine Reise zu sich selbst ist. Ich checke mein Gepäck ein, der Rucksack voller Erwartungen, und meine Gedanken sind bereits bei dem Moment, in dem ich zum ersten Mal afrikanischen Boden betreten werde.
Noch ein paar Stunden bleiben bis zu meinem Flug. Weil ich mir gesagt habe, jeden Moment zu genießen, tue ich das direkt am Gate! Rein in die Aspire Flughafen Lounge – leckeres Essen, zwei kleine Gin Tonic und ein Bier später geht es mir richtig, richtig gut.
Um 20:35 hebt die Maschine ab, und in nur wenigen Stunden wird Dar es Salaam, das pulsierende Herz Tansanias, mich begrüßen. Ich kann es kaum erwarten, den ersten Schritt aus dem Flugzeug zu machen und die warme Luft Afrikas zu spüren, das Lächeln der Menschen zu sehen und den Klang der Swahili-Sprache zu hören, die bald für viele Wochen Teil meines Lebens sein wird.
Aber bis dahin heißt es: Warten. Und reflektieren. Ich nehme einen tiefen Atemzug und lasse die letzten Monate in Gedanken Revue passieren. Die vielen Stunden, die ich mit Impfungen, Dokumenten und Packlisten verbracht habe, sind jetzt weit weg. Was für ein Jahr seit dem Physikum! Ich hatte wunderbare Tage mit Freunden in Frankfurt, habe mit Erik die beste 2er-WG der Menschheitsgeschichte gegründet (der gleichzeitig ein hervorragender Cousin mütterlicherseits ist), war in Südfrankreich mit der MedizinCrew, habe die Medimeisterschaften gefeiert, die extra an meinem Geburtstag stattfanden – oha! –, hatte eine Auszeit auf Sardinien im Haus meiner lieben Tante, war auf dem Stuttgarter Wasen und zuletzt eine wunderbare Hochzeit in Ulm! Alles davon hat sich gelohnt.
Der Moment, der jetzt vor mir liegt, ist der Beginn eines Abenteuers, das ich mein Leben lang nicht vergessen werde.
Während ich hier sitze und auf das Boarding warte, verspüre ich auch eine tiefe Dankbarkeit. Für die Möglichkeit, in ein Land zu reisen, das so viel zu bieten hat. Für die Chance, Menschen zu helfen und gleichzeitig von ihnen zu lernen. Und vor allem dafür, dass ich den Mut gefunden habe, diesen Schritt zu wagen.
An dieser Stelle muss ich einem alten Freund danken, der nicht unwesentlich auch finanziell dazu beigetragen hat. Danke, Hans Böckler! ;) (Nachtrag aufgrund vieler Nachfragen: Hans Böckler ist der Namensgeber der Stiftung, bei der ich Stipendiat bin. Für meine Auslandspraktika erhalte ich eine gute Unterstützung. Der Wikipedia-Artikel zu Hans Böckler ist sehr zu empfehlen!)
Es fühlt sich an wie ein Neuanfang. Tansania, ich komme – bereit für alles, was du mir zu bieten hast!
Ich freue mich, dass du teilhaben willst – egal, wo du auf dieser Welt gerade bist. Wie auch immer du an diesen Link gekommen bist, irgendetwas verbindet uns… Ich bin jetzt schon überwältigt von den vielen Rückmeldungen zu meinem ersten Post hier. Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Menschen das hier verfolgen werden, vor allem auch die langen Beiträge lesen! Ich versuche es kürzer zu fassen, aber wenn man viel Zeit hat, dann gehen einem auch viele Dinge durch den Kopf, und da ihr mich alle ein wenig kennt, wisst ihr, dass ich mit meinen Emotionen nicht hinterm Berg halte.
Der erste emotionale Breakdown war auch schon da, dank eurer vielen Nachrichten, aber ich liebe es! Danke auch für die vielen kleinen Geschenkchen, die der ein oder die andere für diesen Tag vorbereitet haben – Leute, ich liebe euch auch alle ♥️Read more
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- Day 2
- Tuesday, October 15, 2024 at 5:55 AM
- 🌙 14 °C
- Altitude: 1,619 m
KenyaJomo Kenyatta International Airport1°19’50” S 36°55’30” E
Das perfekte Chaos.
October 15, 2024 in Kenya ⋅ 🌙 14 °C
Meine „8 Stunden Freundschaft“ über den Wolken, ein Dreamliner der gar nicht mal so zum dreamen ist und 15 Minuten, bis das Gate schließt.
Endstation Nairobi International? - die ganze Story! Teil 1
Wenn ich eines am Fliegen liebe, dann den Moment, in dem die riesigen Fahrwerke den sicheren Boden verlassen. Alle inneren Organe drücken mit der Schwerkraft Richtung Boden, und fast 40 Minuten später beträgt die Reisehöhe 12.000 m. Die Boeing surrt wie ein Kätzchen, und wie immer ist es anfangs viel zu heiß im Flieger. Es wird euch nicht überraschen, wenn ich später sage, dass ich halb erfroren aufwache, um mir die Decke der Airline und meine Jacke überzuwerfen – um 3 Uhr nachts eurer Zeit!
Hinter mir in der Reihe sitzt die deutscheste Familie überhaupt: zwei Söhne, ca. 20 und 17 Jahre alt, der Vater zwischen ihnen. Alle regen sich auf. Dem einen ist es zu warm, dem anderen passen die Kopfhörer der Airline nicht, und Papa German fragt siebzehnmal, ob alle auch ihre Visa und Pässe wieder eingepackt haben. Zeit für AirPods mit Noise Cancelling.
Gleich zu Beginn lerne ich Leonard kennen. Schlank, mit sehr bestem, aber freundlichem Auftreten und einem „Welcome on board, Sir“ – das sind die einzigen Eindrücke, die ich an der Tür bekomme. Ein boshaftes Nicken 15 Minuten später macht uns zu Brüdern im Geiste. Wir müssen ungefähr gleich alt sein… also gleich jung meinte ich.
Ich, das Arschwasser bis an den Gürtel, weil ich weiß, gleich gibt’s wirklich kein Zurück mehr. Leonard, weil er Papa Peter und seine Söhne hinter mir jetzt schon nicht mehr mag. Dafür bekomme ich umso besseren Service.
Ich quatsche Leonard bei jeder möglichen Gelegenheit an. Will jetzt schon alles über die tansanische Kultur wissen und da ich nichts Besseres weiß, frage ich ihn über seinen Job und die Arbeitsbedingungen aus. Jedes Mal, wenn er ein bisschen zu lang mit mir quatscht oder wir uns missverstehen, weil mein Englisch eingerostet ist und ich erst beim dritten Mal hinhören verstehe, was Leonard sagt, lachen wir. Aber die Cabin-Crew-Chefin – Mitte 50 – sieht das gar nicht gerne, und da ist er – ein Blick, der in jeder Sprache gleich ist. Dann geht Leonard an die Arbeit, bis ich wieder störe. Am Ende werden wir uns wohl nie wieder sehen. Aber es war extrem interessant zu hören, wie viele Menschen auf den Lohn von Leonard angewiesen sind, und man bekommt echt ein Gefühl dafür, wie wenig bei den Flugbegleitern landet. Dafür liebt er Amsterdam – viel weiter kommt er nicht, wenn er Dienst hat und Richtung Europa fliegt. Die Ruhezeiten sind knapp bemessen im Ausland.
Der Flug an sich war recht turbulent, deshalb war mir Schlafen auch nicht wirklich möglich. Also rein ins Entertainment-Programm. Um mich herum werden die Menschen ständig nervös, wenn’s mal länger ruckelt. Meine Sitznachbarin krallt sich jedes Mal an den Vordersitz. Bin echt froh, dieses Jahr im Flugsimulator gewesen zu sein. So ein Dreamliner bekommt man eben nicht so einfach vom Himmel, auch nicht bei 990 km/h.
Landung wie geplant um 5:55 in Nairobi, Kenia. Ich lehne mich entspannt zurück, weil der Anschlussflug erst um 7:40 abheben soll. Wenn ich gewusst hätte, was da kommt…
Ich steige aus dem Flieger. Nairobi International. Angenehme 16 Grad, und die Sonne geht gerade auf. Gar nicht mal so heiß hier, zum Glück. Mit meinem komplett zu großen Handgepäck dann Treppe rauf, Treppe runter. „Connection Flight“. Auf einmal steht unter dem Schild: Security Check! Ja gut, was soll passieren? Ich bin ja quasi schon am Gate. Die 5 Minuten habe ich. Als ich um die Ecke komme, nimmt das Unheil seinen Lauf. Hunderte Menschen stehen vor dem Security Check. Anscheinend bin ich nicht der Einzige mit einem Anschlussflug. Überraschung. Mein Blick auf die Uhr: 6:15. Easy, denke ich noch. Nach 10 Minuten tut sich immer noch nichts. Jetzt werde ich nervös. Blick auf den Boarding-Pass. Gate closes 7:05.
Weil aber weder Nacktscanner noch genug Bänder geöffnet sind und alle, wirklich alle, die Schuhe ablegen müssen, zieht es sich wie Kaugummi. Verpasse ich wirklich wegen einem Security Check, den ich in Amsterdam quasi schon gemacht habe, den Anschluss!?
Mittlerweile ist es 6:50, und ich stehe gerade erst an dem Band. Laptop raus, Schuhe aus. Dann fällt der Mitarbeiterin auf: Ich habe ja 1,5 Liter Flüssigkeit in meiner Wasserflasche. Diese 1,5 Liter haben tatsächlich in meinen Magen gepasst, denn Mülleimer oder sonstiges – Fehlanzeige. Und jetzt heißt es: rennen…Read more
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- Day 2
- Tuesday, October 15, 2024 at 8:25 AM
- ⛅ 27 °C
- Altitude: Sea level
TanzaniaEast Ferry Point6°49’8” S 39°18’1” E
Mr.Denis - Abgezockt in Dar
October 15, 2024 in Tanzania ⋅ ⛅ 27 °C
Die Herausforderung am Flughafen Nairobi- Teil 2, kein Fahrer vor Ort in Dar und sehenden Auges in die erste Tourifalle - Abgezockt auf dem Fischmarkt 😂
… nachdem ich mich bis zum Security-Check in Nairobi durchgekämpft habe und die 1,5 Liter Wasser aus meiner Flasche geext habe, renne ich zum Gate. Mir bleiben 15 Minuten, und ich habe keine Ahnung, wo ich hin muss. Schnell ein Blick auf die Monitore: Mein Flug ist nicht zu finden. Jetzt macht sich wirklich ein mulmiges Gefühl breit, weil ich sonst für alles eine Lösung finde. Also tief durchatmen. Nachdenken. Nochmals alles Punkt für Punkt checken. Ich stehe vor sechs riesigen Bildschirmen und merke erst jetzt, dass nur die Ankünfte auf diesen Bildschirmen stehen. Also weiter. Zu den nächsten Bildschirmen. Ich vermeide es zu rennen, aber man merkt, dass ich es eilig habe. Um mich herum sind alle tiefenentspannt. Egal, wo Menschen anstehen – am Gate oder am Sicherheits-Check: So etwas wie eine Schlange gibt es hier nicht. Man stellt sich einfach dazu und lässt sich von der Menge treiben. Ich muss kurz an die Deutschen aus dem Flugzeug denken und lache mich tot, wie aufgedreht die wohl wären, mit ihrem Alpha-Papa.
Ich komme also am Gate an. Und tatsächlich bin ich einer der letzten. Wie es meine Art ist, entschuldige ich mich, obwohl ich noch fünf Minuten habe. „Don’t worry! We can wait and we will. Welcome to Africa!“ Wenn ich das gewusst hätte … Ich wäre weniger gealtert … Bei dem ganzen Trubel und Chaos vor Ort am Flughafen und auch auf dem Flugfeld (da scheint auch Chaos zu herrschen), hat trotzdem alles perfekt funktioniert. Hakuna Matata.
Als ich im Flieger sitze, sehe ich dann auch zufällig mein Gepäck draußen neben dem Flugzeug. Es hat also auch seinen Weg in den Flieger gefunden.
Kurzer Flug rüber nach Dar es Salaam. Obwohl hier der Dreh- und Angelpunkt ist, ist es nicht die Hauptstadt. Die Pass- und Visakontrolle läuft wirklich traumhaft. Und zack, stehe ich im Flughafengebäude in Dar. Vor dem Ausgang muss das Gepäck noch mal aufs Band und durchs Röntgen – sicher ist sicher.
Da ich mit einem Fahrer aus dem Hotel verabredet bin, hole ich mir schnell mein erstes Bargeld und eine SIM-Karte. Draußen weit und breit kein Fahrer des Hotels zu sehen. Dabei habe ich mich so gefreut, auch mal meinen Namen auf einem Schild zu lesen! Zurück ins Flughafengebäude, um zu warten, geht aber auch nicht. Dafür muss das Gepäck wieder durch die Sicherheitskontrolle. Dann aber entscheide ich mich einfach zu laufen. Laut Google Maps sind’s nur 15 Minuten.
Keine fünf Minuten später, an einer kleinen Tankstelle, wird mir die Temperatur dann aber zu heiß. Also habe ich die Wahl: ein Taxi, aber nur ein offizielles. Das ist sicher und am Flughafen teuer. Ein Bajaji – ein TukTuk, das wie ein Taxi genutzt wird. Sieht hauptsächlich witzig aus. Oder ein PikiPiki – ein Motorrad, bei dem man hinten mitfährt (dann heißt es BodaBoda). Ohne Helm, und die Fahrer der PikiPikis sehen alle so aus, als müssten sie eher irgendwo zwischen Grundschule und College sein. Joa, man ist ja nur einmal jung, und die paar Meter passiert doch nichts. Also mit Backpack und Daypack aufs PikiPiki! Fazit: Die sind wirklich gefährlich, aber halt auch schnell bei dem ganzen Stau!
Die Klamotten im Hotel schnell abgelegt, will ich keine Zeit verlieren. Ich bezahle den Fahrer, der am Hotel steht, und er bringt mich ins Zentrum von Dar es Salaam. Es dauert auch wirklich keine fünf Minuten, bis ich angesprochen werde. Ein junger Straßenkünstler will mir seine wunderschönen Bilder auf Leinwand verkaufen. Die waren wirklich unfassbar schön gemalt. Und ich bemerke, dass sein Unterkiefer auf der rechten Seite geschwollen ist. Als er dann meint, er kaufe von dem Geld seiner Kunst Medikamente, bin ich schwach geworden. Wir laufen Richtung Apotheke, und er erzählt mir, dass das Gesundheitswesen ausschließlich im Selbstzahlersystem für die einfachen Menschen funktioniert. Nach einem Bruch seines Unterkiefers hatte sich die Stelle entzündet. Man sieht auch richtig eitrige Verwachsungen. Gerade ist der Kiefer leider auch nicht wieder zusammengewachsen. Die Behandlung im Krankenhaus sei zu teuer. Aber – und das fand ich spannend – er hatte tatsächlich ein Rezept dabei. Ich wollte kein Bargeld aushändigen, und so meinte Juma, wir können gemeinsam zur Apotheke gehen. Amoxiclav, Metronidazol und Ibuprofen. Für mich waren es 24.000 Tansanische Schilling. Für den jungen Mann vielleicht eine oder zwei Wochen ohne Schmerzen. So wie das aussah, wird es ohne chirurgischen Eingriff sicher nicht abheilen …
Eine halbe Stunde bin ich durch die Innenstadt gelaufen, bis ich am Fischmarkt angekommen bin. Ein wildes Treiben verriet, dass hier Geschäfte gemacht werden. An unzähligen Verkaufstischen stapelte sich frischer Fisch, Langusten, Krebse und Garnelen. Menschen riefen wie wild durcheinander und feilschten um die Ware. Der ganze Boden war voller Fischinnereien. Aber es stinkt nicht. Später erfahre ich, dass alle Händler ihren Fisch direkt am Stand ausnehmen und säubern, wenn jemand die Ware kauft und dies wünscht. Die frischen Abfälle werden jeden Tag mit Wasser weggespült. Tatsächlich war ich weit und breit der Einzige mit meinen Nike Airforce. Hier trägt man Flipflops und wäscht sich anschließend die Füße.
Ein Mann spricht mich an. „Welcome! What’s your name?“, und weil ich so nett bin, sage ich auch noch meinen echten Namen. Ab jetzt bin ich auf dem Markt „Mr. Denis“. Es spricht sich schnell rum, wenn Touris dort alleine unterwegs sind. Und sie sind leichte Beute. Jimmy, wie er sich nennt, sagt, ich soll ihm über den Markt folgen. Was ich auch tue. Schließlich kenne ich mich nicht aus und schätze seine Freundlichkeit. Er macht auch einen sympathischen Eindruck. Er erzählt mir alles über die Fischerei und den Fisch, der hier ankommt. Die Namen vergesse ich sofort wieder, aber es ist extrem spannend. Nicht nur wo die Fische ankommen, zeigt er mir, sondern auch „the kitchen“. Dort wird der Fisch auf Wunsch direkt zubereitet. Ich will das alles sehen und bespreche mit Jimmy, einen Fisch zu kaufen, ihn säubern zu lassen. Anschließend soll der auf dem Grill für mich zubereitet werden, und wir essen ihn zusammen. Die Wahl fällt auf Kabau! Dass mich das am Ende 50.000 Schilling (ca. 15 Euro) kostet, ist für die Jungs, die alle involviert waren, ein Mega-Deal. Ihrem jetzt besten Freund, „Mr. Denis“ aus Deutschland, tut das nicht weh, aber es war so deutlich über den üblichen Handelspreisen vor Ort, dass ich mir vornehme, nicht allen blind zu vertrauen. Auch wenn ich es währenddessen schon gemerkt habe. Gezahlt habe ich es gerne, da mir der eine Euro mehr wirklich nicht weh tut. Und weil ich viel zu lieb bin, nein zu sagen …
Für Jimmys private Geschichte bleibt wirklich kaum Platz. Aber bei Bedarf liefere ich sie gerne zu einem anderen Zeitpunkt. Wir haben drei Stunden auf dem Markt verbracht – mit dem gemeinsamen Essen am Ende. Ob die allerdings stimmt … weiß auch „Mr. Denis“ nicht so recht.
Jimmy hat einem Foto zugestimmt! Es ist das Selfie, das uns beide vor einer Holztür zeigt.Read more

TravelerEs ist so schön, dich jetzt die Sachen erleben zu lesen, die Daniel und ich ‚damals‘ in Kenia auch erlebt haben 😂 Die Afrikaner sind großartig - probieren natürlich vorne und hinten, dich zu melken, können aber auch über sich selbst lachen und wenn du die lokalen Preise erstmal drauf hast und freundlich den richtigen verlangst, sind sie nicht böse oder verbissen.
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- Day 3
- Wednesday, October 16, 2024 at 12:30 PM
- ☁️ 27 °C
- Altitude: 1,054 m
TanzaniaSongea Airport10°40’59” S 35°34’56” E
Karibu in Litembo!
October 16, 2024 in Tanzania ⋅ ☁️ 27 °C
Weiterflug nach Songea | waghalsige Weiterfahrt bis ins Hospital | Herzlicher Empfang im Doctors House
Pünktlich zum Sonnenaufgang in Dar ruft der Muezzin zum Gebet. Eine Stadt, die viele Einflüsse im Laufe der Geschichte erfahren hat, die meisten davon leider unfreiwillig. Ich werde also vor dem Wecker wach, der auf 5 Uhr gestellt war. Mein Flug nach Songea ist für 7 Uhr geplant. Die meisten Sachen habe ich gestern Abend schon wieder ordentlich gepackt. Mit meinem Rucksack laufe ich die Treppen im Hotel hinunter, das einzige Geräusch, das ich höre, ist das Summen der Neonröhren. Unten steht Ibrahim, ein älterer Herr. In seiner Hand hält er die Schlüssel zu seinem Toyota. Wie verabredet bringt er mich zum Flughafen. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass er da sein wird – mit dem Einhalten von Zeiten ist es hier so eine Sache.
Auf dem Weg zum Flughafen fällt mir auf, dass auf meinem Boarding Pass nur das Aufgabegepäck vermerkt ist. Kein Handgepäck erlaubt – außer man fliegt Business Class. Ich stelle mich also mental darauf ein, gleich wieder eine Stange Geld zu verlieren. Am Flughafen bringt mich Ibrahim zum Gate für Inlandsflüge. Zu meiner Überraschung verläuft alles aber reibungslos. Mein ganzes Gepäck wird anstandslos angenommen, auch nach dem Handgepäck fragt niemand explizit. Einzig der Flug ist ein wenig verspätet. Der Tag ist lang genug und die Menschen lassen sich nicht stressen. Aber mit Verspätungen kann ich gut umgehen – in Düsseldorf lebt der Verspätungsweltmeister, in der WG in der Gerresheimer! Alles also kein Problem.
Eine Stunde später setzt die kleine Bombardier-Propellermaschine in Songea auf. Das Flugzeug kommt auf der Landebahn zum Stehen und dreht. Nachdem ich mich kurz gewundert habe, wieso wir mitten auf der Start- und Landebahn drehen, wird mir klar: Das hier ist kein Flughafen, wie ich ihn kenne. Keine Nebenwege, nur die eine Bahn ist asphaltiert, und sonst ist auch kein Flugzeug zu sehen. Absolutes Highlight ist die erneute Passkontrolle. Mitten im Freien steht ein kleiner Tresen aus Holz. Dahinter eine junge Frau in einer gelben Warnweste. Auf dem Rücken steht „IMMIGRATION“. Ich stehe an, zeige meinen Reisepass und meinen Visastempel. „Karibu!“ (Willkommen!). Zwei kurze Fotos mit ihrem iPhone, und ich darf durch.
Blauäugig wie ich bin, ging ich davon aus, dass es an einem Flughafen auch einen Busbahnhof gibt. Fehlanzeige! Ich muss also einen der Fahrer bitten, mich mitzunehmen. Problem nur: Niemand versteht mich. Die Menschen in Songea im Süden leben nicht vom Tourismus. Kaum einer verirrt sich hierher. Und wenn, dann wollen sie nach Litembo ins Hospital, um hier zu arbeiten und zu helfen. Ich gehe zurück und spreche eine Polizistin an. Sie kommt mit, übersetzt und schmunzelt. Wahrscheinlich, weil der Fahrer heute etwas mehr verdient als gewöhnlich. Mir bleibt aber keine günstigere Alternative. Er bringt mich zum nächsten Busbahnhof: Luiku Bus Stop. Da ich durch die Windschutzscheibe schon wieder hunderte Menschen sehe, die sich um zahlreiche Busse tummeln, versuche ich meinem Fahrer zu vermitteln, dass ich nach Mbinga muss. Ich wiederhole einfach mehrfach „Mbinga! Mbinga!“.
Dann gibt er Gas und fährt einem Bus hinterher, der gerade um die Ecke kommt. Ein riesiges Hupkonzert, bis der Fahrer versteht, dass ich mitfahren will. Also raus aus dem Auto und rein in den Bus. Auch hier kann niemand Englisch. Die nächsten drei Stunden Autofahrt kosten aber erstaunlicherweise nur noch 6.000 Tsh – also 2 Euro.
Wir fahren auf befestigter Straße, und jedes Mal, wenn der Fahrer an einem der Busbahnhöfe auf dem Weg hält, tummeln sich Männer und Frauen mit Snacks an den Fensterscheiben. Gegrilltes Fleisch, gegrillte Maiskolben, geröstete Nüsse. Alles, was man für eine Busfahrt braucht. Da ich so eng gequetscht sitze und nicht an mein Portmonee rankomme, verzichte ich. Die Gelegenheit kommt in den nächsten Wochen bestimmt wieder.
In Mbinga wird es wieder sehr chaotisch. Und mir graut es davor, dass mich niemand verstehen könnte. Das erste Mal überlege ich mir tatsächlich im Kopf eine Art Notfallplan. Völlig unnötig, wie sich später herausstellt. Aber ich sage euch, so ganz alleine in einem fremden Land, wo mich niemand versteht (weil in der Region kaum jemand Englisch spricht), da denkt man über sowas eben nach.
Die Tür in Mbinga geht auf, und die Menschen strömen aus dem Bus. Ich mittendrin, vollbepackt wie immer. Und schon nimmt jemand meine Tasche. „Litembo!? Litembo!“, herrlich, wie schnell sich rumspricht, wo ich hin muss. Ich versuche zu fragen, welches Transportmittel es wird. Auf ein DalaDala habe ich wenig Lust, weil es auch nach Regen aussieht. Doch der junge Mann (schätze so um die 20) bringt mich zu einem alten Toyota. Da sitzen allerdings schon acht Leute drin. Ich bin selbst überrascht, dass mein Gepäck noch reinpasst und ich am Ende Fahrgast Nummer 10 werde. Davon wollte ich ein Bild machen, komme aber nicht an mein Handy, weil mein Daypack auf mir liegt und mein Sitznachbar auch halb auf mir sitzt. Ich wusste nicht, dass die Fahrt noch eine Stunde lang wird. Im Nachhinein bin ich aber sehr froh, denn ich will möglichst nah an der Kultur der Menschen sein und das Land so erleben, wie es ist. Zumindest, bevor ich in den Touristenhochburgen sein werde.
Litembo Diocesan Hospital
Von Mbinga dauert die Fahrt noch eine gute Stunde. Aber nicht, weil es so weit ist, sondern weil die Straße nicht befestigt ist und der Regen sein Übriges tut. Die Wege sind sehr holprig, und es geht steil rauf und runter. Neben mir geht’s steil bergab. Ich vertraue einfach auf den Fahrer. Immerhin muss er neun Leute an ihr Ziel bringen – in einem Auto, in dem für uns Deutsche maximal fünf Personen rein gehen.
Landschaftlich ist es ein Traum: Litembo ist eine bergige Region. Ideal zum Wandern. In meinen freien Minuten werde ich die Gegend auf jeden Fall erkunden. Vorher checke ich ab, ob ich aufgrund der wilden Tiere eine Machete oder Ähnliches brauche.
An einem großen Tor hält der Wagen. „Mzungu! Mzungu! Litembo Hospital!“ (Weißer! Weißer!) ruft der Fahrer nach hinten, wo ich zwischen meinem Gepäck und den Mitreisenden ausharre. Mittlerweile ist mein Bein auch eingeschlafen, weil meine Sitzposition echt ungünstig ist.
Ich nehme mein Gepäck und laufe durch das Tor auf das Krankenhausgelände. Ein Sicherheitsmitarbeiter mustert mich. Da man hier öfter deutsche Famulanten zu Gast hat, winkt er mich durch: „Karibu!“ (Willkommen). Ich antworte: „Asante“ (Ich bin zu deinen Füßen – förmliche Antwort).
So recht weiß keiner, wo Raphael ist, der Geschäftsführer des Litembo Hospitals. Aber das ist kein Problem. Wir werden uns schon über den Weg laufen. Maria, seine Sekretärin, bringt mich zum „Doctors House“. Ein Stück neben der Klinik gelegen, ist es das Gästehaus mit einfach eingerichteten Zimmern, zwei Bädern, einer Küche und dem Gemeinschaftsraum. Auch hier stehen wir vor verschlossener Tür.
Maria klingelt wie wild, und die Tür öffnet sich. Ein junges Mädchen steht in der Tür: „Habari!“.
Robin ist eine Abiturientin aus Deutschland, die ein Jahr hier sein wird und über eine Organisation hier ist – als freiwillige Helferin. Sie zeigt mir das Nötigste, und wir quatschen ein wenig. So recht wissen wir beide nicht, wohin mit mir. Maria meinte, dass Raphael vorbeikommen will, wenn er zurück ist. Ich bin richtig froh, dass jemand Deutsch spricht, weil ich habe keine Ahnung, wie die Regeln hier sind, wann die Famulaturzeiten sind und und und… Später kommt Anna dazu, auch sie ist Abiturientin und mit Robin zusammen hier. Wir essen gemeinsam zu Mittag, das hier extra für uns gekocht wird. Bin sehr erleichtert, dass ich mich auf Anhieb mit den beiden verstehe. Die nächsten drei Wochen leben wir hier im „Doctors House“ mit vier Zahnärzt:innen, einem Schreiner und einem Elektriker zusammen. Alle sind hier freiwillig, um zu helfen, wo sie können, und alle sind aus Deutschland.
Ich habe den ganzen Abend nichts von Raphael gehört und beschließe, mir das Krankenhaus anzuschauen.
Weil ich aber Raphael nicht finde, geht’s zurück ins „Doctors House“. Ich ruhe mich aus und verbringe den Abend mit Anna und Robin. Morgen ist auch noch ein Tag.Read more
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- Day 4
- Thursday, October 17, 2024 at 9:00 AM
- ☁️ 17 °C
- Altitude: 1,624 m
TanzaniaLitembo10°58’36” S 34°49’32” E
Blutiger Einstieg
October 17, 2024 in Tanzania ⋅ ☁️ 17 °C
Raphael begrüßt mich im Hospital | Dr. Fred ist der Chefarzt und Allrounder im OP | Der Kleine Lewis kommt unters Messer | Avocados auf dem kleinen Markt
[alle beteiligten haben den Fotos zugestimmt]
Um 7:00 Uhr klingelt mein Wecker. Ich habe erstaunlich gut geschlafen. Das Bett, in dem ich aufwache, ist zwar ein wenig zu kurz, aber ich war von der Anreise so geschafft und habe mich gut erholt. Als ich meinen Wecker ausschalten will, fällt mir auf, dass ich in einem Netz schlafe. Also erstmal irgendwie aus diesem Netz raus. Daran gewöhnt man sich wohl schnell, heißt es. Serafina, unsere Haushälterin, Köchin und Seelenklempnerin bei Heimweh, hat schon viele von diesen Netzen repariert. Gerade die deutschen Männer seien unvorsichtig. Gut, dass ich nicht dazu gehöre. Das Netz bleibt ganz. Zumindest heute Morgen. Ab jetzt ist es, denke ich, abgespeichert.
Ich habe mich gestern Abend noch mit Raphael verabredet. Um 8 Uhr treffe ich ihn in seinem Büro. Das Diocesan Hospital in Litembo wird von ihm verwaltet. Mit vier Abteilungen (Surgery (Chirurgie), Maternity (Gyn/Entbindung), Internal Medicine (Innere), Children Ward (Kindermedizin)) hat er alle Hände voll zu tun. Hinzu kommt eine Ambulanz mit vier ambulanten Behandlungszimmern, ein Notaufnahmeraum sowie das Röntgen, das Labor und die Kantine. Aber es ist nicht so, wie wir uns das vorstellen. Es ist wirklich ganz einfach eingerichtet, und es fehlt am Nötigsten. Trotzdem hat das Krankenhaus einen exzellenten Ruf in dieser Region. Die Menschen kommen tagelang hierher gelaufen, um eine medizinische Behandlung zu bekommen. Sie warten dann manchmal noch bis zu einem Tag. Übernachten können sie nur auf einigen Bänken vor der Klinik. Wenigstens ist dieser Ort überdacht. In Decken gehüllt, reden sie miteinander, ich verstehe leider nichts, aber als ich vorbeilaufe, drehen sich alle nach mir um, winken mir zu und lächeln. „Karibu!“ Ich lächle zurück und winke. Ein schönes Gefühl, willkommen zu sein. Diese Freundlichkeit und offene Art zieht sich durch alle Begegnungen, die ich bisher hatte. Selbst als ich mit Mr. Jimmy auf dem Fischmarkt unterwegs war!
Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht pünktlich bei Raphael war, sondern zu früh. Kurz vor 8 ist Raphael noch nicht da. Ich setze mich auf die Holzbank und sehe einen Mann aus Dar es Salaam wieder. Er saß mit mir im Flugzeug. Unser kurzes Gespräch ist herzlich. Er erzählt, dass er für einen Freund Geld gebracht hat und für seine Behandlung bezahlen will. Eine andere Welt, denke ich, und werde in dem Moment von Raphael begrüßt.
Grundsätzlich muss ich erwähnen, dass die Hierarchien hier sehr flach sind. Raphael sitzt nicht in irgendeinem extra gebauten Gebäude und zählt Geld oder gibt strenge Anweisungen. Er hat ein ganz kleines Büro, das ordentlich eingerichtet ist. Ein PC, ein großer Schreibtisch und ein bequemer Sessel. Ich nehme Platz, und Raphael und ich sprechen über mich, was ich gerne sehen möchte und wie lange ich bleiben will. Da ich aktuell Hausarzt werden möchte und großes Interesse an der inneren Medizin habe, überlege ich, lieber andere Bereiche zu wählen, um doch mehr Einblicke zu bekommen. Ich entscheide mich daher, in der Chirurgie zu starten, anschließend Maternity und in der letzten Woche Innere. Raphael stimmt sofort zu und gibt mich in die Hände seiner Mitarbeiterin Anna. Sie zeigt mir das komplette Krankenhaus mit allen Abteilungen und dem Lager. Es wird nicht lange dauern, bis ich mich auskenne. Meinem kartografischen Gedächtnis sei Dank.
Die letzte Station, die Anna mir zeigt, ist der OP. Hier werde ich die ganze Woche sein. Sie übergibt mich an Dr. Fred. Und der fackelt nicht lange. Nach einem kurzen Kennenlernen geht es direkt los. Wir gehen zusammen in den OP-Raum, und Dr. Fred stellt mich vor als „Dr. Denis“. Als ich mich als Medical Student vorstelle, fällt er mir ins Wort: „Don’t say it. You’re gonna be a doctor. So you are Dr. Denis.“ (Sag das nicht. Du wirst Arzt, also bist du Dr. Denis). Ich glaube, diesen Satz würde ich in Deutschland so niemals hören. Dr. Fred ist Chefarzt der Chirurgie und ab jetzt mein Mentor.
Er operiert heute insgesamt acht Patienten, zweimal wird eine Prostata entfernt (mit bloßen Händen, offen chirurgisch und sehr martialisch). Überall ist Blut. Ich habe großen Respekt, dass Dr. Fred unter diesen Bedingungen immer noch sieht, was er tut (die detaillierte Story gibt’s unten nach der Triggerwarnung). Danach ein handballgroßer Tumor an der Bauchwand, danach wird’s orthopädisch. Zwei Brüche des Unterarms werden mit Platten versorgt und ein Oberschenkel muss ebenfalls zusammengeführt werden. Dr. Fred ist anscheinend der Allrounder, bzw. der einzige Chirurg, der sich an alles herantraut. Der nächste Patient hat einen nicht natürlichen Gang zwischen der Hautoberfläche am Po und dem Enddarm. Diese sogenannte Fistel wird eröffnet und tamponiert. Alle Patienten sind nicht intubiert, werden also nicht maschinell beatmet. Schmerzmittel werden in hoher Dosis verabreicht und dann erfolgt der erste Schnitt. Dann liegt der kleine Lewis auf dem Tisch, er ist gerade zwei Jahre alt und sein Hoden ist geschwollen. Da das Ultraschallgerät keine gute Auflösung hat und der Umgang damit nicht gut gelingt, vermuten die Ärzte eine Drehung. Später erzählen mir Anna und Robin (die freiwilligen Abiturientinnen aus Deutschland) zu Hause, dass die Nurse, die für das Ultraschall zuständig ist, nicht viel Erfahrung hat. Bei Lewis stellt sich dann heraus: Es sieht aus wie eine Entzündung des Nebenhodens. Ein Antibiotikum hätte gereicht, wenn die Diagnose im Ultraschall gestellt worden wäre. Bei Dr. Fred ist das eine Blickdiagnose, nachdem er alles aufgeschnitten hat. Dafür wird hier das Skalpell angesetzt. Für das Kleinkind mit Sicherheit traumatisch, auch wenn es recht weggedämmert scheint. Die Versorgung und Betreuung im OP ist ziemlich einfach gehalten. Die meisten Operationen am unteren Körperabschnitt erfolgen nach einer Injektion mit Schmerzmittel in den Wirbelkanal. In Deutschland kennt man das vor allem bei Kaiserschnitten als PDA. Hier ist es deswegen so gut, sagt Dr. Fred, weil eine Beatmung schwer über lange Zeit aufrechtzuerhalten ist. Ein Tubus (der Teil, der bei der Beatmung bis in die Lunge eingeführt wird) ist teuer. Geld, das die Menschen hier nicht haben, denn jede OP muss in bar bezahlt werden, bevor man aufgenommen wird. Weiter unten beschreibe ich die OP an der Prostata etwas genauer.
Ab in den zweiten OP-Raum… aber vorher lädt Dr. Fred mich auf Chapati und Tee ein. Solche Chefärzte brauchen wir in Deutschland.
Um 15:30 Uhr ist Feierabend. Anna und Robin zeigen mir heute die Umgebung des Krankenhauses, damit ich weiß, wo ich einkaufen kann und wo es sogar Milch an manchen Tagen zu kaufen gibt. Generell wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Vor dem Krankenhaus gibt es ein paar Verkaufsstände. Wir laufen zusammen dorthin und gucken, was es heute gibt. Drei Avocados liegen neben Tomaten, Zuckerrohr und Mangos. Da Avocados eine echte Seltenheit sind, nehmen wir diese mit. Perfekt zum selbstgebackenen Brot von Serafina zum Frühstück. Auch Milch wollten wir holen, allerdings gibt es bei den Ordensschwestern heute keine Milch. Erst morgen können wir etwas Milch bekommen. Wir laufen ein Stück durch Litembo. Überall spielen Kinder auf der Straße. Leider vor allem mit Müll. Hier liegt überall Plastikmüll. Als wäre das selbstverständlich, wird darin alles gesucht, was sich zum Spielen eignet. Dieser Anblick macht mich traurig. Diese Momente habe ich immer wieder. Sicherlich noch ein Teil des Kulturschocks. Man denkt automatisch an die eigene Kindheit. In welchem Luxus wir aufgewachsen sind. Jeden Tag dreimal warmes Essen und massenhaft Kinderspielzeug. Fairtrade ohne Weichmacher und so weiter. Aber es fällt auch auf, dass die Kids hier erfinderisch werden. Sie basteln mit dem Müll oder tauschen Dinge, die sie gefunden haben. Sobald wir als Weiße entdeckt werden, laufen sie auf uns zu und rufen uns gleichzeitig Begrüßungen entgegen. Da geht mir das Herz auf, und wir nehmen uns die Zeit, ein wenig mit ihnen rumzualbern. Nachdem ich heute den kleinen Lewis auf dem OP-Tisch gesehen habe, ist es eine willkommene Abwechslung, gesunde Kinder zu sehen. Die Art und Weise, wie hier operiert wird, ist wirklich nichts für schwache Nerven. Aber es hilft den Menschen!
Der erste Tag hat mich richtig nachdenklich gemacht. Dr. Fred hat abschließend angedeutet, dass er sich auf den morgigen Tag freut und sagt, ich solle morgen sterile Handschuhe anziehen, wenn ich um 8 Uhr da bin. Geplant ist eine Operation bei einer Frau. Ihr Termin steht quasi seit 9 Monaten fest. ☺️
Triggerwarnung: Wenn ihr medizinisch nicht interessiert seid oder detaillierte Beschreibungen der Operationen, die ich gesehen habe nicht lesen könnt/wollt solltet ihr hier stoppen. Ich beschreibe hier jetzt die Prostatektomie. Die Entfernung einer Prostata, die so sehr vergrößert ist, dass der Patient kein Wasser mehr lassen kann.
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Die erste OP an diesem Tag ist die Prostatektomie. Ich habe diese OP in Deutschland in meinem Praxisblock bereits öfter gesehen. Ich hatte keine Vorahnung was dann passiert. Dr.Fred fragt Christopher ob er die Medikamente verabreicht hat. Der Pfleger, der für die Anästhesie zuständig ist nickt und gibt das Go. Ich schau mir den Patienten an. Der lächelt mir zu und deutet ein nicken an. Jetzt bin ich sprachlos. Dr.Fred nimmt eine Klemme und testet das Gefühl des Patienten auf der Bauchdecke. Keine Regung. Schmerzen hat der Patient also keine. Das Skalpell bohrt sich in die Haut ein Stück über dem Schambein. Gekonnt schlitzt der Chirurg die Haut bis zum Unterhautfettgewebe auf und stoppt unter dem Bauchnabel. Jetzt wird wie üblich gerissen, Faszien, Muskeln, einfach alles was im Weg ist. Als die Blase in Erscheinung tritt wird mit einer spitzen Klemme ein Loch in die Blase gedrückt. Ich schrecke zusammen. Zum Glück hat das keiner gesehen. Mein Mundschutz verdeckt mein Gesicht, aber meine Augen glauben nicht was sie sehen. Urin tritt aus dem Loch. Die Bauchhole füllt sich. Dr.Pete, der Assistent, ist ein Student aus Dar. Er nimmt entspannt den Sauger und saugt das Gemisch aus Blut und Urin. Die Blutung wird mit massenhaft Klemmen erstmal notdürftig gestillt. Ein Problem für später. Mit seinen sterilen Handschuhen zerrt Dr.Fred an dem Loch in der Blasenwand. Jetzt macht er es größer. Das knirschen des Gewebes lässt Erinnerung an den Situs Präpkurs aufleben. Ein unvergleichliches Geräusch; so ähnlich als würde man ein Stück Stoff reißen. Als zwei Finger hindurch in die Blase passen, fängt er mit einem kräftezehrenden Blick an in Richtung der Prostata zu wühlen. Er muss so viel Kraft in Richtung Beckenboden aufwenden, dass der Patient fragt was er da tue. Zwei Minuten später zieht er die Prostata in zwei Teilen aus dem Loch dass er in die Blase gerissen hat. Der blutige Klumpen fällt auf den einzigen Tisch der am OP-Feld steht. Mir fällt die Mundlade runter. Ich frage sofort, ob das wirklich die Prostata des Patienten ist. Dr.Fred lacht und sagt auf Englisch: „Ich weiß in Deutschland macht ihr das anders. Aber wir haben hier und diese Möglichkeit.“. Ich will mir garnicht vorstellen was genau alles gerade im Körper des Patienten kaputt gegangen ist. Jetzt folgt allerdings die Kür. Mit einem Metallstab gehts durch die Harnröhre bist zur Blase. Vorderbein sagt Dr.Fred, sonst passt der Blasenkatheter nicht. Es gibt nur die großen aktuell. Dann wird der geblockt. Ein zweiter Blasenkatheter wird über die Bauchdecke in ein (zusätzliches!!!!) Loch in die Blase gebracht. Das wird mal der Spülkatheter. Als alles geblockt ist kommt die Naht. Die Blase wird genäht und auf Dichtigkeit überprüft. Dafür gibt der Chirurg zwei volle Blasenspritzen von NaCl in den Spühlkatheter. Kein Urin tritt aus. Perfekt. Jetzt nur noch zwei Nähte um die Bauchmuskeln zumindest wieder in die Nähe zu bringen. Noch eine durchgehende Naht des Unterhautfettgewebes.
Die Hautnaht ist eine durchgehende einfache Naht, die wirklich nicht schön ist. Aber dafür reicht der Faden und die Wunde ist zu. Der Patient wird umgelagert. Auf zur nächsten OP im Nebenraum.Read more
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- Day 5
- Friday, October 18, 2024 at 8:00 AM
- ⛅ 16 °C
- Altitude: 1,948 m
TanzaniaLangiro10°59’33” S 34°49’26” E
Neues Leben in Litembo
October 18, 2024 in Tanzania ⋅ ⛅ 16 °C
Assistenz beim Kaiserschnitt | Auf Wanderung mit Timothy | Begrüßung mit der Machete
Ich treffe Timothy noch vor der Klinik. Alle haben gute Laune. Heute steht ein Kaiserschnitt auf dem OP-Plan. Eine 40-jährige Frau ist hochschwanger und für heute ausgezählt. Ich ziehe mich zusammen mit Timothy um. Leider gibt es keine passenden OP-Schuhe mehr für mich. Da muss ich wohl durch und steige in die einzig verbliebenen Schuhe – mit Größe 46,5 in 42. Schon in der ersten Minute tun mir die Zehen und die Ferse weh. Da Timothy aber mehrfach erwähnt hat, dass es wirklich blutig wird, lasse ich meine weißen Nike nicht an. Der OP-Saal ist um 8:00 frisch gewischt und vorbereitet. Die Patientin wird abgerufen und alle warten. Zwei junge Gynäkologen sind dabei – ein Facharzt und ein Assistenzarzt. An Timothys Stelle bin ich als 2. Assistenz eingeplant.
Als die Patientin eintrifft, möchte ich mich einwachsen, finde jedoch keine Seife. Dann kommt Timothy und erklärt mir, wie es hier läuft: Hände unter fließendem Wasser bis zu den Ellbogen, dann kippt Stephano, ein OP-Pfleger, Desinfektionsmittel über die Hände und Unterarme. Ich versuche, so gewissenhaft wie möglich, alle Stellen meiner Haut zu benetzen. Besser als nichts, denke ich. Die sterilen Handschuhe werden doppelt angezogen, weil ein paar zu dünn sind. Sie sind mit einem Pulver beschichtet. Ich habe sterile Handschuhe aus Deutschland dabei, für meine Pranken sind die hier vor Ort jedoch zu klein. Es gibt aber nur diese eine Größe. Ich ziehe meine eigenen an.
Jetzt wird die Patientin vorbereitet. Stephano setzt gekonnt die Spritze in den Wirbelkanal der Patientin auf Höhe des Beckenkamms. Als Pfleger ist es seine Aufgabe, die lange Nadel zwischen den Wirbelkörpern der Lendenwirbelsäule durchzustechen und das Anästhetikum zu spritzen. Die Ärzte bereiten ihr Besteck vor. Aus einer Kiste, in der alle möglichen Instrumente liegen, suchen sie ein Teil nach dem anderen. Steril kann das alles nicht sein. Timothy erzählt mir, dass er mir später zeigt, wie die Instrumente gereinigt werden. Ich kann mir aber schon denken, dass es nicht der Standard ist, den ich kenne.
In der Zwischenzeit spürt die Patientin vom Abdomen abwärts nichts mehr. Ein kurzer Check des Arztes mit der Klemme bestätigt das. Das OP-Feld wird mit Tüchern abgedeckt und jede Menge Jod zur Desinfektion verwendet.
Dann geht alles schnell. Ich reiche das Skalpell rüber, der Gynäkologe setzt zum Schnitt an – vom Schambein hoch zum Bauchnabel. Interessante Interpretation eines Kaiserschnitts, denke ich noch. Dann zwei kleine Inzisionen in die Gebärmutter. Jetzt wird die Gebärmutter aufgerissen. Die beiden Operateure weisen mich an, an welchen Stellen ich ziehen und reißen soll. Zu dritt ist das Loch schnell groß genug. Ein kurzer Stich in die Fruchtblase. Dann wird das Kind herausgehoben. Die Hebamme steht bereit. Der Gynäkologe legt mir das Baby in die Hand und klemmt danach die Nabelschnur ab. Der zweite Assistent durchtrennt sie und macht sich mit der Klemme daran, die Plazenta herauszuziehen. Wie eine Spaghetti rollt er die Nabelschnur um die Klemme und zieht behutsam, aber mit Kraft. Das Kind wird von der Hebamme entgegengenommen und zur Untersuchung in den Nebenraum gebracht.
Viel Fruchtwasser, gemischt mit Blut, läuft den OP-Tisch herunter. Gut, dass wir unter den Stoffkitteln weiße lange Metzgerschürzen tragen. So bleibt zumindest der Kasak und die Hose trocken.
Auch wenn klar ist, in welche Welt und vor allem in welche Verhältnisse dieses Kind geboren wird, freuen sich alle im Raum. Timothy sitzt am PC und fragt, welche Musik in Deutschland sehr populär ist. „Deutsche Musik, was junge Leute hören“. Ich verzichte auf Helene Fischer oder Ähnliches. Apache 207. Ich buchstabiere und aus den Boxen des kleinen PCs läuft im gesamten Raum „Roller“. Ich muss lachen. Als aber alle mit den Köpfen wippen, weiß ich, dass es ihnen gefällt. Da kommt man in Tansania auf die Welt, das erste, was man sieht, ist Denis, und dann ertönt auch noch „Roller“ von Apache. Wenn das Kind nicht Manfred heißen wird, dann weiß ich auch nicht…
Timothy und ich haben nach dem Kaiserschnitt schon Feierabend. Wir verabreden uns, um den Hausberg in Litembo hochzuwandern. Die Wanderung durch die Bergsiedlungen dauert ca. 1 Stunde. Auf dem Weg begegnen uns immer wieder Kinder, die winken und lachen. Nach einer halben Stunde ist klar, dass wir uns ein wenig verlaufen haben. Uns kommt ein Mann entgegen. Klein und barfuß läuft er mit einer Machete in der Hand den Weg hinunter. „Mambo!“ (was geht – Anrede an junge Leute). „Safi!“, antworten wir. Timothy fragt, wo wir wohl lang müssten. Ab hier begleitet uns der freundliche Mann mit der Machete. Magnus heißt er. Übrigens wundere ich mich immer wieder über die Vornamen hier. Allerdings, mit der Kolonialgeschichte und der Tatsache, dass Tansania immer noch im Commonwealth of Nations ist, relativiert es sich ein wenig. Es sind die kleinen Felder von Magnus, durch die wir gehen. Er baut Kartoffeln und Tomaten für den Eigenbedarf an. Kaffee und Bananen verkauft er. Auch Getreide baut er an. Seine Frau und Tochter sehen wir auch auf dem Weg nach oben. Sie säubern das Getreide und bereiten es für das Mahlen vor. Um sie herum alle Kinder, auch die der Nachbarn. Ich schaue mir an, wie sie das machen. Schwer vorzustellen, wie sie hier leben. Kein fließendes Wasser. Auch für die Pflanzen muss der Brunnen genug Wasser fördern, was zum Glück in dieser Gegend der Fall ist. Den Kindern gefällt die Handykamera so sehr, dass sie immer wieder darum bitten, sich selbst zu sehen, übersetzt Timothy. Ich krame ein paar Werthers Original aus der Tasche und verteile sie unter den Kindern. Ihnen schmecken die Süßigkeiten aus Deutschland und wir haben sichtlich Spaß beim Selfie-Schießen.
Nach einiger Zeit erreichen wir den Gipfel und ich bringe Timothy bei, die Drohne zu steuern. Er ist so stolz, dass er seine Familie per Videocall anruft und ihnen stolz die fliegende Drohne zeigt. Ich verspreche ihm, die nächsten Tage nochmal mit ihm und der Drohne loszuziehen.
Jeder Tag ist sehr besonders. Für morgen werde ich zum Fußballgucken eingeladen. Es ist Derby in Dar es Salaam. Auch wenn ich absolut kein Fußballfan bin, lasse ich mir die Gelegenheit nicht entgehen.Read more
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- Day 6
- Saturday, October 19, 2024 at 10:00 AM
- ☀️ 21 °C
- Altitude: 1,642 m
TanzaniaLitembo10°58’43” S 34°49’36” E
Um Gottes Willen!
October 19, 2024 in Tanzania ⋅ ☀️ 21 °C
200 Firmungen in 4 Stunden | Derby in der Tansanischen Premier League | Frauenrechte
Es ist Samstag. Für die Volunteers und Famulanten ist Wochenende. Wir schlafen also ein wenig aus und frühstücken gemeinsam. Da wir gestern Avocados ergattert haben, schmeckt das Frühstück heute besonders gut. Frisches, selbstgebackenes Brot von Serafina, unserer Haushälterin im DoctorsHouse, und Eier aus dem Dorf. Wir sind um 10 zum Gottesdienst eingeladen. Ich war ehrlich gesagt ewig nicht mehr in einem katholischen Gottesdienst. Ich kenne weder die Abläufe noch die Rituale, aber da ein ganz besonderer Gottesdienst ansteht, freue ich mich, das zu sehen. Wir ziehen uns alle das schönste Hemd aus unserem Gepäck an. Bunt muss es sein. Ein Glück, dass ich vor meiner Abreise noch ein Hemd in Stuttgart gekauft habe, das sehr gut in die Farbenvielfalt der Menschen hier passt. Je bunter, desto besser. An wichtigen Tagen tragen die Menschen hier helle Farben. Knallbunt oder einfarbig, aber auffällig. Hauptsache besonders. Der Bischof der Region hat sich angekündigt. Er wird heute die Firmung von 200 (zweihundert!) Kindern durchführen. Da Litembo sehr ländlich und abgelegen liegt, ist das eine sehr große Ehre für die Kinder und vor allem für die Familien.
Als wir in die Kirche wollen, ist sie schon voll. Aber Pole Pole! Es findet sich schon noch ein Platz für Gäste. Viele stehen vor der Tür und versuchen, einen Blick hinein zu ergattern. Mitarbeiter der Gemeinde laufen ins Gemeindehaus nebenan und holen Holzbänke. Sie tragen diese in die Kirche und stellen sie überall hin, wo noch Platz ist. Bei 200 Firmlingen wird es echt eng. Aber alle haben gute Laune. Die Stimmung ist ausgelassen, und selbst ganz hinten, wo wir dann doch Platz finden, hört man und sieht man alles gut. Dann fängt der Chor an zu singen. Himmlisch! Ein älterer Herr bläst immer wieder in eine Art Vuvuzela, während der Chor hin und her tanzt und singt. Das Geräusch erinnert an ein Schiffshorn. Immer wieder rufen Frauen Freudenrufe in den Gesang hinein („Aijajaajajaja“). Ich traue mich erst nicht, Bilder und Videos zu machen, weil ich Respekt zeigen will. Doch als immer mehr Menschen Bilder machen, hole ich meine Kamera und auch mein Handy raus. Ein Mitarbeiter packt mich am Arm, führt mich nach vorne zum Chor und deutet auf mich und meine Kamera. Ich verstehe und fange an zu filmen und mitzuschunkeln. Dann, als ich neben dem Chor nach vorne fotografiere, hakt sich eine Dame des Chors während sie singt bei mir ein. Wir schunkeln zum Rhythmus. Bin ich jetzt eigentlich Teil eines Gospelchors? Ich sage mal ja! Wenn auch nur für einige Minuten. Es macht richtig Spaß. Christian (der Elektriker aus Deutschland) hilft beim Gottesdienst vorne dem Bischof. Er erzählt mir später, dass es eine besondere Ehre sei, vom Bischof gefirmt zu werden. Auch die Lieder und die Stimmung sind zwar ausgelassener als sonst, aber der Chor ist bei jedem Gottesdienst dort, und getanzt wird eigentlich zu jedem Lied. So vergeht Stunde um Stunde. Insgesamt geht die komplette Zeremonie 4 Stunden. Kurz vor dem Ende holen die Mütter und Freunde der Kinder plötzlich Halsketten in allen möglichen Formen und Farben heraus. Sie erinnern an Hawaiiketten. Die Menschen bahnen sich ihren Weg zu den Firmlingen, schreien Rufe aus und singen dabei und werfen die Ketten den Firmlingen um den Hals. Währenddessen spricht der Bischof durch das Mikrofon den Segen. Jetzt stehen alle auf und fangen an zu tanzen. Die Masse bahnt sich ihren Weg raus, und wir mitten drin. Auch wir fangen an zu tanzen. Draußen warten junge Männer mit Trommeln, einer klopft mit einem Stück Metall auf einer Hacke und der nächste hat selbstgebaute Rasseln in der Hand. Was für ein Fest! Niemand stört sich daran, dass wir aus Europa nicht hierher passen. Im Gegenteil, ständig packen die Menschen einen und fordern zum Tanzen auf. Der Wahnsinn!
Gott sei Dank habe ich mir das angeschaut! Die Feiern werden noch die ganze Nacht anhalten, allerdings in privaten Kreisen. Bei der aufkommenden Hitze draußen bleiben wir noch eine Weile, entscheiden uns dann aber nach und nach zu gehen.
Ich bin noch mit den Leuten aus dem OP zum Fußballschauen verabredet. Vorher sorge ich für Getränke, denn mit leeren Händen sollte man auf keine Party gehen…
Pünktlich um 17 Uhr kommen Anna, Robin und ich am Hostel des Dorfes an. Hier steht eine riesige Akazie, deren riesige Äste über den ganzen Hof wachsen. Am Baumstamm eine Art selbstgebaute Theke. In drei Richtungen hängen Bildschirme. Einige der jungen Männer sind schon gut angetrunken. Sie freuen sich umso mehr über das Bier, das wir mitbringen.
Es sind nur Männer hier. Generell ist es so, dass Frauen hier immer den Männern folgen. Wenn man Frauen zur Tür vorlässt, wie es mir in Deutschland beigebracht wurde, dann kann man lange warten. Die Frauen hier gehen nicht vor den Männern hinein und lassen sich von ihnen auch nicht die Tür aufhalten. Man bekommt nicht nur eine Ahnung davon, wie es um die Gleichberechtigung steht, man erlebt die Unterdrückung der Frauen eigentlich in jeder Situation. Vielleicht lässt es sich kurz, aber drastisch zusammenfassen: Die Frau steht auf dem Feld in der prallen Sonne; in der einen Hand ein Kleinkind, das Baby auf dem Rücken gebunden. Die freie Hand ist für die Harke oder Schaufel da. Der Mann hat alles im Blick, während er im Schatten unter einem Baum lehnt.
Es sind rund 40 Menschen. Ein Topspiel der Liga steht auf dem Programm: der Simba SC gegen Young Africans. Die beiden erfolgreichsten Teams der Ligageschichte. Anna und Robin sind Simba-Fans. Ich lege mich nicht fest. Dazu ist mir der Fußball generell zu egal. Aber die Stimmung ist fantastisch. Das Spiel läuft seit einer Minute und alle hier sind die besten Kommentatoren. Ständig rufen sie etwas in Richtung Bildschirm, dann diskutieren Simba-Fans mit Younga-Fans. Es ist herrlich. Es ist der Fußball, der die Leute hier zusammenbringt. Das muss auch ich als Fußball-Banause einsehen. Aber es ist anders als der europäische Fußball. Der Platz, auf dem gespielt wird, ist komplett geflutet, weil es kurz vorher geregnet hat. Der Ball bleibt immer mal in kleinen Pfützen stehen. Das sieht schon seltsam aus im TV. Auch wenn die Spieler dribbeln oder grätschen. Der Rasen leidet. Der Ball hoppelt über den Platz. Einfach zu viele Löcher und Unebenheiten. Lange passiert nichts, aber das Bier schmeckt! Dann passiert das 0:1 für Younga! Die Leute rasten total aus. Bier wird auf den Boden gegossen und darauf getanzt. Der Spielstand bleibt bis zum Schluss. Timothy, den ich dort auch wieder treffe, erzählt mir, dass alle älteren (dazu gehöre ich auch, sagt er). Simba-Fans sind und die jungen Leute Younga-Fans. Timothy ist Younga-Fan. Wir verbringen noch eine Stunde, mir werden viele Leute vorgestellt, aber ich kann mir eh nicht alle Namen merken. Nach diesem Tag kennen mich zumindest alle in dem Dorf. Ein grandioser Abend. Und auch hier nennen sie mich dank Timothy nur noch „Dr. Denis“, wenn die wüssten, wie weit ich davon noch entfernt bin…Read more
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- Day 7
- Sunday, October 20, 2024 at 10:00 AM
- ☀️ 22 °C
- Altitude: 1,948 m
TanzaniaLangiro10°59’33” S 34°49’26” E
Ein geschenktes Huhn, lebt nicht lang
October 20, 2024 in Tanzania ⋅ ☀️ 22 °C
Unser erstes eigenes Huhn | Passionfruit und Mangosaison gestartet | Auf Abwegen in den Bergen
Sonntags ist noch mehr Pole Pole (langsam, langsam) angesagt als sonst. Da ich hier in einer sehr christlich geprägten Region bin, gehen fast alle Menschen sonntags zum Gottesdienst. In dieser Zeit sind auch die kleinen Läden und Stände geschlossen. Erst wenn die Massen aus den kleinen Kirchen strömen, nimmt das geschäftige Leben hier seinen Lauf. Gleich mehrere Gottesdienste finden nacheinander statt. Der erste ist kurz, ca. 45 Minuten. Hier gehen vor allem die Berufstätigen hin, um danach wieder an die Arbeit zu gehen. Auch Frauen mit Kindern gehen in den kurzen Gottesdienst, damit die Kinder nicht zu lange ausharren müssen. Ich selber gehe nicht in den Gottesdienst und schlafe lieber länger aus. An diesem Sonntag nehme ich mir nichts vor, weil ich die vielen Eindrücke wirken lassen möchte. Die letzte Woche war ein absolutes Abenteuer: die Anreise, der Tag in Dar mit dem Fischmarkt, die Fahrt bis nach Litembo, die ersten Operationen und die Massen-Firmung. Wenn ich jeden Tag so viel erlebe, bleibt keine Zeit, dies zu verarbeiten.
Das Leben hier ist so entschleunigt und entspannt. Ein richtig gutes Gefühl. Auf einem der Bilder seht ihr meine aktuellen Mitbewohner. Anna fehlt auf dem Bild. Sie ist auf der Kinderstation eingesetzt. Heute ist sie noch einmal in die Klinik, um sich von einem kleinen Mädchen zu verabschieden. Die Ärzte können nichts mehr für sie tun. Da Anna das kleine Mädchen lange betreut hat, ist es ihr ein Anliegen. Christian, der Elektriker (im Bild vor mir), kommt jedes Jahr seit 2000. Zwischen drei und vier Wochen repariert er ehrenamtlich alles an Elektrik, was anfällt. Dafür nutzt er seinen Jahresurlaub. Hut ab.
Ludwig (im Bild hinter mir) begleitet Christian und ist das erste Mal dabei, so wie ich.
Christian hat die Bildungspatenschaft für einen jungen Mann vor einigen Jahren übernommen. Er bezahlt ihm die Schulkosten, damit er einen IT-Abschluss machen kann. Heute kommt Bonifats zu Besuch, um sich bei Christian zu bedanken. Stolz zeigt er uns seine Zeugnisse. Alles 1 und 2. Bonifats ist 3 Stunden mit dem DalaDala (Beifahrer auf dem Motorrad) bis nach Litembo gekommen. Unter dem Arm ein Huhn. Er übergibt uns das Huhn stolz und erwartet ein Bild von dem Essen, wenn es fertig ist. Ein Geschenk hier abzulehnen gilt als Beleidigung. Also nehmen wir das Huhn bei uns auf. Serafina lacht herzlich, als wir sie bitten, das Huhn mitzunehmen und schlachten zu lassen. Ich biete an, das selber zu tun. Bei Roger in Mönchengladbach habe ich mir Fachwissen angeeignet und Praxiserfahrung gesammelt. Allerdings war es dort ein krankes Huhn, das erlöst werden musste. Die Mädels widersprechen lautstark bei meiner Idee, es im Bad ausbluten zu lassen. Serafina findet die Idee sehr gut. Sie lädt mich ein, ihr morgen zu helfen. Falls ich es schaffe, werde ich ihr auf jeden Fall helfen!
Zum Mittag gibt’s aber erstmal Rind, Reis und eine Art grünen Kohl. Wir stellen den Esstisch gemeinsam raus und genießen den Blick auf die Berge. Andere zahlen eine Menge Geld dafür. Uns geht’s richtig gut. Ich bin froh, dass wir uns hier so gut verstehen. Alle fühlen sich wohl.
Kurz nach dem Mittagessen kommt eine weitere Gruppe Freiwilliger dazu. Sie bleiben eine Woche. Eine Internistin, eine OP-Schwester, ein Techniker und ein Arzt im Ruhestand. Sie kümmern sich in der Woche um die Außenstationen des Krankenhauses. In den Bergdörfern gibt es einzelne Ordensschwestern, die ganz einfache medizinische Hilfe leisten. Die wenigen elektrischen Diagnosegeräte und die Räumlichkeiten werden von der Gruppe auf Vordermann gebracht, repariert oder ersetzt.
Nach dem Essen muss ich mich bewegen. Spontan entscheide ich, auf einen der Berge zu wandern. Die Natur hier ist wundervoll, und die Strecke erstreckt sich über Kilometer durch Bananen- und Kaffeeplantagen. Zwischen den Pflanzen sind immer wieder Hühner oder kleine Ferkel zu sehen. Ziegen grasen an den kleinen Häusern der Bauern das wenige Gras, das zwischen den Backsteinen nach den Regentagen sprießt. Rund 3 Stunden wandere ich rauf und runter. Immer wieder begegne ich kleinen Kindern, deren Augen riesig werden bei meinem Anblick. Weiße Haut ist hier in den Bergen dann doch selten. Aber ich lächle und winke, und schon laufen sie auf mich zu und rufen aufgeregt Dinge durcheinander. Ich vermute, es sind Begrüßungen oder Ähnliches. Jedenfalls hört es sich freundlich und aufgeweckt an. Alle lächeln. Das ist auf der ganzen Welt zu verstehen.
In der Nähe des Gipfels bin ich nur noch allein unterwegs. Keine Bäume, keine Häuser. Als ich über die Steine steige, sehe ich immer wieder Löcher im Boden. Angeblich gibt es hier die ein oder andere Schlange. Die giftige ist grün, meinte Christian. Ich hoffe, dass mir keine begegnet, vor allem weil ich hier allein bin. Aber das Glück ist mit den Dummen, und so komme ich auch wieder ohne Überraschungen im DoctorsHouse an.
Als ich zurück bin, gibt’s schon wieder Abendessen. Und weil ich Lust auf einen Nachtisch habe, rühre ich anschließend noch einen Teig an. Am Vormittag habe ich mich nach Milch und Mehl in den kleinen Örtchen durchgefragt – auf Kiswahili. Hat auch erstaunlich sensationell geklappt. 5 kg Mehl für 10.000 TSH (3 Euro), 1 Liter Milch für 2.000 TSH (unter 1 Euro).
Es gibt also Blinchiki, eine Art russische Crêpes. Damit habe ich den Respekt im Haus vollends ergattert. Ein Famulant, der auch mal kocht. Das haben sie hier noch nicht erlebt. Der Deal ist dabei, dass Anna und Robin in der nächsten Woche Zimtschnecken backen.
Für heute Abend nehme ich mir dann noch Zeit, ein wenig meine Gedanken zu sortieren … Gute Nacht ☺️Read more
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- Day 8
- Monday, October 21, 2024 at 3:30 PM
- ⛅ 25 °C
- Altitude: 1,569 m
TanzaniaLitembo10°58’48” S 34°50’1” E
Wo Wasser, da Strom
October 21, 2024 in Tanzania ⋅ ⛅ 25 °C
Keine geplante OP | Besuch in der Radiologie | Blick hinter die Kulissen des Wasserkraftwerk
Wie jeden Morgen kämpfe ich mich aus meiner Moskitonetz-Zelle. Damit ich nicht mit etlichen Stichen aufwache, ist es wichtig, das Netz unter die Matratze zu stecken. Und weil der Mensch in seinen Genen neben der Augenfarbe, der Ohrform und dem einzigartigen Pheromongeruch auch die Faulheit fest verankert hat, ziehe ich es morgens nur an der Seite raus, an der ich aus dem Bett steige. Viel Platz ist dann nicht, aber ich quetsche mich mit meinem Körper so elegant durch die Lücke, dass das Netz ganz bleibt, obwohl es sich ein wenig spannt. Dabei habe ich immer Angst, doch mal ein Loch ins Netz zu reißen.
Nach dem wunderbaren Frühstück mit herrlichen Avocados und frisch gebackenem Brot geht es mit Anna und Robin in die Klinik.
Montags beginnt die Woche mit der Frühbesprechung. Die Fälle vom Wochenende werden von den Interns (Assistenzärzten) den Oberärzten vorgestellt. Dabei wird klar: Die Interns sind am Wochenende auf sich allein gestellt. Die Oberärzte fragen abwechselnd, warum welche Behandlung durchgeführt wurde. Neben mir als Famulant und den Volunteers sitzen einige Krankenpflegerinnen dabei. Mir tun die Assistenzärzte ein wenig leid. Sie werden regelrecht geprüft und sogar abgefragt zu den Themen, die ihre Behandlung der Patienten vom Wochenende betreffen. Da alles auf Englisch passiert, kann ich gut folgen und lerne auch jede Menge dazu – beginnend mit den Chirurgen, über die Gynäkologie und Innere Medizin bis hin zur Kindermedizin. Nach ca. 2 Stunden sind die Interns durch die wöchentliche Hölle durch. Jetzt erstmal Frühstück und Kaffee. Ich mache mich auf den Weg in den OP.
Als ich den OP betrete, kommt mir Timothy mit gut gelaunter Miene entgegen: „Dr. Denis! Habari! No operation for today on the schedule.“
„Nzuri! Habari!“, antworte ich. Dann wechsle ich ins Englische. Mehr Kiswahili ist noch nicht drin. Keine geplanten OPs also. Timothy wird mich anrufen, falls ein Notfall reinkommt. Ich muss schmunzeln. Fühlt sich ein bisschen an wie Hintergrunddienst.
Weil ich aber voller Tatendrang bin, mache ich mich auf den Weg zum Röntgen. Es liegt am anderen Ende des kleinen Geländes. Die Mädels haben mir erzählt, dass das Gerät sehr neu aussieht. Ich will mir selber ein Bild machen. Über einem kleinen Eingang steht groß und unübersehbar „X-RAY“. Ich gehe durch den Türbogen und werde herzlich begrüßt: „Karibu, Dr. Denis“. Ich kann und will mich nicht daran gewöhnen. Ich bin (noch) kein Arzt und auch kein Dr.. Ich fürchte, für die Zeit hier muss ich damit leben, Dr. Denis zu sein. Der MTR, der hier zuständig ist, zeigt mir stolz die Anlage. Tatsächlich ein schönes neues Röntgen, digital. Hervorragend für dieses kleine Krankenhaus. Auch einen Radiologen gibt es hier. Ihn treffe ich leider nicht an. Röntgenaufnahmen sind nicht angemeldet, sodass ich ein wenig Smalltalk mache und dann in Richtung Doctors House zurückgehe.
Zum Mittag wartet ein ganz besonderer Gaumenschmaus. Unser Huhn, das wir gestern geschenkt bekommen haben, liegt in dem Topf in der Küche. Es riecht nach Backhähnchen. Serafina hat es für uns ausgenommen und gebraten. Wirklich wunderbar!
Wir beschließen, eine kleine Wanderung zu machen und laufen in die nächste Siedlung. Es geht vom Krankenhaus steil den Berg hinunter. Immer wieder hupen hinter uns PikiPiki‘s (Motorräder), die Menschen vom Krankenhaus wegfahren. Meistens sitzen insgesamt drei Leute auf diesen Motorrädern. Junge Männer am Steuer. Alle ohne Helm. Der Staub hinter ihnen wirbelt auf, und ein leichter Geruch nach Abgasen steigt in die Nase. In der Siedlung angekommen, begrüßen uns immer wieder die vielen Kinder, die erst sehr ängstlich und schüchtern sind. Nachdem wir sie grüßen und anfangen zu lächeln, winken alle aufgeregt zurück und laufen auf uns zu. Sie geben uns die Hand oder nehmen uns am Arm. Es ist schon verrückt, aber diese Kinder sehen weiße Menschen sonst nur im Fernseher in der Dorfkneipe (es ist oftmals ein leerer Raum mit einem Fernseher, auf dem Fußball läuft, und aus zwei Boxen Musik kommt) oder es ist das erste Mal.
In der Siedlung, die Mgombe heißt, schlendern wir durch die Gassen. Die Häuser sind sehr einfach, und man kann in ihnen gerade so stehen. Die Lehmsteine sind selbstgebrannt und einfach aufeinander gestellt. Ein wenig Putz oder ähnliches verbindet die Steine, sodass alles stabil ist. Auf den Dächern liegen entweder Wellbleche oder Folien, auf denen Äste gelegt sind. Eine Region, die von der Landwirtschaft lebt.
In einigen der Häuser verkaufen die Menschen Stoffe, Werkzeuge, Öl und alle möglichen Ersatzteile für Motorräder.
Ich gehe zu einem der kleinen Läden und kaufe für uns alle Mandazi – eine Art Krapfen. Nur viel besser! Eine kleine Stärkung, um noch bis zum Abendessen durchzuhalten.
Wenn die Siedlung noch so klein ist, der Kapitalismus schafft es in die kleinste Ecke, und sei sie noch so dreckig und elendig! Fanta. Oder eher gesagt, die Coca-Cola Group. In allen möglichen Geschmacksrichtungen. Ich komme nicht drumherum, sie zu probieren. Fanta Passionfruit – noch nie gesehen. Der Geschmack ist nicht so süß wie die andere Fanta hier und wirklich unvergleichlich. Zwar sind die Getränke hier nie gekühlt (Strom ist und bleibt absolutes Luxusgut), aber bei den warmen Temperaturen um 25°C ist auch eine ungekühlte Fanta erfrischend.
Auf dem Rückweg gehen wir über die Staumauer an einem kleinen Fluss, die hier vor Jahrzehnten gebaut wurde. Die Bewohner des Ortes haben sie gemeinsam gebaut. Durch den Wasserdruck, der aufgebaut wird, wird eine Turbine angetrieben. Der Strom, der erzeugt wird, ist für das Krankenhaus überlebenswichtig. Wir entschließen uns, bis zum Turbinenhaus zu wandern. Dort wohnt auch der Werther. Es ist ein Mann im mittleren Alter. Sein Hoheitsgebiet ist die Anlage, an der wir entlang wandern. Von weitem sieht er uns und kommt aus seinem kleinen Lehmhaus. „Habari!“ begrüßt er uns. Er wirkt einsam hier mitten im Grün. Sein Haus ist das einzige, das hier steht, wenn man sich umschaut. Wir fragen, ob er uns die Turbine zeigen kann. Sein Name ist Roben. Zufrieden nickt er und führt uns an einem langen Stahlrohr entlang. Das Rohr ist so groß, dass man entspannt hindurch krabbeln könnte. Nach ca. 30 m führt es unter ein Haus, das mit einem Metalltor und einem dicken Vorhängeschloss gesichert ist. An seinem Schlüsselbund hängt ein großer Schlüssel, der uns den Weg ins Innere des Gebäudes eröffnet. Es ist laut und riecht nach Öl – Schmierfett, um genau zu sein. Damit alles in Bewegung bleibt, wird hieran nicht gespart.
Die Wasserturbine ist aus deutscher Produktion. Als ich das Schild mit dem Baujahr sehe, staune ich nicht schlecht: Baujahr 1981, aus Bayern. Läuft immer noch wie geschmiert. Weil aber auch dafür gesorgt wird. Sie hüten diese Anlage wie ihren Augapfel, sonst bleibt es hier in der Gegend ziemlich dunkel.
Wir bedanken uns herzlich bei Roben: „Asante sana!“, und begeben uns auf den Heimweg. Obwohl Christian seit 25 Jahren hierherkommt, sieht auch er die Anlage zum ersten Mal.
Wir sind begeistert von der Arbeit, die die Menschen hier leisten, um etwas für die Gemeinschaft zu tun.
Zufrieden und ein wenig erschöpft kommen wir am Doctors House an. Kurz frisch machen und dann in die Küche. Es gibt schließlich gleich Abendessen, und nach 2,5 Stunden auf den Beinen sind wir schon wieder hungrig.Read more
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- Day 9
- Tuesday, October 22, 2024 at 12:00 PM
- ⛅ 24 °C
- Altitude: 1,624 m
TanzaniaMapela10°58’36” S 34°49’32” E
Meine erste Platte
October 22, 2024 in Tanzania ⋅ ⛅ 24 °C
Die erste Unterschenkelfraktur, die mir anvertraut wird | Krankentransport mal anders | Bestellung beim örtlichen Schneider
Triggerwarnung: Ich beschreibe die erste OP, bei der ich selbstständig einen Unterschenkelbruch versorge.
Dienstag. Heute bin ich eine Woche in Tansania. Mein Wortschatz ist allerdings noch sehr dürftig. Ich versuche, mir Kiswahili selbst beizubringen. Dazu benutze ich ein Buch, das Robin mir geliehen hat. Sie hat vor ihrem Einsatz hier in Dar einen zweiwöchigen Sprachkurs gemacht. Ich hoffe, dass ich bis zum Ende der nächsten Woche zumindest einfache Konversationen führen kann. Bis dahin heißt es fleißig Vokabeln lernen, so wie in jungen Jahren.
Nach dem gemeinsamen Frühstück ziehe ich meinen Kasack an und gehe mit den Mädels zum Krankenhaus. Auf dem kurzen Weg sprechen wir über unseren Tag und was uns heute erwartet. Ich bin wieder im OP eingeplant. Heute wird es voll, und es stehen etliche Operationen auf dem Programm. Die meisten davon sind gebrochene Unterschenkel. Auch wenn bei den meisten Patienten Tibia (Schienbeinknochen) und Fibula (Wadenbeinknochen) gebrochen sind, wird nur die Fibula versorgt. Die Fibula hat keine lebenswichtige Funktion und muss konservativ heilen.
Nach den ersten beiden OPs, bei denen ich Dr. Peter (Assistenzarzt) und Dr. Freddy (Chefarzt) über die Schulter schaue und mich im Nähen beweise, ist der nächste Patient für mich dran: eine Tibiafraktur, die mit einer Platte und sechs Schrauben versorgt und reponiert werden soll. Dr. Peter wird mir assistieren und notfalls übernehmen. Dr. Freddy verschwindet im Nebenraum und operiert einen kleinen Jungen mit einem Leistenbruch.
Ich bin sichtlich nervös. Ich habe vorher noch nie gebohrt und noch nie eine Platte eingesetzt. In Deutschland wäre das undenkbar. Aber Dr. Peter beruhigt mich und schaut aufmerksam zu. Wir gehen in den Nebenraum und waschen uns ein. Viel Seife und viel Wasser. Dann warten wir, bis die Hände und Unterarme etwas trockener sind. Jetzt kommt Desinfektionsmittel. Viel Desinfektionsmittel. Wieder einreiben bis zu den Ellenbogen. Ich streife den sterilen Kittel über mich. Tarantu, die liebe OTA, bindet den Stoffkittel hinten zu. Die sterilen Handschuhe sind mit einem Pulver beschichtet. Da Dr. Peter mir sagt, ich solle zwei übereinander ziehen, entscheide ich mich, meine eigenen drüber zu ziehen. Die sind deutlich dicker und stabiler als die, die sie hier vor Ort haben. Aber solange ich noch welche im Vorrat habe, nutze ich sie. Dann landet dieser Posten beim Patienten nicht auf der Rechnung. Denn hier bezahlen die Patienten jedes Material nach Verbrauch. Sparsamkeit ist also keine schlechte Idee, denke ich.
Zusammen mit Dr. Peter suchen wir die nötigen Materialien zusammen. Es gibt hier ein Schraubenset, in dem alle möglichen Größen und Längen drin sind. Wir suchen vor jeder OP die passenden Schrauben aus. Oft haben wir schlicht Glück, dass noch die passenden Schrauben dabei sind. Alle OP-Materialien sind aufbereitet. Kein Einwegmaterial, bis auf die Klinge vom Skalpell und die Nadeln für die Naht. Das letzte Mal, dass ich eine Klinge eingespannt habe, war im Präpkurs in der Uni. Da konnte ich nicht mehr viel falsch machen, denn die Körperspende würde ja nicht meckern. Jetzt stehe ich in Litembo, Tansania. Ein junger 27-jähriger Patient liegt vor mir. Sein Unterschenkel ist mehrfach gebrochen. Mein Job – einer mit Verantwortung. „Du packst das schon“, sage ich mir und setze an. Ich denke an den Präpkurs und schneide an der Vorderkante des Schienbeins entlang. Es fängt an zu bluten. Dr. Peter wischt immer wieder mit dem Tupfer. Ich nehme das OP-Besteck und arbeite mich stumpf zur Fraktur vor. Stumpf meint, dass jetzt nicht mehr geschnitten wird, sondern die Strukturen aufgerissen oder gedehnt werden. Die Knochenhaut schiebe ich zur Seite, und die Faszie der Extensorenloge wird präventiv gespalten. Würden wir dies nicht tun, bekäme der Patient ein Kompartmentsyndrom – eine Einklemmung der Muskulatur aufgrund von Schwellung und Blutung.
Als alles offen liegt, reponieren wir gemeinsam die Knochenfragmente. Dr. Peter zieht beherzt am Fuß, und ich sehe zu, dass die Knochenenden richtig zueinander stehen. Erstmal provisorisch mit Knochenklemmen fixieren. Dann nimmt Dr. Peter den Bohrer. Er bohrt ein Loch und gibt mir dann den Bohrer. Es fühlt sich an, als würde ich einen Pax Schrank aufbauen. Die Löcher werden vorgebohrt. Zuerst geht es recht schwer, dann durchbricht der Bohrkopf das härtere äußere des Knochens. An der Stelle weiß ich, dass ich im Knochenmark bin. Also weiter bohren, damit das Loch weitergeht. Anschließend nehme ich den Schraubenzieher und die Schraube. Ganz schön anstrengend, denke ich. Nach sechs Schrauben merke ich am Unterarm, dass ich was getan habe. Aber ich bin froh, dass alle Schrauben halten, und Dr. Peter ist ebenfalls sehr zufrieden.
Jetzt kommt der mühsame Teil. Erst subkutane Nähte durchs Fettgewebe und Teile der Faszien, dann noch eine saubere Hautnaht. Mehr gibt es hier nicht. Das muss irgendwie heilen. Zum Schluss jede Menge Iod drüber und ein paar Kompressen. Noch ein Verband, und der Patient wird auf die Station zum Ausruhen geschickt.
Dr. Peter und Dr. Freddy sind fantastische Mentoren. Sie ermöglichen mir, eine Menge zu lernen. Und ich bin wieder froh, diesen Schritt nach Litembo gemacht zu haben!
Nach dem Tag im OP verlasse ich die Klinik mit einem guten Gefühl. Ich konnte mal wieder helfen und nützlich sein. In Deutschland habe ich während der Praxisphasen oft das Gefühl, dass man als Student eher eine Last ist. Hier ist man froh, zwei weitere Hände zu haben. Auch wenn es zwei Linke sind.
Als ich zur Tür herausgehe, scheint mir die pralle Mittagssonne auf den Kopf. Es ist heute wieder sehr warm. Gefällt mir aber gut, da mein Sommer eine schöne Verlängerung bekommt. Ich sehe einen der Patienten von heute Morgen mit seinem gegipsten Bein. Er sitzt samt Gehhilfen auf einem PikiPiki. So einen Krankentransport sieht man selten, denke ich noch. Ich schmunzle beim Vorbeigehen und hoffe, dass der Patient morgen nicht mit dem anderen Bein im OP landet.
Timothy bittet mich am Abend, noch einmal mit meiner Drohne fliegen zu dürfen. Also hole ich sie nochmal raus. Und so vergeht der Abend wie im Flug.
Am Abend haben wir noch Besuch von einem besonderen Gast. Juven, ein älterer Herr aus der Siedlung, ein wenig unterhalb des Krankenhauses, ist da. Er ist Schneider. Er nimmt bei uns Maß und schreibt seine Notizen akkurat auf. Wir haben uns entschieden, etwas hier schneidern zu lassen. Ich bin gespannt, wie es wird. In einigen Tagen wird das Ergebnis fertig sein. Ein erstes tolles Erinnerungsstück aus der Zeit hier in Litembo.
Kwa Heri!Read more
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- Day 10
- Wednesday, October 23, 2024 at 1:30 PM
- ⛅ 25 °C
- Altitude: 1,629 m
TanzaniaLitembo10°58’36” S 34°49’33” E
66 Jahre Wäsche waschen
October 23, 2024 in Tanzania ⋅ ⛅ 25 °C
Mit den Technikern unterwegs | Geburtstagsgrüße nach München | Uterusmyome groß wie Kindsköpfe
Mittwochs startet der Tag mit einem Gottesdienst in der Krankenhauskapelle. Father Ngei hält den katholischen Gottesdienst ab. Ich gehe mit Robin und Anna auch dorthin. Zum einen wollen wir als Gäste die Kultur und Rituale der Menschen achten, zum anderen gibt es vor dem Ende des kurzen Gottesdienstes um 8:30 Uhr nichts zu tun. An diesem Wochentag beginnt die Arbeit für die Beschäftigten, die abkömmlich sind, erst nach der Messe. Ich verstehe nicht, was vorne gesagt wird, ich stehe brav auf, wenn die anderen aufstehen, und höre dem Gesang der Menschen zu. Ein paar Klingeln ertönen, und schon ist die Messe zu Ende. Die Mitarbeitenden strömen aus der kleinen, aber liebevoll eingerichteten Kapelle und beginnen den Arbeitstag.
Mitte der Woche gehört der OP den Gynäkologen. Was mich dort wohl heute erwartet? In der letzten Woche habe ich bereits einige gynäkologische Operationen gesehen. Aber was uns heute unters Messer kommt, lässt mich wieder mal staunen. [Am Ende dieses Footprints]
Aber erst einmal lerne ich den dienstältesten Mitarbeiter der Klinik kennen. Christian und Ludwig haben den Auftrag, einige Reparaturen zu erledigen. Sie nehmen mich mit. Wir betreten einen hellen Raum. Beim ersten Atemzug steigt eine angenehme Frische in die Nase – Waschmittel. Wir stehen in der Klinikwäsche. Ein junger Mann steht an einem Industriebügelgerät und schiebt die trockene Wäsche durch. Anschließend legt er sie akkurat und gewissenhaft zusammen. Ein paar Meter weiter sitzt eine junge Frau an einer Nähmaschine. Sie flickt kleine und große Löcher in Kleidung und Bettwäsche. „Bereit für den dienstältesten Mitarbeiter Denis?“, fragt Christian und grinst schon verschmitzt. Es ist eine Waschmaschine aus dem Hause Miele. Seit 66 Jahren wäscht sie hier die Krankenhauswäsche – sogar zuverlässiger als die neueren Miele-Geräte. Die alte Waschmaschine war mal Bundeswehrgrün. Die Mitarbeiter aus der Malerwerkstatt haben sie vor Kurzem silber lackiert. Jetzt passt sie optisch viel besser in diese hellen Räume. Christian und Ludwig machen sich an die Reparatur der anderen Miele. Aktuell funktioniert nur eine Waschmaschine – eine Herausforderung für die Mitarbeitenden, da viel Wäsche über den Tag anfällt. Leider braucht es letztlich neue Ersatzteile, die in Deutschland nicht mehr produziert werden. Aber Christian und Ludwig sind alte Hasen. Über mehrere Ecken kommen sie an die benötigten Teile in Deutschland. Der Versand dauert fast zwei Wochen. Dann können sie die Miele wieder in Betrieb nehmen.
Als ich nach der OP im Doctors House ankomme, bin ich der Erste. Alle anderen sind noch in ihren Abteilungen und Stationen. Zeit, um in Ruhe zu duschen und alle Geräte zu laden. Warmes Wasser gibt es nur begrenzt. Wenn die Sonne scheint, heizt sich der Tank auf dem Dach gut auf. Ansonsten schafft eine kleine Heizspirale nur eine geringe Menge Warmwasser. Da die Sonnenstunden heute wieder mehr sind, ist genug Warmwasser vorhanden, um entspannt zu duschen. Sonst geht es immer schnell, aus Rücksicht auf die anderen. Als Anna nach Hause kommt, fängt sie direkt an, einen Kuchen zu backen. Die Zutaten müssen einfach sein, denn wir haben nur sehr wenig Backpulver und Mehl, ein paar Eier, und mehr Zutaten sind schwer zu besorgen. Aber daraus bekommt sie einen Teig hin, und selbstgemachtes Mangomus rundet alles ab. Es riecht wie beim Bäcker. Wir treffen uns auf der Terrasse, um den Kuchen zusammen zu essen. Anna ruft ihren Freund per Videoanruf an. Der sitzt tausende Kilometer weit weg in München, mit seiner Familie und einer großen Torte. Es ist sein Geburtstag. Smarte Idee von Anna. So essen wir alle gemeinsam einen Geburtstagskuchen, auch wenn ich die Menschen am anderen Ende der Leitung nicht kenne.
Triggerwarnung: Im gynäkologischen OP erwartet mich eine Patientin, deren Uterus mit zahlreichen Myomen durchwachsen ist.
Als ich den OP um 8:30 betrete, herrscht ausgelassene Stimmung. Es ist nur eine einzige OP geplant – eine Myomektomie, die Entfernung eines Myoms in der Gebärmutter der Patientin. Ich bin weder Onkologe noch Gynäkologe, also öffne ich schnell die Amboss-App und lese mir die wichtigsten Details zu Myomen durch. Der gutartige Tumor kann an verschiedenen Stellen der Gebärmutter lokalisiert sein. Noch ahne ich nicht, welches Ausmaß der vorliegende Fall nehmen wird. Ich stelle mich auf einen kurzen Eingriff ein. Bei tansanischen Beats wippen wir im OP mit den Füßen hin und her und warten auf die Patientin. Das Thema Nummer eins ist die Niederlage des BVB gestern. Bundesliga wird hier gern geschaut, der ein oder andere wettet auch mit stattlichen Summen bei den bekannten Onlineanbietern. Kurz darauf kommt die Patientin durch die Tür. Die OP-Pflegerin bringt sie zum OP-Tisch und bereitet die Patientin vor. Diesmal entscheidet sie sich für eine Intubation, da der Eingriff wohl zu riskant für eine Spinalanästhesie ist. Von einem Tisch, der neben dem Beatmungsgerät steht, sucht sie den passenden Tubus. Jede Menge aufbereitete Tuben liegen dort. Nicht steril eingepackt, sondern offen und wiederverwendbar. Immerhin sind sie desinfiziert.
Der Gynäkologe Dr. Kaitu lädt mich ein, steril mit an den Tisch zu kommen. Ich gehe also in den Nebenraum und wasche mich ein. Anschließend jede Menge Sterilium. Diesmal benutze ich die sterilen Handschuhe der Klinik. Erst ein paar, darüber ein zweites Paar zur Sicherheit. So ist es hier üblich. Dann geht es los. Schon beim Desinfizieren der Haut fällt die Beule im Bauchraum auf. Da ich gerade noch gelesen habe, wie langsam Myome wachsen, muss diese Patientin ziemlich lange gewartet haben, bis sie die Klinik aufgesucht hat.
Ich darf den Hautschnitt machen und durch die Fettschicht des Bauches präparieren. Die Patientin hat jetzt einen Schnitt, ca. 5 cm über dem Bauchnabel, der bis zur Symphyse reicht. Dr. Kaitu präpariert stumpf bis zum Uterus. Der Dünndarm schiebt sich immer wieder aus dem Operationsfeld hervor und wird von uns mit allen Händen sanft zurück in den Situs geschoben. Eine gute Menge Iod drauf und hoffen, dass sich nichts entzündet. Jetzt holt er den gesamten oberen Abschnitt des Uterus hervor. Ein riesiger Ball kommt zum Vorschein. Am Uterus sind zahlreiche kleinere Anhängsel zu sehen. Ich bin fasziniert. Die Patientin hat nicht nur ein Myom, sondern etliche. Damit das gut durchblutete Organ keine hämodynamischen Probleme während der OP bereitet, bastelt Dr. Kaitu sich ein Tourniquet. Dafür nimmt er einen neuen Blasenkatheter, wickelt ihn um den Uterus, möglichst so weit distal wie es geht (bedeutet vom Körper weg, in diesem Fall Richtung Vaginalschlauch), und unterbindet mit einem Knoten die Blutversorgung. Die OP dauert und dauert. Jedes einzelne Myom muss herausgeschnitten werden. Das größte ist kindskopfgroß. Die Konsistenz ist ähnlich wie bei einem Tennisball. Bei Druck gibt das Gewebe etwas nach, aber es ist sehr derbe und elastisch. Am Ende sind es insgesamt 20 verschieden große Myome. Jedes einzelne wird herausgeschnitten und mit einer Naht versorgt. Längst nicht alle konnten wir herausnehmen, denn sonst wäre die Gebärmutter nicht zu retten gewesen. Ob sie jemals ein Kind bekommen kann, ist fraglich. Wahrscheinlich wird sie die gleiche Operation in einigen Jahren noch einmal benötigen. Das habe ich noch nie gesehen.
Später erzählt mir der Gynäkologe bei einem Tee, dass die Menschen oft zu spät in die Klinik kommen. Sie haben Angst, dass sie zu viel zahlen müssten, und halten die Symptome und Einschränkungen so lange aus, bis es wirklich nicht mehr geht. Das macht die Arbeit oft schwierig und frustrierend. Ein großes Problem sind sogenannte „Heiler“. Die sind günstiger als die Behandlung in der Klinik, und viele der gläubigen Menschen fallen auf diese Quacksalber herein.Read more

TravelerWar doch Champions League und nicht Bundesliga du Fußballbanause.. 🤦♂️😂
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- Day 11
- Thursday, October 24, 2024 at 3:30 PM
- ☁️ 24 °C
- Altitude: 1,644 m
TanzaniaMapela10°58’45” S 34°49’33” E
The boss himself
October 24, 2024 in Tanzania ⋅ ☁️ 24 °C
Stromausfall im OP | Ich besorge Father Ngay einen direkten Draht in den Himmel | Cocktails im Doctors House
Heute ist mein letzter Tag im allgemein-chirurgischen OP. Der Chefarzt und Mann fürs Grobe, Dr. Freddy, hat heute wieder den Hut auf. Wie jeden Morgen beginnt die Suche nach frischer OP-Kleidung und passenden OP-Schuhen. Ich möchte nicht schon wieder die zu kleinen Crocs abbekommen und bin einige Minuten früher im OP. Diesmal werden es viel zu große, aber lieber schluffe ich ein wenig, als dass sich meine Zehen anfühlen, als stecken sie in einem Nussknacker. Die OP-Liste ist überschaubar. Aber auch heute staune ich über das breite Spektrum, welches ein einziger Chirurg hier abdeckt. Dr. Freddy operiert Hernien, Brüche aller Art und sämtliche Operationen im Bauchraum. Heute steht eine Thyreoidektomie an, die Entfernung der Schilddrüse am Hals. Das kann er also auch. In Deutschland braucht man für alles einen eigenen Facharzt, aber er ist auch einer der Wenigen, der sich an alles herantraut. An seiner Seite immer Dr. Peter (wenn ich nicht da bin, weil Dr. Peter sonst im Neben-OP schon die nächste OP vorbereitet). Zusammen mit den beiden assistiere ich bei der Entfernung der Schilddrüse. Im Präpkurs habe ich jedes Organ in der Hand gehabt. Dankenswerterweise gibt es in der medizinischen Ausbildung in Deutschland genau diese Möglichkeit. Aber das vitale, echte Organ, das frisch aus dem Patienten entnommen wurde, fühlt sich so anders an – weich und warm. Ganz anders als das ein Jahr im Formalin eingelegte Organ von den Körperspenden, das kalt und hart auf dem Tisch in der Uni landet. Auch die Blutversorgung, jedes Gefäß. Es ist viel eindrucksvoller und nachvollziehbarer. Und doch ist es gut, dass ich diesen „Aha-Moment“ erst jetzt habe, mit der nötigen Vorsicht und dem Wissen um die Verletzlichkeit der Schilddrüse.
Der Schnitt, den Dr. Freddy gemacht hat, verläuft horizontal von der einen Seite des Halses bis zur anderen. Ich stehe am Kopf und ziehe den oberen Hautlappen mit einem Haken so stramm zu mir, dass Dr. Freddy genug Platz hat, um die Arterien einzeln abzuklemmen, bevor er die Schilddrüse herausnimmt. Die Arterien sind sehr viel kleiner, als ich sie mir vorgestellt habe. Aber als eine davon nicht richtig abgeklemmt war, spritzt es im hohen Bogen aus dem OP-Feld. Der Blutstrahl schafft rund zwei Meter. Ganz schön Druck drauf. Mit dem Elektrokoagulator (einem Skalpell, das mit elektrischem Strom arbeitet) verödet Dr. Freddy die Arterie gekonnt. Da die Schilddrüse eh nicht mehr drin ist, wird diese Arterie nicht mehr benötigt. Ein kleiner Teil der Schilddrüse bleibt allerdings drin. Die Medikamente, die die Patientin sonst ihr Leben lang nehmen müsste, wären zu teuer. Da sie sich das nicht leisten kann, muss ein Teil der Schilddrüse weiterhin ihre Hormone bereitstellen. Der Rest der vergrößerten Schilddrüse landet im OP-Eimer. Beim Nähen dann der Worst Case: Der Strom fällt aus. Das Beatmungsgerät ist aus. Stephano, der OP-Pfleger, der für die Anästhesie zuständig ist, beginnt mit der manuellen Beatmung. Auch der Sauerstoffkonzentrator ist aus. Der Ambubeutel, den ich am Kopf dann übernehme, ist besser als gar nichts. Nach knapp zehn Minuten ist der Strom wieder da. Die Generatoren wurden angeschaltet. Dies passiert manuell durch die Techniker, deshalb dauert es schon mal. Absolut undenkbare Verhältnisse. Aber die Sauerstoffsättigung der Patientin fällt nie unter 70%. In Deutschland wird man bei unter 90% schon nervös. Gut, dass der Standard in Deutschland besser ist. Traurig, dass die Möglichkeiten hier beschränkt sind.
Der weitaus spannendere Fall ist ein Patient, dessen Schrauben gebrochen sind. Er hatte vor einigen Wochen einen Oberschenkelbruch. Vermutlich hat er es zu früh belastet und liegt heute wieder auf dem Tisch. Die alte Narbe ist noch nicht richtig verheilt, da wird sie schon wieder aufgeschnitten. Dr. Freddy schafft es nicht, die Teile der Schraube zu bergen, die noch im Knochen stecken. Der Patient wird sie behalten. Neue Platte, neue Löcher, neue Schrauben. So hat er sich das sicher nicht vorgestellt. Aber witzigerweise heißt der Patient mit Vornamen Goodluck. Den wird er mit der neuen Platte hoffentlich haben.
Am Mittag treffe ich Father Ngay. Er ist das Kirchenoberhaupt der Gemeinde hier in Litembo. Als er mich an seiner Tür begrüßt, steht er eher lässig da. Mit seiner Sonnenbrille und einem weißen Gewand sieht er eher aus wie ein Mafia-Boss. Im Prinzip ist er das ja auch. Zumindest gibt es in seiner „Firma“ mindestens genauso schlimme Verbrechen, denke ich. Er lädt mich in das Anwesen der Gemeinde ein. Neben der großen Kirche ist direkt das Wohnhaus angegliedert. Zusammen mit den Nonnen und den Mönchen, die hier leben, hat das Anwesen 48 Zimmer. Ich bin froh, nicht die Reinigungsfachkraft zu sein. So ein riesiges Gebäude muss gut gewartet werden. Aber dafür sorgen sie alle zusammen. Im Hinterhof steht ein wunderschöner, alter Ford-Traktor. Den will ich unbedingt mal fahren. Vielleicht klappt es ja in den nächsten Wochen.
Der Grund, warum ich eigentlich hier bin: Father Ngay bittet mich, Aufnahmen von der Kirche und dem Anwesen zu machen. Ich verstehe mich auf Anhieb mit ihm und scherze: „Bilder aus dem Himmel? Ich dachte, das schaffst du auch ohne mich und meine Drohne!“ Er lacht und sagt, dass er wichtigeres mit „dort oben“ bespricht. Sehr sympathisch, und er nimmt sich selbst nicht zu ernst. Später kommt Christian dazu, er hat einen kleinen Reparaturauftrag an einem Elektrogerät.
Als ich wieder im Doctors House bin, überlegen Robin und ich, was wir an ihrem Geburtstag so vorbereiten. Sie wird nächste Woche 20 und möchte ein wenig feiern. Jetzt nochmal 20 sein? Keine Ahnung, ob ich etwas anders gemacht hätte, aber ein paar Jahre zurückgehen wäre schon nicht verkehrt. Mit dem Wissen von heute, wenn das möglich wäre, mir blieben einige kleine und große Krisen erspart. Vielleicht wäre ich aber gerade dann nicht so, wie ich bin. Das macht uns auch aus. Jeder Verlust und jeder Gewinn bringt uns ein Stückchen weiter. Also lieber doch nicht wieder 20 sein. Glücklich mit 30 reicht mir absolut!
Wir laufen zusammen ein paar Meter zu einem kleinen Laden und holen Konyagi, den tansanischen Rum. Zurück im Doctors House versuchen wir, aus allem Möglichen, was wir finden, eine Form für Eiswürfel zu basteln. Da wir nur einen kleinen Kühlschrank mit Mini-Eisfach haben, probieren wir es mit Deckeln von der Margarine. Es hat noch nicht so gut funktioniert, aber die Richtung stimmt! Robin zermatscht etwas Mango (die gibt’s hier ohne Ende) und ich würfele Limetten. Am Ende wird es ein Cocktail mit braunem Zucker, Eiswasser, Konyagi, Mango und Limette, aufgefüllt mit Sprite. Extrem gut! So gut, dass die halbe Konyagi-Flasche am Ende des Abends leer ist und wir durch die Küche tanzen und mitsingen.
Da ich einfach auf gut Glück gemischt habe, nennt Robin den Cocktail „Dr. Denis“. Erst widerspreche ich, aber die Idee, dass, wenn ich weg bin, die Mädels immer an die Zeit mit mir hier denken werden, wenn sie den Cocktail nochmal machen, finde ich sehr nett. Darauf lasse ich mich schließlich ein. Zwar bleiben die beiden nur ein Jahr, aber schöne Erinnerungen bleiben ewig...Read more

TravelerIch verfolge deine Berichte von Anfang an und finde sie sehr interessant vor allen kann man mit deinen Berichten in eine ganz andere Welt abtauchen die uns eigentlich fremd ist ich finde es gut andre Länder und Menschen kennen zu lernen die du in deinen Berichten sehr gut beschreibst danke dafür werde dir auch weiterhin folgen
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- Day 12
- Friday, October 25, 2024 at 10:15 AM
- ☀️ 24 °C
- Altitude: 1,352 m
TanzaniaMbinga10°56’26” S 35°0’46” E
Plötzlich Vorstandsmitglied
October 25, 2024 in Tanzania ⋅ ☀️ 24 °C
Meeting of the Diocesan Health Board | Rechte Hand des Geschäftsführers | Urlaub in Mbamba Bay
Der Wecker klingelt um 06:00. Für die Einheimischen beginnt um diese Uhrzeit der Tag. Wenn man jetzt nach der Uhrzeit fragen würde, wäre es 0:00. Die Menschen hier beginnen um 6 Uhr morgens, Central African Time, mit der Zeitrechnung des Tages. Und der Tag beginnt eben mit der 0.
Aus diesem Grund ist es wichtig, als Tourist bei Verabredungen immer noch einmal nachzufragen, ob AM oder PM gemeint ist. Dann wechseln die Einheimischen in das uns bekannte Zeitsystem. Ich erinnere mich an meine Ankunft in Dar. Mein Fahrer war nicht am Flughafen. Ich hätte vielleicht konkreter sein müssen mit der Zeitangabe. Hinterher ist man immer schlauer!
Christian und Ludwig sind ebenfalls um 6 aufgestanden. Die beiden sind nicht nur Techniker und versuchen mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit hier, einen Platz am Rockzipfel beim lieben Gott zu ergattern. Christian ist Mitglied im Diocesan Health Board, einer Runde, die sich trifft, um strategische Dinge zu planen. Sie besprechen die Finanzen und Bedingungen der Einrichtungen. Mit dem Litembo Hospital betreibt die katholische Diözese hier 13 Einrichtungen. Davon sind drei Krankenhäuser, die anderen Einrichtungen sind Dispensaries, also kleine Einrichtungen, die eine medizinische Grundversorgung sicherstellen.
Um 7:00 sind wir mit Father Raphael verabredet. Er ist der Geschäftsführer des Litembo Hospitals. Er fährt uns nach Mbinga. Dort in dem Kloster findet das Meeting statt. Auch eine Delegation aus Würzburg ist da. Das sind vor allem Geldgeber, die überprüfen, ob das Geld auch dort ankommt, wo es gebraucht wird. Und auch ein brasilianischer Bischof soll dabei sein. Hochrangige Gäste aus Würzburg, darunter der Domkapitular. Was auch immer das sein soll. Ich wurde von Father Raphael eingeladen, dabei zu sein.
Nach knapp einer Stunde Fahrt durch das bergige Tansania und einige Beinahe-Unfälle später sitze ich in einem Sitzungsraum. Nur wichtige Leute, vor mir ein Schnellhefter mit allen Zahlen und Daten zu den medizinischen Einrichtungen. Ich sehe lauter interne Daten. Dann kommen die wichtigen Leute. Der brasilianische Bischof ist tatsächlich hier. Ein regelrechter Popstar, habe ich das Gefühl. Aber die Überraschung ist dann doch groß, als ich sehe, dass es ein deutscher, alter, weißer Mann ist. Wer hätte das gedacht?
Es folgen 4 Stunden Vorträge und Berichte zu den Finanzen, der Einrichtung und Ausstattung und auch ein Impulsvortrag zur gesetzlichen Krankenversicherung, die die Regierung hier versucht zu etablieren. Die kurze Zusammenfassung ist folgende: Seitdem private Investoren mitmischen dürfen und Krankenhäuser betreiben, ist die kostendeckende Versicherung nach und nach so umgebaut worden, dass es immer mehr Fallpauschalen gibt. Das erhöht den Kostendruck auf die Einrichtungen, hält aber die Ausgaben für die Versicherer konstant. DRG (so wie wir sie in Deutschland haben) incoming. Ein System, das zum Scheitern verurteilt ist. Konsens der gesamten Runde ist, dass der Druck auf die Regierung steigen muss, damit das Gesundheitssystem besser wird. Ich bekomme auch eine Ahnung davon, was im Süden Tansanias passieren würde, wenn es die katholische Kirche hier nicht gäbe. Es würden eine Menge Menschen sterben. Jeden Tag. Auch wenn es meine Sicht auf die katholische Kirche in Deutschland nicht rehabilitiert, die Menschen brauchen diese Institution hier. Medizinische Versorgung wäre sonst undenkbar.
Eine für mich interessante andere Sache ist aber viel schöner. Der brasilianische Bischof stellt ein Projekt aus Brasilien vor. In seiner Diözese gibt es seit 5 Jahren ein Schiff, das zu einem schwimmenden Krankenhaus umgebaut wurde. Dieses fährt auf dem Amazonas in die ärmsten Gegenden, legt an verschiedenen Stellen an und versorgt die Menschen medizinisch. In 5 Jahren haben sie so 500.000 Menschen behandelt. Ich suche Blickkontakt zum Bischof, tue sehr interessiert und stelle Nachfragen. Später lerne ich ihn persönlich kennen und erwähne, dass ich durchaus noch eine Famulatur machen muss … auf dem Amazonas wäre das mehr als ein Abenteuer. Der Kontakt steht! Man muss sich manchmal eben nur trauen, die vermeintlich wichtigen und großen Fische anzusprechen. Wer weiß, ob’s am Ende klappt.
Nach dem Meeting gibt es ein obligatorisches Buffet. Father Raphael ist sichtlich zufrieden. Auch wenn ich kaum Ahnung von den Finanzen eines Krankenhauses habe. Manchmal ist es gut, wenn Menschen mit einem unvoreingenommenen Blick auf die Probleme schauen. Und vielleicht konnte ich mit der ein oder anderen Frage die 35 anwesenden Mitglieder auf eine neue Idee bringen. So schnell landet man im Vorstand einer Klinik. Und das sogar ohne feinen Anzug.
Die Sonne hat den Zenit längst überschritten und scheint mir hemmungslos auf den Nacken. Ich laufe aus der Klosteranlage zur Hauptstraße. Mein Ziel ist der geschäftige Busbahnhof in Mbinga. Es sind von hier zwar nur 2 km, aber bei der Mittagshitze kommt Laufen nicht in Frage. Schließlich will ich nicht, dass meine Hose durchnässt. Mein Rucksack ist auch nicht gerade leicht. Es ist Freitag, und ich habe nicht vor, noch einmal vor Sonntag ins Litembo Hospital zurückzukehren.
Ich hebe meinen Arm, als ich ein Bajaji in der Ferne sehe. Der Fahrer sieht mich und hält. Zunächst versteht er eher mich nicht, aber das Zauberwort ist „Schillingi“. Weiße Fahrgäste sind nämlich sehr willkommen. Der Preis ist stabil doppelt so hoch wie bei den Einheimischen. Für umgerechnet 20 Cent fahre ich also die zwei Kilometer mit dem motorisierten Dreirad. Den Busbahnhof kenne ich noch von meiner Ankunft aus Songea. Hier hat die Weiterfahrt nach Litembo traumhaft geklappt. Menschen rennen umher, Tiere und jede Menge Pakete werden umgeschlagen und einfach auf die Busse verteilt. Mir kann aber niemand so recht weiterhelfen. Ich werde die ganze Zeit zu den Ticket Offices verwiesen. Mein Ziel ist Mbamba Bay. Besser gesagt, die Bio Camp Lodge dort. Am Ticket Office versteht mich leider niemand. Englisch ist und bleibt in dieser Region ein Problem. Ich bemühe meinen Google Übersetzer und schaffe es, herauszufinden, wann und vor allem wo der Bus abfährt. Die Fahrt dauert 2,5 Stunden und natürlich bin ich wieder die Sensation der Nation mit meiner weißen Haut. Vor allem für die Schulkinder, die immer wieder einen Teil der Strecke mitfahren. Die Sonne geht mittlerweile unter, und ich hoffe, dass ich noch rechtzeitig in der Lodge ankomme. Denn diese Lodge ist wirklich besonders. Alles, was dort verzehrt wird, kommt von heimischen Bauern oder wird von den Mitarbeitenden selbst angebaut. Der Preis pro Nacht: 65€. Dafür aber exklusiver Service und Einblick in das Leben am Lake Nyassa. Die nächsten drei Tage sind Urlaub pur! Gebucht habe ich ein Bungalow direkt am Strand.
Als ich in Mbamba Bay ankomme, muss ich noch ca. 15 Minuten mit einem BodaBoda fahren. 5000 Schilling wollte der Fahrer. Mittlerweile ist mein Kiswahili so gut, dass ich auf 4000 runterhandeln kann. Ich sehe mich ab jetzt als eine Art Native Speaker.
An der Bio Camp Lodge angekommen, werde ich bereits erwartet. Die Sonne ist mittlerweile untergegangen und Alfred, der Mitarbeiter des Camps, begrüßt mich. Wenn ich gewusst hätte, was mich jetzt erwartet, hätte ich das kurze Schwarze angezogen… Unglaublich, was hier für mich auf die Beine gestellt wurde…Read more

Traveler
Links Father Raphael, Geschäftsführer des Litembos Hospitals. Daneben ein Student, der nichtmal weiß wie er zu diesem Posten gekommen ist. Im Hintergrund andere weiße alte Männer die wichtig sind.

Travelerdas ist der absolute Wahnsinn! verfolge aber auch eure Reise ! Das ist ja auch traumhaft ! viele Grüße zum andere Ende des Kontinents ☺️
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- Day 13
- Saturday, October 26, 2024 at 1:30 PM
- ☁️ 29 °C
- Altitude: 450 m
TanzaniaNdengele11°15’24” S 34°46’43” E
Denis allein im BioCamp Resort
October 26, 2024 in Tanzania ⋅ ☁️ 29 °C
Dinner for one - african edition | Mr. Joseph und seine Philosophie | Frühstück im Baumhaus am Lake Nyassa
Als ich in Mbamba Bay mit dem völlig überfüllten Bus ankomme, sind zweieinhalb Stunden vergangen, seit ich eingestiegen bin. Es dämmert schon. Ich sitze in dem einzigen Bus, der heute noch ankommt. Dementsprechend geschäftig geht es am Busbahnhof zu. Die jungen PikiPiki-Fahrer kommen mit ihren Motorrädern bis an den Bus heran, um Fahrgäste für sich zu gewinnen. Es ist ein hartes Geschäft, denn die Auswahl für Fahrgäste ist extrem groß. Ich spreche einen der Fahrer an, verhandle den Preis und werde zum Bio Camp Resort Lodge gefahren. Eine Anlage direkt am Lake Nyassa mit wunderschönen kleinen Bandas. Die Philosophie ist schlicht und einfach: alles aus eigener Produktion oder direkt aus dem Ort und der Umgebung. Kein Schnickschnack. Im Einklang mit der Natur.
Ich werde von Alfred empfangen. Er ist neben der Köchin der einzige, der noch da ist. So wie ich. Denn ich bin der einzige Gast. Die Saison ist vorbei, und deshalb bleiben Touristen aus. Für mich aber haben sie alles wunderschön gemacht. Ich werde direkt zum Strand begleitet, denn es ist schon dunkel. Kerzen stehen um einen kleinen Tisch, der einfach, aber schön gedeckt ist. Ein Candle-Light-Dinner nur für mich, mit Blick auf den See. Leider schafft es die Kamera nicht, das so einzufangen, wie man es sieht. Man kann die glitzernde Oberfläche des Sees sehen. In der Ferne schwanken kleine Lichter. Es sind die Fischer, die in der Dämmerung aufgebrochen sind, um die ganze Nacht zu fischen. Sie werden morgen früh, wenn die Sonne aufgeht, zurückkehren und frischen Fisch bringen, auch ins Bio Camp.
Mit diesem wunderbaren Dinner for One beginnt meine kleine Auszeit in Mbamba Bay.
Mit Alfred verstehe ich mich auf Anhieb. Er ist 28 und arbeitet hier, seit er ein Teenager ist. Auch Englisch hat er hier gelernt. Man merkt ihm direkt an, dass er für diesen Job lebt. Wir treffen uns nach meinem Essen am Lagerfeuer, das er extra für mich anmacht. Er erwähnt immer wieder, wie dankbar er Mr. Joseph ist. Dass er ohne ihn wahrscheinlich PikiPiki-Fahrer wäre und von Tag zu Tag gelebt hätte. Hier aber hat er eine große Familie, mit der er etwas Sinnvolles in dieser Region schaffen kann. Nachhaltigkeit ist für ihn eine Lebensphilosophie.
Ich möchte Mr. Joseph kennenlernen und frage Alfred, ob das möglich sei.
Er schaue, was er machen kann, aber versprechen wolle er es nicht. Mr. Joseph hat viel Arbeit und ist ständig unterwegs in der Region. Nach einem entspannten Gespräch am Lagerfeuer lässt Alfred mich ein wenig alleine. Er erledigt ein paar Dinge in der Küche und hilft, alles aufzuräumen. Ich sitze alleine am Lagerfeuer und werde ganz sentimental. Die letzten 10 Tage waren voller Eindrücke und Erlebnisse. Ich habe viele Menschen kennengelernt, einige davon nur kurz. Jeder und jede war aufgeschlossen und herzlich. Die Menschen gehen auf einen zu, wünschen einem nur das Beste und wollen einem das Land zeigen. Es ist Teil der Kultur. Man ist stolz auf das, was dieses Land mit seinen Einwohnern geschafft hat.
Erst waren die Deutschen hier und haben ihr Unwesen getrieben, dann kamen die Engländer. Als endlich die Unabhängigkeit kam, gab es eine sozialistische Planwirtschaft. Schließlich, 1986, die Öffnung der Märkte. Eine freie Marktwirtschaft, die nicht nur die positiven Seiten mitbrachte. Und irgendwann in der Geschichte dieses Landes tauche ich auf. Wenn auch unterm Radar. Aber ich fühle mich sehr wohl. In einem Land, in dem weder ich alles verstehe, noch man mich versteht. Vor allem hier im Süden, der wenig touristisch ist.
Immer wieder weht ein wenig Rauch vom Lagerfeuer in meine Richtung. Und jedes Mal kommt mir ein neuer Gedanke. Mit 26 habe ich angefangen zu studieren. Ein Thema, das mich immer wieder beschäftigt. Andere bauen mit 30 ein Haus, haben Familie und arbeiten seit Jahren in ihren Jobs. Vor allem, dass ich alleine bin, beschäftigt mich. Nicht hier, sondern in Deutschland. Dann wieder etwas Rauch, der herüberweht. Wie gut, dass ich erst mit 25 angefangen habe zu studieren. Ich wäre jetzt nicht da, wo ich bin. Auf dem Weg zum Traumjob, der sicherlich nicht einfach ist. Auch die Arbeit als Arzt wird herausfordernd. Vor allem als Hausarzt, aber dem bin ich mir bewusst. Gut, dass ich allein bin. Ich hätte diese Reise sonst niemals angetreten. Alle Bedenken in der Nacht vor meiner Abreise haben sich bisher nicht bewahrheitet. Ob ich in den letzten Tagen an mir selber gewachsen bin? Ich weiß es nicht. Aber ich sehe das Leben entspannter, so hoffe ich. Alles davon ist gut so, wie es ist, denke ich. Alles zu seiner Zeit. „Pole pole“ (langsam, langsam), wie wir hier in Tansania sagen. Noch ein paar Mal weht der tropische Wind den warmen Rauch in meine Richtung. Die Lichter der Fischerboote am Horizont sind aufgereiht wie auf einer Perlenkette. Keine Chance für die Kamera, diesen wunderschönen Moment einzufangen. Ich lege mein Handy zur Seite und sauge den Moment auf. Dieses Bild ist für meine Erinnerungen. Ohne Handy, ohne Menschen, nur ich ganz alleine unter einem wunderschönen Sternenhimmel am Lake Nyassa. Tief einatmen. Dann gehe ich zu meiner Banda. Es wird Zeit, Kräfte zu sammeln für einen langen und interessanten Tag. Um 10 haben wir uns fürs Frühstück verabredet. Doch noch ahne ich nicht, dass es spontan früher werden wird.
Um 8 Uhr klopft es an meiner Banda.
„Good morning, Mr. Denis“, es ist Alfred. Ich höre ihn sehr gut, da die Banda keine echten Fenster hat, sondern nur Moskitonetze. Hier ist es das ganze Jahr über warm. Man schläft also quasi im Freien. Und ich kann euch sagen, es ist der absolute Traum. Grillen zirpen, die Vögel besingen einen, und ab und zu hört man einen Hahn in der Frühe krähen. Alfred wurde von Mr. Joseph geschickt. Er möchte wissen, ob ich mit ihm frühstücken will, das wäre dann um 8:30. Anschließend lädt Mr. Joseph mich auf seine Kaffeefarm ein. Alfred solle fragen, ob es für mich passt und ich Lust habe zu sehen, wie ein besonderer Kaffee hier in der Region angebaut wird. Ich zögere keine Sekunde und packe die Chance beim Schopfe. Schnelle Dusche, dann gehe ich in Richtung Strand. Diesmal frühstücken wir nicht direkt auf dem Sand, so wie das Dinner gestern Abend. Alfred deutet auf ein kleines Baumhaus am Strand mit Blick auf den See. Der Lake Nyassa ist ein riesiger Süßwassersee. Rund 600 km erstreckt er sich von Nord nach Süd. Auf der anderen Seite das Land Malawi. Ich laufe die Stufen hinauf und komme zu einem üppigen Frühstückstisch. Mit wundervollem Blick auf den See. Ich komme aus dem Staunen einfach nicht mehr raus. Auf dem Tisch ist für zwei Personen eingedeckt. Ich bin sehr gespannt, wer Mr. Joseph ist und wie er tickt.
Pünktlich um 8:30 höre ich Schritte die selbstgebaute Treppe hinaufkommen.
Es ist Mr. Joseph. Er begrüßt mich herzlich und gibt mir seine Hand. „Karibu, Denis! Ich bin Joseph. Herzlich willkommen im BioCamp“, sagt er auf Deutsch. Ich antworte und bedanke mich, dass ich hier auch als einziger Gast begrüßt werde. Er scherzt und sagt, dass genau das mein Glück ist. Sonst müssen seine Mitarbeiter viele Menschen bewirten und Exkursionen zusammen organisieren. Jetzt aber habe ich die Wahl. Schnorcheln mit Buntbarschen, Wandern oder (und das sei sonst nicht so einfach möglich) ich komme mit ihm auf seine Kaffeefarm. Er hat mehrere kleinere Plantagen, auf denen er organischen Kaffee anbaut. Keine Chemikalien, keine Maschinen, keine Bewässerung durch Pumpen. Diese Einladung kann ich unmöglich ausschlagen. Ich bin sofort dabei und biete an, meine Drohne mitzunehmen. Damit habe ich einen Nerv getroffen. Er wollte schon immer mal sehen, wie groß seine Farm ist. Doch die Drohne seines Sohnes war leider defekt. Ich freue mich, dass ich mich wenigstens ein wenig nützlich machen kann. Wir frühstücken und ich frage, wie er die Idee zum BioCamp hatte. Und ich staune nicht schlecht über seine Lebensgeschichte. Als junger Mann hat er im Litembo Hospital gearbeitet. Dort hat er eine deutsche Famulantin kennengelernt und sich verliebt. Die beiden werden ein Paar, heiraten und leben 5 Jahre in Tansania. Dann wird seine Frau schwanger. Die beiden entscheiden, nach Deutschland zu gehen. Das Bildungssystem ist deutlich besser, und für seine Frau ist die Arbeit in Deutschland als Ärztin auch attraktiver. Jetzt hat Joseph zwei Länder als Heimat: Tansania und Deutschland. Ich habe großen Respekt davor, wenn Menschen ihre Heimat verlassen. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. So war es bei meinen Eltern auch. Joseph lernt Deutsch, integriert sich und engagiert sich in Tübingen an der Universität. Klimaschutz und Diversität sind seitdem eine Herzensangelegenheit. Und der Traum von einem Hotel, das sich selbst versorgt, ist geboren. Er beginnt in Deutschland zu arbeiten und investiert ins BioCamp in Tansania. Was hier entstanden ist, ist nicht nur ein Erholungsparadies. Es ist sanfter, nachhaltiger Tourismus. Er schafft Arbeitsplätze und ist im Einklang mit der Natur.
Energie wird hier durch eine eigene Biogasanlage hergestellt, das Wasser kommt direkt aus dem See. Die Tiere, die Eier und Milch produzieren, stehen auf dem Gelände. Was nicht selbstgemacht werden kann, wird im Ort geholt. Bei kleinen Händlern. Das Geld soll hier bleiben, und so profitiert jeder hier. Großartig, wie es funktionieren kann, denke ich. Viele Menschen haben Joseph gewarnt. Das, was er vorhat, kann nicht klappen. Reich sei er nicht. Er gebe das Geld immer gerne hier aus. Seine Mitarbeitenden verdienen deutlich mehr als der Durchschnitt. Das ist ein Vorteil, den er hat, durch die Verbindung nach Deutschland. Wer in Euro zahlt, der finanziert ganze Familien mit. Das treibt ihn an, er will nicht immer mehr. Die Größe des aktuellen Camps reicht. Wenn er mehr Bandas baut, dann kann er nicht mehr garantieren, dass es nachhaltig ist. Ich bin sehr erstaunt. Ein Betrieb, der nicht nach ständigem Wachstum strebt, sondern gesund wirtschaftet. Scheint also zu klappen. Muss ja, denn Joseph ist studierter Wirtschaftler. Er wird es wissen.
Ich muss das erstmal sacken lassen.
Ich hatte bei meiner Anreise nichts weiter als einen Tipp, dass es hier einfach schön ist. Jetzt sitze ich da und frühstücke mit einem Hotelbesitzer und Kaffeeanbauer in einem Baumhaus mit Blick auf den Lake Nyassa. Kann mich mal kurz jemand kneifen?
Nach einem wundervollen Frühstück steigen wir in den Land Cruiser.
Dekadent denke ich, wieso so ein teures Auto. Ich werde es in 45 Minuten sehen. Ohne dieses Fahrzeug wäre es unmöglich, die Farm zu erreichen. Es ist also einfach nötig…
Da es über den heutigen Tag noch sehr viel zu erzählen gibt, geht es morgen in Teil 2 weiter.Read more
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- Day 13
- Saturday, October 26, 2024 at 8:30 PM
- ☁️ 22 °C
- Altitude: 1,357 m
TanzaniaMpapa11°11’30” S 34°56’35” E
Kaffee, Bananen und Buntbarsche
October 26, 2024 in Tanzania ⋅ ☁️ 22 °C
Josephs Kaffeefarm | Der Berg brennt | Schnorcheln mit Buntbarschen
Joseph nimmt mich also mit zu seiner Kaffeefarm. Ich stelle mir vor, wie es wohl sein wird. Ehrlicherweise habe ich keine Ahnung, wie Kaffee angebaut wird. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es ein Strauch oder ein Baum ist, an dem Kaffee wächst. Ich male mir aus, mit welchen feinen Maschinen der Kaffee geerntet wird.
Wir fahren ein ganzes Stück aus Mbamba Bay hinaus. Joseph erzählt mir, wie er alles aufgebaut hat: das BioCamp und dann vor drei Jahren die Kaffeefarm. Der Weg durch die Serpentinen ist traumhaft, mit einem atemberaubenden Blick ins Tal. An einer Bushaltestelle hält Joseph an. Frauen sitzen dort mit Kindern. Vor ihnen ganze Eimer voller Mangos. Er fragt mich, was ein Sack Mangos wohl kosten wird. Ich habe keine Ahnung. Es sind rund 20 kg Mangos. Mein Tipp ist 50 $, also umgerechnet 150.000 TSH. Er lacht herzlich. Das ist der Tipp, den alle seine europäischen Freunde und Gäste haben. Aber es ist weitaus weniger. Joseph kauft den kompletten Sack Mangos für 2.000 TSH. Das ist nicht mal ein Euro. Wahnsinn. Ich bin sprachlos.
Es geht weiter. Durch kleine Dörfer. Die Hauptstraße, die Mbinga mit der Seestadt Mbamba Bay verbindet, ist erst seit wenigen Jahren geteert. Rund 30 Minuten fahren wir in Richtung Mbinga (dorthin, wo auch ich herkam). Dann biegt Joseph ab. Es geht einen kleinen, unscheinbaren Feldweg hinein. Ab jetzt weiß ich, wieso Joseph einen Land Cruiser fährt. Ich kann mich nicht erinnern, in meinem Leben jemals einen so schlechten Weg mit einem Auto gefahren zu sein. Maximal auf Kreta mal, bei einem wunderschönen Urlaub damals mit meiner damaligen Freundin. Ein Mietwagen und das Ziel: ein Strand, der nicht im Reiseführer stand. Wir mussten damals die Fahrt mit dem Toyota Yaris abbrechen, weil es nur noch über Felsen ging. Jetzt fahre ich mit Joseph in Tansania einen Feldweg entlang, auf dem er, so sagt er, schon zweimal mit einem Auto umgekippt ist. Das weckt Vertrauen. Aber er ist ein vorsichtiger Fahrer, und er kennt jedes Loch, wie es scheint. Es sind nur wenige Kilometer ab hier bis zur Farm, aber sie kommen mir vor wie eine Ewigkeit. Im Schritttempo geht es voran. Das ganze Auto wackelt hin und her. „Nicht gegen arbeiten, sonst bekommst du morgen Muskelkater. Einfach die Bewegungen lassen und mitgehen.“ Das ist leichter gesagt als getan.
Nach insgesamt 50 Minuten erreichen wir den Weg, der zur Farm führt. Man kennt Joseph hier, auch weil er ein einzigartiges Konzept hat. Die Kinder, die hier in den Bergsiedlungen leben, kommen an die Straße gerannt. Joseph hält bei jedem der Kinder an, verteilt Bonbons und fährt dann seelenruhig weiter. Man achtet ihn hier, auch wenn er mit dem BioCamp und seiner Organic Coffee Farm für verrückt gehalten wird. Sanfter Tourismus, nachhaltig und ohne Chemie. Alles aus eigener Herstellung. Das ist für die Menschen hier unvorstellbar und nicht erstrebenswert. Das schnelle Geld zählt.
Die Kaffeefarm ist größer, als ich dachte. Ich lasse meine Drohne aufsteigen, um mit Joseph zusammen zu schätzen, wie groß das Gelände ist. Er selbst hat das Gelände bisher nie von oben gesehen. Ein kompletter Hang voller Kaffeebäume. Dazwischen immer wieder Bananenpflanzen. Sie dienen den Kaffeebäumen als Schattenspender.
Ich lerne Astery und Goodluck kennen, die beiden Söhne der Familie, die auf dem Anwesen leben und die Farm im Namen von Joseph betreiben. Ihr Vater ist Kaffeebauer der ersten Stunde. Alles, was man über Kaffee und den Anbau wissen muss, hat in dieser Familie eine lange Tradition. Es ist eine große Ehre für mich, dass ich eintauchen darf in eine völlig neue Welt.
Zusammen gehe ich mit Astery und Goodluck zu einem neu angelegten Feld. Die Sonne steigt immer höher, und langsam wird es unerträglich heiß. Die Jungpflanzen, die den ganzen Tag in der Sonne stehen, müssen geschützt werden. Über jeder einzelnen steht ein kleines hölzernes Dreieck. Darüber ein paar lose Zweige. Schatten ist wichtig. Es dauert drei ganze Jahre, bis ein Kaffeebaum das erste Mal Ertrag bringt.
Das ist eine lange Zeit für die Menschen, die vom Kaffeeanbau leben. Sie hüten die Bäumchen wie ihren Augapfel. Wenn Insekten sie befallen oder starke Regenfälle die Bäume beschädigen, heißt es: drei Jahre warten, bis ein neues Bäumchen an dieser Stelle wächst.
Wir gehen weiter. Jetzt laufen wir durch die größeren Kaffeebäume. Sie blühen prächtig in einem wunderschönen Weiß. Ein herrlicher Duft liegt in der Luft. Eine Frische, die von den schönen Blüten ausgeht. Mit dem Blick ins Tal komme ich mir vor wie in einem Film. Es ist so surreal, alles aus erster Hand zu erleben. Ein bisschen bin ich stolz auf mich selbst, dass ich die Menschen hier anspreche, sie bitte, mir ihre Kultur und ihre Lebensweise zu zeigen. Es gehört auch viel Vertrauen dazu, auf beiden Seiten.
Wir laufen weiter durch die Kaffeefelder, und die beiden zeigen mir, wie sie bewässern. Da es einen natürlichen Bach gibt, müssen sie keine Pumpen betreiben. Sie leiten ein Teil des Wassers durch kleine ausgehobene Rinnen, und davon zweigen kleine Rinnsale ab. Das Wasser läuft den Berg hinab und versorgt die Pflanzen. Es ist auch Teil der Firmenphilosophie: Keine Maschinen, die der Umwelt unnötig schaden. Keine Pestizide. Ausschließlich Nützlinge zur Bekämpfung von Insekten und die Maschinen, die sie haben, betreiben sie per Hand.
Zum Ernten müssen sie ohnehin in die Felder. Das kann keine Maschine. Der Hang ist steil, und der Platz zwischen den Bäumen begrenzt.
Im Juli beginnt die Erntezeit.
Die Blüten haben sich in rote Kaffeekirschen verwandelt. Erst sind sie grün, dann rot. Rote Kaffeekirschen werden weiterverarbeitet. Zunächst in großen Becken gewaschen, das Wasser dafür kommt aus dem Bach. Nach dem Wasserbad kommen die Kaffeekirschen auf Gitter und trocknen in der Sonne. Anschließend geht es zum Schälen. Ein handbetriebenes Gerät, welches bei Bedarf überall hingebracht wird, wo gerade Kaffee trocknet. Die Kaffeebohne in ihrem rohen Zustand ist grün. Das wusste ich bis heute auch nicht. Erst nachdem der Röstmeister in Mbamba Bay mit dem einzigartigen Röstgrad der Bohnen zufrieden ist, sehen die Bohnen aus, wie wir sie kennen: schokoladenbraun geröstet. Der Duft ist herrlich erfrischend.
Wir erreichen ein kleines Plateau, wo ein Essen vorbereitet ist. Das Mittagessen mit Blick ins Tal bis hin zum 20 km weit entfernten See ist unbezahlbar. Joseph erzählt mir mehr von ihm und den Machenschaften der katholischen Kirche. Er vertraut mir scheinbar sehr, weil er auch kein Blatt vor den Mund nimmt, obwohl er weiß, dass ich nochmal ins Litembo Diocesan Hospital zurückkehre. Vielleicht auch, weil er weiß, dass ich morgen noch den brasilianischen Bischof treffen werde. Er will, dass man kritisch mit der Kirche umgeht, auch wenn sie den Menschen hier in der Region weiterhilft. Vor allem aber übernehmen sie Aufgaben, die die Regierung nicht übernehmen kann. Er sagt, weil die Regierung es nicht will…
Ich erzähle Joseph über mich. Meine Einstellung zur Kirche, warum ich auch in Deutschland noch Kirchensteuern zahle. Ich denke dabei immer an meine Kindheit zurück, an das evangelische Jugendhaus in Kalkar, das vor allem Sportangebote und Hausaufgabenbetreuung angeboten hat. Die meisten, die dort waren, waren Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Diese Einrichtung wurde von der evangelischen Gemeinde finanziert und existiert bis heute. Ich erzähle von meiner Arbeit in der Gewerkschaft und dass ich selbst für Ver.di gearbeitet habe. Sechs Monate inside Ver.di. Dann kam die Studienplatzzusage. Joseph ist begeistert. Das braucht es hier in Tansania auch, aber die einfachen Leute schaffen es nicht, sich zu wehren. Zu mächtig ist der Staatsapparat.
Nach einem sehr interessanten Mittagessen wollen Astery und Goodluck mir unbedingt den Wasserfall hier zeigen.
Wir laufen ca. 20 Minuten, bis wir an einem kleinen Wasserfall ankommen. Traumhaft. Wir gehen näher ran und steigen die Steine hinab. Im Hinterkopf habe ich die Gefahren, die hier lauern. Abrutschen und stürzen wäre das harmloseste. In fließendem Gewässer tummeln sich Schnecken, die befallen sind mit Schistosomen. Geht man ins Wasser und hat Kontakt zu ihnen, bohren sie sich durch die Haut und befallen die Leber. Von dort wandern sie in die Darmwand, und es folgen stundenlange Sitzungen auf der Toilette. Wirklich nichts, was man haben will. Aber ich bin mal wieder zu nett, um dem Abenteuer den Rücken zu kehren. Ich frage zumindest nach, ob es hier ein Problem damit gibt. Alle verneinen und sagen, dass es das nur weiter unten gibt und sowieso nicht in dieser Gegend. Ich muss es wohl glauben und hoffen, dass sie recht haben. Trotzdem meide ich das Wasser so gut es geht.
Als wir zurück sind an der Kaffeefarm, gibt es nochmal den unfassbar leckeren Kaffee.
Joseph hat in der Zwischenzeit Kaffee aus Amsterdam dabei – zum Vergleich. Der schmeckt wirklich bitter und kaum nach Kaffee. Josephs Organic Coffee ist vollmundig und nicht bitter. Schmeckt nach sehr gutem und frischem Kaffee. Ich muss unbedingt welchen haben und frage nach einer Packung. Joseph freut sich und gibt mir gleich vier weitere dazu. Ein Geschenk, das ich gerne annehme! Wir unterhalten uns mit der Familie, sie wollen wissen, wie das Leben in Deutschland ist und warum ich hier bin. Auf beiden Seiten eine gute Zeit, sagt Joseph später.
Wir fahren in der Dämmerung los.
Ein traumhafter Sonnenuntergang. Der Weg bis zur befestigten Straße ist sehr holprig und herausfordernd. Und dann haben wir eine Panne. Mit dem Motor stimmt etwas nicht. Joseph hat dies schon auf dem Hinweg bemerkt, und tatsächlich ist fünf Minuten später sein „Fundi“ (Handwerker) da. Er und ein Kollege reparieren das Auto in 20 Minuten. Es kann weitergehen.
Als wir auf der Hälfte der Strecke sind, ist es bereits dunkel. Jetzt sehe ich zum ersten Mal, wie die kleinen Landwirte ihr Land roden. Überall in den Bergen brennt Feuer. Die Flammen fressen sich ganz langsam die Hänge hinauf und hinab. Ich versuche, die Kamera draufzuhalten. Die Qualität ist nicht besonders gut, aber dieses Schauspiel wirkt atemberaubend. Überall Flammen und der Geruch von verbranntem Heu. Aber nicht beißend, sondern angenehm. Jeden Abend brennen andere Teile, wichtig für die Vegetation und die Landwirtschaft.
Zurück im Camp steht das Essen bereit.
In einem Baumhaus essen Joseph und ich frischen Fisch aus dem Lake Nyassa. Ich habe, glaube ich, noch nie Buntbarsch gegessen. Der ist auch schwer zu bekommen, da er als Süßwasserfisch hier im Lake Nyassa heimisch ist. Die Buntbarschpopulationen sind weltbekannt. Und so lassen wir den Abend ausklingen, und ich entscheide mich für eine Schnorcheltour am nächsten Morgen.
Ab in die Banda und Augen zu. Der Tag war lang, aber unheimlich wertvoll.Read more
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- Day 14
- Sunday, October 27, 2024 at 12:30 PM
- ⛅ 29 °C
- Altitude: 468 m
TanzaniaNdengele11°15’21” S 34°46’46” E
Ein echter Massai
October 27, 2024 in Tanzania ⋅ ⛅ 29 °C
Ein toller Abschied im BioCamp | ich treffe Cashew Massai | Großes Finale in Mbinga
Es ist noch früh, als ich aufwache. In Deutschland wurde in der Nacht die Uhrzeit umgestellt. Wir sind euch jetzt zwei Stunden voraus in Tansania. Der Tag beginnt hier allgemein früh. Um kurz vor 6 Uhr geht die Sonne auf – jeden Tag. Keine Umstellung der Uhren. Die Menschen stehen mit der Sonne auf und gehen bei Sonnenuntergang schlafen. So wird der Tag optimal genutzt. Ich kann mich daran nicht so recht gewöhnen. Um 5:30 Uhr aufzustehen, mache ich nur selten. Heute ist einer dieser Tage. Ich habe mich mit Alfred, dem herzlichen Mitarbeiter im BioCamp, verabredet. Er bringt mich auf den Hausberg neben der Lodge. Ich möchte einige Aufnahmen mit meiner Drohne machen und mir mein Frühstück ein wenig verdienen.
Gut gelaunt treffe ich Alfred an der Rezeption. In einem Trikot, das wohl einer Kreisligamannschaft in Deutschland gehört hat, sieht er aus, als würde er gleich auf einem Fußballplatz auflaufen. Viele junge Menschen tragen solche Trikots, die über Sachspenden in dieser Region landen. Ich habe mich für ein tansanisches Nationaltrikot entschieden. Denn es wird anstrengend, und Funktionsshirts sind da die beste Wahl. Das Nationaltrikot hat mich übrigens in Mbinga 12.000 TSH gekostet – weniger als 5 Euro.
Alfred spricht gutes Englisch. Auf dem kurzen Weg durch die Lodge erzählt er mir, welches Gemüse und welche Früchte sie hier anbauen. In einem kleinen Gebiet, das sie „Vegetable Farm“ nennen, wächst alles, was man zum Leben braucht. Dann geht der anstrengende Teil los. Wir klettern über kleinere und größere Felsen und erklimmen den Hausberg. Im unteren Abschnitt spenden etliche Bananenbäume Schatten, aber je weiter wir nach oben gelangen, desto sonniger wird es. Mir läuft der Schweiß übers Gesicht. Gott verdammt nochmal, seit wann bin ich so unsportlich? Ich bin sichtlich angestrengt. Doch als wir oben ankommen, sehe ich, dass auch Alfred schweißgebadet ist. Ich muss sofort lachen. Ich sage ihm, was ich gedacht habe, und er lacht und meint, dass er genau das über sich selbst gedacht habe. Da er aber vor mir lief, wollte er nicht langsamer machen, damit ich nicht denke, dass er unsportlich sei. Ein Glück, dass wir oben sind. Hinunter wird es deutlich entspannter.
Alfred hat ein großes Wissen über die Pflanzen, die wir auf dem Weg sehen. Er erzählt auch, was man in der Ferne alles sieht und wo die Fischer ihre Fische am liebsten fangen. Auch das Militär hat in der Nähe eines kleinen Fähranlegers in Mbinga einen Stützpunkt. Ich solle da mit der Drohne nicht hinfliegen. So weit würde die Drohne es aber sowieso nicht schaffen.
Auch hier lasse ich Alfred meine Drohne steuern. Er hat das noch nie gemacht und ist etwas zögerlich. Doch er hat riesigen Spaß und ist glücklich.
Als wir alle Aufnahmen gemacht haben, geht es zurück. Ein reichhaltiges Frühstück wartet auf uns. Joseph ist auch wieder dabei und schaut sich meine Aufnahmen an. Er ist, wie gestern, sehr froh und bedankt sich. Woanders würde er sehr viel Geld dafür bezahlen. Ich stelle ihm die Videos zur Verfügung, und keine zwei Stunden später ist ein erster kleiner Werbefilm von seinen Kindern in Deutschland erstellt worden.
Jetzt schmeckt das Frühstück besonders gut, weil auch der Blick auf den See herrlicher ist!
Nach einer kurzen Pause kommt Emmanuel auf mich zu. Er ist etwas jünger als Alfred. „Let’s go, Denis. Fishes are waiting!“ (Auf geht’s, Denis. Die Fische warten!) Er hat in der Zwischenzeit das kleine Paddelboot vorbereitet. Wir machen uns also auf den Weg in eine kleine Bucht. Mit etwas Glück sehen wir ein paar Buntbarsche. Doch bis wir dort sind, vergehen 40 Minuten mit dem kleinen Holzpaddel. An meinem Daumen bildet sich mit jedem Schlag eine größere Blase. Aber so ist das nun einmal. Wir sind nicht in Europa, wo jedes Boot einen Motor hat. Ein zweites Mal heute läuft mir der Schweiß über die Stirn.
Vorbei an größeren Felsen, die ins Wasser ragen, kommen wir in eine kleine Bucht. Hier ist keine Menschenseele – nur Emmanuel und ich und ganz viel Fisch. Wir machen das Boot an einem der Felsen provisorisch fest. Dann reicht er mir Maske und Schnorchel. Wir klettern auf einen großen Felsen. Dann nimmt Emmanuel Anlauf und springt in den See. Ich checke schnell, ob ich im Wasser etwas entdecke. Nichts. Also nehme auch ich Anlauf und springe. Mit einem lauten Platsch landen die 90 kg Kampfgewicht im Wasser. Das Wasser bringt die nötige Abkühlung. Wir schnorcheln rund 45 Minuten an der felsigen Küste entlang. Jede Menge Fische sind zu sehen. Tatsächlich sind auch einige Buntbarsche dabei. Zwei, die ich sehe, schimmern blau. Ein schönes Bild. Fast ein bisschen unecht. Sie sind gestreift wie Nemo, nur so wunderschön blau. Sie schwimmen ganz langsam und friedlich durch das Süßwasser. Ich halte meine GoPro drauf. Hoffentlich kann man es erkennen. Das muss ich später unbedingt checken.
Nach unserer Schnorcheleinheit sagt Emmanuel, dass er noch etwas erledigen müsse. Sein Englisch ist etwas schwieriger zu verstehen, und immer wieder sind tansanische Wörter darunter. Er nimmt einen Eimer aus dem Boot und klettert ein paar Felsen hoch. Er winkt mich zu sich. Ich folge ihm und bin gespannt, was er vorhat.
Mit einem spitzen Bambusstiel bohrt er in der Erde zwischen den Felsen umher. Dicke Ameisen laufen aus den Löchern und rennen in alle Richtungen. Nachdem er genug Erde aufgelockert hat, greift er in die Erde und füllt den Eimer damit. Die Ameisen brauchen sie im BioCamp. Es sind Nützlinge, die sie in der „Vegetable Farm“ ausbringen. Ich staune nicht schlecht. Auf Emmanuel’s Armen und Händen krabbeln jetzt etliche Ameisen. Ich frage ihn, ob es nicht weh tut? Ob die Ameisen nicht pinkeln oder beißen. Ich meine mich zu erinnern, dass der Urin von Ameisen höllisch brennt und juckt. Aber dem ist nicht so. Kein Problem, sagt er. Ruckzuck ist der Eimer voll.
Zurück am Boot stellen wir den Eimer sicher an den Rumpf und paddeln los in Richtung BioCamp. Es ist wieder anstrengend, aber es macht Spaß. Vielleicht, weil Emmanuel und Alfred ungefähr in meinem Alter sind, verstehen wir uns, als wären wir lange Jahre befreundet.
Zurück am BioCamp kommt Joseph auf mich zu. Er hat die Abreise für mich organisiert. Ein PikiPiki-Fahrer wird mich abholen und nach Mbinga bringen, wo Anna und Robin auf mich warten. Doch vorher will jemand mich kennenlernen. Es ist der Manager des BioCamps, Cashew Massai. Ihn habe ich vor einigen Tagen auch kontaktiert, um die Banda zu buchen. Der Kontakt ist über Christian, unseren Techniker, entstanden. Bis eben wusste ich weder, wer Cashew ist, noch dass er ein echter Massai ist. Die Massai sind ein ostafrikanisches Volk, das vor allem im Süden Kenias und im Norden Tansanias beheimatet ist. Es ist ein ganz kleines Volk, aber das wohl bekannteste in ganz Afrika. Dies aufgrund ihrer halbnomadischen Lebensweise und der Tatsache, dass sie in den beliebtesten Nationalparks ihre Heimat haben.
Cashew ist ein großer, schlanker Mann mit langen, dünnen Beinen. Er trägt das traditionelle Gewand der Massai. Er begrüßt mich auf Englisch und freut sich, dass ich Gast bei ihnen bin. Heute erst ist er zurück aus dem Ruaha-Nationalpark. Dort arbeitet er als Guide und zeigt Touristen die Lebensweise seiner Vorfahren. Er ist ein moderner Massai, mit festem Job und einem Smartphone. Die Touristikbranche ist sein Leben, und er ist sichtlich stolz auf seine Herkunft. Hier im BioCamp muss er das nicht verstecken. Er braucht keine Arbeitskleidung, sondern kann sein traditionelles Gewand und die Lebensweise als Selbstversorger mit seinem Job perfekt in Einklang bringen.
Er erzählt mir viele interessante Dinge über die Massai und wie sich das Leben verändert hat. Längst ist es ein zivilisiertes Volk mit allen technischen Möglichkeiten, die man aus der Großstadt kennt. Aber, und das sei ihm wichtig, er ist stolz auf das, was sein Volk ausmacht, und sie besinnen sich auch heute noch auf ihr kulturelles Erbe. So leben viele Massai trotz des technischen Fortschritts nah an ihren Vorfahren. Ein tolles Erlebnis. Seine Nummer habe ich, und vielleicht treffen wir uns schon in einigen Wochen wieder, denn ich habe ihm erzählt, dass ich noch nie eine Safari gemacht habe… dafür ist Cashew Massai der perfekte Ansprechpartner.
Um Punkt 15 Uhr weht Staub auf dem langen Weg zum Camp auf. Die Hupe ertönt. Mein Fahrer kündigt sich an. Ich hatte erst überlegt, mit dem Bus zu fahren, aber das würde wieder eine 2,5-stündige Fahrt bedeuten. Da ich die Zeit im BioCamp bis zum Schluss nutzen wollte, ist das PikiPiki mit 1,5 Stunden Fahrtzeit die bessere Option. Rucksack auf und los geht’s. Der Fahrer ist aufmerksam und vorsichtig. Trotzdem erreichen wir Spitzengeschwindigkeiten von 90 km/h. Sein Tacho funktioniert zumindest, denke ich. Das war bei anderen Fahrern nicht so. Aber, und dafür werden meine Eltern mir ohne Frage die Leviten lesen – auch mit 30 noch – für Beifahrer gibt es keinen Helm. Der Fahrer selbst zieht seinen nach einigen Kilometern auch ab. Zu unbequem anscheinend.
Die Strecke ist ein Eldorado für Motorradfahrer. Aber nach 1,5 Stunden kann ich mich kaum mehr auf dem PikiPiki halten. Ich werde am Busbahnhof von Mbinga Town rausgelassen.
In Mbinga stehen alle Zeichen auf Großereignis. Die Youth League bestreitet hier das Finalspiel. Also wieder Fußball. Weil Fußball immer ein dreckiges Geschäft mit viel Geld ist, hängt die katholische Kirche natürlich mit drin. Hunderte Menschen stehen am Feldrand. Eine Tribüne gibt es nicht – also normalerweise nicht. Da auch der brasilianische Bischof Johannes Bahlmann (Überraschung: ist gar kein Brasilianer, wie der Name vermuten lässt) und der Domkapitular (was auch immer das sein mag) aus Würzburg zu Gast sind, gibt es heute eine schicke Tribüne. Geschmückt, im Schatten, bequeme Stühle und gekühltes Wasser. Alle anderen Menschen harren in der Mittagssonne aus. Die Stimmung ist grandios. Immer wieder müssen die Offiziellen die Menschen zurück hinter die Außenlinien pfeifen.
Mbinga gegen Mpepo. Die Trikots der Mannschaften sind allerdings gesponsert, deshalb steht auf den Mbinga-Trikots „SV Albertshausen“. Eine verrückte Welt. Glückliche Menschen, die tanzen und ihr Team anfeuern, obwohl sie doch so wenig haben. Als deutsche Gruppe von Freiwilligen sind wir eine Attraktion hier. Die Menschen tummeln sich um uns, als wären wir Popstars. Jeder möchte ein Selfie, und wir tun den Menschen den Gefallen. Sie sind respektvoll und fragen, ehe sie sich zu uns stellen und ihre Smartphones herausholen. Nur einige wenige haben eins, sie machen auch Bilder für die anderen.
Das Spiel endet schließlich 2:1 für Mbinga, und so ist die Stadt in Feierlaune. Bevor wir uns in die Stadt aufmachen und ins Nachtleben stürzen, sind wir bei den Bischöfen zum Abendessen eingeladen. „Wenn lau, dann jau“, habe ich Simon im Ohr. Tausende Kilometer weit weg, aber bei so Momenten hätte ich Erik und Simon so gern hier bei mir. Grüße ins wundervolle Düsseldorf! Aber nach zwei Gläsern Pombe würde es uns alle niederstrecken, da bin ich sicher.
Pombe ist das selbstgebraute Bananenbier. Es ist immer zum Freitag fertig. Wer es auch am Sonntag noch trinkt, den haut es aus den Schuhen, so sagt man hier. Ich lasse die Finger weg. Vielleicht komme ich aber an ein gutes Rezept. Mal sehen.
Wir steigen zu dritt in die dicken Autos der Bischöfe, und ich komme wieder ins Gespräch mit dem brasilianischen Bischof. Sein Projekt mit dem schwimmenden Krankenhaus auf dem Amazonas interessiert mich nach wie vor sehr. Wir bleiben in Kontakt, verabreden wir. Ab Dezember fährt in Brasilien ein Beiboot mit. Genug Platz für Famulanten wäre dann. Ein denkbares Projekt für den Sommer nächsten Jahres.
Nach einem üppigen Abendessen in Hülle und Fülle zieht es uns in die Stadt. Dort verbringen wir auch die Nacht, und ich fahre Montagmorgen weiter nach Litembo, damit ich pünktlich im Krankenhaus bin. Anna und Robin werden sich dann auf den Weg nach Mbamba Bay machen, um sich ein wenig zu erholen. Also, rein ins Nachtleben.Read more
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- Day 15
- Monday, October 28, 2024 at 5:50 AM
- ⛅ 17 °C
- Altitude: 1,630 m
TanzaniaLitembo10°58’38” S 34°49’33” E
Candle Light Dinner im DoctorsHouse
October 28, 2024 in Tanzania ⋅ ⛅ 17 °C
Neue Woche, neue Abteilung | Zeit für Entspannung | Kein Strom im Doctors House
Nach einer kurzen Nacht in Mbinga wache ich in einer Lodge direkt im Stadtzentrum auf. Ich hatte das Zimmer hier im Voraus reserviert, damit ich nicht in der Nacht noch die eine Stunde bis nach Litembo fahren muss. Auf dem PikiPiki ist die Off-road-Strecke nichts für Nachtfahrten. Zumindest nicht für uns Europäer. Es ist deutlich sicherer, die Schlaglöcher vorher zu sehen, durch die die Fahrer hier mit mindestens 40 km/h jagen. Stoßdämpfer sind hier ein großes Geschäft. Mindestens alle zwei Monate müssen diese ersetzt werden.
Zu meinem Unmut muss ich feststellen, dass eine Mücke unter das Netz gelangt war. Sie hat sich die ganze Nacht an meinen Armen verköstigt. Ich bin zwar voll auf Malarone, aber die beste Prophylaxe ist immer noch, den Mücken erst gar keine Chance zu lassen. Jetzt muss ich auf die Medikamente vertrauen. Malaria wäre aber das geringste Problem hier. Ich packe meine Sachen zusammen und verlasse die Lodge um 5:45 Uhr. Der Himmel ist rot-orange gefärbt. Jeden Moment geht die Sonne auf, und ein bisschen froh bin ich auch, dass ich das sehe. Sonst stehe ich auf, wenn die Sonne längst hoch am Himmel steht. Ich laufe durch einige Gassen, bis ich einen PikiPiki-Fahrer sehe. So früh ist es eine kleine Herausforderung, jemanden zu finden, der mich nach Litembo fährt. Ich bin mir unsicher, was es kosten wird, frage deshalb erstmal nach dem Preis: „Schillingi ngapi kufika Litembo Hospitali?“ Der Fahrer antwortet: „Elfu Tatu.“ Mir sind 15.000 TSH zu viel. Eigentlich makaber, weil es nur rund 7 € für eine Stunde Fahrt sind. Aber wir einigen uns auf „Elfu mbili“, also 12.000 TSH.
Ich steige auf das Motorrad und wieder beginnt eine wilde Fahrt rauf und runter, Serpentinen und Schlaglöcher. Aber ich komme wohlauf an. Wieder ohne Helm. Ich beschließe, bei der nächsten Gelegenheit einen Helm zu kaufen. Sicher ist sicher. Wenn ich in Dar es Salaam bin, kann ich diesen dann mit der Post nach Litembo ins Doctors House schicken. Die nächsten Famulanten können den sicher auch gebrauchen.
Um viertel vor 7 betrete ich mein Zimmer. Im Doctors House ist es sehr ruhig. Einzig Heike, die Internistin aus Hamburg, ist schon auf. Sie staunt nicht schlecht, als ich ihr erzähle, wie mein Zeitplan der letzten Tage war. Ein „Als ich so jung war wie du, konnte ich das auch problemlos“ geht runter wie Öl. Heike gehört zu den Ärzten, die sich die Außenstationen des Hospitals in den entlegensten Dörfern angeschaut haben. Im Auftrag der Spender in Deutschland schauen sie, welches Material hier noch benötigt wird und kontrollieren gleichzeitig, ob die Spenden auch wirklich zweckgebunden verwendet werden. Auch sie ist das erste Mal in Afrika bzw. Tansania.
In der Zeit, in der ich schnell unter die Dusche springe, bereitet Heike für alle das Frühstück vor. Ich sortiere noch schnell die Wäsche aus dem Rucksack und setze mich mit einem frischen Kaffee zu der fünfköpfigen Delegation aus Deutschland. Es ist schön, nicht allein zu sein. In Gesellschaft macht es auch deutlich mehr Spaß.
Nach dem Frühstück mache ich mich auf den Weg in die Klinik. Ab heute begleite ich die Gynäkologen. Meine Station wird die Geburtshilfe sein.
Doch zunächst ist die Montagsbesprechung, in der wie in einer amerikanischen Serie die Interns ausgequetscht und vorgeführt werden. Nurses und Volunteers schauen sich das Spektakel jeden Montag an. Die Chef- und Oberärzte erfahren dann auch immer, was am Wochenende im Krankenhaus los war. Sie stellen kritische Fragen zu den Behandlungen und fragen auch theoretische Kenntnisse ab. Nach rund eineinhalb Stunden sind die Interns entlassen und können ihrer Arbeit an den Patienten nachgehen.
Ich stelle mich Dr. Bosco vor. Er ist diensthabender Intern. Zusammen laufen wir zur Maternity Ward. Dort warten bereits zwei Frauen, die entbunden haben. Im Untergeschoss sind weitere vier Frauen, die hochschwanger sind und kurz vor der Entbindung stehen. Die Räume sind einfach eingerichtet. Der Kreissaal ist alles andere als einladend. Eine Wärmelampe, die so aussieht, als könnte sie auch im Hühnerstall hängen, verrät, dass hier die kleinsten der Gemeinschaft das Licht der Welt erblicken. Gerade heute Morgen ist ein Kind geboren. Es hat noch die Käseschmiere im Gesicht und liegt eingewickelt unter der Wärmelampe. Ich freue mich sehr auf die Woche. Die Gynäkologie ist für mich Neuland. Bisher habe ich keine Praxiseinsätze in diesem Bereich gehabt. Dr. Bosco zeigt mir die Station. Heute ist es sehr ruhig. Rund 1000 Geburten gibt es hier jährlich. Gute Gelegenheit also, vor allem auch natürliche Geburten zu sehen und bei der Versorgung zu unterstützen.
Unser Stationsrundgang beginnt bei den Frauen, die einen Kaiserschnitt bekommen haben. Die Wunden werden inspiziert und desinfiziert. Die Gefahr von Entzündungen ist sehr hoch. Die hygienischen Bedingungen sind dürftig. Die Frauen werden von Angehörigen versorgt. Körperpflege und die Verpflegung übernehmen komplett die Familien der Patienten. Die Nurses haben hier vor allem organisatorische Aufgaben und alles, was die medizinische Betreuung betrifft. Eine Pflege im klassischen Sinne, so wie wir es aus Deutschland kennen, ist es lange nicht. Auch die Bettwäsche bringen die Frauen mit.
Die Nähte, die wir uns anschauen, sehen gut aus. Keine Infektionen. Dr. Bosco sieht zufrieden aus. Wir gehen weiter zu den drei Frauen, die auf natürlichem Wege entbunden haben. Hier werden die Vitalparameter durch die Ärzte und mich gemessen. Dann leiten die beiden Gynäkologen die Frauen an. Sie sollen die Neugeborenen an die Brust anlegen. Kritisch schauen sie darauf, wie die Frauen dies tun. Immer wieder korrigieren sie die Haltung der Frauen und geben Tipps, wie die Säuglinge richtig gehalten werden. Später sagt Dr. Bosco, dass die Frauen bei jedem neuen Kind genau so geschult werden. Mangelernährung ist auch ein Problem der Technik. Die Frauen, die ihre Kinder falsch an die Brust anlegen, denken, dass die Kinder ernährt werden, dabei haben sie dann nicht die Chance, richtig zu saugen. Deshalb ist diese Schulung so wichtig. Die Frauen bleiben nur 24 Stunden, bevor sie entlassen werden. Deshalb kümmern sich die Ärzte engmaschig um sie.
Die letzte Station sind die Frauen, die hochschwanger sind. Kurze Anamnese und Vitalwerte erheben. Dann kommt ein mobiler Doppler zum Einsatz. Ein kleines, mobiles Ultraschallgerät, das die Herztöne der Feten ableitet. Dazu wird der Bauch der Frau abgetastet, um den Rücken des Fötus zu ertasten. An dieser Stelle wird die Sonde des Ultraschalls aufgelegt und die Herzaktivität abgeleitet. Der Puls des Fötus wird auf dem kleinen Display angezeigt. Er liegt bei den drei Frauen, die hier liegen, in der Nähe von 150 Schlägen pro Minute (das ist für ein Fötus ein Normalwert, der Puls ist bei Säuglingen und Kindern regelhaft höher als bei Erwachsenen). Alles in Ordnung. Wir sind fertig und dokumentieren die Ergebnisse.
In der Ambulanz wartet eine ältere Dame mit anhaltenden Schmerzen im Unterleib. Dr. Bosco nimmt mich mit und erklärt, was er untersucht. Die Vermutung liegt nahe, dass etwas mit dem Cervix (Gebärmutterhals) nicht in Ordnung ist. Die Patientin legt sich auf eine Liege mit Beinhalterung. Ich assistiere Dr. Bosco. Er nimmt ein Spekulum und führt es ein, sodass der Cervix gut sichtbar ist. Jetzt nimmt er etwas Essig aus einem Döschen und gibt es auf einen Tupfer. Mit diesem Tupfer benetzt er den Cervix. Bei auffälligem Befund gibt es Areale der Schleimhaut, die sich verfärben. Bei Feigwarzen erkennt man zum Beispiel scharf begrenzte weiße Läsionen, in denen unregelmäßige Blutgefäße sichtbar werden. Bei dieser Dame ergibt sich in der sogenannten Essigprobe ein Normalbefund. Alles gut. Sie kann guten Gewissens nach Hause. Medikamente werden ihr gegen die Schmerzen verschrieben. Für heute gibt es keine weiteren Patienten. Das genutzte Spekulum kommt in die Desinfektion. Es sind fünf Eimer mit Seifenwasser und Chlorwasser. 20 Minuten im Wasserbad und fertig. Für den nächsten Einsatz bereit. Wieder einmal ein Moment, in dem ich stutzig bin. Aber so sind hier die Regeln, so wird’s gemacht.
Als ich im Doctors House zurück bin, gibt es schon wieder Mittag. Anschließend lege ich mich ein wenig hin und ruhe mich aus, um Schlaf nachzuholen.
Ein Alarm holt mich aus dem Schlaf. Es ist die Solaranlage. Da es etwas zuzieht und bewölkt ist, wird zu wenig Strom erzeugt. Der Strom ist ausgefallen und die Batterien der Anlage sind tiefenentladen. Kein gutes Omen für die Nacht. Das Abendessen mit den Ärzten findet bei Kerzenschein statt. Es ist gemütlich und die Stimmung sehr gut. In der Gemeinschaft lässt es sich aushalten. Ich lasse den Abend mit Heike ausklingen. Wir kommen ins Gespräch und sie erzählt, wie sie die Eindrücke hier wahrnimmt. Ein bisschen ist es auch ein Ventil, um das Erlebte gemeinsam zu reflektieren. Uns ist bewusst, dass sich hier wenig ändern wird in der Zukunft. Trotzdem tut es gut, darüber zu reden. Es geht eben nicht spurlos an einem vorüber, wenn man eine Welt erlebt, in der das Nötigste fehlt.Read more
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- Day 16
- Tuesday, October 29, 2024 at 12:00 PM
- ☁️ 25 °C
- Altitude: 1,630 m
TanzaniaLitembo10°58’37” S 34°49’34” E
Spontangeburt
October 29, 2024 in Tanzania ⋅ ☁️ 25 °C
Fortbildung im Hospital | Zwillingsgeburt im Kreissaal | Prüfung beim Intern für Innere Medizin
Da der Bereich Maternity ein sehr sensibler Bereich ist, gibt es leider diesmal weniger Bilder. Dies dient natürlich auch dem Schutz der Privatsphäre der Frauen. Alle Bilder wurden mit Zustimmung hier hochgeladen.
Wie jeden Morgen wache ich unter dem blauen Netz auf, das mittlerweile zur Routine geworden ist. Abends das Netz in die Matratze stecken – rundherum, versteht sich. So bleiben Mücken auch definitiv draußen. Morgens beim Verlassen des Bettes das Gleiche: Netz wieder hoch und so bleiben auch Spinnen außerhalb des Netzes. Und die sind hier wirklich nicht klein. Bisher habe ich noch keine entdeckt, aber kurz vor meiner Anreise hat Robin eine in ihrem Zimmer gesichtet. Ziemlich haarig und sehr groß. Muss ich nicht haben. Mein inneres Kind hat nämlich genauso große Angst vor Spinnen wie vor Schlangen. Alles andere ist okay. Die Spinnen in Deutschland meine ich natürlich nicht, eher die, die es hier gibt – mit langen, haarigen Beinen und einem Körper so groß wie ein Pfirsich.
Ich habe erstaunlicherweise gut geschlafen und freue mich auch jeden Morgen von euch zu hören. Viele Rückmeldungen zu meinem Blog erreichen mich fast jeden Tag. Es ist schön, dass der ein oder andere meine Reise intensiv begleitet. Ich habe auch das Gefühl, dass sich dadurch Heimweh gar nicht erst bilden kann. Natürlich ist WLAN dafür auch von Vorteil.
Zum Frühstück gibt es wie so oft frisch gebackenes Brot von Serafina, darauf die leckeren heimischen Avocados, Parachichi genannt. Sie wachsen wirklich an jeder Ecke hier, genauso wie Bananen und Mangos. Vom Kaffee gar nicht zu reden.
Nach einem leckeren Kaffee aus dem BioCamp, dessen Bohnen ich frisch gemahlen habe, geht es ins Hospital. Dienstags morgens steht eine interne Fortbildung an, die jeder besuchen darf. Leiter der Inneren Medizin, Dr. Kelvin, hält heute den Vortrag. Um 8 Uhr bin ich allerdings der einzige neben ihm. Nach und nach trudeln die Interns und Nurses ein. Rund 20 Minuten warten wir, ehe Dr. Kelvin sichtlich genervt aufgrund der Verspätungen beginnt: „Mental health disease of the elderly“. Ich ahne, wieso so wenig Kolleginnen Interesse an der heutigen Fortbildung haben. Das Thema „Psychische Erkrankungen im fortgeschrittenen Lebensalter“ ist für die meisten Ärztinnen hier kein Thema. Sie schieben solche Fälle in die Innere ab, weil es keine Psychologen oder Psychiater gibt. In den großen Städten wie Dar es Salaam oder der Hauptstadt Dodoma ist das sicher anders. In Litembo ist es Aufgabe der Inneren, wenn überhaupt, nach psychischen Erkrankungen zu schauen. Bei den Menschen hier, die einen Suizidversuch unternommen haben, ist es offensichtlich. Die meisten versuchen es mit Medikamenten. Vor allem geschiedene Männer und alleinstehende junge Männer gibt es viele. Leider auch viele, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen. Die Ursachen sind vielfältig, aber die Zahl ist auffallend hoch. Jede Woche gibt es 2-3 solcher Fälle alleine hier im Hospital. Umso wichtiger, dass die Kolleginnen auch in dieser Hinsicht sensibilisiert werden. Suizid ist und war noch nie ein Ausweg.
Nach 1,5 Stunden theoretischem Input gehe ich wieder zur Maternity Station. Die beiden Ärzte Dr. Aikidu und Dr. Bosco waren nicht in der Fortbildung. Sie machen ihre Doctors' round und ich schließe mich ihnen an. Die beiden jungen Ärzte stehen scheinbar vor einem unlösbaren Problem. Das digitale Blutdruckmessgerät zeigt immer wieder einen Error an, nachdem sie auf Start gedrückt haben und die Manschette sich aufbläst und wieder ablässt. Zuerst korrigieren sie mehrfach die Manschette am Arm der Patientin. Als auch das nicht funktioniert, wissen sie nicht weiter. Ich verstehe nicht, warum. Jeder von uns hat sein Stethoskop um den Hals. Und da die Manschette sich aufbläst und das Display in Echtzeit den Druck anzeigt und ablässt, ist es ein Kinderspiel, eine manuelle Messung durchzuführen. Es ist halt kein Manometer, sondern ein Display, aber es zeigt die Werte an. Lediglich das Resultat am Ende ist nicht vorhanden. Also biete ich an, es für die beiden zu übernehmen. Sie schauen mir zu, als wäre ich ein Zauberer. Ich höre klar und deutlich den Pulston durch mein Stethoskop. Das erste Mal bei rund 116 mmHg und das letzte Mal bei rund 57 mmHg. Für einen Eindruck reichen die Werte. Anschließend messe ich den Puls: 15 Sekunden am Handgelenk, das Ergebnis mal vier: 64 bpm. Also, das ist wirklich keine Kunst. Aber auch hier gilt: Wenn die Elektronik versagt, dann geht’s halt nicht – eins der Hauptprobleme in den Kliniken.
Vielleicht haben sich die beiden auch etwas hilflos gefühlt und drücken mir jetzt ein kleines mobiles Doppler-Gerät in die Hand. Es ist ein Ultraschallgerät mit einem Lautsprecher und einer kleinen Sonde. Durch Auflegen auf die Bauchdecke kann man die Herztöne des Fötus hörbar machen und den Puls bestimmen. Jetzt wollen sie aber wissen, was ich drauf habe. Gut, dass ich gestern nochmal bei Amboss (Medizinlernplattform, für die die Uni Düsseldorf eine Lizenz erworben hat und den Studierenden zur Verfügung stellt) ein wenig geblättert habe. Ich taste den wirklich kugeligen und prallen Bauch der Schwangeren ab. Mein Ziel ist es, die Wirbelsäule des Fötus zu ertasten. Dort ist dann der Rücken, und die Wahrscheinlichkeit, die Schallwellen aufs Herz zu lenken, ist besonders gut. Von links und von rechts nehme ich den schwangeren Bauch der Frau und drücke mit meinen Händen vorsichtig. Auf der linken Seite ist der Widerstand deutlich höher. Hier ist etwas Hartes direkt unter der Bauchdecke. Das muss der Rücken des Fötus sein. Also nehme ich etwas Schallgel und setze die Sonde auf. Ein Rauschen ertönt, mehr nicht. Als würde man beim Radio genau zwischen zwei Sendern landen. Ein unangenehmes Geräusch. Ich gebe aber nicht auf und schwenke den Schallkopf ganz langsam hin und her. Meine Geduld wird einige Sekunden später belohnt. Jetzt hört man deutlich das Schlagen des Fötusherzens: 151 bpm (beats per minute). Die beiden Ärzte sind zufrieden. Dr. Aikidu hakt nach, ob ich wisse, wie die Normwerte sind. Es ist eine Situation, die ich aus Deutschland kenne: Man steht vor der Patientin und wird abgefragt. Ich weiß es zwar nicht, aber vermute, dass es wohl zwischen 120 und 160 bpm liegt. Er nickt und lächelt. Volltreffer. Die Ärzte glauben jetzt, ich habe was drauf, und ich freue mich, dass Raten manchmal reicht. Ist ja in den Klausuren durchaus genauso.
Wir beenden die Doctors' round gerade rechtzeitig, als Cathrina um die Ecke kommt. Die Nurse ist im Kreissaal eingeteilt. Eine Frau ist so weit, ihr Baby kommt auf die Welt. Wir sollen jetzt sofort in den Kreissaal. Die erste natürliche Entbindung, die ich sehen werde.
Als wir in den Kreissaal kommen, ist schon alles vorbereitet. Die Patientin hat sichtlich Schmerzen. Alle 15-20 Sekunden verzieht sie ihr Gesicht. Aber sie schreit nicht. Sie stöhnt nicht mal. Denn sie unterbindet es. Schreien und stöhnen bei der Geburt gilt in Tansania als schlechtes Omen. Passiert es unter der Geburt, wird man kein Glück mit dem Kind haben. Es müssen unwahrscheinliche Schmerzen sein. Keine PDA (die Spritze in den Rücken), keine anderen Schmerzmittel. Als Mann kann man es sich auch einfach nicht vorstellen, deshalb habe ich den größten vorstellbaren Respekt vor Entbindungen und vor den Frauen, die dort liegen. Dr. Aikidu zieht sich sterile Handschuhe an. Ich soll ihm assistieren. Bevor wir starten, sagt er: „Dr. Denis, for now you observe what I do. Before you go to internal ward next week, you will do your own delivery and I will observe.“ (Dr. Denis, schau gut zu. Bevor du in die Innere wechselst nächste Woche, wirst du eine Geburt allein begleiten und ich werde nur im Hintergrund zuschauen). Ich glaube, mir ist die Kinnlade runtergefallen. Zumindest in Gedanken. Ich frage nach, ob er damit auch die Naht meint, die oft am Damm noch im Nachgang gesetzt wird. Er antwortet wie selbstverständlich, dass dies natürlich mit dazugehört. Dann lacht er und sagt, dass ich sonst gar nichts zu erzählen hätte, wenn ich die letzte Woche nur konservative Therapien gemacht hätte.
Ich schaue also genau zu. Mit seinen sterilen Handschuhen legt er der Frau erst einmal einen Dauerkatheter. Dann führt er seine Finger vaginal ein. Nach einigen Sekunden sagt er: „9 cm.“ Als ob er jetzt mit seinen Fingern gemessen hat, wie weit der Muttermund geöffnet ist. Später zeigt er mir ein Holzbrett, in dem verschieden große Löcher gefräst sind. Dort demonstriert er, wie er mit seinen Fingern eine ungefähre Messung vornimmt bei gebärenden Frauen. Wir messen meinen Zeigefinger (1,5 cm) und meinen Mittelfinger (1,5 cm), beide nebeneinander rund 3,5 cm. Ich soll mir das merken für die nächsten Tage, damit ich selber Einschätzungen machen kann. Wow. Tief durchatmen und weiter schauen. Dr. Aikidu nimmt eine normale Spritze, setzt eine Kanüle auf und bricht diese dann ab. Mit der einen Hand nimmt er sie und führt sie bis zur Fruchtblase. Transvaginal bringt er die Fruchtblase zum Platzen. Das Fruchtwasser ergießt sich über die Behandlungstrage. Die Frau hat ein schmerzverzerrtes Gesicht. Auch die Manipulation durch den Arzt muss schmerzhaft sein, denke ich. Dann steht da auch noch ein Mzungi (Weißer), der wörtlich einen tiefen Einblick erhält. Ich bin immer noch sprachlos, dass das alles ohne jegliche Betäubung passiert. Auch wenn der menschliche Körper Hormone ausschüttet, um den Schmerz auszublenden, es muss harte Arbeit sein.
Und plötzlich kommt der kleine Kopf des Säuglings zum Vorschein. Ganz langsam, aber Stück für Stück. Hormone im Körper der Frau sorgen dafür, dass sich Bänder im Becken dehnen und locker werden. Die Beckenknochen bekommen dadurch Spiel und können etwas auseinanderdriften. Daher passt der Kopf und der breite Schultergürtel eines Säuglings überhaupt erst vom Bauch durch das Becken. Ich versuche zu erkennen, was ich sehe, denn man erkennt tiefe Falten auf der Kopfhaut des Säuglings. Dann, als der Kopf durch den Geburtskanal durch ist, strafft sich die Kopfhaut. Jetzt fällt auch bei mir der Groschen. Die Schädelknochen sind noch nicht zusammengewachsen und so schieben sie sich im engen Geburtskanal eng aneinander. Durch den Hirnwasserdruck driften sie dann wieder auseinander, nachdem das Kind durch den Geburtskanal durch ist. Das alles habe ich bisher nur in der Theorie gelernt und auf Bildern gesehen. Es ist schon spannend und interessant, jetzt alles live und in Farbe zu sehen. Sich an die theoretischen Grundlagen zu erinnern und zu wissen, was passiert.
Ich reiche Dr. Aikidu zwei Klemmen, er befestigt sie nah beieinander und bittet mich, die Nabelschnur durchzuschneiden. Bei der Geburt meines Kindes werde ich einen Witz machen und sagen, dass es nicht mein erstes Mal ist, wenn ich nicht gerade in meiner eigenen Praxis meine Finger in irgendwelchen Körperöffnungen stecke, um Patienten zu behandeln. Meine Frau wird lachen und sagen: „Schon wieder so ein Spruch von dir.“ Wird sie aber auch nur machen können, weil die PDA jeglichen Schmerz nimmt. Spaß beiseite.
Das Kind wird von der Hebamme entgegengenommen und direkt untersucht sowie unter eine Wärmelampe gelegt. Es ist eine Wärmelampe aus der Hühnerzucht, aber sie tut hier genauso gut Dienst wie in der Landwirtschaft. Ein gesundes Mädchen schreit und ist wohlauf. Jetzt beginnt der handwerkliche Teil. Die Plazenta muss raus. Da die eine Klemme noch an der Nabelschnur hängt, die mit der Plazenta verbunden ist, wickelt Dr. Aikidu sie langsam um das Instrument und zieht behutsam daran. Mit kreisenden Bewegungen löst er sie vorsichtig ab. Da liegt nun der Mutterkuchen. Er ist vollständig und kommt weg. Letzter Schritt. Ein kleines Stück vom Damm ist gerissen (der Teil zwischen Anus und Vaginaleingang). Ich reiche Nadel und Faden an. Mit zwei Stichen ist das Problem behoben. Die Frau liegt erleichtert, aber erschöpft da. Wir gratulieren ihr und geben ihr die nötige Ruhe sowie die Medikamente, die sie benötigt (vor allem Oxytocin, damit sich die Gefäße, die in die Plazenta führten, schließen).
Als ich zufrieden die Maternity in Richtung Doctors' House verlasse, sieht Dr. Risiki mich. Er ist Intern in der Inneren Medizin und bittet mich in den Untersuchungsraum. Dort liegt eine Frau mit rundem Bauch auf der Untersuchungsliege. Er fragt, ob ich das Abdomen untersuchen könne und ihm eine Diagnose vorschlagen kann. Wieder treten Schweißperlen auf meine Stirn. Ich mag solche Situationen überhaupt nicht. Aber am Ende des 4. Studienjahres muss man sowas können. Ich erzähle ihm, was ich an der Haut erkenne und dass der Bauch eine Schwellung oder eine abnorme Größe hat. Dann setze ich das Stethoskop auf und höre in allen Quadranten Darmgeräusche. Die Palpation ergibt eine verschiebliche, derbe Raumforderung. Ich mache sogar die Perkussion. Hört sich, glaube ich, Hyposonor an. Also kein Hohlraum. Dr. Risiki fragt, ob die Patientin schwanger sei. Unwahrscheinlich, denke ich. Denn der Fötus ist nicht so oberflächlich und auch nicht leicht verschieblich. Aber die Region passt. Ich zähle 1 und 1 zusammen. Es muss ein Tumor sein. Ich tippe auf ein Myom. So eins, was ich mit Dr. Freddy hier schon herausoperiert hatte. „100 Punkte“, sagt Dr. Risiki, und wünscht mir einen schönen Feierabend.
Was ich daraus mitnehme, frage ich mich selbst: „Sei selbstbewusster. Du kannst es ja doch.“ Die Zeiten sind vorbei, in denen man der unschuldige Student war. Famulaturen sind wirklich gut, um genau das zu tun: Wissen erwerben und direkt anwenden. Ich hätte vermutlich ohne die OPs der letzten Woche nicht mal gewusst, was ein Myom ist.
Der nächste Tag kann kommen. 🥰Read more
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- Day 17
- Wednesday, October 30, 2024 at 1:30 PM
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TanzaniaLitembo10°58’59” S 34°49’48” E
Litembo Health Training Center
October 30, 2024 in Tanzania ⋅ ☁️ 25 °C
Im Dienste des Geschäftsführenden | Neuer Haarschnitt | Sturmfrei im Doctors House
Mittwochmorgen geht’s zum Gottesdienst in der Krankenhauskapelle. Wie immer verstehe ich nichts, aber da hier alle Mitarbeitenden gerne hingehen, schließe ich mich an. Auch Father Raphael, Geschäftsführer des Litembo Hospital, ist anwesend. Er hatte mir gestern noch mitgeteilt, dass ich meine Kamera und meine Drohne mitnehmen solle. Wofür genau, weiß ich noch nicht. Aber ich gehe davon aus, dass ich erstmal auf die Station gehe und er mich irgendwann zu sich holt.
Nach dem 30-minütigen Gottesdienst kommt er auf mich zu. Wir sprechen ein wenig über meine Zeit im Krankenhaus und ob ich gut betreut werde. Ich schwärme ihm vor, welche Dinge ich hier unter Anleitung selber machen darf und dass ich in Deutschland niemals die Chance hätte. Er scheint zufrieden zu sein, versichert sich aber auch noch einmal, ob immer ein Arzt in Rufweite ist. Das ist der Fall, auch wenn dieser in einiger Entfernung ab und zu mal schwer erreichbar ist.
Ich habe aber auch gelernt, Aufgaben, denen ich mich nicht gewachsen fühle, nicht alleine zu übernehmen. Das war in Deutschland nie eine Überlegung, weil man dort als Student selten in diese Situation kommt. Vielleicht empfinde ich es auch nur so, weil ich meine Ausbildung am Uniklinikum gemacht habe und viele Jahre Berufserfahrung im Krankenhaus gesammelt habe.
Father Raphael hat einen Fahrer organisiert. Ich werde also erstmal mit ihm unterwegs sein. Unser Ziel ist das Ausbildungszentrum des Krankenhauses. Es ist nach deutschem Vorbild gebaut. Der Architekt ist während der Bauphase verstorben, also hat Raphael die Bauleitung übernommen. Ich bin immer wieder beeindruckt, was die Menschen hier auf die Beine stellen. Nach fast drei Jahren Bauzeit ist das Ausbildungszentrum nun eröffnet. Hier sollen mal bis zu 300 Auszubildende Platz haben – darunter Hebammen, Gesundheits- und Krankenpflegende, Medizinische Technologen für Laboratoriumsmedizin (MTL), Informatik-Auszubildende. Ein Mammutprojekt. Aber gut Ding will Weile haben. Die ersten Klassen werden bereits unterrichtet. Dafür kommen ehrenamtliche und teils berentete Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland. Eine davon ist Hanne, sie war in Deutschland MTL und hat über mehrere Jahre die Ausstattung des Lehrlabors begleitet. Aktuell unterrichtet sie hier und ist sichtlich stolz darauf. Ich werde sie heute treffen und bin gespannt, wie es dort aussieht. Das Gelände muss riesig sein, denn Father Raphael hat angedeutet, dass man ohne Drohne das Gelände nicht überschauen kann.
Als wir die Einfahrt zum Gelände hochfahren, wackelt der LandCruiser in alle Richtungen. Ich muss aufpassen, dass ich mir nicht den Kopf stoße. Dann bin ich überrascht. Ein riesiges Gelände mit großen Visionen. Es sieht ein wenig aus wie eine Kaserne oder ein Internat. Am Tor stehen Security-Mitarbeiter. Das Gelände erstreckt sich über mehrere große Gebäude. Vorne die Verwaltung, dann die Lehrgebäude – für jedes Department ein eigenes. Eine Kapelle darf natürlich nicht fehlen. Am Ende des Geländes stehen zwei Hostels, eins für die Frauen und eins für die Männer. Jeweils 64 Menschen haben pro Hostel Platz. Zu Spitzenzeiten werden hier 128 der 300 Auszubildenden leben und lernen. Die Räume und vor allem die Bibliothek sind sehr gut ausgestattet – ein Leuchtturmprojekt. Die Kosten für die Ausbildung hier belaufen sich auf 3 Mio. TSH im Jahr, rund 1000 Euro. Das Ziel der Einrichtung ist es, zusammen mit der Diözese Würzburg auch Stipendien anzubieten, die durch Spenden finanziert werden. Christian, der Techniker, hat eine solche Patenschaft übernommen. Zusammen mit fünf Freunden finanzieren sie einen Ausbildungsplatz hier. Es ist ein Sohn von einem Bekannten hier. Da Christian seit 20 Jahren hierher kommt, kennt er viele Menschen, die über die Zeit sehr enge Freunde geworden sind. Eine richtig tolle Sache. Ich nehme mir vor, mich auch zu beteiligen, wenn ich im Job arbeite. Die jungen Menschen hier sind dafür extrem dankbar. Vor allem haben sie danach einen entscheidenden Vorteil: Sie lernen einen wichtigen Beruf, mit dem sie ihre Familien ernähren können. Das ist mehr wert als alles andere hier.
Wir gehen in jede Klasse, fotografieren und machen Videoaufnahmen. Für die jungen Erwachsenen ist die Drohne ein echtes Highlight, für die Einrichtung ein echter Segen, solche Aufnahmen zu bekommen.
Nach vier Stunden sind wir fertig mit den Aufnahmen. Ich habe den Rest des Tages die Aufgabe, die Bilder zu sichern und auf eine Festplatte von Raphael zu kopieren. Es sind fast 11 GB und damit eine ganze Menge. Vor allem die Videos in HD sind groß. Aber mit etwas Geduld ist alles gesichert.
Da ich am Mittag etwas Zeit habe, entscheide ich mich, noch zum Friseur zu gehen. John ist ein junger Mann, der einen kleinen Raum neben dem Hospital mietet. Dort hat er eine Haarschneidemaschine. Eine Schere hat er nicht. Ich gehe hinein und hoffe, dass er Englisch spricht. Dem ist nicht so. Also versuche ich, mit dem Google Übersetzer weiterzukommen. Das klappt leider nie so gut. John zeigt dann auf ein Plakat an der Wand. Darauf sind alle möglichen Bilder von Frisuren. Meistens sind es irgendwelche Stars, die darauf zu sehen sind. Wie immer sollen die Seiten schön kurz sein, oben darf es ruhig länger bleiben. Also zeige ich auf eine sehr alte Frisur von David Beckham. Ab auf den Stuhl, und eine Stunde später sieht’s echt super aus. Europäische Köpfe sind eine Herausforderung. Die Haare sind nicht so gekräuselt wie bei den afrikanischen Männern. Außerdem will John keinen Fehler machen und ist sehr akkurat. Ich danke ihm und zahle 5000 TSH, keine 3 Euro. Jetzt kann ich mich wieder guten Gewissens unter die Menschen mischen.
Am Abend treffen wir uns mit Christian und Ludwig im Mtini, einer kleinen Open-Air-Bar direkt neben dem Doctors House. Sie haben alle Fundis (Handwerker) aus dem Klinikum eingeladen und geben eine Lokalrunde nach der anderen. Wir sind ebenfalls eingeladen und genießen den Abend unter Leuten. Die meisten Mitarbeitenden wohnen direkt neben der Klinik in Wohnheimen. Es sind einfache Baracken. Viele teilen sich die Zimmer unter der Woche. Am Wochenende geht’s dann zurück in die Städte, wo ihre Frauen und Kinder auf sie warten. Robin und Anna werden von den ein oder anderen angetrunkenen Männern mit Komplimenten überhäuft. Es ist auf der ganzen Welt das gleiche… Mit jedem Schluck Alkohol verschwindet auch die Distanz. Nach zwei Stunden klinken wir uns aus. Im Doctors House machen wir es uns noch gemütlich und quatschen bis tief in die Nacht über Gott und die Welt. Da die Ärzte auch heute Morgen abgereist sind, gehört das Doctors House jetzt uns dreien. Ruhe und Entspannung, bevor am Samstag eine Ärztegruppe von Interplast kommt. Sie machen Rekonstruktionsoperationen, vor allem im Gesicht und bei schlecht verheilten Narben. Also überwiegend plastische Chirurgen. Auf dem Plakat für die Werbung bin allerdings ich gelandet. Sie brauchten wahrscheinlich einfach einen Weißen, der aussieht wie ein Arzt, damit es authentisch wirkt.Read more

Traveler😂 so ein einmaliges Erlebnis hatte Daniel in Kenia auch mal. Der Frisör schien sichtlich Freude daran zu haben, diese ungewohnt weichen Haare zu ‚bearbeiten‘ und hat bestimmt eine Stunde geschnitten, drüber gestrichen, wieder ein bisschen geschnitten, wieder drüber gestrichen usw. 😅
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- Day 18
- Thursday, October 31, 2024 at 8:20 PM
- ⛅ 21 °C
- Altitude: 1,615 m
TanzaniaLitembo10°58’30” S 34°49’31” E
An all die Sternenkinder…
October 31, 2024 in Tanzania ⋅ ⛅ 21 °C
Der wohl schwerste Tag meiner Reise
Wie jeden Morgen gibt es das gemeinsame Frühstück, und ich freue mich sehr, die letzten beiden Tage in der Geburtshilfe zu verbringen. Zumal ich zum Ende der Woche mehr und mehr aktiv anpacken darf und soll. Noch ahne ich nicht, dass dieser Tag auch für mich mit sehr vielen Tränen enden wird.
Als ich Dr. Bosco treffe, scheint dieser gut gelaunt zu sein. Die Maternity (Geburtshilfe) ist an diesem Morgen nicht gut belegt. Lediglich eine Frau liegt im Kreissaal und soll entbinden. Der diensthabende Arzt der Nacht hat eine medikamentöse Einleitung der Geburt begonnen. In der Nacht ist die Fruchtblase geplatzt, das Kind ist aber unter der 35. Schwangerschaftswoche. Ohne Fruchtblase muss es aber bald zur Welt kommen – innerhalb von 24 Stunden. Dr. Bosco übernimmt vom Nachtdienst und nimmt mich mit. Normalerweise holen sie die Kinder erst ab der 37. Schwangerschaftswoche, da sie sonst nicht genug atmen können, weil ihnen ein Enzym in der Lunge fehlt. Die Lunge ist also noch unreif. Als vorbildlicher Student weiß ich sofort, was das bedeutet: Wenn das Kind so früh zur Welt kommt, dass kein Surfactant (Oberflächenaktive Substanz) die Lunge ausreift, kann dieses Kind in dieser Klinik nicht überleben. Es gibt weder langfristigen Sauerstoff noch den Surfactant, der gespritzt werden könnte. Eine angespannte Situation, denke ich. Mir läuft es eiskalt den Rücken runter. Was passiert also, wenn das Baby gleich geboren wird? Die Ärzte und auch ich hoffen, dass die Bildung des Surfactants schon eingesetzt hat und das Baby überlebt.
Nach einigen Stunden gibt Dr. Bosco die nächste Dosis des Medikaments, das die Wehen einleiten soll. Es vergehen rund 4 Stunden, bis die ersten Wehen einsetzen. Jetzt kommt auch die Hebamme dazu. Sie hatte im Vorraum bereits angedeutet, dass es nicht gut ausgehen wird. Die Hebammen haben viel Erfahrung, also bereite ich mich innerlich auf unschöne Minuten vor. Mit jeder Wehe weitet sich der Geburtskanal. Das kleine Köpfchen des Säuglings kommt mehr und mehr zum Vorschein. Alles läuft wie in den letzten Tagen. Als der Kopf frei liegt, folgt der Schultergürtel. Danach kommt der Rest des Körpers, weil der Umfang dann nicht mehr so groß ist wie die Schultern. Dieser Teil flutscht immer in Bruchteilen von Sekunden durch den Geburtskanal. Es ist völlig ruhig. Die gebärende Mutter verkneift sich das Stöhnen. Der Aberglaube, dass ein schwaches Kind ein schlechtes Omen ist, ist so tief verwurzelt, dass die Frauen sich generell verkneifen, zu stöhnen oder laute Geräusche von sich zu geben.
Dr. Bosco durchtrennt die Nabelschnur und beginnt sofort mit der Reanimation. Der Säugling atmet nicht. Die Hebamme versucht, Flüssigkeit aus dem Mund des Säuglings abzusaugen. Dafür benutzt sie einen kleinen Gummiball mit einer auslaufenden Spitze. Immer wieder versucht sie, im Mund des Säuglings alles herauszusaugen. Nach kurzer Zeit bittet Dr. Bosco mich zu übernehmen. Mir gehen tausend Dinge durch den Kopf, aber jetzt muss ich funktionieren. Viele Male habe ich Notfallsituationen als MTR in der Uniklinik erlebt. Ich kann mich noch genau an meinen ersten Todesfall im CT erinnern. Ich war allein, und es dauerte eine Weile, bis Hilfe bei mir war. Der Patient damals ist nach 45 Minuten Reanimation verstorben. Damals hatte ich das Kontrastmittel aktiviert und anhand des CTs festgestellt, dass der Patient keinen Kreislauf mehr hatte. Er hat die Untersuchung nicht überlebt. Ich weiß nicht, wieso ich an diese Situation denken musste, aber in Bruchteilen von Sekunden war der Gedanke wieder weg. Jetzt war ich im Arbeitsmodus.
Dr. Bosco übergibt mir den warmen kleinen Körper in meine Hände. Ich umfasse mit beiden Händen den Oberkörper unter den Achseln. Mit den Daumen drücke ich vorsichtig auf das Sternum (Brustbein). Durch die anatomischen Gegebenheiten sind alle knöchernen Strukturen noch sehr weich. Es braucht gar nicht viel Druck, um einen ausreichenden Effekt zu erzielen. Ich reanimiere ein Neugeborenes. Und ich schwitze. Immer wieder fragt Dr. Bosco, wie es aussieht, während er die Plazenta der Frau entfernt, damit diese keine Komplikationen befürchten muss. Ich hoffe so sehr, dass wir es schaffen. Während ich drücke und das Tempo konzentriert halte, denke ich mir, wie es wohl in Deutschland gewesen wäre. Mit unserer Hightech-Medizin hätten jetzt fünf Fachärzte versucht, das Leben dieses Kindes zu retten, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und Medikamenten. Wahrscheinlich hätte eine adäquate und lückenlose gynäkologische und kindliche Vorsorge in der Schwangerschaft Probleme im Vorfeld aufgedeckt. Von Fruchtwasserpunktion bis regelmäßige Ultraschallkontrollen und ein Berufsverbot während der Schwangerschaft. All das ist Luxus in einer Welt, in der Frauen erst in der Geburtshilfe landen, wenn sie Angst bekommen, dass etwas nicht stimmt. Und bei dieser Frau stimmte seit der geplatzten Fruchtblase einiges nicht: das Ausbleiben der Wehen, keine Bewegung des Kindes und ein sehr langsamer Herzschlag des Säuglings. Ich drücke auf das Herz und versuche, so wie Dr. Bosco es tat, irgendwo zwischen 140 und 160 Herzschläge pro Minute zu landen. Ein Metrum, das die Nurse aufgestellt hat, hilft dabei. Die blauen Hände und Füße des Säuglings verändern ihre Farbe jedoch nicht. Jetzt übernimmt Dr. Bosco wieder. Ich beobachte alles. Ohne eine Notfallmedikation wird dieser Einsatz nicht belohnt. Das kleine Herz des Säuglings, der gerade so in zwei Hände passt, wird niemals schlagen. Nach rund 30 Minuten ist klar, dass wir nichts tun können. Es gibt weder Monitore zur Überwachung noch Hightech-Medizingeräte, um das Problem herauszufinden. Die Mutter des Säuglings sieht alles mit an. Tränen laufen ihr über das Gesicht, aber man hört keinen Ton. Sie wird morgen ohne Kind nach Hause gehen. Noch denke ich, dass alles wie immer ist. Wir haben alles versucht, und es hat nicht gereicht. Dr. Bosco lobt mich, sagt, dass ich einen guten Job gemacht habe und dass ich als Student fit bin in dem, was ich tue. „Thank you for your assistance“ (Danke für deine Unterstützung). So recht kann ich das aber nicht annehmen. Ich bedanke mich trotzdem, und er gibt mir den Nachmittag frei.
Als ich die Klinik verlasse, bricht es aus mir heraus. Den ganzen Weg ins Doctors House laufen mir Tränen über das Gesicht. Ich bin völlig geschafft. Es ist noch niemand zurück, also kann ich mich auf unsere Terrasse setzen und die Emotionen völlig aus mir herauslassen. Mir wäre aber wahrscheinlich auch egal, wenn die Mädels schon da gewesen wären. Ich bin grundsätzlich ein emotionaler Typ und lasse das auch zu. Meine Hände zittern leicht. Dieses Zittern, das sich nach und nach über den gesamten Körper erstreckt, habe ich schon ein einziges Mal in meinem Leben gehabt. Da es mir deshalb bekannt vorkam, wusste ich, dass das ein Schock ist. Da ich aber keine anderen Symptome bemerke, lege ich die Füße auf das Terrassengeländer und atme tief ein und aus. Wahrscheinlich war ich kreidebleich.
In einer Welt, die geprägt ist von „höher, schneller, weiter“, überleben die, die mehr Geld haben. Die, die im richtigen Land zur Welt kommen und bei der Geburtslotterie einfach Glück hatten. Auch wenn mir bewusst ist, dass unsere Welt nun mal so ist, geht es mir besonders nahe. In Düsseldorf habe ich als MTR oft Babyleichen im CT untersuchen müssen. Sie kamen immer aus der Gerichtsmedizin und immer mit der Fragestellung, welche Todesursache die Radiologen beweisen können. Unsere Arbeit bei dieser Frage ist also vor allem eines: gerichtsfeste CT-Aufnahmen erstellen, bevor die Gerichtsmediziner die Körper aufschneiden und die Todesursache klären, damit die mutmaßlichen Straftäter*innen zur Rechenschaft gezogen werden können. Der Unterschied zwischen Verletzungen, die vom Gerichtsmediziner durch sein Arbeitswerkzeug verursacht wurden, und den Verletzungen, die vorher schon im CT sichtbar sind, ist wichtig. Sinnvolle Arbeit. Meist sind es Schütteltraumata, die von außen nicht sichtbar sind, im CT jedoch zweifelsfrei zum Vorschein kommen.
Ein Sternenkind zu gebären – das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann. Eines zu reanimieren – die größte Belastung, die man als Arzt/Ärztin oder medizinisches Personal im Dienst haben kann. Sternenkinder nennt man Säuglinge, die vor, während oder kurz nach der Geburt versterben. Kinder-Notfälle sind und bleiben schwere Einsätze. Zwei Stunden sitze ich da und ärgere mich, dass die Menschen hier längst nicht die Möglichkeiten haben, die anderswo auf der Welt herrschen. Aber immer mit dem Wissen, dass dies morgen, wenn die Sonne wieder aufgeht, genau so sein wird.
Am Abend sitze ich wieder auf dem Balkon. Anna und Robin haben von dem Sternenkind gehört. Sie sind vorsichtig mit mir. Sie merken, dass ich in Gedanken bin. Ich nehme mir bewusst die Zeit, alles hier zu schreiben. Ein bisschen Self-Care, um die Bilder zu verarbeiten, die sich ins Gehirn gebrannt haben. Der Beruf, den ich anstrebe, bringt es mit sich. Jeder Arzt und jede Ärztin trägt diesen Rucksack mit sich.
Dann noch etwas ganz Besonderes: Eine Pflanze vor dem Haus blüht. Es ist die „Königin der Nacht“, die nur einmal im Jahr blüht. Das kann kein Zufall sein. Die Blüte der „Königin der Nacht“ geht gegen 22 Uhr auf, um rund 0 Uhr ist sie voll aufgegangen und verwelkt bis zum Morgen. Sie sieht ein einziges Mal das Licht der Welt und verwelkt...
Ich lese noch ein bisschen im Internet, während ich auf der Terrasse unter dem Sternenhimmel sitze. Stoße auf viele Seiten für betroffene Mütter, die Sternenkinder zur Welt gebracht haben und hoffe, dass das kleine Sternenkind von heute irgendwo da oben herunter schaut und denken würde:
„Denis, du machst einen guten Job. Du bist als Student fit in dem, was du tust. Danke für deine Unterstützung...“
Dann kommen wieder Tränen, und ich beschließe, den heutigen Abend alleine zu verbringen.Read more
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- Day 19
- Friday, November 1, 2024 at 3:33 PM
- ☁️ 23 °C
- Altitude: 1,595 m
TanzaniaMapela10°58’23” S 34°49’25” E
Hello and Goodbye.
November 1, 2024 in Tanzania ⋅ ☁️ 23 °C
Schwierige Geburt | Schon wieder ein Huhn | Schneider Juven nimmt nochmal Maß | Abschiedsfeier mit Christian und Ludwig
Heute ist für mich ein ganz besonderer Tag auf der Maternity. Wie versprochen begrüßen Dr. Aikidu und Dr. Bosco mich, und wir machen uns auf den Weg, die Visite schnell zu erledigen. Es sind nur eine Handvoll Patientinnen da – Frauen, die gestern oder in den Tagen zuvor entbunden haben. Alle Frauen und ihre Kinder sind bei bester Gesundheit. Die beiden Gynäkologen möchten, dass jede Frau demonstriert, wie sie stillt. Also werden die Säuglinge nacheinander an die Brust gelegt. Das überprüfen sie bei jeder Frau, selbst wenn es ihre sechste oder siebte Geburt ist – was hier nicht ungewöhnlich ist. Es ist erschreckend, dass die beiden jungen Ärzte auch bei erfahrenen Müttern grundlegende Stilltechniken erklären müssen. Das zeigt, wie wichtig diese Aufgabe ist. Dr. Bosco erzählt mir, dass viele Kinder auch dann unterernährt sind, wenn die Mütter nicht überprüfen, ob die Säuglinge richtig saugen oder ob sie richtig an der Brust anliegen. Ich gebe zu, dass ich ehrlich gesagt auch nicht wusste, dass es so kompliziert sein kann – wird ja auch niemals etwas sein, das ich als Mann selbst erfahren kann. Es ist keine Überraschung, dass es hier keine Geburtsvorbereitungskurse gibt. Deshalb ist es umso wichtiger, solche Aufgaben während der Visite durchzuführen.
Bei den hochschwangeren Frauen, die die Entbindung erwarten, bin ich mit dem Doppler-Gerät unterwegs. Ich leite die Herztöne der Föten ab und überprüfe die Pulsrate. Es ist faszinierend, wie viel man allein durch die Palpation (das Tasten) über die Lage des Ungeborenen erfahren kann. Ich nehme den Bauch der Schwangeren zwischen meine Hände und übe leicht Druck aus. Mit den Fingerspitzen kann man dann den Rücken ertasten. Auf der gegenüberliegenden Seite liegen Kopf, Füße und Hände des Babys. Es ist schwer zu erklären, aber man kann es sich vielleicht vorstellen. Den Doppler setze ich auf der Seite an, auf der ich den Rücken ertaste. So ist die Wahrscheinlichkeit, das Herz mit den Ultraschallwellen zu treffen, am größten. Alle Werte sind heute Morgen im Normbereich, sodass wir in den Kreissaal gehen, der eher an eine Filmkulisse aus einem Horrorfilm erinnert. Für tansanische Verhältnisse ist er jedoch durchaus gemütlich, sagen die Nurses. Dr. Bosco begleitet mich. Er stellt mir Josepha vor, eine junge Frau Ende 20, die heute entbinden wird. Sie ist meine Patientin, und Dr. Bosco wird mich anleiten und unterstützen.
Ich rüste mich aus: eine weiße Schürze, die man sonst aus der Metzgerei kennt, und sterile Handschuhe. Zunächst lege ich einen Dauerkatheter, damit kein Urin unter der Geburt abgeht. Jetzt soll ich einschätzen, wie weit der Muttermund geöffnet ist. Die Technik, die mir Dr. Aikidu gezeigt hat, klingt erst einmal einfach. Mit dem Wissen, welchen Durchmesser meine Finger haben, lässt sich die Einschätzung relativ gut vornehmen. Ich desinfiziere alles rund um den Geburtskanal und versuche vorsichtig, mit meinen Fingern die Cervix (Muttermund) zu tasten. Es ist gar nicht so einfach, sich zu orientieren. Ich konzentriere mich und ertaste sogar schon das Köpfchen des Säuglings. Rund 9 cm schätze ich. Das passt auch mit dem Gefühl zusammen, dass das Köpfchen des noch Ungeborenen bereits tastbar ist. Die Wehen von Josepha müssen stark sein. Sie verzieht regelmäßig das Gesicht, doch es kommt kein Ton aus ihrem Mund. Stöhnen oder Schreien ist hier ein Zeichen von Schwäche. Ich solle über ihren Bauch streicheln und leichten Druck ausüben, um die Wehentätigkeit zu fördern. Jetzt geht alles schnell. Plötzlich kommt das Köpfchen zum Vorschein. Ich nehme es vorsichtig und versuche, weder zu ziehen noch andere unphysiologische Bewegungen zu machen. Nachdem der Schultergürtel den Geburtskanal überwunden hat, sagt Dr. Bosco, ich solle den Säugling mit beiden Händen nehmen. „Gut festhalten! Es ist rutschig!“, fügt er hinzu. Dann soll ich vorsichtig ziehen, um das Kind aus dem Geburtskanal herauszuziehen. Das Kind rutscht heraus und kommt sicher in meinen Händen zum Liegen. Dr. Bosco klemmt die Nabelschnur ab – zwei Klemmen werden dazu benötigt. Im Abstand von zwei Zentimetern setzt er sie. Ich nehme die chirurgische Schere und durchtrenne die Nabelschnur. Es fühlt sich fest und derbe an – ein bisschen so, als würde man einen Gartenschlauch durchschneiden, nur natürlich viel kleiner. Die Nurse Orests übernimmt den Säugling. Sie wiegt, misst und säubert das kleine Wesen, während ich mich der Plazenta widme. An der Nabelschnur, die mit der Plazenta verbunden ist, hält eine Klemme. An ihr soll ich die Nabelschnur etwas aufdrehen und dann in kreisenden Bewegungen vorsichtig ziehen. Weil ich etwas zu vorsichtig bin, zeigt mir Dr. Bosco, wie es richtig geht. Jetzt ziehe und drehe ich. Die müde Frau erhält Oxytocin, ein Hormon, das die Blutgefäße zur Plazenta schließt, um Blutungen zu vermeiden. Nach einigen Sekunden kann ich die Plazenta herausziehen. Wir kontrollieren, ob sie in einem Stück ist. Sollte sie in Teile zerfallen sein, müssten wir den verbleibenden Teil von Hand ausschälen. Aber die Plazenta ist intakt, also kann sich die Frau nun erholen. Sie hat ihr Kind auf die Welt gebracht. Hello Baby! Es ist eines der schönsten medizinischen Wunder: Aus zwei Zellen, die nur einen halben DNA-Satz besitzen, wird in rund 40 Wochen ein Säugling mit allen Organen und Merkmalen, die es braucht. Da Josepha ein gesundes Mädchen zur Welt bringt, wird es Denise heißen. Mit einem Lächeln in meine Richtung spricht sie den Namen aus. Von den freiwilligen Helfern hier weiß ich, dass es häufig so ist. Die Dankbarkeit der Mütter wird so zum Ausdruck gebracht. Vielleicht ist es auch einfacher, und man muss sich nicht lange einen Namen überlegen. Wenn es ein Junge gewesen wäre, hätte er jetzt Denis geheißen. Als Zweitnamen wird immer der Name des Vaters gesetzt, um die Zuordnung zur Familie zu verdeutlichen.
Was ich vermisse: Der Säugling wird jetzt unter die Wärmelampe gelegt und nicht der Mutter auf die Brust gelegt. Das sogenannte Kangarooing – der Hautkontakt zwischen Mutter und Kind – ist hier nicht üblich, obwohl er die Bindung und Beruhigung beider fördern soll. Auch die Väter sind nie dabei. Josepha wird, wenn es keine Komplikationen beim Stillen gibt, eine Nacht bleiben und dann mit ihrem Säugling nach Hause dürfen.
Am Mittag bin ich sichtlich gut drauf. Nach der Erfahrung der erfolglosen Reanimation gestern, haben heute insgesamt drei Kinder das Licht der Welt erblickt. Es gibt aber noch eine gute Nachricht: Juven, der Schneider, kommt heute wieder. Er wird noch einmal Maß nehmen bei mir. Wenn nächste Woche die Teile fertig sind, werde ich gut ausgestattet für Zanzibar und das Nachtleben dort sein. Juven nimmt auch einen Auftrag von Anna an. Sie möchte eine Wickelhose – von der ich vorher noch nie gehört hatte. Juven versteht die Skizze, die Anna gemacht hat, nicht so recht, also versuchen wir, ihm mit Papierschablonen zu erklären, was eine Wickelhose ist und welches Schnittmuster er dafür braucht. Wir sind gespannt.
Am Abend erwartet uns Father Raphael. Er hat eine Abschiedsparty für Christian und Ludwig organisiert, die 25 Jahre ehrenamtliches Engagement für Litembo und die Menschen hier geleistet haben. Im Hostel, das zum Krankenhaus gehört, gibt es Chips (Kartoffelecken), Rindfleisch und Huhn. Eine feurige Soße dazu. Auf dem Tisch stehen Bierflaschen und Wein. Für die Handwerker (Fundis) gleicht das einem Feiertag, und dementsprechend werden die Teller großzügig befüllt. Wenn es etwas für sie gibt, wird es dankend angenommen. Nach dem Essen wird die Stimmung ausgelassen. Der ein oder andere Fundi muss sich bemühen, noch ein vernünftiges Englisch zu sprechen, während die Musik lauter gedreht wird. Neben afrikanischen Hits spielt auch deutsche Musik – Christian übernimmt die Playlist. So ertönen auch Culcha Candela mit „Hamma!“ oder Peter Fox in dem kleinen Lokal.
Kurz vor Mitternacht geht die Musik aus. Christian stimmt an und singt „Happy Birthday“. Alle stimmen ein, und es gibt eine schöne Überraschung für Robin, die an diesem Samstag ihren 20. Geburtstag feiert. Danach geht es noch eine Stunde weiter, bevor wir alle zufrieden nach Hause torkeln. Im Doctors House ist zwar wieder mal der Strom ausgefallen, aber das ist völlig egal. Nach diesem Tag ist das Bett besonders bequem.Read more
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- Day 20
- Saturday, November 2, 2024 at 2:30 PM
- ⛅ 28 °C
- Altitude: 1,333 m
TanzaniaKihulila10°57’6” S 34°59’52” E
Happy Birthday!
November 2, 2024 in Tanzania ⋅ ⛅ 28 °C
Geburtstag im Doctors House | Der Hahn ist tot | Nightlife in Mbinga
Nachdem wir gestern schon in den Geburtstag von Robin hinein gefeiert haben, gibt es heute leckeren, selbst gebackenen Kuchen. Anna hat den ganzen Vormittag damit verbracht, aus dem, was hier so erhältlich ist, einen Kuchen für Robin zu zaubern. Da wir alle auch Schokolade aus Deutschland dabei haben, ist der Kuchen richtig lecker geworden. Schokolade aus Deutschland hat hier einen fast goldwertigen Status! Jede, die eine Tafel ergattern kann, ist überglücklich und zeigt sie stolz im ganzen Team, bevor sie dann wie ein Schatz gehütet wird. Wir haben noch einen guten Vorrat, und ab und zu landet auch mal ein Stückchen im improvisierten Kuchen. Während Robin ihre ganzen Anrufe und Nachrichten beantwortet und Anna am Kuchen arbeitet, nutze ich die Gelegenheit, die Geburtstagsgirlande zu basteln. In einem Raum hier im DoctorsHouse gibt es eine Kiste, in der alles aufbewahrt wird, was die Volunteers hier zurückgelassen haben. Vor ein paar Tagen entdeckten wir ein Do-it-yourself-Girlanden-Set, das ich nun nutze.
Gegen Mittag klingelt es an der Tür – zwei weitere Volunteers aus der Organisation, mit der auch Anna und Robin hier sind, kommen vorbei. Überraschung geglückt! Im Krankenhaus hat uns der Schreiner Kerzenständer aus zwei Holzblöcken gefräst, und so haben wir in den letzten Tagen sogar 20 Kerzen besorgt. Auch Kerzen sind hier unglaublich teuer, vor allem für tansanische Verhältnisse. Aber heute ist ein besonderer Tag: Robin wird 20! Nach Kuchen und Geschenken gibt es dann Mittagessen. Serafina bittet mich, den Hahn, den wir gestern bekommen haben, in die Krankenhausküche zu bringen. Meine Chance, dabei zu sein, wie unser Essen zubereitet wird.
Also mache ich mich auf den Weg mit dem Hahn unterm Arm. Die Mädels wollen nicht dabei sein, nur Anna erklärt sich bereit und filmt ein wenig. Serafina und ihre Kollegin Maria empfangen uns in der Küche. Die Holzöfen sind bereits an, und der Gockel wird sehnsüchtig erwartet. Wir warten noch ein wenig, bis das Wasser über der Flamme kocht. Anna und ich überlegen, ob wir den Hahn jetzt einfach ins kochende Wasser werfen sollen. Doch das erscheint uns nicht ganz richtig. Als das Wasser dann endlich kocht, gibt es erstmal Entwarnung: Wir sollen Maria folgen. Sie nimmt ein Messer und führt uns hinter die Küche, ins Freie. Sie gibt mir das Messer, legt den Hahn auf die Seite und fixiert mit einem Fuß seine Beine und mit dem anderen seine Flügel. Dann hält sie den Kopf des Hahns und zieht die Federn am Hals. Der Hahn scheint erstaunlich ruhig zu sein – oder vielleicht auch geschockt. Jedenfalls macht er keinen Mucks und bewegt sich nicht. Nur seine Augen blinzeln ab und zu.
Jetzt zeigt Maria mit dem Finger, wo ich das Messer ansetzen soll. Ich setze es am Hals an und bemühe mich, es schnell hinter mich zu bringen, damit der Hahn nicht lange leiden muss. Keine 10 Sekunden später ist der Hahn tot. Zusammen bringen wir ihn zurück in die Küche, und jetzt kommt das Wasser ins Spiel. Maria taucht den Hahn in das kochende Wasser. Sie zeigt an, dass die Federn nun leicht zu entfernen sind. Tatsächlich, nach nur drei Minuten holt sie den Hahn heraus, und wir beginnen gemeinsam, die Federn zu rupfen. Die drei Köchinnen in der Küche reden ausgelassen und lachen immer wieder laut. Ich vermute, dass sie ein wenig über meine Unbeholfenheit lachen, aber ich bemühe mich, genauso akkurat wie Maria zu arbeiten. Langsam, aber sicher ziehe ich die Federn ab, während wir uns weiter unterhalten. Als wir fertig sind, bedanken wir uns, dass wir dabei sein durften. Es war eine interessante Erfahrung, zu sehen, wie das Essen hier für uns zubereitet wird. Auch, dass sie uns aktiv eingebunden haben, finde ich gut. Vegetarisch werde ich jedenfalls nicht, auch wenn es anfangs eine kleine Überwindung war.
Nach der Erfahrung, einen Hahn zu schlachten, geht es nun zur Planung für den Abend. In Mbinga gibt es einen einzigen Nachtclub, und da wir gerade mit vielen Leuten unterwegs sind, entscheiden wir uns, dass es eine gute Idee wäre, ihn zu besuchen. Die Fahrt nach Mbinga mit dem PikiPiki dauert etwa eine Stunde, also buchen wir für die Nacht Zimmer und machen uns auf den Weg.
In Mbinga angekommen, treffen wir eine weitere Freiwillige. Die drei Mädels aus Mbinga kommen alle aus Ulm. Bevor wir ins Nachtleben eintauchen, trinken wir in einer kleinen Bar ein paar Weine und essen Chipsy Mayai – frittierte Kartoffelecken in einem Pfannkuchen. Super lecker! Es ist auch ein Erlebnis, den jungen Mann am Holzkohlegrill zu beobachten, wie er die Spezialität zubereitet.
Es herrscht ein riesiges Gedränge in der Innenstadt. Die meisten Menschen sind jedoch in den kleinen Bars und Restaurants, die für unsere Verhältnisse eher wie Kioske wirken. Überall läuft Fußball, und wir sind natürlich gern gesehene Gäste, vor allem als Mzungu (Weiße).
Als wir den Club betreten, ist noch nicht viel los – es ist erst 22:30 Uhr. Wir trinken ein paar Bier und wünschen uns beim DJ den ein oder anderen europäischen Hit, was den anderen Gästen viel Freude bereitet. Alle Augen sind auf uns gerichtet. Es wird zwar nicht zur Normalität, aber mit der Zeit fühlt man sich doch deutlich gelassener. Weiße Haut ist, auch wenn viele Freiwillige in den Projekten hier arbeiten, im Nachtclub selten. Am Ende des Abends habe ich viele nette Menschen kennengelernt. Einer von ihnen, der mit seinen Freunden am Tisch neben uns feiert, brüllt mir ins Ohr, dass wir willkommen sind, und dass für ihn alle Menschen willkommen sind, egal welche Hautfarbe sie haben. Ein schöner Gedanke. Wir fühlen uns willkommen.
Gegen 2 Uhr torkeln wir zusammen zurück zum Hostel und sind froh, dieses Erlebnis mitgenommen zu haben.Read more
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- Day 21
- Sunday, November 3, 2024 at 8:23 PM
- 🌙 21 °C
- Altitude: 1,615 m
TanzaniaLitembo10°58’30” S 34°49’31” E
Lazy Sunday
November 3, 2024 in Tanzania ⋅ 🌙 21 °C
Gottes Glocken in unserem Ohr | PikiPiki nach Litembo | Nachricht vom Bischof | Ausruhen für die neue Woche
Pünktlich um 7 Uhr schrecken wir in unserem Hostelzimmer auf – es ist Sonntag. In der benachbarten Kirche läuten die Glocken, viel zu laut und viel zu nah an unserem Zimmer. Die Fenster halten nicht einmal den warmen Wind zurück, der über die Stadt weht. Wir haben ordentlich gefeiert, und eine fettige Papiertüte auf dem Schreibtisch verrät, dass es auf dem Heimweg noch einen Mitternachtssnack gab. Alle sind ein wenig gerädert, aber es hält sich im Rahmen. Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Der ursprüngliche Plan: Um 9 Uhr wollen wir am Busstand in Mbinga Town nach einem Auto suchen, das uns bis nach Litembo mitnimmt. Doch dann wussten wir noch nicht, dass uns die Glocken des Herrn fast auf den Mond befördern würden.
Für die Menschen hier ist das der Ruf zum Gottesdienst. Anders als in Deutschland sind die Kirchen sonntags so voll, dass viele sogar vor der offenen Tür stehen und am Gottesdienst teilnehmen. Wir hören jedes Detail und jeden Gesang in einer Lautstärke, die uns erstaunt. Schließlich beschließen wir, früher aufzubrechen, weil wir bei diesem Lärm kein Auge mehr zu bekommen. Als wir unsere Sachen gepackt haben und das Hostel verlassen, sehen wir an der Kirche, dass außen große Lautsprecher angebracht sind. Alles, was drinnen gepredigt und gesungen wird, wird nach draußen übertragen – aber viel zu laut! Wahrscheinlich, damit die Leute, die keinen Platz in der Kirche gefunden haben, auch alles mitbekommen. Wir lachen und wissen jetzt, dass eine Übernachtung in diesem Hostel an einem Samstagabend keine gute Idee war.
Wir halten die ersten beiden PikiPiki-Fahrer an, die wir sehen. Schnell wird klar, dass das Umsteigen am Busstand uns zu anstrengend ist. Also handeln wir den Preis aus, um direkt bis nach Litembo zu fahren. Da es Anna nicht so gut geht, fährt sie alleine. Robin und ich quetschen uns auf das zweite Motorrad. Eigentlich sind diese Motorräder für zwei Personen gebaut. Die dritte Person (in diesem Fall ich) sitzt auf dem Metallgepäckträger. Jede Bodenwelle überträgt sich direkt auf mein Becken. Eins zu eins. Von meiner Wirbelsäule hoch und mein Kopf wird wie ein Basketball hin- und hergeschleudert. Aber man ist ja nur einmal jung, wird schon nicht so schlimm werden. Den Rekord, den ich selber gesehen habe, waren vier Erwachsene und ein Säugling, der auf der Brust des Fahrers gebunden war. Da sind wir zu dritt doch harmlos.
Die Fahrt geht durch die wunderschöne Landschaft nach Litembo. Die Wege bestehen aus Lehm, Steinen und Sand und winden sich die Hügel und Berge hinauf. Mal geht es rauf, mal ein Stück runter. Am Wegesrand wachsen Bananen- und Kaffeepflanzen. Es ist traumhaft, durch diese Landschaft zu fahren und einfach in die Ferne zu blicken. Die Sonne und Wolken wechseln sich ab und sorgen für ein angenehmes Fahrklima. Doch mit jedem Schlagloch merke ich den Anstrengungsgrad und von Minute zu Minute wird es immer schwieriger. Augen zu und durch.
Nach einer Stunde erreichen wir Litembo. Wir bedanken uns, zahlen den ausgemachten Preis und machen uns auf den Weg zum DoctorsHouse. Heute entscheiden wir uns, „PolePole“ zu machen – langsam, langsam. Ab auf die Couch und bereit für ein kleines Schläfchen.
Da es noch hell ist, machen wir einen Spaziergang durch Litembo. Die kleinen Wege führen uns durch einige Kaffeeplantagen und ins Tal. Es ist anstrengend, aber auch wohltuend. Bei jedem Schritt merke ich, dass ich eine Stunde lang auf dem Metallgitter des PikiPiki gesessen habe. Jeder Schritt erinnert mich an die zahlreichen Schlaglöcher und Steine, über die wir mit dem PikiPiki „geflogen“ sind. Aber diese halbe Stunde Spaziergang ist Gold wert.
Zum Abendessen sind wir so fit, dass wir uns anschließend noch zusammensetzen und den Schrank mit den Spielen begutachten. Eine Runde Ligretto schadet nicht. Es wird wohl ein schöner, langer Spieleabend. Morgen geht es auf eine neue Station. Ich werde die Ärztinnen in der Inneren Medizin begleiten und freue mich auf die neue Woche. Doch ich bleibe nicht allzu lange wach.
Als ich mich ins Bett legen will, sehe ich eine WhatsApp-Nachricht aufploppen. Es ist der brasilianische Bischof aus Óbidos, Brasilien. Er ist mit seiner Delegation in Malawi, also quasi „um die Ecke“ hier. In einer zweiminütigen Sprachnachricht bedankt er sich für den Austausch in der letzten Woche und für mein Interesse an dem Krankenhaus-Schiff in Brasilien, das seine Diözese dort finanziert. Er lädt mich ein, ihn in Malawi zu besuchen, falls ich es nächste Woche schaffe. Scheinbar habe ich trotz meiner kritischen Fragen einen guten Eindruck hinterlassen. Das ist natürlich spannend, also werde ich morgen noch mal meinen Reiseplan durchsehen. Eine solche Erfahrung wäre es auf jeden Fall wert.Read more
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- Day 23
- Tuesday, November 5, 2024 at 6:13 PM
- ⛅ 24 °C
- Altitude: 1,615 m
TanzaniaLitembo10°58’30” S 34°49’31” E
Eine Diagnose kommt selten allein
November 5, 2024 in Tanzania ⋅ ⛅ 24 °C
Letzte Woche Famulatur | Sprechstunde in der Inneren Medizin | Schlaganfall im Busch
Die neue Woche beginnt mit der Frühbesprechung. Oberärzte und Fachärzte wollen auf den neuesten Stand gebracht werden. Die Interns (Medizinstudierende im Praktischen Jahr) sind die Hausherren am Wochenende (leider sind es nur Männer). Sie sind auf sich allein gestellt. Lediglich telefonisch können sie ihre Mentoren erreichen. Die Oberärzte und Chefärzte sind bei ihren Familien, meist viele Stunden Fahrt von Litembo entfernt. Montags morgens werden dann die Fälle der Abteilungen nochmals vorgestellt und auch die Therapieansätze besprochen und diskutiert. Diese Form der Patientenvorstellung durch die Interns und die damit verbundenen kritischen Fragen der Fachärzte zu theoretischem Wissen sollen die Interns auf ihre abschließende praktische Prüfung vorbereiten. Die Fallvorstellungen sind auf Englisch, und ich folge den Ausführungen immer sehr aufmerksam. Ein bisschen teste ich mich dann auch selbst, ob ich wüsste, was man zu tun hätte oder wenigstens eine Ahnung. Mir fehlt aber definitiv noch viel praktische Erfahrung. Immerhin weiß ich bei den theoretischen Fragen auch ungefähr Bescheid. Gut, dass ich hier nur Gast bin. Die Interns, die vorne an einem langen Tisch sitzen, mit Blick auf die Stuhlreihen, in denen wir sitzen, kommen ganz schön ins Schwitzen. Aber sie schlagen sich alle ziemlich gut. Die kritischsten Fragen stellt überraschenderweise immer der Augenarzt des Hauses. Ganz schön fordernd für einen Mann, der sich nur mit einem einzigen Organ des Körpers den ganzen Tag beschäftigt. Meine Abneigung zur Augenheilkunde wird mal wieder deutlich. Auch dafür ist eine Famulatur wichtig – zu wissen, was man später nicht machen will und vor allem, wie man nicht werden will.
Nach der Frühbesprechung folge ich Dr. Risiki auf die Innere Station. Er ist der Intern und hatte mich schon am ersten Tag bei meinem Rundgang mit der Sekretärin kennengelernt. Er hatte damals gesagt, dass ich hier die beste Zeit haben werde und am meisten lerne. Das wird allerdings schwierig, nachdem ich die Geburten (fast) selbstständig begleitet habe. Die Fachärztin in der Inneren ist Dr. Elaina, eine kubanische Fachärztin, die aufgrund des desaströsen medizinischen Systems auf Kuba hierher gekommen ist, Kiswahili gelernt hat und sich hier ein Leben aufbaut. Sie erzählt mir später, dass im nächsten Jahr ihr Mann und ihre Kinder folgen werden. Auf Kuba verdienen Ärzte kaum etwas. Da alles staatlich finanziert wird, gibt es viele Patienten, aber die Vergütung vom kubanischen Staat wird nur selten gezahlt. Ein unhaltbarer Zustand und ein Leben ohne Sicherheit. Hier bekommt sie so viel, dass sie nach 4-5 Jahren zurück nach Kuba möchte und mit dem Geld ein neues Business aufbauen will. Sie wird dem Beruf als Ärztin in Kuba nicht aufgeben, aber sie wird ihr Geld anders verdienen als mit der Patientenversorgung.
Ich begleite Dr. Elaina in der Sprechstunde. Natürlich verstehe ich nicht, was die Patienten für Beschwerden oder Symptome haben, aber Dr. Elaina übersetzt ins Englische, und ich führe die Untersuchungen durch. Körperliche Untersuchungen sind kein Problem. In meiner Hausarztfamulatur in Düsseldorf habe ich bei Herrn Clemens eine Menge an Fertigkeiten gelernt, die mir hier jetzt zugutekommen! Ich bin mir sicher, dass ich in jeder anderen Hausarztfamulatur nicht so viel gelernt hätte. Vor allem das genaue Auskultieren mit dem Stethoskop oder die Inspektion der Haut, was viele Aufschlüsse geben kann, ohne teure und lange Labortests. Wir verbringen den Vormittag also damit, die ambulanten Patienten zu sichten und zu behandeln. Fast alle von ihnen haben Bluthochdruck. Weil ich dem automatischen Messgerät aber nicht traue, messe ich jedes Mal manuell. Auch damit bestätigt sich der hohe Blutdruck. Und auch Diabetes ist hier sehr häufig. Die Afrikaner trinken jedes Getränk mit viel Zucker – mit sehr viel! Vor allem Limonaden und andere zuckerhaltige Getränke werden hier wie Wasser getrunken. Kein gesunder Lebensstil. Deshalb sind Antihypertensiva und Antidiabetika die meistverschriebenen Medikamente heute. Aber eine Diagnose kommt selten allein! Wer einen Arzt oder eine Ärztin aufsucht, bekommt mindestens eine weitere Diagnose, denn die Patienten sind nicht wegen des hohen Blutdrucks da. Die meisten merken den noch nicht einmal. Es ist wie beim Hausarzt: Magenbeschwerden, Schmerzen in den Gelenken oder andere Symptome haben dazu geführt, dass die Patienten hier sitzen. Aber weil sie sowieso da sind, gibt es eine Blutdruckmessung „aufs Haus“ und einen kleinen Stich in die Fingerbeere, um den Zuckerspiegel zu testen. Dann sind die Einnahmen schon gesichert. Denn die Medikamente kaufen die Patienten in der Klinik eigenen Apotheke. Was gibt es Schöneres als einen gesunden Patienten, der für eine gesunde Finanzbuchhaltung sorgt?
Der zweite stationäre Fall ist durchaus spannender. Dr. Risiki zeigt mir ein Röntgenbild und fragt mich, was ich sehe. Es ist ein Röntgenbild einer 74-jährigen Patientin. Allein, dass sie so alt wird, in einem Land, in dem die Lebenserwartung nicht gerade hoch ist, ist beachtlich. Auf dem kleinen PC-Bildschirm öffnet sich das Röntgenbild. Es ist ein Bild der Lunge. Weil ich selbst schon zehntausende Röntgenbilder von Lungen angefertigt habe, sehe ich auf den ersten Blick: Diese Frau wird das, was man dort sieht, nicht überleben – nicht hier. In der Regel sieht man auf einem Normalbefund zwei dunkle Lungenflügel und helle Abschnitte überall da, wo Haut und die Rippen sind, in der Mitte die Wirbelsäule und der Herzschatten (Normalbefund füge ich mal als Bild mit hinzu). Ihre Lunge ist aber weiß. Bis auf den linken Oberlappen (man spricht immer aus der Sicht des Patienten, im Bild also rechts, ist bei dem Patienten die linke Seite). Patientenlinks also ist noch ein wenig Lungengewebe belüftet. Der Rest: Weiß. Jetzt geht das Nachdenken los. Nacheinander gehe ich im Kopf die Möglichkeiten einer „weißen Lunge“ durch. Relativ einfach, dass es eine fulminante Tuberkulose sein muss. Die rundlichen Herde, die wie kleine Wolken in der Lunge abgebildet sind, lassen daran eigentlich keinen Zweifel mehr. Die Patientin kam mit massiver Luftnot und ist als Notfall auf die Innere gekommen. Dr. Risiki und Dr. Elaina müssen jetzt mit den Angehörigen sprechen. Die Patientin wird daran versterben, wahrscheinlich heute noch. Denn Sauerstoff gibt es hier leider nur, wenn die Patienten diese Therapie auch zahlen können. Da Strom teuer ist und immer wieder ausfällt, ist auch das keine Garantie. Es ist mittlerweile 14:00 Uhr. Die Patientin ist seit einigen Stunden nicht mehr ansprechbar. Jetzt wird Morphin vorbereitet, damit es eine würdige Verabschiedung durch die Familie geben kann.
Am Dienstag sind wir im Litembo Health Training Center verabredet. Hanne, die deutsche MTLA, wird uns den ganzen Tag mit interessanten Präparaten am Mikroskop beglücken. Vor allem die beiden Mädels sind sehr begeistert. Für mich eine sehr gute Wiederholung. Ich habe die spannendsten und häufigsten Diagnosen abfotografiert. Mein Highlight ist der Schistosomenwurm, dessen Larve durch die Haut aus kontaminierten Gewässern in den Körper eindringt, mit dem Blut zur Leber gelangt, dort ausreift und mit dem Blut in die Darmwand und die Blasenwand wandert, dort Unwesen treibt und Eier in die Umwelt abgibt. Bei einer solchen Erkrankung braucht man keine Diät mehr. Es ist die beste Diät, die man sich vorstellen kann. Man isst und isst, aber nimmt in kurzer Zeit so schnell ab. Durchfall inklusive. Und zwar massiv. Die ganze Nahrung ernährt nur die Würmer. Empfehlen würde ich es trotzdem lieber nicht.Read more

























































































































































































































































































