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  • Day 45

    41 A Rúa – Santiago de Compostela

    September 10, 2022 in Spain ⋅ ☀️ 22 °C

    Als ich heute Morgen um halb Sieben zu meiner letzten Etappe nach Santiago aufbrach, stand der volle Mond genau über meinem Weg und wies nach Westen – links darüber der Jupiter. Es wurde ein zauberhafter Morgen. Der Nebel stieg langsam aus den Wiesen herauf und die Sonne brach durch in einen strahlend blauen Himmel.
    Der Weg führte wieder durch Wälder – dieses Mal waren es Eukalyptusbäume, die ihren typisch intensiven Duft ausströmten. Bald darauf gab es eine Bar, die schon geöffnet hatte, und ich genoss mein Frühstück.
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    Heute waren viele Pilger unterwegs und sie wurden alle von irgendetwas angezogen. Was das wohl war? Auch ich war aufgeregt und musste mich immer wieder auf meinen ruhigen Rhythmus besinnen.
    Nach ungefähr der Hälfte der Strecke führte der Weg aus dem Wald heraus. Wir kamen am Flughafen von Santiago vorbei. Über uns – fast wie in Greifnähe, aber doch zumindest knapp über den Bäumen – donnerten die riesigen Maschinen von easyJet vorbei. In gut einer Woche würde ich auch in so einem Teil hocken.
    ~
    Wenig später erreichten wir – ich sage wir, weil ich war nun immer von vielen Menschen umgeben und ich war Teil von ihnen – also wir kamen zu einer Kapelle: Santa Lucia. Es geht auf Weihnachten zu, dachte ich. Das war mit schon an einigen Stellen aufgefallen, dass der Camino wie den Tierkreis durchläuft:
    – in Pamplona die Stiere
    – die Zwillingsstädte Najerá und Navarette
    – dann Burgos: der Krebs
    – und León, der Löwe
    – kurz danach kam ich in das Land der Jungfrau: Virgen del Camino und viele andere der Jungfrau geweihten Kapellen
    – danach hoch zum Cruz de Ferro, dem Hypomochlion des Camino, dem Drehpunkt der Waage
    – und auf der anderen Seite der steinige Abstieg zum Skorpion/Adler
    – nun eigentlich dachte ich, in O Cebreiro würde schon Weihnachten sein, aber das soll wohl noch der Schütze sein
    – und in Santiago regiert der Steinbock, geführt von Santa Lucia
    – nun geht es dann wohl weiter zum Wassermann nach Finisterre ans Meer
    – und die Fische im Meer, Atlantis
    – und der Widder schließt den Kreis und führt wieder hinüber in die Pyrenäen.
    Mir kommt es so vor, als hätte ich mit dem Jakobsweg mein ganzes Leben noch einmal durchlaufen. Diesen Gedanken will ich gerne noch ein bisschen weiter bewegen.
    ~
    Am Monte de Gozo, wo die große Pilgerherberge mit über 1.000 Betten steht, konnte ich einen ersten Blick auf Santiago werfen. Sogar die Türme der Kathedrale waren zu sehen. Nun waren es nur noch fünf Kilometer hinunter durch die Straßen der Stadt bis zum Ziel. – Ist das das Ziel? Ich bin mir nicht sicher. Es ist eher wie der Anfang. Ich bin zum Anfang gekommen. Wenn ich die Augen schließe und zur Ruhe komme, sehe ich den Weg weiter auf mich zu kommen. Ich spüre diesen leisen, zarten, lebendigen Strom unter mir – und bin da. Einfach nur da! Nicht hier, weil da gäbe es ja noch ein dort. Auch nicht jetzt, weil da ist dann noch ein davor und danach. Nein, einfach nur da – im Anfang.
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