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  • Day 15

    Verregnete und verschlafene Weihnachten

    December 25, 2022 in Argentina ⋅ ☁️ 19 °C

    San Miguel de Tucumán, 24. und 25. Dezember 2022

    Wir haben Tucumán ausgewählt, weil wir an Weihnachten, wo ohnehin nichts los ist, nicht im letzten Kaff ausharren wollten. Die Stadt hat mit dem Umland immerhin 800.000 Einwohner.
    Zudem war schon vor der Buchung schlechtes Wetter für die ganze Region angesagt - und dies für fast alle Tage unseres Aufenthalts.
    Regine hat darum - wie immer :-) - ein gemütliches und sauberes Apartment im Zentrum von Tucumán reserviert: Da können wir (endlich) mal abhängen, durchatmen und „müssen“ kein Ausflugsprogramm organisieren.
    Das Wetter ist am 24. Dezember besser als erwartet und wir beschliessen, daraus einen Museumstag zu machen. Das Zucker-Museum und das über die Sängerin Mercedes Sosa sowie das der Stadt und eventuell ein paar kleinere im Zentrum fassen wir näher ins Auge.
    Im Touristenbüro erhielten wir am Vortag ausführliche Informationen, unter anderem auch den Hinweis, dass der 24. ein ganz normaler Tag sei und damit alles geöffnet habe.
    Wir beginnen mit dem Zucker. Die Region produziert über 90% des Zuckers für ganz Argentinien und das Museum soll sowohl die Geschichte als auch die Produktionsmethode erläutern. Das Museum liegt inmitten des riesigen Parque 9 de Julio, es ist also einen Spaziergang wert.
    Als wir näher kommen, beschleicht uns das ungute Gefühl, dass das Museum - entgegen aller Information (auch jenen im Internet) - geschlossen sein könnte. So ist es dann auch!
    Wir machen (wie immer :-) das Beste daraus und beschliessen, auch auf alle anderen Museen zu pfeifen… Auf dem Rückweg kaufen wir im nächstmöglichen Minimarket - wovon es viele gibt - noch für das festliche Wochenende ein: Rotwein, Fernet Branca (!) und abgepackten Kuchen. Den Rest für das Festmahl haben wir bereits.

    Wir kommen in Stadtmitte an der Kathedrale und an der Plaza de Independencia vorbei, wo die Vorbereitungen für ein grosses Fest am Abend laufen. Auf riesigen Grillrosten werden Hunderte von Hähnchen-Hälften gebraten, Freiwillige stellen rundherum unzählige Tische und Stühle auf, schneiden von riesigen Stoffballen rote Bahnen ab und verwenden diese als Tischtücher.
    Ein freundlicher Jugendlicher informiert uns, dass es sich um das Fest des Innenstadtviertels handele, zu dem alle (auch wir :-) herzlich eingeladen seien.
    Wir bedanken uns, werden aber zu Hause essen, weil wir als Intervall-Faster nicht bis 21 Uhr warten können :-).

    Regine hat schon am Vortag beim Besuch der Kathedrale angekündigt, dass sie in die Weihnachtsmesse gehen wird. Das tut sie dann auch und Martin bleibt daheim zum Lesen und Musik hören. Jedem das Seine!
    Kaum ist Regine um 20 Uhr weg, beginnt es zu regnen, zuerst wenig, dann immer mehr! Bald verwandelt der Dauerregen Strassen und Gehsteige in Tümpel und Bächlein und das geplante Strassenfest fällt sprichwörtlich ins Wasser :-(.
    Wie schade für die Menschen hier, die sich so sehr darauf gefreut hatten - vor allem auch nach den beiden Jahren der Pandemie.

    Regine schafft es gerade noch rechtzeitig (20:30 Uhr) vor dem grossen Regen einigermassen trockenen Fusses in die Kathedrale zu gelangen. Sie benutzt den Seiteneingang und steht damit fast vor dem Altar… soooo nahe wollte sie dem Geschehen dann doch nicht folgen. Reihe 3 reicht auch! Wie immer möchte sie nicht nur hören, sondern auch sehen und dies ist hier - zumal sie nicht die Grösste ist - bestens möglich.
    Zur Begrüssung erschallt von „oben“ (von der Orgel) ein voluminöser Gesang; man könnte meinen, es seien sehr viele Sänger, aber weit gefehlt: Es sind nur 12, aber diese füllen mit „Kommet ihr Hirten“ die gesamte Kathedrale… auf Spanisch natürlich. Die Akustik ist unglaublich. Dieses Lied bleibt (bis auf „Stille Nacht“ am Ende) das einzige, das Regine kennt und zu ihrem Leidwesen werden beide Lieder nicht mal von der Gemeinde mitgesungen. Dafür umso kräftiger vom Pfarrer am Mikrofon und vom Chor. So singt Regine für sich allein vor sich hin… geht gut, niemand nimmt Notiz davon.
    Die Weihnachtsmesse ist mit circa 300 Gläubigen nicht allzu gut besucht - vor allen Dingen auch angesichts der Einwohnerzahl.
    Der Ablauf der Messe ist festgelegt, egal, ob sie in Europa oder in Lateinamerika stattfindet. Es treten Lektoren ans Mikrofon, der Pfarrer liest die Weihnachtsgeschichte vor, im Grunde die bekannte Liturgie.
    Plötzlich jedoch erheben sich alle Anwesenden, wenden ihre Köpfe nach hinten in Richtung Hauptportal und blicken gespannt nach hinten. Nein, nicht nach hinten oben zur Orgel und zum Chor (das macht nur Regine immer wieder).
    Vom Ende des Mittelgangs - direkt vor dem Haupteingang - schreiten fünf Personen ganz langsam nach vorne zum Altar: ein Mann mit zwei kleineren Buben an der Hand (etwa 4 und 6 Jahre), neben ihm eine Frau mit einem Mädchen (ca. 6 Jahre) an der einen Hand und - man staune - im anderen Arm einen Säugling.
    Regine muss zweimal hinschauen, bis sie erkennt, dass es kein Baby, sondern eine Puppe ist. Klar, die Krippe unmittelbar vor dem Altar ist bislang noch leer. Die Puppe - das Jesuskind - wird dort dann vorsichtig hineingelegt, der Pfarrer segnet es, die Familie verschwindet hinter dem Altar und die Messe nimmt ihren gewohnten Gang… mit Predigt (sehr lebendig und abhebend auf die Brüderlichkeit und Solidarität unter den Menschen), dem Friedensgruss, der Gabenbereitung (zelebriert mit zwei Frauen, den Mittelgang entlang schreitend und am Altar innehaltend) und der anschliessenden Kommunion,
    Nach dem Vaterunser, dem letzten Lied, dem Segen und einigen Grussworten seitens des Pfarrers scheint für Regine das Ende der Messe gekommen zu sein. Sie beschliesst, noch ein Weilchen sitzen zu bleiben und anschliessend die im Seitenflügel aufgestellte und beleuchtete Weihnachtskrippe mit den vielen Tieren aus Ton zu begutachten. Doch plötzlich erschallt ein gewaltiges Halleluja von der Empore und ein ebenso gewaltiges Orgelspiel, richtig erhebend.
    Gleichzeitig strömen alle Besucher - wirklich alle - durch den Mittelgang vor zum Altar. Nein, es wird nicht gedrängelt, genauso wenig wie an den Bushaltestellen!
    Obwohl Regine in Reihe 3 sitzt, hat sie Mühe, das Geschehen zu erfassen. Jeder Gläubige berührt das Jesuskind, zum Teil wird es auch geküsst - allerdings nur mit dem zuvor angefeuchteten Finger. Als alle „dran“ waren, bleiben noch einige Menschen stehen, um sich länger und auch einzeln dem Jesuskind in Anbetung zu widmen.
    Es werden viele Fotos und Videos gemacht - zum Erstauen von Regine, die in jeder Kirche das Fotografierverbot einhält. Ja, andere Länder, andere Sitten.
    Beim Verlassen der Kathedrale regnet es immer noch in Strömen und „Feliz Navidad“ ist das letzte Lied, das von der Bühne gegenüber an Regines Ohr dringt.
    Die Menschen bauen das ins Wasser gefallene Fest ab. Wirklich schade, wobei der Regen heiss ersehnt worden war; die Einheimischen berichten von monatelanger Trockenheit und Hitze.

    Nach Regines Rückkehr essen wir den Kuchen, den sie geschenkt bekommen hat und trinken Kaffee und dazu einen Fernet Branca. Danach liegen wir auf dem Bett und laden uns für irgendwann später einmal Filme von Netflix und Youtube auf Martins iPad herunter, denn hier hat es endlich einmal schnelles Internet! Wir hören noch ein bisschen Musik und schreiben Weihnachtsgrüsse an die Lieben daheim.

    Wir schlafen bis 10 Uhr (was für Regine eine kleine Sensation ist, aber sie war schon um 6 Uhr wach und konnte entgegen alter Gewohnheit doch wieder einschlafen!) und bleiben noch im Bett liegen: Das Wetter verleitet nicht dazu, aus dem Hause zu gehen. Martin, das Murmeltier, schläft sogar nochmals zwei Stunden, womit der Vormittag schon vorbei ist.
    Es reicht dann aber noch für einen „Frühstücks“-Kaffee am frühen Nachmittag und da es nach wie vor regnet und auch ziemlich ungemütlich geworden ist (15 Grad), setzen wir keinen Fuss vor die Tür.
    Schliesslich ist es Zeit für das von langer Hand geplante Weihnachtsmenü:
    Nudeln mit Fertig-Tomatensauce aus dem Beutel, dazu argentinischer Parmesan und gemischten Salat mit Tomaten, Gurken, Oliven und Zwiebeln. Wir trinken einen schweren Rotwein aus der Gegend um Mendoza (wo wir noch hinkommen werden) und zur Nachspeise gibt es Kuchen, Kaffee und Fernet Branca. Zur Feier des Tages kocht Regine… und nicht mal schlecht :-).
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