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- Day 16
- Tuesday, October 29, 2024 at 12:00 PM
- ☁️ 25 °C
- Altitude: 1,630 m
TanzaniaLitembo10°58’37” S 34°49’34” E
Spontangeburt
October 29, 2024 in Tanzania ⋅ ☁️ 25 °C
Fortbildung im Hospital | Zwillingsgeburt im Kreissaal | Prüfung beim Intern für Innere Medizin
Da der Bereich Maternity ein sehr sensibler Bereich ist, gibt es leider diesmal weniger Bilder. Dies dient natürlich auch dem Schutz der Privatsphäre der Frauen. Alle Bilder wurden mit Zustimmung hier hochgeladen.
Wie jeden Morgen wache ich unter dem blauen Netz auf, das mittlerweile zur Routine geworden ist. Abends das Netz in die Matratze stecken – rundherum, versteht sich. So bleiben Mücken auch definitiv draußen. Morgens beim Verlassen des Bettes das Gleiche: Netz wieder hoch und so bleiben auch Spinnen außerhalb des Netzes. Und die sind hier wirklich nicht klein. Bisher habe ich noch keine entdeckt, aber kurz vor meiner Anreise hat Robin eine in ihrem Zimmer gesichtet. Ziemlich haarig und sehr groß. Muss ich nicht haben. Mein inneres Kind hat nämlich genauso große Angst vor Spinnen wie vor Schlangen. Alles andere ist okay. Die Spinnen in Deutschland meine ich natürlich nicht, eher die, die es hier gibt – mit langen, haarigen Beinen und einem Körper so groß wie ein Pfirsich.
Ich habe erstaunlicherweise gut geschlafen und freue mich auch jeden Morgen von euch zu hören. Viele Rückmeldungen zu meinem Blog erreichen mich fast jeden Tag. Es ist schön, dass der ein oder andere meine Reise intensiv begleitet. Ich habe auch das Gefühl, dass sich dadurch Heimweh gar nicht erst bilden kann. Natürlich ist WLAN dafür auch von Vorteil.
Zum Frühstück gibt es wie so oft frisch gebackenes Brot von Serafina, darauf die leckeren heimischen Avocados, Parachichi genannt. Sie wachsen wirklich an jeder Ecke hier, genauso wie Bananen und Mangos. Vom Kaffee gar nicht zu reden.
Nach einem leckeren Kaffee aus dem BioCamp, dessen Bohnen ich frisch gemahlen habe, geht es ins Hospital. Dienstags morgens steht eine interne Fortbildung an, die jeder besuchen darf. Leiter der Inneren Medizin, Dr. Kelvin, hält heute den Vortrag. Um 8 Uhr bin ich allerdings der einzige neben ihm. Nach und nach trudeln die Interns und Nurses ein. Rund 20 Minuten warten wir, ehe Dr. Kelvin sichtlich genervt aufgrund der Verspätungen beginnt: „Mental health disease of the elderly“. Ich ahne, wieso so wenig Kolleginnen Interesse an der heutigen Fortbildung haben. Das Thema „Psychische Erkrankungen im fortgeschrittenen Lebensalter“ ist für die meisten Ärztinnen hier kein Thema. Sie schieben solche Fälle in die Innere ab, weil es keine Psychologen oder Psychiater gibt. In den großen Städten wie Dar es Salaam oder der Hauptstadt Dodoma ist das sicher anders. In Litembo ist es Aufgabe der Inneren, wenn überhaupt, nach psychischen Erkrankungen zu schauen. Bei den Menschen hier, die einen Suizidversuch unternommen haben, ist es offensichtlich. Die meisten versuchen es mit Medikamenten. Vor allem geschiedene Männer und alleinstehende junge Männer gibt es viele. Leider auch viele, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen. Die Ursachen sind vielfältig, aber die Zahl ist auffallend hoch. Jede Woche gibt es 2-3 solcher Fälle alleine hier im Hospital. Umso wichtiger, dass die Kolleginnen auch in dieser Hinsicht sensibilisiert werden. Suizid ist und war noch nie ein Ausweg.
Nach 1,5 Stunden theoretischem Input gehe ich wieder zur Maternity Station. Die beiden Ärzte Dr. Aikidu und Dr. Bosco waren nicht in der Fortbildung. Sie machen ihre Doctors' round und ich schließe mich ihnen an. Die beiden jungen Ärzte stehen scheinbar vor einem unlösbaren Problem. Das digitale Blutdruckmessgerät zeigt immer wieder einen Error an, nachdem sie auf Start gedrückt haben und die Manschette sich aufbläst und wieder ablässt. Zuerst korrigieren sie mehrfach die Manschette am Arm der Patientin. Als auch das nicht funktioniert, wissen sie nicht weiter. Ich verstehe nicht, warum. Jeder von uns hat sein Stethoskop um den Hals. Und da die Manschette sich aufbläst und das Display in Echtzeit den Druck anzeigt und ablässt, ist es ein Kinderspiel, eine manuelle Messung durchzuführen. Es ist halt kein Manometer, sondern ein Display, aber es zeigt die Werte an. Lediglich das Resultat am Ende ist nicht vorhanden. Also biete ich an, es für die beiden zu übernehmen. Sie schauen mir zu, als wäre ich ein Zauberer. Ich höre klar und deutlich den Pulston durch mein Stethoskop. Das erste Mal bei rund 116 mmHg und das letzte Mal bei rund 57 mmHg. Für einen Eindruck reichen die Werte. Anschließend messe ich den Puls: 15 Sekunden am Handgelenk, das Ergebnis mal vier: 64 bpm. Also, das ist wirklich keine Kunst. Aber auch hier gilt: Wenn die Elektronik versagt, dann geht’s halt nicht – eins der Hauptprobleme in den Kliniken.
Vielleicht haben sich die beiden auch etwas hilflos gefühlt und drücken mir jetzt ein kleines mobiles Doppler-Gerät in die Hand. Es ist ein Ultraschallgerät mit einem Lautsprecher und einer kleinen Sonde. Durch Auflegen auf die Bauchdecke kann man die Herztöne des Fötus hörbar machen und den Puls bestimmen. Jetzt wollen sie aber wissen, was ich drauf habe. Gut, dass ich gestern nochmal bei Amboss (Medizinlernplattform, für die die Uni Düsseldorf eine Lizenz erworben hat und den Studierenden zur Verfügung stellt) ein wenig geblättert habe. Ich taste den wirklich kugeligen und prallen Bauch der Schwangeren ab. Mein Ziel ist es, die Wirbelsäule des Fötus zu ertasten. Dort ist dann der Rücken, und die Wahrscheinlichkeit, die Schallwellen aufs Herz zu lenken, ist besonders gut. Von links und von rechts nehme ich den schwangeren Bauch der Frau und drücke mit meinen Händen vorsichtig. Auf der linken Seite ist der Widerstand deutlich höher. Hier ist etwas Hartes direkt unter der Bauchdecke. Das muss der Rücken des Fötus sein. Also nehme ich etwas Schallgel und setze die Sonde auf. Ein Rauschen ertönt, mehr nicht. Als würde man beim Radio genau zwischen zwei Sendern landen. Ein unangenehmes Geräusch. Ich gebe aber nicht auf und schwenke den Schallkopf ganz langsam hin und her. Meine Geduld wird einige Sekunden später belohnt. Jetzt hört man deutlich das Schlagen des Fötusherzens: 151 bpm (beats per minute). Die beiden Ärzte sind zufrieden. Dr. Aikidu hakt nach, ob ich wisse, wie die Normwerte sind. Es ist eine Situation, die ich aus Deutschland kenne: Man steht vor der Patientin und wird abgefragt. Ich weiß es zwar nicht, aber vermute, dass es wohl zwischen 120 und 160 bpm liegt. Er nickt und lächelt. Volltreffer. Die Ärzte glauben jetzt, ich habe was drauf, und ich freue mich, dass Raten manchmal reicht. Ist ja in den Klausuren durchaus genauso.
Wir beenden die Doctors' round gerade rechtzeitig, als Cathrina um die Ecke kommt. Die Nurse ist im Kreissaal eingeteilt. Eine Frau ist so weit, ihr Baby kommt auf die Welt. Wir sollen jetzt sofort in den Kreissaal. Die erste natürliche Entbindung, die ich sehen werde.
Als wir in den Kreissaal kommen, ist schon alles vorbereitet. Die Patientin hat sichtlich Schmerzen. Alle 15-20 Sekunden verzieht sie ihr Gesicht. Aber sie schreit nicht. Sie stöhnt nicht mal. Denn sie unterbindet es. Schreien und stöhnen bei der Geburt gilt in Tansania als schlechtes Omen. Passiert es unter der Geburt, wird man kein Glück mit dem Kind haben. Es müssen unwahrscheinliche Schmerzen sein. Keine PDA (die Spritze in den Rücken), keine anderen Schmerzmittel. Als Mann kann man es sich auch einfach nicht vorstellen, deshalb habe ich den größten vorstellbaren Respekt vor Entbindungen und vor den Frauen, die dort liegen. Dr. Aikidu zieht sich sterile Handschuhe an. Ich soll ihm assistieren. Bevor wir starten, sagt er: „Dr. Denis, for now you observe what I do. Before you go to internal ward next week, you will do your own delivery and I will observe.“ (Dr. Denis, schau gut zu. Bevor du in die Innere wechselst nächste Woche, wirst du eine Geburt allein begleiten und ich werde nur im Hintergrund zuschauen). Ich glaube, mir ist die Kinnlade runtergefallen. Zumindest in Gedanken. Ich frage nach, ob er damit auch die Naht meint, die oft am Damm noch im Nachgang gesetzt wird. Er antwortet wie selbstverständlich, dass dies natürlich mit dazugehört. Dann lacht er und sagt, dass ich sonst gar nichts zu erzählen hätte, wenn ich die letzte Woche nur konservative Therapien gemacht hätte.
Ich schaue also genau zu. Mit seinen sterilen Handschuhen legt er der Frau erst einmal einen Dauerkatheter. Dann führt er seine Finger vaginal ein. Nach einigen Sekunden sagt er: „9 cm.“ Als ob er jetzt mit seinen Fingern gemessen hat, wie weit der Muttermund geöffnet ist. Später zeigt er mir ein Holzbrett, in dem verschieden große Löcher gefräst sind. Dort demonstriert er, wie er mit seinen Fingern eine ungefähre Messung vornimmt bei gebärenden Frauen. Wir messen meinen Zeigefinger (1,5 cm) und meinen Mittelfinger (1,5 cm), beide nebeneinander rund 3,5 cm. Ich soll mir das merken für die nächsten Tage, damit ich selber Einschätzungen machen kann. Wow. Tief durchatmen und weiter schauen. Dr. Aikidu nimmt eine normale Spritze, setzt eine Kanüle auf und bricht diese dann ab. Mit der einen Hand nimmt er sie und führt sie bis zur Fruchtblase. Transvaginal bringt er die Fruchtblase zum Platzen. Das Fruchtwasser ergießt sich über die Behandlungstrage. Die Frau hat ein schmerzverzerrtes Gesicht. Auch die Manipulation durch den Arzt muss schmerzhaft sein, denke ich. Dann steht da auch noch ein Mzungi (Weißer), der wörtlich einen tiefen Einblick erhält. Ich bin immer noch sprachlos, dass das alles ohne jegliche Betäubung passiert. Auch wenn der menschliche Körper Hormone ausschüttet, um den Schmerz auszublenden, es muss harte Arbeit sein.
Und plötzlich kommt der kleine Kopf des Säuglings zum Vorschein. Ganz langsam, aber Stück für Stück. Hormone im Körper der Frau sorgen dafür, dass sich Bänder im Becken dehnen und locker werden. Die Beckenknochen bekommen dadurch Spiel und können etwas auseinanderdriften. Daher passt der Kopf und der breite Schultergürtel eines Säuglings überhaupt erst vom Bauch durch das Becken. Ich versuche zu erkennen, was ich sehe, denn man erkennt tiefe Falten auf der Kopfhaut des Säuglings. Dann, als der Kopf durch den Geburtskanal durch ist, strafft sich die Kopfhaut. Jetzt fällt auch bei mir der Groschen. Die Schädelknochen sind noch nicht zusammengewachsen und so schieben sie sich im engen Geburtskanal eng aneinander. Durch den Hirnwasserdruck driften sie dann wieder auseinander, nachdem das Kind durch den Geburtskanal durch ist. Das alles habe ich bisher nur in der Theorie gelernt und auf Bildern gesehen. Es ist schon spannend und interessant, jetzt alles live und in Farbe zu sehen. Sich an die theoretischen Grundlagen zu erinnern und zu wissen, was passiert.
Ich reiche Dr. Aikidu zwei Klemmen, er befestigt sie nah beieinander und bittet mich, die Nabelschnur durchzuschneiden. Bei der Geburt meines Kindes werde ich einen Witz machen und sagen, dass es nicht mein erstes Mal ist, wenn ich nicht gerade in meiner eigenen Praxis meine Finger in irgendwelchen Körperöffnungen stecke, um Patienten zu behandeln. Meine Frau wird lachen und sagen: „Schon wieder so ein Spruch von dir.“ Wird sie aber auch nur machen können, weil die PDA jeglichen Schmerz nimmt. Spaß beiseite.
Das Kind wird von der Hebamme entgegengenommen und direkt untersucht sowie unter eine Wärmelampe gelegt. Es ist eine Wärmelampe aus der Hühnerzucht, aber sie tut hier genauso gut Dienst wie in der Landwirtschaft. Ein gesundes Mädchen schreit und ist wohlauf. Jetzt beginnt der handwerkliche Teil. Die Plazenta muss raus. Da die eine Klemme noch an der Nabelschnur hängt, die mit der Plazenta verbunden ist, wickelt Dr. Aikidu sie langsam um das Instrument und zieht behutsam daran. Mit kreisenden Bewegungen löst er sie vorsichtig ab. Da liegt nun der Mutterkuchen. Er ist vollständig und kommt weg. Letzter Schritt. Ein kleines Stück vom Damm ist gerissen (der Teil zwischen Anus und Vaginaleingang). Ich reiche Nadel und Faden an. Mit zwei Stichen ist das Problem behoben. Die Frau liegt erleichtert, aber erschöpft da. Wir gratulieren ihr und geben ihr die nötige Ruhe sowie die Medikamente, die sie benötigt (vor allem Oxytocin, damit sich die Gefäße, die in die Plazenta führten, schließen).
Als ich zufrieden die Maternity in Richtung Doctors' House verlasse, sieht Dr. Risiki mich. Er ist Intern in der Inneren Medizin und bittet mich in den Untersuchungsraum. Dort liegt eine Frau mit rundem Bauch auf der Untersuchungsliege. Er fragt, ob ich das Abdomen untersuchen könne und ihm eine Diagnose vorschlagen kann. Wieder treten Schweißperlen auf meine Stirn. Ich mag solche Situationen überhaupt nicht. Aber am Ende des 4. Studienjahres muss man sowas können. Ich erzähle ihm, was ich an der Haut erkenne und dass der Bauch eine Schwellung oder eine abnorme Größe hat. Dann setze ich das Stethoskop auf und höre in allen Quadranten Darmgeräusche. Die Palpation ergibt eine verschiebliche, derbe Raumforderung. Ich mache sogar die Perkussion. Hört sich, glaube ich, Hyposonor an. Also kein Hohlraum. Dr. Risiki fragt, ob die Patientin schwanger sei. Unwahrscheinlich, denke ich. Denn der Fötus ist nicht so oberflächlich und auch nicht leicht verschieblich. Aber die Region passt. Ich zähle 1 und 1 zusammen. Es muss ein Tumor sein. Ich tippe auf ein Myom. So eins, was ich mit Dr. Freddy hier schon herausoperiert hatte. „100 Punkte“, sagt Dr. Risiki, und wünscht mir einen schönen Feierabend.
Was ich daraus mitnehme, frage ich mich selbst: „Sei selbstbewusster. Du kannst es ja doch.“ Die Zeiten sind vorbei, in denen man der unschuldige Student war. Famulaturen sind wirklich gut, um genau das zu tun: Wissen erwerben und direkt anwenden. Ich hätte vermutlich ohne die OPs der letzten Woche nicht mal gewusst, was ein Myom ist.
Der nächste Tag kann kommen. 🥰Read more







TravelerDenis 😊weiter so !
TravelerWie Leber ,die mit den Aufgaben wächst 🤩