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  • Day 31

    Der Berg ruft! Wir gehen hoch…

    February 15, 2023 in Chile

    Villa Cerro Castillo, Mittwoch, 15. Februar 2023

    Die Hauptattraktion von Villa Cerro Castillo ist der gleichnamige Nationalpark. Im Park selbst dominiert der Cerro (Berg) Castillo, der 2600 m hoch über dem Dorf thront.
    Die eigentliche „Perle“ ist aber die Laguna Cerro Castillo, die sich etwas schüchtern hinter einer Art „Vorberg“ und direkt vor der senkrechten Steilwand des Cerro auf 1400 m präsentiert. Alle wollen sie selbstverständlich sehen! Wir auch!

    Wir brechen um 8 Uhr auf und müssen zuerst die 5 km Schotterpiste bis zum offiziellen Parkeingang hinter uns bringen. Das Gehen ist mühsam, zumal wir von den vielen (sehr zügig!!) vorbeifahrenden Autos mit nicht gerade wenig Staub eingedeckt werden. Denn nur zwei Autofahrer reduzieren ihre Geschwindigkeit mit Rücksicht auf uns.
    Wir benötigen gut eine Stunde bis zum Eingang.
    Dort angekommen, sehen wir vor uns eine Traube von meist jungen Leuten, die auf Einlass warten. Wir sind ja schon einiges an Formalitäten und Kosten gewohnt, aber hier legen sie noch einen drauf: Obwohl drei Damen bei der Registrierung arbeiten, gibt es nur eine einzige Warteschlange. Alle Besucher müssen zwingend ein Formular der privaten Betreibergesellschaft ausfüllen (mit den üblichen überflüssigen Angaben) und dann noch ein Formular der staatlichen Parkverwaltung mit denselben Angaben. Da nur ein Kugelschreiber vorhanden ist, dauert das Ganze entsprechend lange. Martin lässt seinen Kugelschreiber zirkulieren, was das Verfahren schon mal etwas beschleunigt.
    Der Gipfel ist aber der Eintrittspreis: 18000 chilenische Pesos (21,35 Euro) pro Person! Und was wird dafür geboten? Eine fein säuberliche Kontrolle und Information zu allen Verboten am Eingang des Parks und Stunden später - etwa 45 Minuten vor dem Steilaufstieg - beim Zugang zur Lagune eine erneute Kontrolle der Tickets. Man hätte ja einen anderen Weg nehmen, sich den Eintritt sparen und somit den Zugang „erschleichen“ können. Verkauft wird diese zweite Kontrolle jedoch unter dem Thema „Verantwortung für den Parkbesucher“,

    Martin „is not amused at all“ und lässt es die diensthabende Dame spüren. Natürlich nur verbal! Sie pariert den Angriff geschickt, indem sie Martin auf Französisch antwortet :-)
    Nun kann es losgehen: Zuerst klettern wir mit einer Holzbrücke über den Elektrozaun (der natürlich der Parksicherung (!) dient, beziehungsweise der Sicherung der Einnahmequelle.
    Dann geht es bald steil hoch und wir schalten in den „Entengang“, immer eingedenk unserer bergwanderischen Erfahrungen: Der Weg ist noch weit und wir haben es nicht eilig…

    Wir werden von immer mehr gestresst wirkenden Wanderern überholt, lassen uns aber nicht aus unserem gemächlichen Rhythmus bringen.
    Zuerst geht es durch lichten Wald, später folgen Wiesen und heideartige Felder. Immer wieder schauen wir zum Cerro hoch. Imposant und mächtig thront er über allem und Regine knipst ihn sicher 100 Mal.
    Nach gut dreieinhalb Stunden kommen wir beim Zwischenhalt auf 1000 m an und werden - wie beschrieben - kontrolliert. Hier gibt es sogar Toiletten und das vorletzte fliessende Wasser. Wir haben allerdings genug dabei, aber viele Jugendliche führen zu wenig oder gar keines mit sich. So werden wir von zwei Frauen gefragt, ob sie Wasser aus einem Bach schöpfen können und Martin prahlt mit seinem Wandererlatein: Man sollte immer nur oberhalb der letzten Kuh (kann auch ein Schaf sein) einem Bach Wasser entnehmen; es könnte sonst kontaminiert sein. Sie bedanken sich herzlich, entnehmen jedoch schon dem nächsten, nicht kuh-sicheren Bächlein goldenes Nass. Na ja…! Oben haben wir sie wieder gesehen, relativ müde, aber ansonsten recht fidel.

    Der Aufstieg fällt uns schwerer als gedacht, aber wir finden keine gute Ausrede, warum das so ist: Wir liegen nicht hoch, das Terrain ist normal, der Weg nicht zu steil… Es muss also am Alter liegen!
    Wir lassen uns jedoch nicht unterkriegen und schnaufen auch noch die zweiten 500 m Höhendistanz hoch und brauchen mit fast fünf Stunden einfach ewig! Martin nennt unser Tempo „Schneckenpost“ :-)
    Etwa ab 1200 m (Hier ist ungefähr die Baumgrenze.) wird es immer kälter: Ein eisiger Wind aus Süden bläst uns ins Gesicht. Regine rüstet mächtig auf und zieht sogar die lange Merino-Unterhose wieder an, die sie weiter unten vor lauter „Aufstiegshitze“ schon ausgezogen hatte.
    Wir sind aber - ganz im Gegensatz zu vielen anderen - hervorragend ausgerüstet. Die meisten haben weder Mütze noch Handschuhe, nur leichte Jacken und keine Stöcke. Wir können notfalls sechs Schichten anziehen und unsere Ausrüstung ist (zumindest was die Kälte und den Wind betrifft) durchaus patagonien-tauglich.

    Endlich kommen wir auf dem Grat des Vorbergs an und können erste Blicke auf die Laguna Cerro Castillo erhaschen: ein fast absurd wirkendes, fantastisches Türkis, beinahe so, als hätte jemand Badesalz hineingeschüttet!
    Noch atemberaubender sind die Gletscher, welche direkt vor uns bis auf 1400 m herunter in einem Abstand von nur einem Kilometer aufscheinen. Auf uns wirken sie stabiler als die Gletscher in Europa.
    Ein eisiger Sturmwind peitscht uns um die Ohren und wir suchen ein windgeschütztes Plätzchen, wo wir unseren mitgebrachten Kaffee trinken und uns mit ein paar Keksen stärken können.
    Wir könnten stundenlang die türkisblaue Lagune mit den dahinter aufragenden Steilwänden bestaunen, aber die Zeit drängt: Laut Parkregel müssen wir den Abstieg spätestens um 16 Uhr beginnen.
    Da wir ja lahme Enten sind, starten wir schon um 15:50 Uhr und sind froh um unsere Ausrüstung, denn der Südpolarwind hat nochmals einen Zacken zugelegt. Eilig geht es hinunter zur „Mittelstation“ (Kontrollpunkt), wo Regine die Toilette aufsucht und Martin mit einem jungen Ranger darüber verhandelt, für den Abstieg einen anderen als den vorgeschriebenen Weg zu nehmen.
    Unsere Variante würde uns nämlich die 5 km Fussmarsch auf Schotter ersparen. Der Ranger erklärt uns freundlich, aber bestimmt, dass das leider nicht möglich sei, weil alle Besucher sich bei ihrem Austritt erneut registrieren müssten - aus Sicherheitsgründen und damit niemand verloren gehe…
    Martin lässt sich aber nicht überzeugen und gibt nicht klein bei. Ja, und sehr gut Spanisch muss man halt auch noch können! Schlussendlich hat der Ranger einen Vorschlag: Wenn er unser Ticket fotografieren dürfe und wir ihm eine WhatsApp-Nachricht schickten, sobald wir unten ankämen, dann lasse er uns ziehen.
    Gesagt, getan: Während bei der entsprechenden Abzweigung alle anderen Wanderer den Weg zum Eingang nehmen (müssen :-), biegen wir links ab. Hier sind wir mutterseelenallein und manchmal ist es fast ein wenig unheimlich, so ganz einsam und verlassen in der wilden Natur zu sein! Auf jeden Fall sind wir dies von daheim nicht gewohnt.
    Aber der Weg ist wunderbar, nicht so steil wie der Aufstieg und es ergeben sich immer wieder neue, ungeahnte Ausblicke auf das Tal des Rio Ibañez und die vielen umliegenden Berge.
    Wir benötigen allerdings auch für den Abstieg im Schneckentempo vier Stunden und kommen erst um 20 Uhr in unserer Unterkunft an. Hier überrascht uns die Tatsache, dass (entgegen der anderslautenden Information von Isabel, der Verwalterin) weitere Gäste eingezogen sind: eine junge Weltreisende aus Zürich mit ihrer chilenischen Freundin und drei Israeli, die kein Wort Spanisch und nicht viel mehr Englisch (!) sprechen. „Wie kommt ihr denn damit durch?“, fragt Martin. Später, als sich einer der drei von Martin ein iPhone-Ladekabel leiht, wird es uns klar: Sie machen alles über eine Google-Live-Übersetzung. Wir sind halt informationstechnisch etwas zurückgeblieben:-), denn wer spricht heute noch selber eine Fremdsprache?!

    Und weil wir in zwölf Stunden Wanderung so viele Kalorien verbraucht haben, kocht Martin heute all das, was wir im fast leergefegten Dorfladen noch ergattern konnten: Nudeln mit Champignons an gebratener Zwiebel mit Philadelphia, dazu noch einen kleinen Salat. Mmmh! :-)
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