• Kaffee, Bananen und Buntbarsche

    October 26, 2024 in Tanzania ⋅ ☁️ 22 °C

    Josephs Kaffeefarm | Der Berg brennt | Schnorcheln mit Buntbarschen

    Joseph nimmt mich also mit zu seiner Kaffeefarm. Ich stelle mir vor, wie es wohl sein wird. Ehrlicherweise habe ich keine Ahnung, wie Kaffee angebaut wird. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es ein Strauch oder ein Baum ist, an dem Kaffee wächst. Ich male mir aus, mit welchen feinen Maschinen der Kaffee geerntet wird.
    Wir fahren ein ganzes Stück aus Mbamba Bay hinaus. Joseph erzählt mir, wie er alles aufgebaut hat: das BioCamp und dann vor drei Jahren die Kaffeefarm. Der Weg durch die Serpentinen ist traumhaft, mit einem atemberaubenden Blick ins Tal. An einer Bushaltestelle hält Joseph an. Frauen sitzen dort mit Kindern. Vor ihnen ganze Eimer voller Mangos. Er fragt mich, was ein Sack Mangos wohl kosten wird. Ich habe keine Ahnung. Es sind rund 20 kg Mangos. Mein Tipp ist 50 $, also umgerechnet 150.000 TSH. Er lacht herzlich. Das ist der Tipp, den alle seine europäischen Freunde und Gäste haben. Aber es ist weitaus weniger. Joseph kauft den kompletten Sack Mangos für 2.000 TSH. Das ist nicht mal ein Euro. Wahnsinn. Ich bin sprachlos.
    Es geht weiter. Durch kleine Dörfer. Die Hauptstraße, die Mbinga mit der Seestadt Mbamba Bay verbindet, ist erst seit wenigen Jahren geteert. Rund 30 Minuten fahren wir in Richtung Mbinga (dorthin, wo auch ich herkam). Dann biegt Joseph ab. Es geht einen kleinen, unscheinbaren Feldweg hinein. Ab jetzt weiß ich, wieso Joseph einen Land Cruiser fährt. Ich kann mich nicht erinnern, in meinem Leben jemals einen so schlechten Weg mit einem Auto gefahren zu sein. Maximal auf Kreta mal, bei einem wunderschönen Urlaub damals mit meiner damaligen Freundin. Ein Mietwagen und das Ziel: ein Strand, der nicht im Reiseführer stand. Wir mussten damals die Fahrt mit dem Toyota Yaris abbrechen, weil es nur noch über Felsen ging. Jetzt fahre ich mit Joseph in Tansania einen Feldweg entlang, auf dem er, so sagt er, schon zweimal mit einem Auto umgekippt ist. Das weckt Vertrauen. Aber er ist ein vorsichtiger Fahrer, und er kennt jedes Loch, wie es scheint. Es sind nur wenige Kilometer ab hier bis zur Farm, aber sie kommen mir vor wie eine Ewigkeit. Im Schritttempo geht es voran. Das ganze Auto wackelt hin und her. „Nicht gegen arbeiten, sonst bekommst du morgen Muskelkater. Einfach die Bewegungen lassen und mitgehen.“ Das ist leichter gesagt als getan.
    Nach insgesamt 50 Minuten erreichen wir den Weg, der zur Farm führt. Man kennt Joseph hier, auch weil er ein einzigartiges Konzept hat. Die Kinder, die hier in den Bergsiedlungen leben, kommen an die Straße gerannt. Joseph hält bei jedem der Kinder an, verteilt Bonbons und fährt dann seelenruhig weiter. Man achtet ihn hier, auch wenn er mit dem BioCamp und seiner Organic Coffee Farm für verrückt gehalten wird. Sanfter Tourismus, nachhaltig und ohne Chemie. Alles aus eigener Herstellung. Das ist für die Menschen hier unvorstellbar und nicht erstrebenswert. Das schnelle Geld zählt.
    Die Kaffeefarm ist größer, als ich dachte. Ich lasse meine Drohne aufsteigen, um mit Joseph zusammen zu schätzen, wie groß das Gelände ist. Er selbst hat das Gelände bisher nie von oben gesehen. Ein kompletter Hang voller Kaffeebäume. Dazwischen immer wieder Bananenpflanzen. Sie dienen den Kaffeebäumen als Schattenspender.
    Ich lerne Astery und Goodluck kennen, die beiden Söhne der Familie, die auf dem Anwesen leben und die Farm im Namen von Joseph betreiben. Ihr Vater ist Kaffeebauer der ersten Stunde. Alles, was man über Kaffee und den Anbau wissen muss, hat in dieser Familie eine lange Tradition. Es ist eine große Ehre für mich, dass ich eintauchen darf in eine völlig neue Welt.
    Zusammen gehe ich mit Astery und Goodluck zu einem neu angelegten Feld. Die Sonne steigt immer höher, und langsam wird es unerträglich heiß. Die Jungpflanzen, die den ganzen Tag in der Sonne stehen, müssen geschützt werden. Über jeder einzelnen steht ein kleines hölzernes Dreieck. Darüber ein paar lose Zweige. Schatten ist wichtig. Es dauert drei ganze Jahre, bis ein Kaffeebaum das erste Mal Ertrag bringt.
    Das ist eine lange Zeit für die Menschen, die vom Kaffeeanbau leben. Sie hüten die Bäumchen wie ihren Augapfel. Wenn Insekten sie befallen oder starke Regenfälle die Bäume beschädigen, heißt es: drei Jahre warten, bis ein neues Bäumchen an dieser Stelle wächst.
    Wir gehen weiter. Jetzt laufen wir durch die größeren Kaffeebäume. Sie blühen prächtig in einem wunderschönen Weiß. Ein herrlicher Duft liegt in der Luft. Eine Frische, die von den schönen Blüten ausgeht. Mit dem Blick ins Tal komme ich mir vor wie in einem Film. Es ist so surreal, alles aus erster Hand zu erleben. Ein bisschen bin ich stolz auf mich selbst, dass ich die Menschen hier anspreche, sie bitte, mir ihre Kultur und ihre Lebensweise zu zeigen. Es gehört auch viel Vertrauen dazu, auf beiden Seiten.
    Wir laufen weiter durch die Kaffeefelder, und die beiden zeigen mir, wie sie bewässern. Da es einen natürlichen Bach gibt, müssen sie keine Pumpen betreiben. Sie leiten ein Teil des Wassers durch kleine ausgehobene Rinnen, und davon zweigen kleine Rinnsale ab. Das Wasser läuft den Berg hinab und versorgt die Pflanzen. Es ist auch Teil der Firmenphilosophie: Keine Maschinen, die der Umwelt unnötig schaden. Keine Pestizide. Ausschließlich Nützlinge zur Bekämpfung von Insekten und die Maschinen, die sie haben, betreiben sie per Hand.
    Zum Ernten müssen sie ohnehin in die Felder. Das kann keine Maschine. Der Hang ist steil, und der Platz zwischen den Bäumen begrenzt.

    Im Juli beginnt die Erntezeit.
    Die Blüten haben sich in rote Kaffeekirschen verwandelt. Erst sind sie grün, dann rot. Rote Kaffeekirschen werden weiterverarbeitet. Zunächst in großen Becken gewaschen, das Wasser dafür kommt aus dem Bach. Nach dem Wasserbad kommen die Kaffeekirschen auf Gitter und trocknen in der Sonne. Anschließend geht es zum Schälen. Ein handbetriebenes Gerät, welches bei Bedarf überall hingebracht wird, wo gerade Kaffee trocknet. Die Kaffeebohne in ihrem rohen Zustand ist grün. Das wusste ich bis heute auch nicht. Erst nachdem der Röstmeister in Mbamba Bay mit dem einzigartigen Röstgrad der Bohnen zufrieden ist, sehen die Bohnen aus, wie wir sie kennen: schokoladenbraun geröstet. Der Duft ist herrlich erfrischend.
    Wir erreichen ein kleines Plateau, wo ein Essen vorbereitet ist. Das Mittagessen mit Blick ins Tal bis hin zum 20 km weit entfernten See ist unbezahlbar. Joseph erzählt mir mehr von ihm und den Machenschaften der katholischen Kirche. Er vertraut mir scheinbar sehr, weil er auch kein Blatt vor den Mund nimmt, obwohl er weiß, dass ich nochmal ins Litembo Diocesan Hospital zurückkehre. Vielleicht auch, weil er weiß, dass ich morgen noch den brasilianischen Bischof treffen werde. Er will, dass man kritisch mit der Kirche umgeht, auch wenn sie den Menschen hier in der Region weiterhilft. Vor allem aber übernehmen sie Aufgaben, die die Regierung nicht übernehmen kann. Er sagt, weil die Regierung es nicht will…
    Ich erzähle Joseph über mich. Meine Einstellung zur Kirche, warum ich auch in Deutschland noch Kirchensteuern zahle. Ich denke dabei immer an meine Kindheit zurück, an das evangelische Jugendhaus in Kalkar, das vor allem Sportangebote und Hausaufgabenbetreuung angeboten hat. Die meisten, die dort waren, waren Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Diese Einrichtung wurde von der evangelischen Gemeinde finanziert und existiert bis heute. Ich erzähle von meiner Arbeit in der Gewerkschaft und dass ich selbst für Ver.di gearbeitet habe. Sechs Monate inside Ver.di. Dann kam die Studienplatzzusage. Joseph ist begeistert. Das braucht es hier in Tansania auch, aber die einfachen Leute schaffen es nicht, sich zu wehren. Zu mächtig ist der Staatsapparat.

    Nach einem sehr interessanten Mittagessen wollen Astery und Goodluck mir unbedingt den Wasserfall hier zeigen.
    Wir laufen ca. 20 Minuten, bis wir an einem kleinen Wasserfall ankommen. Traumhaft. Wir gehen näher ran und steigen die Steine hinab. Im Hinterkopf habe ich die Gefahren, die hier lauern. Abrutschen und stürzen wäre das harmloseste. In fließendem Gewässer tummeln sich Schnecken, die befallen sind mit Schistosomen. Geht man ins Wasser und hat Kontakt zu ihnen, bohren sie sich durch die Haut und befallen die Leber. Von dort wandern sie in die Darmwand, und es folgen stundenlange Sitzungen auf der Toilette. Wirklich nichts, was man haben will. Aber ich bin mal wieder zu nett, um dem Abenteuer den Rücken zu kehren. Ich frage zumindest nach, ob es hier ein Problem damit gibt. Alle verneinen und sagen, dass es das nur weiter unten gibt und sowieso nicht in dieser Gegend. Ich muss es wohl glauben und hoffen, dass sie recht haben. Trotzdem meide ich das Wasser so gut es geht.

    Als wir zurück sind an der Kaffeefarm, gibt es nochmal den unfassbar leckeren Kaffee.
    Joseph hat in der Zwischenzeit Kaffee aus Amsterdam dabei – zum Vergleich. Der schmeckt wirklich bitter und kaum nach Kaffee. Josephs Organic Coffee ist vollmundig und nicht bitter. Schmeckt nach sehr gutem und frischem Kaffee. Ich muss unbedingt welchen haben und frage nach einer Packung. Joseph freut sich und gibt mir gleich vier weitere dazu. Ein Geschenk, das ich gerne annehme! Wir unterhalten uns mit der Familie, sie wollen wissen, wie das Leben in Deutschland ist und warum ich hier bin. Auf beiden Seiten eine gute Zeit, sagt Joseph später.

    Wir fahren in der Dämmerung los.
    Ein traumhafter Sonnenuntergang. Der Weg bis zur befestigten Straße ist sehr holprig und herausfordernd. Und dann haben wir eine Panne. Mit dem Motor stimmt etwas nicht. Joseph hat dies schon auf dem Hinweg bemerkt, und tatsächlich ist fünf Minuten später sein „Fundi“ (Handwerker) da. Er und ein Kollege reparieren das Auto in 20 Minuten. Es kann weitergehen.
    Als wir auf der Hälfte der Strecke sind, ist es bereits dunkel. Jetzt sehe ich zum ersten Mal, wie die kleinen Landwirte ihr Land roden. Überall in den Bergen brennt Feuer. Die Flammen fressen sich ganz langsam die Hänge hinauf und hinab. Ich versuche, die Kamera draufzuhalten. Die Qualität ist nicht besonders gut, aber dieses Schauspiel wirkt atemberaubend. Überall Flammen und der Geruch von verbranntem Heu. Aber nicht beißend, sondern angenehm. Jeden Abend brennen andere Teile, wichtig für die Vegetation und die Landwirtschaft.

    Zurück im Camp steht das Essen bereit.
    In einem Baumhaus essen Joseph und ich frischen Fisch aus dem Lake Nyassa. Ich habe, glaube ich, noch nie Buntbarsch gegessen. Der ist auch schwer zu bekommen, da er als Süßwasserfisch hier im Lake Nyassa heimisch ist. Die Buntbarschpopulationen sind weltbekannt. Und so lassen wir den Abend ausklingen, und ich entscheide mich für eine Schnorcheltour am nächsten Morgen.
    Ab in die Banda und Augen zu. Der Tag war lang, aber unheimlich wertvoll.
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