• Panne mitten in Pokhara

    December 23, 2024 in Nepal ⋅ 🌙 14 °C

    Der heutige Tag ist wirklich geprägt von Unterschieden – eine Mischung aus unvorhergesehenen Momenten, ehrlicher Menschlichkeit und Begegnungen, die einem das Gefühl geben, dass die Welt doch ein Dorf ist.
    Heute beginnt mein Tag mit einer kleinen Herausforderung. Auf dem Weg zu meiner Famulatur im Manipal Hospital, auf einem meiner täglichen Motorroller-Fahrten durch die lebendige Stadt, passiert es: Mitten auf der Straße stirbt mein Roller plötzlich ab. Ein Druck auf den elektrischen Anlasser – nichts. Ein energischer Tritt auf den Kickstarter – wieder nichts. Da bleibt nur eins: schieben.
    „Wer seinen Roller liebt, der schiebt“, sage ich mir selbst und mache mich an die Arbeit. Es sind noch zwei Kilometer bis zum Krankenhaus, aber in der Morgensonne fühlt sich jeder Meter doppelt so lang an.
    Nach einigen Metern schiebe ich an einer kleinen Werkstatt vorbei. Zwei Mechaniker sitzen vor einer offenen Motorhaube, während ein dritter einen Reifen flickt. Ich halte an und frage höflich, ob sie vielleicht kurz Zeit haben, sich meinen Roller anzusehen. Zu meiner Überraschung nicken sie sofort, schieben den Roller an die Werkstatt und beginnen, ihn auseinanderzunehmen. In einer Geschwindigkeit, die ich nur bewundern kann, stellen sie fest, dass die Zündkerze das Problem ist. Zündkerze raus. Neue Zündkerze rein. Innerhalb von zehn Minuten ist der Roller wieder zusammengebaut und fährt.
    Als ich nach den Kosten frage, sagt der Mechaniker mit einem Lächeln: „350.“ Mein europäischer Kopf denkt sofort: 3500 Rupien – na ja, ein stolzer Preis, aber es sind schließlich Handwerker. Doch dann lacht er und korrigiert mich: „Nein, nein, 350!“ Für nicht einmal drei Euro bekomme ich also eine neue Zündkerze und den Reparaturservice. Seine Ehrlichkeit ist bemerkenswert, und ich bin dankbar, dass ich so viel mehr als nur eine reparierte Zündkerze mitnehmen kann – eine Erinnerung daran, dass echte Menschlichkeit überall auf der Welt zu finden ist. Denn ich hatte bereits 3500 Rupien in der Hand. Er hätte sie nur noch nehmen müssen und das Geschäft seines Lebens wäre getan.

    Im Krankenhaus angekommen, erwartet uns ein intensiver Vormittag. Innerhalb einer Stunde kommen drei Patienten mit eindeutiger Symptomatik eines Schlaganfalls. Die Arbeit ist herausfordernd, aber auch unglaublich lehrreich. Zusammen mit den Interns versuchen wir das genau Bild der Symptome herauszufinden. Ein älterer Herr hat den klassischen hängenden Mundwinkel - Hemiparese links.
    Die Dame ende 40 kann ihre komplette linke Seite nicht mehr bewegen - Hemiplegie links. Berührungen an der linken Körperhälfte spürt sie auch nicht mehr. Für beide wird ein CT angemeldet. Leider dauert dies immer viel zu lange für meinen Geschmack. Aber andere Länder andere Sitten. Ohnehin bleibt hier nur die Option einer medikamentösen Behandlung. Der sogenannten Lyse. Dabei versucht man durch ein Medikament den Thrombus, der ein Gefäß verschließt, aufzulösen. Die Gefahr dabei ist, dass die Patienten innere Blutungen zu bekommen. Aber es ist die einzige Rettung. Eine Thrombektomie (Intervention mittels Katheter) ist in diesem Krankenhaus nicht verfügbar. Das nächste Krankenhaus wäre in Kathmandu. Bei einer Blutung im Gehirn könnten die Neurochirurgen hier übernehmen. Beide haben aber keine Blutung, zeigen die CT Bilder, die noch warm sind vom Drucker. Es braucht jetzt mehr als nur einen Arzt oder Ärztin um die Dosis der Lysetherapie zu berechnen. Ich halte mich mal im Hintergrund, weil auch ich in Mathe und Kommarechnung wirklich nicht annähernd Erfolg hatte in meiner Abiturzeit. Glücklicherweise konnte die Dame nach rund 1,5 Stunden ihrer medikamentösen Therapie ihre linke Körperhälfte erst wieder spüren und dann auch bewegen. Das war ein richtiger Erfolg und sorgte für Erleichterung beim Team und auch bei der Familie der Patientin. Beim älteren Herren sieht es dafür nicht ganz so gut aus. Der Mundwinkel hängt noch, es ist aber zum Glück, bei aller Traurigkeit, sein einziges Symptom. Sprechen und Verstehen funktioniert uneingeschränkt. Nach einem langen Tag im Krankenhaus sehne ich mich nach einer Pause und beschließe, in mein Lieblingscafé am See zu gehen.

    Die „Juicery“ ist der perfekte Ort, um abzuschalten und trotzdem produktiv zu sein. Mit einer Tasse dampfendem Kaffee, schnellem WLAN und einem traumhaften Blick auf den Phewa-See setze ich mich an meine Doktorarbeit. Die Ruhe des Ortes wird nur durch das leise Klirren von Geschirr und das Lachen anderer Gäste unterbrochen. Während ich schreibe, entdecke ich ein Schild, das einen Karaoke-Abend ankündigt. „Das könnte ein guter Ausklang für den Tag sein“, denke ich mir und nehme mir vor, später zurückzukommen.

    Am Abend lasse ich mich von den Aromen Nepals verführen. Auf meinem Teller landen gegrilltes Büffelfleisch, unglaublich gut mariniertes Hühnchen und frisch gebackenes Chapati, das ich in würziges Curry tauche. Gesättigt und glücklich mache ich mich auf den Weg zurück in die „Juicery“ zum Karaoke-Abend.

    Die Stimmung ist lebendig, und die Cocktail-Happy-Hour macht es leicht, ins Gespräch zu kommen. An einem großen Tisch finde ich mich bald mit einer bunten Gruppe wieder: Charly und Pallabi, zwei Freiwillige aus Essen, sechs Einheimische und Alex, ein Kanadier, der erst heute in Pokhara angekommen ist. Wir tauschen Geschichten aus, lachen viel, und ich staune, wie schnell man hier neue Leute kennenlernt.
    Auch wenn ich an diesem Abend nicht selbst ans Mikrofon trete, fühle ich mich wie ein Teil der Gemeinschaft. Die Gespräche ziehen sich bis in die Nacht, und ich freue mich schon darauf, viele von ihnen in den nächsten Tagen und Wochen wiederzusehen.
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