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  • Jour 26

    Todesangst

    5 juin 2019, Espagne ⋅ ⛅ 10 °C

    Diese Nacht hatten wir ein Viererzimmer in Puebla de Sanabria und so machten wir uns heute Morgen alle gemeinsam auf und blieben auch den ganzen Tag zusammen. Das Wetter war ziemlich kühl und die Temperatur stieg nicht über 15 Grad. Heute stand mit 1350 m der höchste Punkt der Via de la Plata auf dem Plan und damit verbunden ein 400 Meter Aufstieg. Diesen nahmen wir nach einem frühen Mittagessen in Anspruch. Fast die gesamte Strecke verlief der Strasse entlang. Da wir aber auf dem Asphalt schnell viel Strecke hinter uns bringen konnten, war das ausnahmsweise mal gar nicht so schlimm. Ausserdem hatten wir zu viert ein riesen Gaudi und haben allen Lastwagen zugewunken, damit sie lachten und hupten. Das war echt lustig.

    Plötzlich hörten wir ein sehr lautes, seltsam klingendes Geräusch und wir sahen ein Betonmischwagen um die Kurve preschen. Die linke Hinterseite des Lastwagens kratzte am Boden entlang, sodass die Funken nur so flogen und ich meinte, sogar Feuer gesehen zu haben. Der Fahrer hatte den Wagen nicht mehr unter Kontrolle. Wir quetschten uns alle blitzschnell an das Strassengeländer. Das Herz setzte für eine Sekunde aus. Wir sahen den Lastwagen an uns vorbeiblitzen. In eben dieser Sekunde wurde uns bewusst, dass bei dem die Bremsen nicht mehr funktionierten. Und ein kurzes Gefühl der Erleichterung, dass der Wagen uns nicht erwischt hat, wurde sogleich durch pure Übelkeit ersetzt, wussten wir doch nicht, was hinter den nächsten Kurven mit dem Lastwagenfahrer und all den entgegenkommenden Autos passieren mag. Wir liefen weiter, ungläubig, was wir da gerade gesehen haben. Mir wurde richtig schlecht. Wir haben den folgenden Lastwagenfahrern Zeichen gemacht, dass sie bremsen sollen und konnten weiter oben einem der anhielt erzählen, was passiert ist. Irgendwann erholten wir uns von dem Schock. Wir liefen und liefen immer weiter den Berg hinauf und überall fanden wir wieder vereinzelte Pneustücke. Wir kamen über eine Brücke, die geschätzte 100 m hoch war. Ich hatte schon Mühe diese zu Fuss zu überqueren und der Fahrer musste da ohne Bremsen rüber. Auf dem Pass oben hatte es eine Bar, wo wir was trinken gingen. Wir haben nachgefragt, ob jemand etwas wisse und anscheinend waren alle Arbeitskollegen von diesem Fahrer in einem Hinterraum versammelt. Aisha ging mit ihnen reden und hat herausgefunden, dass der Lastwagenfahrer den Wagen kurz vor dem Dorf, wo wir herkamen in eine Böschung gefahren hat. Der Lastwagen steht auf dem Kopf, Totalschaden, aber der Fahrer hat überlebt und liegt jetzt im Spital. Gottseidank!!! Man weiss nicht, ob zuerst die Bremsen oder der Pneu ausgestiegen sind, aber anscheinend ist das knapp nach dem Pass passiert. Das bedeutet, dass der 10 km lang den Berg runtergerast ist! Durch ein Tunnel, über die Brücke, vorbei an nichtsahnenden Pilgern und Autofahrern. Dass da nicht mehr passiert ist, grenzt an ein Wunder. Da müssen einige Schutzengel im Spiel gewesen sein!

    Jetzt, da wir wussten, dass es noch glimpflich ausgegangen ist, konnten wir uns auch ein bisschen beruhigter an den Abstieg machen. Um 15:30 Uhr kamen wir in der Herberge an und schnappten uns die letzten (!!!) 4 der 16 Betten in der Herberge. 3 Pilger folgten noch nach uns, die jetzt auf dem Boden schlafen müssen. Cameron erbarmte sich und gab einer älteren Dame sein Bett. Ich hoffe diese Bettknappheit zieht sich jetzt nicht bis Santiago weiter.
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