Beliebtes Ausflugsziel der Sowjetelite
18 September 2024, Kazakhstan ⋅ ☀️ 12 °C
Ob es am Supermond lag? Gestern Nacht kam plötzlich eine Hektik neben uns auf. Autos fuhren heran, metallische Geräusche und Menschenstimmen durchbrachen die Nacht, hinzu kam
orkanartiger Wind der an Giotti rüttelte. Als es Peter zu bunt wurde, quälte er sich aus dem Bett und ging nach draussen. Er traute seinen Augen kaum. Der Platz war hell erleuchtet, geschäftige Männer versuchten Zelte aufzustellen und Last- und Lieferwagen standen herum. Es kamen immer mehr hinzu. Vor dem Canyon liefen dunkle Gestalten umher. Peter fragte schlotternd im Pijama einen der Männer auf Englisch, was sie hier machen. Lachend kam die kurze Antwort: " A film. " Erst jetzt las er die Aufschrift an einem Lkw: "Rent a film". Kurz entschlossen parkten wir Giotti auf die andere Seite des Visitor Centers in der Hoffnung, dass es hier etwas ruhiger wird. Irgendwann fielen wir in einen unruhigen Schlaf, der immer wieder von einer weiblichen, französischen Stimme über ein Megafon unterbrochen wurde. Punkt sieben Uhr war der Spuk vorbei.
Für uns gings weiter. Als Tagesendziel war die kasachische ehemalige Hauptstadt Almaty festgelegt. Unterwegs machten wir einen Abstecher zum Issyk See. Eine Berglandschaft wie im Bündnerland mit seinem Caumasee tauchte auf.
Der See, der keinesfalls mit dem weit bekannten Issyk-Kul See und der gleichnamigen Urlaubsregion in Kirgistan verwechselt werden sollte, hat seinen Namen von dem kasachischen Wort "Esik", was soviel wie "Türe", aber auch "Talenge" bedeuten kann.
Die grosse Zeit des Issyk-Sees war die Mitte des 20. Jahrhunderts. Der See war inzwischen weithin als Naherholungsgebiet der stetig wachsenden Stadt Alma-Ata (heutiges Almaty) bekannt und berühmt für sein grün-blaues Wasser und seine Schönheit inmitten des Bergpanoramas. Ab 1939 gab es eine Ausflugsbasis des Allunions-Zentralkomitees der Handelsunionen. Hochrangige Sowjetpolitiker waren seitdem oft zu Gast. 1959 eröffnete der sogenannte Issyk-Park und sorgte für einen enormen Touristenaufschwung.
Zahlreiche Ausflugslokale, Tanzflächen und ein Hotel direkt am Ufer des Sees buhlten nun um die Gunst der sowjetischen Politelite, aber auch des einfachen Proletariats. Mit römischen Säulen verzierte Aussichtspavillons und sozrealistische Statuetten und Plastiken sorgten für ein edles Freizeitambiente wie zu den Hochtagen des stalinschen sozialistischen Realismus. Die Führer der kommunistischen Welt gaben sich nun auf den Terrassen der Tanzlokale am See Issyk die Klinke in die Hand, Nikita Chruschtschow war gerngesehener Gast, auch der Revolutionsführer und Präsident der Demokratischen Republik Vietnam Ho Chi Minh soll hier zur Sommerfrische verweilt haben.
Die Freude in diesem Paradies der kommunistischen Eliten war nur von kurzer Dauer. Der 7. Juli 1963 war ein aussergewöhnlich heisser und schöner Tag. Die Bevölkerung von Alma-Ata strömte zum See und in die Frische der Berge. Der erste Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Nikolajewitsch Kosygin, zu jener Zeit Vorsitzender der Plankommission Gosplan und unter Generalsekretär Leonid Breschnew der zweite Mann im Staate UdSSR, zu einer Stippvisite am Issyk-See.
Zu dieser Zeit nahm die Tragödie hoch oben in den Bergen bereits ihren Lauf. Geröll rutschte ab und Landmasse begann, sich in Bewegung zu setzen. Weiter unten am See ahnte noch keiner der zahlreichen Erholungsgäste, was auf sie zukam, aber der sich bewegende Berg war bereits nicht mehr aufzuhalten. Als die sich unaufhaltsam in die Tiefe bewegenden, gigantischen Felsbrocken den See erreichten, waren Ruderboote und Ausflugsschiffe mit Ausflüglern auf dem Wasser unterwegs.
All die Attraktionen wurden durch die Wucht der Felsbrocken und dem überschwappenden See weggerissen. Ein Grossteil der Stadt Issyk wurde komplett zerstört.
2000 Menschen konnten an diesem Tag gerettet werden. Über den Erdrutsch und das Unglück berichteten die sowjetischen Zeitungen erst zwei Wochen später. Es war die Rede von 100 Todesopfern. Man geht heute eher von ca 2.000 bis 3.000 Opfern aus. Der Erdrutsch von Issyk gilt als einer der grössten und schlimmsten in der Geschichte der UdSSR.
Heute lag ein türkisblauer See mit vielen kleinen Inseln vor uns. Wir ahnten nichts von dieserTragödie und genossen die wärmende Herbstsonne.
Viel Geduld war schliesslich auf dem Weg nach Almaty gefragt. Stossstange an Stosstange erreichten wir in der Dämmerung den Übernachtungsplatz.Baca lagi




















Pengembara
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