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  • Tag 17

    Die Gäste

    11. April 2023, Nordatlantik ⋅ 🌬 22 °C

    Vor der afrikanischen Küste,
    rund 500 km südlich von Las Palmas, Dienstag, 11. April 2023

    Wir haben schon verschiedentlich schriftliche und fotografische Hinweise auf die bunte Gästeschar gegeben. Dennoch sind wir der Meinung, dass es sich lohnt, ihnen einen ganzen Footprint zu widmen.
    Leider wissen wir nicht, wie viele zahlende Personen sich auf dem Schiff befinden. Platz hätten 4300, aber wir denken, dass es nicht voll besetzt ist. Die Gäste zu zählen, das ergibt genauso wenig Sinn, wie wenn man Ameisen in einem Haufen zählen wollte. Es bleibt noch, die Anzahl zu schätzen. Das Schiff ist allerdings viel zu gross und es hat immer und überall Leute, so dass wir auch hier die ungefähre Anzahl nicht ausmachen können.
    Nehmen wir einmal an, es seien etwas mehr als zweitausend Gäste bei über eintausend Bediensteten, was ein Verhältnis von einer Vollzeitstelle pro zwei Gäste ergibt. Wir zwei „verfügen“ sozusagen über eine Person, die nur für uns da ist - rein statistisch betrachtet natürlich… Dieses Verhältnis drückt gut aus, welcher Luxus und welche Menge an Dienstleistungen uns (und den anderen Gästen) fast rund um die Uhr angeboten werden. Das Ganze ist ein gut funktionierendes Geschäftsmodell mit viel Kapital; aber an Geld mangelt es den Kreuzfahrern vermutlich nicht.

    Der überwiegende Teil der Mitreisenden spricht Portugiesisch und wir vermuten, dass es sich bei der Kreuzfahrt-Klientel überwiegend um reiche(re) brasilianische Weisse handelt, die es in die kühleren Gefilde Europas zieht. Wie sich gegen Ende der Kreuzfahrt herausstellt, ist dem auch so - wobei wir natürlich bezüglich des pekuniären Hintergrunds keine Informationen besitzen.
    Daneben sichten wir noch eine kleine Zahl Spanisch Sprechender, dazu einige wenige, die sich auf Englisch verständigen und ein paar „Handverlesene“ Deutsche (plus mindestens einem Schweizer :-). Das lässt sich gut an den Durchsagen und Ansprachen bei Aktivitäten und in den Shows ablesen, wo zum Teil „nur“ Portugiesisch gesprochen wird, eventuell gibt es noch eine Begrüssung auf Spanisch, Italienisch, Englisch und Deutsch.
    Das Personal stammt zum grossen Teil aus Brasilien oder spricht genug gut Portugiesisch, um die Bedürfnisse der Klientel zu verstehen. (Spanisch oder Englisch geht aber auch immer; wir sprechen ja kein Wort Portugiesisch!)
    Das Thema „Sprache“ sagt schon viel aus über die Gäste, die entweder kein Englisch können oder es nicht sprechen wollen. Wir haben den Eindruck, dass dies für die meisten eine Selbstverständlichkeit ist. Schliesslich hat man dafür ja bezahlt, oder!?
    Ebenso selbstverständlich erscheint das Verhalten, möglichst rund um die Uhr zu konsumieren: Neben den vielfältigen kulinarischen Vergnügungen gibt es jeden Tag Luxus-Events, wo man Uhren, Schmuck, Parfums, Whisky usw. erstehen kann. Ausserdem sichten wir eine ganze Ladenkette ebenfalls mit Luxusartikeln, dazu einen „Candy Shop“ (inklusive Schweizer Schokolade) und mehrere „Duty Free Shops“ mit dem entsprechenden Angebot. Wir merken schnell, um was es hier geht: ums Geldausgeben!
    Die überwiegende Mehrheit der Gäste bewegt sich im Alterssegment 50+; es gibt aber auch jüngeres Publikum und sogar ein paar Kinder, die im Meer der Kreuzfahrtgreise allerdings etwas verloren wirken.
    Es gibt auf dem Schiff mehr Frauen als Männer (oder diese liegen vielleicht die ganze Zeit für uns unsichtbar in den Kabinen:-), die sich jeden Abend der offiziell durchgegebenen Kleiderordnung gemäss in Kostüm, ganz in Weiss, leger oder elegant kleiden. Wir staunen: erstens, woher die wissen, was alles verlangt wird und zweitens, wie sie die ganzen Utensilien mitschleppen. Nun ja, angesichts der x Rollkoffer, die wir beim Einchecken gesichtet haben, werden die Mitreisenden auch keine fünfmonatige Rucksacktour hinter sich haben.
    Auf die Gefahr hin, zu viel Moral auszuschütten, kommen wir trotzdem nicht umhin, auch festzustellen, dass circa 80% der Kundschaft (gelinde gesagt) eine gewisse Tendenz zum Übergewicht zeigt. Oder anders ausgedrückt: Hätten hier alle das Idealgewicht, würde das Schiff geschätzt 40 Tonnen weniger mitschleppen…
    Niemand denkt hier übrigens daran, die zusätzlichen Kilos irgendwie diskret zu verstecken, im Gegenteil: „Weniger ist Mehr“ lautet offenbar die Devise, vor allem bei den Frauen, die ihr Fleisch aber wenigstens mit einiger Eleganz zur Schau tragen. Die Ausschnitte können dabei nicht zu gross und der Rock nicht kurz genug sein. Bei entsprechendem Anlass werden Ohren, Hals, Arme und Hände mit möglichst viel glitzerndem Klunker geschmückt. Die Männer hingegen wirken in kurzen Hosen und (meistens) hängendem Bierbauch reichlich „out of order“. Und dann gibt es noch die ganz Dreisten, welche - trotz schriftlichen Verbots - in Flipflops und Badeanzug oder Badehose zum mittäglichen Buffet erscheinen: „Everything goes“… sozusagen.
    Dazu muss man wissen, dass DER Brasilianer von Haus aus (für mitteleuropäische Ohren) etwas laut ist und sich nicht daran stört, die anderen (schon lauten) Gäste durch Einsatz des Stimmorgans zu übertönen. Bei fast vollen Bars und Restaurants führt dies natürlich automatisch zu einem Lärmpegel wie beim Oktoberfest.
    Ein Kränzlein winden müssen wir hingegen für den Anstand und die Zurückhaltung der meisten Gäste. Es gibt trotz des Gedränges kein Drängeln und keine Gehässigkeiten, die man angesichts des herrschenden „Dichte-Stresses“ erwarten dürfte. Auch gegenüber dem Personal, das neben Brasilien vorwiegend aus asiatischen Ländern stammt (Indonesien, Philippinen), ist man freundlich und aufgeschlossen, so dass manchmal regelrecht freundschaftliche Situationen mit Umarmung und Küsschen entstehen.

    Was uns gar nicht gefallen mag, ist hingegen das Essverhalten. Nicht nur, dass dauernd gegessen und getrunken wird (was sich in der entsprechenden Leibesfülle widerspiegelt), sondern dass das Essen auf den Tellern aufgehäuft und dann dort liegengelassen wird: Schliesslich hat man ja dafür bezahlt!
    Auch das Verhalten der Spanisch sprechenden Gäste an unserem abendlichen Nebentisch kommt uns reichlich „spanisch“ vor: Obwohl sie ganz normale Gäste wie wir sind, haben sie laufend Sonderwünsche (Käse vor der Vorspeise, anderer oder zusätzlicher Hauptgang als vorgesehen, eigenes Olivenöl auf dem Tisch und mehrere Desserts), die ihnen der italienische Kellner alle ohne zu murren erfüllt.
    Regine empört sich fast täglich und Martin bemüht wieder einmal sein Lieblings-Lebensmotto: „Nicht ärgern, nur wundern!“ (das er sich aus seiner fleissigen Jugend-Lektüre von Fix & Foxi angeeignet hat :-)
    Und so wundern wir uns also noch eine Weile über das seltsame Verhalten der Gattung „Kreuzfahrer*innen“ und stellen fest, dass diese Art der Fortbewegung und Freizeitgestaltung wohl nie zu unserem Favorit werden dürfte.
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