• Hoch hinaus

    December 22, 2024 in Nepal ⋅ ☀️ 14 °C

    Der nächste Tag hier in Pokhara entfaltet sich wie eine Geschichte, die mit jedem Kapitel spannender wird. Der Morgen beginnt früh, die klare Luft trägt den Duft der Berge, als ich mich auf den Weg zum Sarangkot-Berg mache. Die Fahrt dorthin ist schon ein Erlebnis für sich: Der Weg schlängelt sich in Serpentinen die Hänge hinauf, und mit jeder Kurve eröffnet sich ein noch spektakulärerer Blick auf die schneebedeckte Annapurna-Bergkette. Die Gipfel leuchten richtig im Morgenlicht, und es ist kaum zu glauben, dass diese Szenerie real ist.

    Oben angekommen, auf 1500 Metern Höhe, scheint die Welt endlos. Die Sonne wirft ihr goldenes Licht auf die umliegenden Hügel, und der Phewa-See glitzert wie ein riesiger Diamant in der Ferne tief unten im Tal. Alle paar Minuten starten hier oben die Paraglider mit ihren Kunden. Mein Pilot ist Tamsar. Er ist ziemlich klein, sehr aufgeschlossen und nett. Seit 10 Jahren fliegt er jeden Tag hoch oben über dem Tal. Bevor wir an der Reihe sind, frage ich, ob ihm dieser Job Spaß macht. Was er so verdient. Er liebt die Lüfte sagt er. Rund zwei Jahre dauerte die Ausbildung zum Piloten. Denn wer Paragliden möchte, der braucht eine Pilotenelizenz. Der Verdienst lag vor Corona bei 3000 $ im Monat, mehr als ein Arzt in Nepal verdient. Seit Corona sind es nur noch rund 500 $. Die Branche hat sehr gelitten und erholt sich nur sehr sehr mühsam. Wie bei einem Flughafen, gibt es hier zwei Beamte, die die Abflüge regeln. Jeder Pilot mit Lizenz hat einen Start-Slot. Als wir an der Reihe sind bekomme ich die letzten Sicherheitshinweise. „Zu Beginn kleine Schritte, dann auf mein Kommando rennen und auf gar keinen Fall hinsetzen. Du merkst wenn wir abheben, dann erst setzen.“ Ich spüre die Aufregung in mir, während der Gurt des Paragliders befestigt wird. Bei einigen vor uns hat das nämlich nicht gut geklappt. Die Kunden haben sich zu schnell gesetzt und der Start musste dann abgebrochen werden. Inklusive einer Schleiffahrt durchs Gestrüpp. Das will ich vermeiden. Tamsar wartet auf eine kleine Böhe. Dann zieht er an den Seilen, Luft füllt die Kammern des Schirms. Er gibt das Kommando. Wir tippeln los. Dann rennen wir gemeinsam.
    Plötzlich heben wir ab. Kein Motor, keine Turbinen, nur noch die Stille des Himmels und der Wind, der uns trägt. Die Freiheit ist überwältigend. Wir fliegen rund 20 Minuten 1500m über dem Boden. Als wir nach 30 Minuten Richtung Tal gleiten fragt Tamsar, ob ich ein wenig „tanzen“ wolle. Na klar, wenn ich schon mal da bin! Er beginnt und zieht spektakuläre Schrauben und Spiralen in die Luft, und ich lache laut vor Freude. Das ist nochmal ein ganz anderes Erlebnis.
    Von hier oben wirken die Berge des Annapurna-Massivs noch mächtiger, der See darunter friedlicher. Es ist ein Tanz mit dem Wind, ein Moment, der sich einbrennt. Schließlich gleiten wir sanft zur Landung am Ufer des Phewa-Sees. Als meine Füße den Boden berühren, fühle ich mich beflügelt, im wahrsten Sinne des Wortes.

    Am Nachmittag schenke ich meinem Körper Entspannung. Bei den Seeing Hands Nepal empfängt mich ein blinder Masseur mit einem warmen Lächeln. Seine Hände scheinen meine Verspannungen sofort zu spüren, und während er mit gekonnten Griffen arbeitet, spüre ich, wie der Stress der letzten Woche ablässt. Die Massage ist nicht nur eine Wohltat für meinen Körper, sondern auch eine stille Verbindung zu dieser inspirierenden Initiative, die Menschen mit Seebehinderungen in Nepal eine Chance gibt, erwerbstätig zu sein.

    Später am Nachmittag suche ich das The Juicery auf, einen kleinen Rückzugsort mit gemütlicher Atmosphäre und einem Garten, der zum Träumen einlädt. Mit einem dampfenden Kaffee in der Hand beobachte ich, wie die Sonne langsam hinter den Bergen verschwindet. Vögel zwitschern im Hintergrund, und die Zeit scheint stehenzubleiben.

    Der Abend gehört meiner Gastfamilie. Wir sitzen zusammen und teilen Geschichten und Lachen, während die nepalesische Fischsuppe serviert wird. Prakash, der für CBM Deutschland (Christoffel Blinden Mission) arbeitet erzählt von seinen Reisen nach Deutschland und was er so liebt. Bina will unbedingt Berlin besuchen.
    Die Aromen von Ingwer, Knoblauch und frischen Kräutern sind ein Traum. Zum Abschluss werde ich mit einem Glas Apple Brandy überrascht – ein kräftiger, fruchtiger Schnaps, der das Gespräch in Schwung bringt und mich noch tiefer in die Wärme dieser Kultur eintauchen lässt.

    Es ist ein Tag, der mich mit allen Sinnen berührt – die Höhen der Lüfte, die Serpentinen mit ihren Ausblicken, die Ruhe der Massage, die Aromen des Essens und die Herzlichkeit der Menschen.
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