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  • Day 322

    Stille im Wimmelbild

    August 27, 2023 in Vietnam ⋅ ☁️ 32 °C

    Früh am Morgen - es ist für die tropischen Verhältnisse geradezu kühl - radeln wir über die leere Grenze nach Vietnam. Auf der kambodschanischen Seite gelten wir sogar als Fahrzeug und müssen nicht durch ein Terminal schieben. Auch auf der vietnamesischen Seite erhalten wir routiniert den nächsten Einreisestempel und radeln los. In Vietnam fallen schnell die vielen Landesflaggen auf und gleich die erste Stadt nach der Grenze setzt neue Maßstäbe in Sachen Trubel und Verkehrschaos.

    Unser erstes Ziel ist Ho Chi Minh Stadt, das immernoch besser unter dem alten Namen Saigon bekannt ist. Nach einigen Kilometern auf einer mehrspurigen Hauptstraße flüchten wir aus dem dichten Verkehr und folgen einigen Kanälen in Richtung der ersten Außenbezirke Saigons.

    Die größte Stadt Vietnams ist noch schriller und bebender als die asiatischen Großstädte, durch die wir bisher gefahren sind. Hatten wir schon in Indonesien das Gefühl, mit vielen Mopeds unterwegs zu sein, schwimmen wir hier regelrecht in einem Strom voller röhrender Zweiräder, die im Eiltempo Richtung Stadt düsen. Jeder Abbiegevorgang verursacht einen gordischen Verkehrsknoten, an dem sich tausende entgegenkommende Motorroller kreuz und quer durcheinander schlängeln, der sich dann aber nach wenigen Augenblicken auf magische Weise wieder auflöst.

    Nach den Tagen im ländlichen Kambodscha gleicht Saigon einem lebendigen Wimmelbild und die vielen gemütlichen Cafés laden uns förmlich dazu ein, Platz zu nehmen und das Treiben auf der Straße zu beobachten. Straßenhändler stellen Kräuter, Obst und Gemüse in Körben zur Schau und alte Frauen versuchen Lottoscheine mit besonders glückbringenden Losnummern weiterzuverkaufen. Mal gibt es riesige Obst- oder Fischmärkte mit den spannendesten Waren, die von interessierten Kund:innen genauestens inspiziert werden, dann schiebt sich eine Streetfoodhändlerin mit ihrem Karren behäbig über eine belebte Kreuzung, während die Mopeds ohne zu bremsen links und rechts vorbeirasen, und irgendwo sitzt ein Schlosser am Kreisverkehr, der für umgerechnet 50 Cent seelenruhig jeden Schlüssel nachschleift.

    Verlässt man die vollen Hauptstraßen, verliert man sich schnell in einem Labyrinth kleiner Gassen - mal betongrau, mal elegant mit Blumen und Farben dekoriert. Die Wohnzimmer der Anwohner:innen gehen direkt von den Gassen ab und weder die fernsehguckenden Kinder noch die dort mittagsschlafenden Mütter lassen sich von uns stören. Dann zieht mit einem Mal der Geruch von Essensständen durch die Gassen, das Hupen des Verkehrs wird wieder laut und plötzlich spuckt uns das Labyrinth an der Hauptstraße vor einer bunten Leuchtreklame für koreanische Kosmetikprodukte aus. Wir könnten Stunden durch dieses Freilichtmuseum spazieren.

    Unser WarmShowers Host Dzung ist besonders darauf bedacht, uns die kulinarische Seite Saigons vorzustellen. Immer wieder kommt er mit einem neuen Snack ums Eck und erläutert uns dessen Zutaten und Entstehungsgeschichte. Er kennt die besten Stände der Nachbarschaft und so essen wir uns von Summer Rolls zu Pho und weiter zu Klebereis-Snacks und Durian-Kuchen und schließlich über den Obstmarkt, wo wir endlich all jene Früchte probieren können, die wir schon oft gesehen haben, von denen wir bisher aber nicht wussten, wie man sie isst.

    Am Abend steht noch eine besondere Verabredung an: In einem Café treffen wir einige Bekannte von ihm und lernen eine neue Facette des Wimmelbilds kennen. Als wir ankommen, sind sie schon eifrig in ein stilles Gespräch vertieft. Sie sprechen nämlich nicht Vietnamesisch oder Englisch, sondern die vietnamesische Gebärdensprache. Einige sind gehörlos und haben den anderen "ihre" Sprache beigebracht - diese wiederum unterstützen sie nun, etwa bei der Übersetzung von Vorlesungen an der Universität. Heute treffen sie sich zum Gebärdensprachen-Stammtisch - zu unserem Glück mit akustischer Übersetzung extra für uns. Sie erzählen uns, dass es in Vietnam insgesamt nur 4 Schulen für Gehörlose gibt. Viele Gehörlose schaffen daher gerade einmal den Grundschulabschluss und brauchen selbst dafür einige Jahre länger. Staatliche Unterstützung gibt es nicht. Umso beeindruckender finden wir das Engagement dieser Truppe.
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