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  • Day 6

    Puente la Reina nach Lorca, 13,2 km

    September 5, 2022 in Spain ⋅ ⛅ 17 °C

    Ich hätte weitergehen sollen!

    Diese Nacht habe ich gut geschlafen. Kein Schnarcher in der Nähe und ich brauchte keine Ohrstöpsel. Beim Frühstück treffe ich wieder auf Conny. Sie hat kein Frühstück gebucht, trinkt aber 2 Tassen Kaffee. Ich esse mein Frühstück. Wir reden noch ein wenig. Dann verabschieden wir uns. Ich habe spontan beschlossen, einige Sachen in der Herberge zu lassen. Der Rucksack ist zu schwer. Der Buff, der Spiegel und die Schutzhülle für den Flug bleiben hier. Weiterhin nehme ich mir nur wenig Wasser mit. Ich kann ja unterwegs auffüllen. Den Rucksack stelle ich noch mal neu ein und dann mache ich mich auf den Weg.
    Es zeigt sich das gewohnte Bild. Pilger überall wohin das Auge reicht. Nach ca. 1 Stunde geht es steil bergauf. Ich trinke noch einen Schluck Wasser, binde mir die Haare zusammen und krempel mir die Hosenbeine hoch. Dann geht es los. Immer schön langsam Schritt für Schritt. Viele Pilger haben mit dem Anstieg zu kämpfen. Anhalten, durchatmen und weiter. Ein Spanier wartet immer wieder auf seine Frau. Er trägt ihren Tagesrucksack. Ich gehe an ihm vorbei und er macht mir mit Zeichensprache verständlich, dass es nach dem Berg nur noch bergab geht. Nachdem ich den Anstieg geschafft habe, reiße ich meine Arme hoch. Der Spanier ebenfalls. Danach passiere ich Mañeru. Ich fülle meine Wasserflasche auf. Es soll Trinkwasser sein, aber schmeckt trotzdem ganz leicht nach Chlor. Der Weg führt wieder wunderbar durch die schöne Landschaft. Es läuft heute gut und bisher habe ich noch nicht ans abbrechen gedacht. Das ist doch ein gutes Zeichen. Dann erreiche ich schon Quirauqui. Hier gibt es wieder ein Geschäft und ich kaufe 2 Bananen. Sie kosten pro Stück 0,90 Euro. Finde ich sehr teuer, aber eine Alternative habe ich nicht. Weiter geht es durch dieses hübsche kleine Städtchen. Dann führt der Jakobsweg durch ein Gebäude durch und dort kann man seinen Pass selbstständig abstempeln. Mache ich auch. Ich freue mich wie ein kleines Kind über den neuen Stempel. Ich verlasse das Dorf und ziehe weiter. Ich schaue zurück und kann am Horizont meinen Asiaten mit dem Sonnenschirm auf dem Kopf erblicken. Da es so gut läuft und ich gut voran komme, ziehe ich in Erwägung, nicht in Lorca zu bleiben, sondern noch die zusätzlichen 9 km nach Estella zu gehen. Wichtig ist nur, dass ich eine Unterkunft finde. Noch 6 km bis Lorca. Ich schaue mal, wenn ich da bin und entscheide spontan. Mein Körper gibt mir immer wieder Zeichen, wenn ich trinken oder essen soll. Ich trinke soooo viel und schwitze leider auch viel. Heute morgen sah es nach Regen aus, aber so langsam haben sich die Wolken verzogen und die Sonne scheint. Der Weg führt durch einen selbst angelegten Olivengarten. Hier kümmern sich Freiwillige um die Olivenbäume und haben liebevoll Stühle und Tische zum Verweilen hingestellt. Man kann sich auch was zu trinken oder zu essen nehmen. Ich tue eine Spende in das Sparschwein. Dann ziehe ich mit meinem Ananasdrink weiter. Es wird mit jeder Minute heißer und die Sonne fängt an zu brennen. Viele Pilger werden langsamer und suchen immer wieder Schutz im Schatten. Ich überhole eine Pilgerin, die sichtlich Probleme beim Laufen hat. Sie muss einen Schlaganfall gehabt haben. Es rührt mich, dass sie trotzdem Schritt für Schritt geht und kämpft.
    Dann weiche ich vom vorgeschriebenen Weg ab, weil ich Pippi muss. Hinter mir pfeift und ruft jemand. Ich drehe mich um. Ein Pilger zeigt mir den "richtigen" Weg. Ich deute ihm, dass ich das weiß und "richtig" bin. Nach einer Weile komme ich an einem Stand vorbei, den Einheimische für die Pilger gemacht haben. Es ist weit und breit keiner zu sehen, aber es gibt Süßes und Toast mit Olivenöl. Eine Spardose finde ich nicht. Ich nehme ein Gebäckstück mit und bedanke mich laut. Dann kommt wieder an steiler Anstieg. Es ist soooo heiß. Ich kämpfe um jeden Meter. Dann ist es endlich geschafft und ich stehe um 12 Uhr an meinem heutigen Etappenziel Lorca. Es ist verdammt früh, aber auch verdammt heiß. Schaffe ich das bis Estella? Ich schaue in meine App nach einer Unterkunft dort. Es gibt sogar noch ein freies Einzelzimmer. Das reizt mich, aber ich bin unsicher, was ich nun tun soll. Ich gehe zu meiner Herberge und entscheide spontan zu bleiben. Ich komme etwas ungelegen, da nun das Mittagsgeschäft ist, aber beide Hergebersleute geben sich Mühe. Ich werde zu meinem Bett geführt. Wie unterschiedlich die Herbergen doch sind. Diese wirkt älter und es gibt auf der Etage nur 1 Toilette und Dusche. Beides in einem Raum. Ich dusche und will dann Wäsche waschen. Ich habe so viel Zeit, dass ich mich nach der Waschmaschine umsehe. Ich finde sie ein Stockwerk tiefer in der Küche. Dort ist es unsauber und ich beschließe hier nicht zu Abend zu essen. Ich gehe runter und sage, dass ich die Waschmaschine benutzen will. Josè kümmert sich. Ich tue ALLE meine Klamotten in die Maschine. Trotz Handwäsche riechen sie irgendwie muffig. Dann versuche ich die Zeit rum zu bekommen, trinke einen Kaffee, telefoniere mit Jenny, buche meine Unterkunft für morgen. Dann kommt eine Pilgerin an. Leonie. Der Herbergsvater deutet auf mich und erklärt, dass ich auch Deutsche bin. Wir grüßen uns. Ich gehe dann irgendwann in das Zimmer und da ist sie auch. Wir kommen ins Gespräch. Sie ist viel jünger als ich und kommt aus der Nähe von Frankfurt. Sie redet viel und für mich stellt sich schnell raus, dass sie nicht so mein Fall ist. Sie redet und redet und redet. Ich antworte immer etwas ausweichenend und gebe nicht so viel von mir preis. Sie hat eine Urinella und erklärt, wie man sie nutzt. Sie hat auch ein Abwischtuch für nach dem Pippi machen, was man mehrmals nutzen kann und sie hat eine Menstruationstasse usw usw. Alles in allem Themen, die ich nicht mit jemanden nach dem ersten Kennenlernen besprechen möchte. Dann fragt sie mich, wie weit ich morgen gehe. Ich antworte wahrheitsgetreu - leider. Sie bucht die gleiche Unterkunft wie ich. Das auch noch. Ich will einfach nur weg und kann nicht. Wäre ich doch bloß die 9 km noch gegangen. Ich ärgere mich über mich selbst. Ich hänge hier rum und schlage Zeit tot. Ich buche dann schon für die übernächste Nacht ein Einzelzimmer in einer Pension. Ich brauche mal Zeit für mich ganz alleine. Heute beim pilgern war es sehr schön und ich habe gemerkt, dass auch die Mitpilger es teilweise so schön machen, weil es tolle Begegnungen gibt - auch wenn es nur ein Lächeln und ein "Holà" ist. Und dann kommt Leonie. Wir sitzen dann unten im Cafè, was zur Herberge gehört und sie redet und redet. Ihre Eltern haben ein Haus auf Mallorca, ihre Ausbildung, sie will sich selbstständig machen als Hebamme und hat schon 18 Frauen, die sie betreut usw Während sie wieder redet und redet, merke ich, wie das "Gespräch" mir Kraft raubt. Mir wird auch etwas übel. Ich muss aus der Situation raus und verabschiede mich, weil ich mir den Ort anschauen möchte. Der Laden öffnet um erst 18 Uhr nach der Siesta, aber ich schaue schon mal, wo er ist. Ich finde ihn auf Anhieb nicht. Dann gehe ich in die andere Richtung und sehe dann einen kleinen Hund ausgesperrt auf einem Balkon. Er hat kein Wasser, ist schwarz und der segenden Hitze schutzlos ausgeliefert. Er winselt zwischendurch und kratzt an der Balkontür. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Armer Kerl. Ich kann doch nicht irgendwo klingeln und dem Besitzer die Leviten lesen. Ich gehe weiter, setze mich auf die Stufen, die zur Kirche führen und muss ein wenig weinen. Wäre ich bloß weitergegangen. Ich weiß nicht, warum ich mich hier so unwohl fühle und warum ich Leonie so furchtbar finde. Dann kommt eine kleine, dünne, miauende Katze und gesellt sich zu mir. In dem Augenblick hält ein Auto genau neben mir. Ich stehe auf und gehe zurück. Da kreuzt eine Frau mit einem Hund an der Leine meinen Weg. Sie geht auch in meine Richtung. Ich warte bis wir an dem Balkon sind, wo der kleine Hund noch draußen sitzt und sage: Holà Seniora. El perro! Und deute auf den Hund. Sie sagt was, was ich nicht verstehe und geht weiter. Ich finde sie richtig doof. Wenn sich eine Einheimische nicht kümmert, was soll ich dann tun. Zurück in der Herberge liegt Leonie in ihrem Bett und wälzt sich hin und her, weil sie mit "Schatzi" telefoniert. Sie säuselt ins Telefon und ich verlasse die Situation und gehe wieder nach unten. Da treffe ich auf eine andere Pilgerin. Wir kommen ins Gespräch. Wie lange ich schon hier bin usw. Ich habe sie die Tage schon mal gesehen. Sie hat sich gestern in Puente la Reina, wo ich einen Kaffee getrunken habe, Wein bestellt und dem Kellner gesagt, dass er das Glas richtig voll machen soll. Ich glaube, sie trinkt gerne mal einen. So sieht sie zumindest aus. Sie ist erst um 11 Uhr in Puente la Reina gestartet, weil sie Sachen nach Hause geschickt hat. Ihre Regenhose zB. Ich frage, was sie macht, wenn es mal regnen sollte. Das ist ihr egal. Hauptsache nicht tragen. Wir lachen zusammen. Ich kann das sooooo nachempfinden und erzähle ihr, was ich heute in der Herberge gelassen habe und von meinem 2. Paar Schuhe, was ich mit mir rumschleppe. Aaaaber WENN es mal regnen sollte, dann bin ich so was von gut mit meinen wasserdichten Schuhe ausgestattet! Wir lachen wieder. Sie hat wasserdichte Wanderschuhe und Blasen an den Füßen bekommen. Sie musste sich Sandalen kaufen. Ich glaube, ich habe mit meinen Trailrunners eine gute Entscheidung getroffen. Sie sagt, dass sie zum Marktplatz geht und sich dort hinsetzt bis es Abendessen gibt. Apropos: Ich mache mich auf den Weg zum Markt. Der muss ja bald öffnen. Es ist nicht so weit, aber es ist sooo heiß noch. Dort angekommen, warte ich bis 18.10 Uhr und drücke dann die Klingel. Nichts tut sich. Na toll! Wäre ich bloß weiter gegangen. Hungrig gehe ich zurück. An dem Automaten, wo es Wasser gab, habe ich auf Prinzip nun nichts gekauft. Ich gehe lieber noch mal zu dem anderen Automaten, der am Ortseingang war. So!
    Dafür muss ich an meiner Herberge vorbei und Josè fängt mich ab. Was ist los? Ich antworte, dass der Laden nicht aufmacht und ich Hunger habe und Wasser benötige. Er verspricht, dass der Laden um 18.30 Uhr bestimmt aufmacht. Nun gut! Ich gehe zu dem anderen Automaten und komme wieder an dem Balkon vorbei. Der Hund ist nicht mehr draußen. Gott sei Dank! Ich kaufe mir 2 kleine Wasser, eine Dose Aquarius und Salami. Ich versuche die Packung zu öffnen, aber ohne Schere wird das nichts. Ich bin genervt. So oft, wie ich in dem 10-Seelen-Dörfchen schon hin- und hergelaufen bin. Ich kenne jeden Stock und Stein hier inzwischen. Zurück zur Herberge. Auf dem Zimmer telefoniert Leonie noch mit "Schatzi". Ich öffne die Salami mit meiner Nagelschere. Leonie beendet ihr Telefonat und fragt mich, ob ich den Laden gefunden habe. Ich berichte, während ich eine Scheibe nach der anderen in meinen Mund schiebe und genüsslich kaue. Ich werde gleich noch mal zum Laden gehen und dann ein allerletztes Mal mein Glück versuchen. "Ich begleite dich, wenn das okay ist. Ich benötige auch noch was!" sagt sie. Das auch noch. Wäre ich bloß bis Estella weitergegangen. Wir gehen runter und Josè sagt, daß der Laden nun bestimmt geöffnet hat - wenn nicht, soll ich mit dem Fuß die Scheibe einschlagen. Er übernimmt auch dafür die Verantwortung. Nun gut. Ich gehe wieder durch dieses Dorf. Ich renne hier gefühlt seit Stunden hin und her. Dort angekommen, ist tatsächlich geöffnet. Jetzt plötzlich! Ich bin immer noch verärgert. Leonie betritt als erstes den Laden und spricht mit dem Besitzer in einem perfekten Spanisch. Ich schaue mich um. Wirklich groß ist die Auswahl nicht. Leonie und der Spanier quatschen und lachen. Sie bezahlt. Er lobt sie, weil sie so gut Spanisch spricht. Dann bin ich an der Reihe und rede in meinem üblichen Kauderwelsch aus Englisch und Spanisch. Der Mann ist plötzlich sehr reserviert und guckt verbissen. Okay - ja, ich spreche nicht so gut bis fast gar kein Spanisch, aber ich bin trotzdem nett. Ich bin erstaunt, wie ausgewechselt der Besitzer ist. Beim Rausgehen säuselt Leonie noch eine Abschiedsfloskel auf Spanisch und der Spanier antwortet ihr wieder ganz charmant und nett. Pffffffffff - das stört mich gar nicht - Blödmann. Obwohl es fast 19 Uhr ist, ist es immer noch heiß. Wir gehen zurück. Ich könnte inzwischen Dorfführerin hier sein: 'Und gleich links kommen wir an einem Haus vorbei, wo eine weiße französische Bulldogge wohnt, die vorbeilaufende Pilgerinnen gerne anbellt. Rechts kommt ein Olivenbaum und dann vorne gehen wir auf die Herberge zu.'
    Leonie bleibt unten, weil sie das Abendessen hier gebucht hat. Ich gehe aufs Zimmer und genieße die Zeit alleine.
    Ich werde wohl gleich schlafen und morgen dann endlich weiterziehen.
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