• Um Gottes Willen!

    October 19, 2024 in Tanzania ⋅ ☀️ 21 °C

    200 Firmungen in 4 Stunden | Derby in der Tansanischen Premier League | Frauenrechte

    Es ist Samstag. Für die Volunteers und Famulanten ist Wochenende. Wir schlafen also ein wenig aus und frühstücken gemeinsam. Da wir gestern Avocados ergattert haben, schmeckt das Frühstück heute besonders gut. Frisches, selbstgebackenes Brot von Serafina, unserer Haushälterin im DoctorsHouse, und Eier aus dem Dorf. Wir sind um 10 zum Gottesdienst eingeladen. Ich war ehrlich gesagt ewig nicht mehr in einem katholischen Gottesdienst. Ich kenne weder die Abläufe noch die Rituale, aber da ein ganz besonderer Gottesdienst ansteht, freue ich mich, das zu sehen. Wir ziehen uns alle das schönste Hemd aus unserem Gepäck an. Bunt muss es sein. Ein Glück, dass ich vor meiner Abreise noch ein Hemd in Stuttgart gekauft habe, das sehr gut in die Farbenvielfalt der Menschen hier passt. Je bunter, desto besser. An wichtigen Tagen tragen die Menschen hier helle Farben. Knallbunt oder einfarbig, aber auffällig. Hauptsache besonders. Der Bischof der Region hat sich angekündigt. Er wird heute die Firmung von 200 (zweihundert!) Kindern durchführen. Da Litembo sehr ländlich und abgelegen liegt, ist das eine sehr große Ehre für die Kinder und vor allem für die Familien.

    Als wir in die Kirche wollen, ist sie schon voll. Aber Pole Pole! Es findet sich schon noch ein Platz für Gäste. Viele stehen vor der Tür und versuchen, einen Blick hinein zu ergattern. Mitarbeiter der Gemeinde laufen ins Gemeindehaus nebenan und holen Holzbänke. Sie tragen diese in die Kirche und stellen sie überall hin, wo noch Platz ist. Bei 200 Firmlingen wird es echt eng. Aber alle haben gute Laune. Die Stimmung ist ausgelassen, und selbst ganz hinten, wo wir dann doch Platz finden, hört man und sieht man alles gut. Dann fängt der Chor an zu singen. Himmlisch! Ein älterer Herr bläst immer wieder in eine Art Vuvuzela, während der Chor hin und her tanzt und singt. Das Geräusch erinnert an ein Schiffshorn. Immer wieder rufen Frauen Freudenrufe in den Gesang hinein („Aijajaajajaja“). Ich traue mich erst nicht, Bilder und Videos zu machen, weil ich Respekt zeigen will. Doch als immer mehr Menschen Bilder machen, hole ich meine Kamera und auch mein Handy raus. Ein Mitarbeiter packt mich am Arm, führt mich nach vorne zum Chor und deutet auf mich und meine Kamera. Ich verstehe und fange an zu filmen und mitzuschunkeln. Dann, als ich neben dem Chor nach vorne fotografiere, hakt sich eine Dame des Chors während sie singt bei mir ein. Wir schunkeln zum Rhythmus. Bin ich jetzt eigentlich Teil eines Gospelchors? Ich sage mal ja! Wenn auch nur für einige Minuten. Es macht richtig Spaß. Christian (der Elektriker aus Deutschland) hilft beim Gottesdienst vorne dem Bischof. Er erzählt mir später, dass es eine besondere Ehre sei, vom Bischof gefirmt zu werden. Auch die Lieder und die Stimmung sind zwar ausgelassener als sonst, aber der Chor ist bei jedem Gottesdienst dort, und getanzt wird eigentlich zu jedem Lied. So vergeht Stunde um Stunde. Insgesamt geht die komplette Zeremonie 4 Stunden. Kurz vor dem Ende holen die Mütter und Freunde der Kinder plötzlich Halsketten in allen möglichen Formen und Farben heraus. Sie erinnern an Hawaiiketten. Die Menschen bahnen sich ihren Weg zu den Firmlingen, schreien Rufe aus und singen dabei und werfen die Ketten den Firmlingen um den Hals. Währenddessen spricht der Bischof durch das Mikrofon den Segen. Jetzt stehen alle auf und fangen an zu tanzen. Die Masse bahnt sich ihren Weg raus, und wir mitten drin. Auch wir fangen an zu tanzen. Draußen warten junge Männer mit Trommeln, einer klopft mit einem Stück Metall auf einer Hacke und der nächste hat selbstgebaute Rasseln in der Hand. Was für ein Fest! Niemand stört sich daran, dass wir aus Europa nicht hierher passen. Im Gegenteil, ständig packen die Menschen einen und fordern zum Tanzen auf. Der Wahnsinn!

    Gott sei Dank habe ich mir das angeschaut! Die Feiern werden noch die ganze Nacht anhalten, allerdings in privaten Kreisen. Bei der aufkommenden Hitze draußen bleiben wir noch eine Weile, entscheiden uns dann aber nach und nach zu gehen.

    Ich bin noch mit den Leuten aus dem OP zum Fußballschauen verabredet. Vorher sorge ich für Getränke, denn mit leeren Händen sollte man auf keine Party gehen…

    Pünktlich um 17 Uhr kommen Anna, Robin und ich am Hostel des Dorfes an. Hier steht eine riesige Akazie, deren riesige Äste über den ganzen Hof wachsen. Am Baumstamm eine Art selbstgebaute Theke. In drei Richtungen hängen Bildschirme. Einige der jungen Männer sind schon gut angetrunken. Sie freuen sich umso mehr über das Bier, das wir mitbringen.

    Es sind nur Männer hier. Generell ist es so, dass Frauen hier immer den Männern folgen. Wenn man Frauen zur Tür vorlässt, wie es mir in Deutschland beigebracht wurde, dann kann man lange warten. Die Frauen hier gehen nicht vor den Männern hinein und lassen sich von ihnen auch nicht die Tür aufhalten. Man bekommt nicht nur eine Ahnung davon, wie es um die Gleichberechtigung steht, man erlebt die Unterdrückung der Frauen eigentlich in jeder Situation. Vielleicht lässt es sich kurz, aber drastisch zusammenfassen: Die Frau steht auf dem Feld in der prallen Sonne; in der einen Hand ein Kleinkind, das Baby auf dem Rücken gebunden. Die freie Hand ist für die Harke oder Schaufel da. Der Mann hat alles im Blick, während er im Schatten unter einem Baum lehnt.

    Es sind rund 40 Menschen. Ein Topspiel der Liga steht auf dem Programm: der Simba SC gegen Young Africans. Die beiden erfolgreichsten Teams der Ligageschichte. Anna und Robin sind Simba-Fans. Ich lege mich nicht fest. Dazu ist mir der Fußball generell zu egal. Aber die Stimmung ist fantastisch. Das Spiel läuft seit einer Minute und alle hier sind die besten Kommentatoren. Ständig rufen sie etwas in Richtung Bildschirm, dann diskutieren Simba-Fans mit Younga-Fans. Es ist herrlich. Es ist der Fußball, der die Leute hier zusammenbringt. Das muss auch ich als Fußball-Banause einsehen. Aber es ist anders als der europäische Fußball. Der Platz, auf dem gespielt wird, ist komplett geflutet, weil es kurz vorher geregnet hat. Der Ball bleibt immer mal in kleinen Pfützen stehen. Das sieht schon seltsam aus im TV. Auch wenn die Spieler dribbeln oder grätschen. Der Rasen leidet. Der Ball hoppelt über den Platz. Einfach zu viele Löcher und Unebenheiten. Lange passiert nichts, aber das Bier schmeckt! Dann passiert das 0:1 für Younga! Die Leute rasten total aus. Bier wird auf den Boden gegossen und darauf getanzt. Der Spielstand bleibt bis zum Schluss. Timothy, den ich dort auch wieder treffe, erzählt mir, dass alle älteren (dazu gehöre ich auch, sagt er). Simba-Fans sind und die jungen Leute Younga-Fans. Timothy ist Younga-Fan. Wir verbringen noch eine Stunde, mir werden viele Leute vorgestellt, aber ich kann mir eh nicht alle Namen merken. Nach diesem Tag kennen mich zumindest alle in dem Dorf. Ein grandioser Abend. Und auch hier nennen sie mich dank Timothy nur noch „Dr. Denis“, wenn die wüssten, wie weit ich davon noch entfernt bin…
    Read more