• Nach El Cadillal und Tafí del Valle

    27. desember 2022, Argentina ⋅ 🌙 24 °C

    San Miguel de Tucumán, Montag, 26. und Dienstag, 27. Dezember 2022

    Die Argentinier sind in (mindestens) drei Disziplinen Weltmeister: im Fussball, in der Freundlichkeit und im Organisations-Chaos. (Positiv gesinnte Menschen nennen dies „Improvisation“ :-). )
    Am Montag erleben wir ein Müsterchen der dritten Disziplin:
    Eigentlich wollen wir einen Ausflug nach San Javier machen, einem nahegelegenen Erholungsgebiet der Tucumanos. Dorthin fährt ein Stadtbus (der Linie 118) alle zwei Stunden ab dem zentralen Busterminal.
    Nachdem wir den mathematischen Durchschnitt aller Zeitangaben aus dem Internet und vom lokalen Tourismusbüro für die Abfahrt errechnet haben (Einen offiziellen Fahrplan gibt es nicht.), kommen wir auf eine Zeit um 12:30 Uhr.
    Wir sind um 12:25 Uhr an der Bus-Parkbucht (hier „plataforma“ genannt) und warten … und warten... bis um 13:30 Uhr - genauso, wie es andere Argentinier/-innen auch tun. Dann informiert uns ein freundlicher Jugendlicher (Woher er wohl weiss, dass wir nach San Javier wollen!?), der 12:30 Uhr-Bus sei schon weg (!) und der nächste fahre erst um 16:00 Uhr.
    Das scheint uns dann eine gar zu lange Wartezeit und wir planen spontan um: Die Museen sind alle geschlossen, es ist Montag. (Den zweiten Weihnachtsfeiertag kennen die Argentinier nicht; der 26. ist normaler Arbeitstag.)
    Da bleibt nur ein alternativer Ausflug übrig, nach El Cadillal, circa 25 km von Tucumán entfernt. Zum Glück fährt um 14:30 Uhr ein Bus dorthin, Fahrtzeit 45 Minuten.
    Der Bus ist eine ziemliche Schepperkiste, aber interessanterweise wird die Strasse immer besser, je weiter wir uns von Tucumán entfernen…
    El Cadillal ist ein typisches Naherholungsgebiet und verfügt als Sensation über einen (für uns uralten) Zweier-Sessellift auf einen 200 m hohen Hügel. Bei uns wäre ihm schon längst die Betriebserlaubnis entzogen worden! Von der „Gipfelstation“ aus sieht man den Stausee, und über Sojafelder und Zitronenhaine hinweg blicken wir sogar ins weit entfernte Tucumán.
    Martin - als Züricher - fühlt sich an den heimischen Hausberg erinnert, den Üetliberg, mit dem Blick auf den Zürichsee und die Stadt; Regine hingegen denkt eher an den Pfänder und den Bodensee :-).
    Oben begeben wir uns auf einen kleinen Rundweg durch die Yungas, die hiesigen Regenwälder mit der typischen Flora und Fauna, welche sich von Bolivien bis nach La Rioja ziehen.
    Nach einer Stunde bringt uns der Sessellift wieder ins Tal, denn einen Weg hinunter gibt es nur für wagemutige Mountainbike-Spezialisten. Normale Wanderer müssen mit dem Sessellift (aerosillas) Vorlieb nehmen. Nun denn… wir haben noch genügend Gelegenheit zum Wandern.

    Der Stausee hat wenig Wasser, was aber die Kinder nicht davon abhält, dennoch ihre Angeln auszuwerfen (eher zum Spass denn für den Fischfang) oder ein wenig im Wasser umherzuwaten. Die Sportart „Schwimmen“ scheinen die meisten Argentinier nicht zu kennen.
    Regine hat diesbezüglich ja schon einige Erfahrungen im Paraná-Fluss gesammelt.
    Im Ticketpreis für den Sessellift ist auch der Eintritt für ein archäologisches Museum enthalten, dem wir uns für eine Dreiviertelstunde widmen.
    Bei der Errichtung des Stausees vor gut 50 Jahren stiess man auf viele Fundstücke, die jedes Archäologen-Herz höher schlagen lassen. Sie stammen aus der Zeit von 4000 vor Christus bis in die Zeit der spanischen Kolonisation (15. Jahrhundert).
    Unzählige Tonkrüge, Schalen, Urnen, Mörser und Handwerksutensilien sind in Gänze erhalten, in Vitrinen ausgestellt und mit viel Text didaktisch aufbereitet. Wir sind die einzigen Museumsbesucher und haben hinreichend Platz zum Schauen, Lesen und Fotografieren.
    Jetzt haben wir alles gesehen, was dieser Ausflugsort bietet und steuern die Bushaltestelle an, bei der schon - in typischer Argentinier-Manier - die Touristen in einer „geordneten“ Reihe Schlange stehen.
    Wir machen während der Wartezeit die Bekanntschaft eines Eisverkäufers, der uns aus seiner Kiste „Granizado de Frambuesa“ anbietet (zerstossenes Himbeer-Wassereis).
    Es hat natürlich nie eine Himbeere gesehen, mundet aber trotzdem. Bei einem Schwätzchen tauschen wir Informationen über Länder und Klima aus und er kann sich nicht vorstellen, wie man bei uns in Europa mit Temperaturen unter dem Gefrierpunkt leben kann.
    Er fährt im selben Bus wie wir ein Stück zurück mit und bietet Regine freundlich seinen Sitzplatz an; er selber sitzt auf seiner Eiskiste und verabschiedet sich per Handschlag von uns beiden, wünscht uns Glück und eine gute Weiterreise. Muy amables, los argentinos!

    Am Dienstag fahren wir - da das Wetter nun wieder „ortsüblich“ sonnig ist - mit dem Bus nach Tafí del Valle (127 km entfernt), deeeem Höhenkur- und Frischluftort der Tucumanos.
    Im Tourismus-Büro hat man uns gesagt, in Tucumán zu sein und NICHT dorthin zu fahren, sei ein Verbrechen…
    Die Fahrt dauert zweieinhalb Stunden und führt am Schluss über viele Serpentinen und halsbrecherisch enge Stellen (die der Fahrer mit viel Routine und noch mehr Bravour meistert) in eine Art Hochtal mit dem grossen Stausee von La Angostura.
    Am Ende des Tals befindet sich - bevor es weiter hochgeht nach Cafayate - Tafí del Valle. Es ist ein richtiger Touristenort wie St. Moritz oder Garmisch etc., nur kleiner und weniger mondän. Die Touristen fehlen noch, werden sich aber in der kommenden Hochsaison (ab Januar) sicher einfinden.
    Die Preise sind einer Touristenhochburg entsprechend - auch jene der Unterkünfte.
    Wir machen eine Wanderung vom Dorf zum See, immer einem rauschenden Bergbach mit klarem Wasser entlang; ringsum die Berge, die zum Teil schneebedeckt schon von den Anden künden, am Weg frei grasende Pferde und Kühe mit ihren Kälbern, die völlig unbekümmert die staubige Strasse queren, um das beste Futter zu finden.
    Wenn man sich die starke Sonneneinstrahlung und die Höhe wegdenkt (Wir befinden uns oberhalb von 2000 m.), könnte man meinen, man befinde sich in den Schweizer, bayrischen oder österreichischen Alpen. Sattes Grün, frische Luft, freier Blick auf die Berge… herrlich!!
    Zurück in Tucumán wissen wir, weshalb die Einheimischen vor allem im Sommer dorthin fliehen - wenn sie denn können: Es ist im Hochland immer um 10 Grad kühler :-).
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