• Samui oder "Im Paradies?"

    January 24 in Thailand ⋅ ⛅ 28 °C

    Von unserer orangefarbenen Blockhütte sehen wir direkt aufs Meer. Die Holzhütte ist alt mit bunten ziselierten Glasbausteinen am oberen Rand der Fensterseite, sie hat ein paar schöne Details, die Charme verströmen. Hier haben Urlauber nicht nur gewohnt, sondern gern gewohnt. Nicht auf den Luxus, sondern auf die Atmosphäre kommt es an. Allerdings hat das Ganze auch was von Zelten. Im Paradies gibt es extrem viel Sand, den man überallhin mitschleppt, sogar ins Bett. Neben dem Eingang steht, um das Schlimmste zu verhindern, ein kleiner feinhaariger Besen. Auch im Paradies muss man fegen.
    Unsere Hütte steht Wand an Wand, nur getrennt durch einen Bambuszaun, mit dem Restaurant, das den ganzen Tag über gut frequentiert wird, und zwar von Menschen, die im Paradies nicht nur essen, sondern sich auch lautstark unterhalten wollen. Auch im Paradies gibt es Quasselstrippen und Plaudertaschen, sie reden so laut, dass man den Wellenschlag, 8 Meter entfernt, nicht mehr hört, in allen Sprachen des Abendlands, deutsch, englisch, russisch, französisch. Ja, besonders französisch. Schon öfter ist uns aufgefallen, wie viele Franzosen hier Urlaub machen. Eine Spätfolge der Kolonialzeit, als Großbritannien und Frankreich Südostasien unter sich aufgeteilt haben?
    Man glaubt es nicht, aber auch im Paradies kann man Fluchtgedanken entwickeln. Die Unruhe hinter dem Bambuszaun beginnt morgens um 10, sie nervt und bewirkt, dass es keinen Tag dauert, bis sich unser Schwur, uns aus unserer Oase nicht wegzubewegen, in Luft auflöst.
    Ist man Stuben- oder Strandhocker oder gehört man zu denen, die um die Ecke schauen und wissen wollen, was hinter der nächsten Biegung ist? Unser Strand ist brav und muschellos, es gibt nur kleine farbige Steine, die aussehen wie Muscheln, aber keine sind. Ob das Wasser dort hinten, wo eine helle Landzunge an den Wellen leckt, etwas ausspuckt, was nach Meer aussieht und riecht? Ich mache mich auf den Weg und finde immerhin ein paar schöne Schneckenhäuser.

    Laut Reiseführer sind kulturelle Sehenswürdigkeiten rar auf Samui. Die wenigen, für die es sich lohnt, einen Fuß aus dem Paradies zu setzen, befinden sich glücklicherweise ganz in unserer Nähe. Doch vor dem Vergnügen haben die buddhistischen Götter den Verkehrsinfarkt gesetzt, und man hat keine Nerven mehr, wenn man beim Wat Phra Yai angekommen ist. Der 12 Meter hohe goldene Big Buddha thront auf einem durch einen Damm mit dem Festland verbundenen Kap, und nach schweißtreibendem Aufstieg auf eine Plattform hat man einen fantastischen Rundblick über die umliegenden Buchten. Wir staunen, wie wenige Touristen, die sich in Mae Nam und Bo Phut gegenseitig auf die Füße treten, sich in diese stimmungsvolle Tempelanlage verirren. Die in der Sonne brütenden Cafés sind leer, und wir finden sofort einen Platz an der Brüstung Richtung Meer. Mitten am Tag gibt es Tom Kha, Kokosmilchsuppe mit Hühnchen, und Gaen Phet, rotes Curry, beides köstlich und zusammen billiger als das kontinentale Frühstück im Paradies, das man dort extra zahlen muss und auf das wir am Morgen verzichtet haben.
    Das Highlight dieses Tages steht uns aber noch bevor und befindet sich nur wenige hundert Meter vom Big Buddha entfernt. Der chinesische Tempel Wat Plai Laem liegt komplett im Windschatten des Tourismus und erinnert anfangs, wie so manche buddhistische Tempelanlage, an eine komische Mischung aus Kirmes und Gebetsstätte, vor allem seiner farbenfrohen Ornamentik wegen. Fehlt nur das Karussell. Dieser Eindruck verliert sich aber schnell. An einem kleineren Schrein ziehe ich die Schuhe aus und zünde Räucherstäbchen an, drei zusammen an dem Licht in der Laterne, wie es mir ein Tempelwärter gezeigt hat. Ein Mönch in orangefarbener Kesa winkt mich heran, bedeutet mir, niederzuknien. Er bindet ein vielfarbiges Bändchen um mein Handgelenk und besprengt meinen Kopf mit Wasser. Wird das jetzt so eine Art Wünschdirwas-Veranstaltung? Zum Mönch sage ich, dass ich auf Frieden und Freiheit für Palästina hoffe. Aber er versteht mich nicht. Zeigt auf eine große Klangschale, auf der ich mit einem Klöppel versuche, meinen Wunsch zum Tönen zu bringen. Ein Gong für die Menschen in Gaza.
    Hingucker sind in der Tempelanlage danach vor allem der riesige lachende Buddha mit seinem dicken Bauch und die 18-armige Göttin der Barmherzigkeit, beide vom Wasser hofiert. Eine Gebetshalle scheint auf einer rosa Lotusblüte zu schwimmen. In einer anderen halten uns Malereien mit Szenen aus dem Leben Buddhas fest, von denen eine wunderbare weltzugewandte Ruhe ausgeht. Wir legen uns auf dem roten Teppichboden auf den Rücken und schauen uns die Deckenbemalung an. R schläft ein.
    Unsere anschließende Fahrt nach Süden auf der Suche nach einem schönen Strand, der nicht unserer ist, hätten wir danach vielleicht nicht machen sollen. Im Urlaubsort Chaweng ducken sich ärmlichste Behausungen neben hermetisch abgeschirmten Luxushotels, Obstkarren neben pompösen auf arktische Temperaturen heruntergekühlten Shopping Malls. An die kilometerlangen Badestrände Chawengs aus Sand, hell und fein wie Weißmehl, grenzen verwahrloste struppige Abschnitte. Die im Reiseführer gerühmte malerische Cristal Beach gleicht, übersät mit in Algen verfangenem Plastik, einer Müllhalde. Was macht man, wenn man aus Versehen eine Unterkunft an einem solchen Strand gebucht hat? Und dann noch im Fünfminutentakt Urlaubsflieger über dich hinwegdonnern? Wer ist überhaupt auf diese bescheuerte Idee gekommen, auf Samui einen - Internationalen! - Airport zu errichten? Damit übersättigte europäische Wohlstandsbürger ihre Kultur, ihre Ansprüche einfliegen, und die Insel zu etwas machen, das man, bis auf das blaugrüne Meer, auch zuhause vor der Haustür hat. Damit man in ausschließlich von Deutschen konsultierten Lokalen zuhören kann, wo Onkel Jürgen am Nachbartisch für einen Spottpreis Hummer gegessen und sich hat massieren lassen. Damit man anfängt, sich über seine Landsleute aufzuregen, weil unübersehbar ist, dass hier was extrem schief läuft.
    Uns reicht es für diesen Tag. Ohne die Eindrücke des Nachmittags würde unser Urteil über Samui vermutlich vernichtend ausfallen. Wir reihen uns ein in die Blechlawine auf der Ringstraße und fahren im Schneckentempo zurück in unser Paradies. Eins ist sicher: Eines nicht fernen Tages wird Samui an seinem Verkehr ersticken.
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