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  • Day 46

    Pórtico de la Gloria

    September 11, 2022 in Spain ⋅ ⛅ 21 °C

    Wenn du den Jakobsweg gehst, gibt es drei klassische Orte, an denen du beginnen kannst. Das sind Orléans, Le Puy-en-Velay und Vézelay – alle drei in Frankreich gelegen. In Vézelay war ich vor zwei Jahren auf dem Rückweg aus der Bretagne. Da steht die Basilica Saint-Marie-Madeleine. Über dem Hauptportal schwebt in einer Mandorla eine unerreicht-entrückte Christus-Figur. Nun sollen die Pilger in alten Zeiten von hieraus los gelaufen sein. Sie sahen den Christus und sagten zu sich: „So kannst du nie werden!“
    Dann wanderten sie los – durch Frankreich, den beschwerlichen Weg über die Pyrenäen, waren Wind und Wetter ausgesetzt, den Elementen, durch den Hitzeofen der Meseta, Regen, Sturm und steinige Pfade. Wir können sagen, das war eine Natureinweihung, so wie sie im nördlichen Mysterienstrom praktiziert wurde.
    Der andere Weg ging nach innen, das Zurücknehmen, die stillen Kapellen aufsuchen, sich als das, was man/frau geworden war, in Frage stellen, wie es die südlichen Mysterien in Ägypten und Griechenland exerzierten.
    So – äußerlich in der Welt stehend und innerlich wie neu geboren – kommen die Pilgernden nach Santiago und stehen vor dem Eingang der Kathedrale: dem Pórtico de la Gloria – die Pforte der Herrlichkeit. Darüber im Tympanon wieder der thronende Christus. Darunter zwei Tore und in der Mittelsäule Jakobus. Nun sehen sich die beiden sehr ähnlich – sie waren Brüder, wird an einer Stelle der Bibel gesagt.
    Nach ihrer langen Reise treffen die Pilger und Pilgerinnen jetzt auf diese Szenerie und sagen sich: „So wie der Christus kann ich nicht werden! Aber wie Jakobus – und das ist sein Bruder.“
    Das ist die Legende und auch in mir lebt dieses Bild.
    Heute ist es gar nicht so einfach, dort beim Pórtico anzukommen. Der Eingang ist versperrt. Du musst über das Internet ein Zeitfenster buchen. Das kostet 10 € und ist schon ermäßigt für Pilger oder Senioren. Eine viertel Stunde vorher sollst du dich einfinden und dann wirst du in Besucherkolonnen über einen Seiteneingang durch verborgene Wege in mehreren Etappen an die Gloria herangeführt. Von Herrlichkeit keine Spur. Verbote – no Foto, nichts anfassen, nicht einmal an die Wand lehnen – und Regeln werden von einer mit einer orangenen Weste bekleideten Security-Person überwacht. Nun gibt es unter Jakobus in der Säule eine Stelle, an der die Pilger, wenn sie ankamen ihre Hand hinlegten. Der Stein ist da, wo die fünf Finger auflagen, vertieft. Ich legte also meine Hand hinein. Das hätte ich – nach Ansicht der orangenen Furie hinter mir – nicht tun sollen. „Matrimonio – Weltkulturerbe – und ich würde rausfliegen …“ Sí, sí … auch dass ich mich auf uraltes Pilgerrecht berief, half nichts. Nun ja, etwas konnte ich dann doch noch empfinden, als sich alle wieder beruhigt hatten.
    ~
    Zuvor war ich in einer Krypta gewesen, die frei zugänglich war. Sie lag unter dem Pórtico. Hier hatte es noch etwas von dieser andächtigen Stille. Ich war allein. Obwohl draußen auf dem Vorplatz hunderte von Menschen lärmten, war davon hier drinnen nichts zu hören. Es war eine schlichte romanische Krypta, sie war leer und nur mit einigen Kapitellen und Schlusssteinen geschmückt. Sehr schön.
    ~
    Draußen dann Trubel. Vor der Kathedrale hat sich eine hundert Meter lange Schlange gebildet. Da wollte ich sowieso nicht mehr rein. Ich lief durch die Stadt und suchte die stillen Ecken, telefonierte mit meinem Bruder, der mich versucht hatte anzurufen. Ich trank einen Café und landete schließlich in einem Park neben der Altstadt – ohne Hektik.
    ~
    Morgen laufe ich weiter zum Meer ans Ende der Welt.
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