- Reise anzeigen
- Zur Bucket List hinzufügenVon der Bucket List entfernen
- Teilen
- Tag 3
- Samstag, 19. April 2025 um 18:00
- ☀️ 15 °C
- Höhe über NN: 36 m
PortugalLissabon38°42’40” N 9°8’24” W
Eine Kirche oben ohne

Wir sind zurückgekehrt in Gefilde, in denen sich Lissabon ein bisschen so gebärdet wie jede andere Metropole auch. Lissabon light empfängt uns auf der Praza de Figueiras mit Sonne und einem Markt für Gefräßige, den man so ähnlich auch in München, Nürnberg oder Stuttgart finden könnte, und auf dem es alles gibt außer Toiletten. Für die entsprechenden Geschäfte werden die Touristen in die umliegenden Restaurants geschickt, die sich natürlich bedanken. Boykottieren!, finden wir, und dann kommen wir an den Bratwurstdüften doch nicht vorbei und organisieren uns ein Pappschälchen mit nicht vegetarischen Köstlichkeiten zu einem astronomischen Preis. Dazu Sangria. Mit zufriedenen Mägen trotten wir über den Rossio, ohne ihm mehr als einen Blick zu gönnen, denn wir wollen noch zu einer besonderen Sehenswürdigkeit, der Igreja do Carmo. Die berühmte Kirche ohne Dach schließt um 18.40 Uhr und dabei bleibt es dann: Sie öffnet erst wieder am Montag.
Das Gotteshaus, in dem man auch drinnen draußen ist, katapultiert uns noch einmal an diesem Tag in eine andere Zeit. Als in Lissabon am 1. November 1755 gegen 10 Uhr morgens die Erde bebte, befanden sich die meisten Einwohner gerade im Gottesdienst zu Allerheiligen. Drei gewaltige Erdstößen innerhalb von zehn Minuten zerstörten Lissabons größte Kirche; es folgten ein Tsunami und Feuerstürme, die 85% aller Gebäude der Hauptstadt in Schutt und Asche legten. Am Ende des Tages waren weit über 50000 Tote zu beklagen. Ein Armageddon mit einem Ausmaß an Chaos und Leid, das man sich lieber nicht so genau vorstellt. Allerdings haben die Jahrhunderte das übrig gebliebene Ensemble alter Steine, zwischen denen man umherlaufen kann, längst gereinigt von allem damaligen Grauen. Reinweiß ragen die Gewölbebögen in den Himmel und umrahmen Sonne und Wolken. Ein sinnfälliges Zeichen, finde ich, gerade zu Ostern. Eigentlich gefällt mir diese Kirche oben ohne, selbst wenn Regen in sie hineinfällt, denn der bringt ja bekanntlich Segen.
Nicht ganz zu diesen versöhnlichen Gedanken passt, dass am 25. April 1974, dem Tag der Nelkenrevolution, der damalige Diktator und Nachfolger Salazars, Marcelo Caetano in der Kirche ohne Dach Schutz vor den Revolutionstruppen suchte. Erwähnung verdient es trotzdem. Am Ende nützte Caetano das "Kirchenasyl" nichts; er wurde gestellt und aus dem Land gejagt, und Portugal atmete nach über vierzig Jahren "Estado novo" wieder den Duft der Freiheit.
Der Abend führt uns zurück in „unsere“ Vinothek in der Alfama, und dann in ein Restaurant, wo man dem Sohn des Hauses beim Grillen zusehen kann. Die Mutter, alt und verbraucht, bedient uns; das Essen mit einem Stück Fleisch, einer in Scheiben geschnittenen Kartoffel und kleinem Salatbouquet kann man mit gutem Willen als Hausmannskost durchgehen lassen. Vielleicht hätten wir doch die Wurstkäseplatte in der Vinothek wählen sollen, in die wir nach dem Essen zu einem Glas Wein nochmals zurückkehren.
Die Nacht im Hotelbett, die eigentlich still und friedlich hätte sein sollen, hält eine Überraschung für mich bereit, die so gar nicht nach meinem Geschmack ist. Sie beginnt mit Sodbrennen und Übelkeit und entfaltet in der Folge das komplette zugehörige Programm, das Julian als Kind immer treffend als "Gewitter im Bauch“ umschrieben hat. Naja, Osternacht mal ganz anders, wieso auch nicht. Nachdem es irgendwie Morgen geworden ist, lässt mich der vorerst letzte Akt des Kammerspiels in abgrundtiefer Mattigkeit zurück. An Frühstück ist nicht zu denken. Man schwört sich in solchen Stunden immer, jeglichem Essbarem für alle Zeiten zu entsagen. Vorerst bleibe ich, wo ich bin. Im Bett.
GuntrunWeiterlesen