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  • Day 5

    Arre nach Puente la Reina, 15,8 km

    September 4, 2022 in Spain ⋅ ⛅ 17 °C

    Ein Tag mit Unterbrechungen

    Was für eine Nacht. Die Herberge ist in einem Kloster und sehr einfach gehalten. Sie hat ihren Charme - so und so. Die sanitären Einrichtungen sind zwar getrennt, aber nach oben hin offen. Das heißt, wenn Männlein oder Fräulein auf die Toilette gehen, dann hört jeder ALLES mit. ALLES! Sehr speziell und sehr gewöhnungsbedürftig. Aber man muss über seinen Schatten springen. Am End' sind wir alle nur Menschen und haben Verdauung. Ich bin übrigens auch überrascht, dass bei der Vielzahl der Frauen 2 Toiletten reichen.
    Mitten in der Nacht werde ich von Gepolter geweckt. Trotz Ohrstöpsel. Dann noch mal ein ohrenbetäubender Knall. Ich schaue, was passiert ist. Eine der beiden Frauen liebenden Frauen hat anscheinend ihr Handy oben auf eine Art Wandverkleidung gelegt. Es ist dahinter gefallen. Dann hat sie die Verkleidung aufgerissen und dann ist es noch weiter hinein gerutscht. Was für eine blöde Situation. Wenn mir das passiert wäre, hätte ich Panik bekommen. Beide Frauen leuchten mit ihrem anderen Handy und versuchen irgendwie da ran zu kommen. Keine Chance. Wie hell ein Handy in der Nacht sein kann. Es wirkt wie Diskolicht.
    Irgendwann geben die beiden auf und ich schlafe wieder ein. Kurz nach 6 klingelt das hinter die Verkleidung gefallene Handy. Der Wecker! Da niemand den Wecker ausstellen kann, spielt es eine Melodie gefühlt mehrere Minuten lang. Nun sind fast alle Pilger in dem Raum wach. Ich mache mich fertig. Verabschiede mich von den Deutschen und verlasse um ca. 7.45 Uhr die Herberge. Ich treffe vor der Tür einen jungen Mann, der mir einen guten Weg wünscht und mir sagt, dass die Sonne scheinen wird - aber nicht zu doll. Ich danke ihm. Ich habe gestern Abend schon geplant, dass ich den Weg unterbrechen werde. Ich weiß, dass es wieder sehr steil hinauf gehen wird. Außerdem ist das die Strecke, auf der der Abschnitt liegt, wo der Weg an einem steilen Abgeund vorbei führt. Das und der sehe heiße Tag (32 Grad) und der stärkste Tag meiner Periode haben mich dazu veranlasst, dass ich ab Pamplona mit dem Bus oder Taxi nach Uterga fahren werde. Ich habe dadurch den schlimmsten Teil übersprungen und es kommen trotzdem noch genügend Kilometer zusammen. Ich habe ihn Puente la Reina eine Herberge gebucht, aber ein Einzelzimmer. Ich brauche mal meine Ruhe und ein bisschen Privatsphäre. Es ist mit einem Gemeinschaftsbad.
    Der Weg führt an dem Sonntagmorgen mitten durch die Stadt. Arre ist ein Vorort von Pamplona. Nachdem ich die letzten Tage durch wunderschöne Landschaften gepilgert bin, ist dieser Weg absolut nicht reizvoll und schön für mich. Und wo sind die ganzen Pilger hin? Ich bin komplett alleine. Das bin ich von den letzten Tagen auch anders gewöhnt. Bin ich hier richtig? Was, wenn ich Pippi muss? Ich merke, wie meine Angst innerlich steigt. Ich schaue in meinen abfotographierten Wanderführer und erfahre so, dass das die nächsten Kilometer bis Pamplona-Zentrum so bleibt. Gar nicht schön. Ich fühle mich fehl am Platz und merke, wie mir die Tränen kommen. Ich kann die Stadt nicht genießen und finde sie einfach nur doof. Der Weg ist recht gut ausgeschildert. Nur ein Mal finde ich es schwierig und will falsch abbiegen. Ein Einheimischer ruft mir nach und zeigt in die richtige Richtung. Ich bedanke mich bei ihm. In der Regel grüße ich jeden, den ich auf der Straße treffe. Das habe ich die letzten Tage so gehandhabt. In kleinen Dörfer ist das umsetzbar, aber in einer Großstadt wird es dann irgendwann schwierig und nicht mehr praktikabel. Ich grüße nur noch die Leute, die mich anschauen. Ich wander die meiste Zeit mit den Stöckern in der Hand. Das heißt, ich benutze sie nicht, sondern trage sie. Irgendwie sitzt mein Rucksack heute auch nicht richtig und ich muss ständig den Sitz korrigieren. Das mit den Stöckern wird sich am Ende des Tages noch ein wenig auswirken.
    Plötzlich stehe ich dann mitten in Pamplona City und bin quasi beim ersten Etappenziel angekommen. Die Stadt erwacht so langsam und erste Kaffees und Bäckereien öffnen. Ich suche nach einer Toilette. Ohne Erfolg. Die Stadtreinigung spritzt die Straßen ab. Irgendwie gefällt mir Pamplona ganz und gar nicht. Was soll ich mir hier anschauen? Ich mache mich auf dem Weg zur Kathedrale. Sie hat geschlossen. Gegenüber des berühmten Bauwerks ist eine Pilgerherberge. Ich entschließe mich, dort nach einer Toilette zu fragen. Ich klopfe und eine Frau öffnet. Ich frage auf Englisch,.ob ich die Toilette benutzen kann. Sie weiß nicht und versteht nicht. Ich sage auf Spanisch "¿El baño?" Sie druckst rum. So viel dann zum Zusammenhalt zwischen Pilgeraleuten. Ich gehe. In Google Maps suche ich mir eine öffentliche Toilette und werde von der App erst einmal im Kreis rum geführt. Dafür habe ich keine Zeit und Kapazitäten. Eine Pilgerin hat es sich auf einer Bank gemütlich gemacht. Ich passiere sie dank google maps mehrmals und sie guckt sehr irritiert.
    Dann komme ich an einem Kaffee vorbei und gehe rein und frage einfach. Ja, die Toilette ist unten. Geschafft!
    Ich verlasse das Kaffee und gehe wieder zurück. Treffe wieder auf die Pilgerin auf der Bank. Ich entscheide mich, mir nichts mehr anzuschauen. Nichts reizt mich hier und halten schon mal gar nicht. Also suche ich in maps einen Taxistand. 500 Meter zu Fuß. Maps zeigt an, dass man 12 Minuten benötigt. Das ist aber sehr lang. Vielleicht hat maps meine durchschnittliche Geschwindigkeit in den letzten Tagen berücksichtigt. Aber es geht ja hoffentlich nicht bergauf! Maps schickt mich wieder im Kreis, aber ich merke es und passiere somit meine Bank-Pilgerin nur noch ein letztes Mal. Dann geht es den Weg an dem Cafe vorbei, in dem ich eben war. Ich gehe weiter und komme an einer Busstation vorbei. Ich schaue,.ob es eine günstigere Alternative zum Taxi gibt. Aber dieser fährt nur innerhalb Pamplonas. Plötzlich ruft mir ein Fahrradfahrer "Buen Camino" entgegen. Wenn der wüsste, dass ich ein Taxi suche. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen. Dem Taxifahrer zeige ich, wo ich hin will. Was kostet es? 30 Euro ungefähr. Los geht's. Das Taxi bringt mich in etwas über 20 Minuten aus der Stadt raus nach Uterga. Es ist so unwirklich. Ich hätte für die Strecke Stunden, wenn nicht sogar Tage gebraucht. Ich steige aus und es ist kein Pilger zu sehen. Das Taxi fährt. Ich bin wieder auf dem Weg. Es ist wieder "mein" Weg der letzten Tage. Uterga ist wirklich schön und typisch Spanisch. Ich mache mich auf die Socken. Ich komme ca. 400 Meter weit und dann kommt ein Pilger-Cafe. Ich halte an und genehmige mir einen Kaffee. In dem Café gibt es einen Automaten, wo man alle wichtigen Pilgersachen kaufen kann. Pflaster gegen Blasen, Tampons, kleine Tuben mit Bodylotion usw. Ich benötige Zahncreme, aber diese soll in Kombination mit einem Täschchen 4,95 Euro kosten. Das bezahle ich auf keinen Fall! Ich pilgere weiter und es kommt ein Schild: 697 Kilometer bis Santiago. Oh man! Der Weg führt durch eine sehr schöne Landschaft nach Muruzàbal. Ich komme an einem Haus mit einer so wunderschönen Malerei vorbei. Toll! Ein Pilger wird dort dargestellt und die für diese spanische Region typische Landschaft. Wirklich richtig gut gemacht. Während ich weitergehe, versuche ich meine Taxifahrt zu entschuldigen. Es ist doch mein Weg und den gestalte ich so, wie ich es will. In den Pilgerhimmel komme ich sowieso nicht mehr. Gebe ich zu schnell auf? Mache ich es mir zu einfach? Was werden die anderen Pilger sagen? Während meiner Überlegungen habe ich Obanos erreicht. Ein süßes kleines Örtchen. Sie hat eine tolle Kirche. Diese ist achteckig. Es gibt eine Sage, laut der man barfuß 3 Mal um dir Kirche laufen soll. Dann spürt man die Magie des Ortes. Benedikt, ein Pilger, den ich heute Abend genauer kennenlernen werde, hat das tatsächlich gemacht. Weiterhin bietet der kleine Ort eine Statue für Pilger. Man kann und soll durch sie hindurchlaufen. Habe ich natürlich gemacht.
    Es folgt nun das typische Bild der letzten Tage. Alle Pilger überholen mich eilig und keiner scheint die Schönheit der Gegend wahrzunehmen.
    Völlig überraschend stehe ich dann am Ortseingang von Puente la Reina. Das ging ja doch recht schnell. Es kommt sofort links eine Herberge. Diese ist aber nicht meine. Ich schaue in meinem Handy, wo sich meine befindet. Da wird mir offenbart, dass ich den kompletten Ort noch durchlaufen muss. Okay, anscheinend habe ich mich zu früh gefreut. Ich falte meine Stöcker, die ich eh nicht wirklich benutzt habe, zusammen und befestige sie am Rucksack. Irgendwie sitzt der heute echt doof und mir tun die Schultern und der Nacken weh. Weiter geht's. Ich passiere eine kleine Kirche, die direkt am Eingang des historischen Stadtkerns liegt. Sie ist geöffnet. Ich gehe hinein und in der kleinen Kirche ist ein Mann. Er hat eine Art Gitarre und beginnt sie zu spielen. Was für eine tolle Akustik! Ich bin gefesselt. Ich hole mein Handy heraus und der Mann beginnt zu singen. So was habe ich noch nie gehört. Es klingt sooooo toll. Ich möchte weinen. Was für ein toller Moment. Mein absolutes Highlight bisher auf meinem Camino! Ich bin froh, dass ich es mir immer und immer wieder anhören und ansehen kann. Puente la Reina gefällt mir sehr. Ich nehme mir Zeit, mache viele Bilder und versuche so viel wie möglich auch mit meinen Sinnen zu erfassen. Einige Minuten später passiere ich die Kirche "Sankt Sebastian". Auch da gehe ich hinein. Und auch hier werde ich überrascht. So viel Prunk. Ich habe noch nie einen so hohen und prachtvollen Altar gesehen. Es ist aus, wie purer Gold. So monströs und schön.
    Dann führt mich das Wahrzeichen der Stadt, die typische Brücke, aus Puente la Reina hinaus. Moment, wo ist denn meine Herberge? Das Schild zeigt eine steile Anhöhe hinauf. Na toll! Das war klar. Zum Schluß muss noch mal so was kommen. Warum wird es auf den letzten Metern immer so doof und anstrengend. Ich quäle mich bei der segenden Hitze den Berg hoch. Die lästigen Fliegen kleben an mir. Dann endlich stehe ich in der sehr gepflegten Herberge und beziehe mein Einzelzimmer. Direkt beim Einchecken treffe ich auf den Asiaten aus den USA aus der Herberge in Zubiri. Er fragt, wie ich den Berg fand und weiß, dass er den Teil meint, den ich übersprungen habe. Ich sage was ausweichenendes und bekomme wieder ein schlechtes Gewissen. Jetzt wieder der gewohnte Ablauf. Duschen, Klamotten waschen, die Tour für morgen planen und eine Unterkunft suchen. Diese ist überraschend schnell telefonisch gebucht. Danach gehe ich noch mal in die Stadt. Aber dieses Mal fühlt es sich nicht mehr so gut an. Ich fühle mich alleine und frage mich wieder ein Mal, was ich zum Teufel ich hier mache.
    Nach einem Kaffee gehe ich zurück zur Herberge. Dort treffe ich auf eine Deutsche aus der Herberge in Arre. Sie ist überrascht, dass ich hier bin. "Bist ja doch weit gekommen!?" sagt sie. Ich will zu einer Erkältung ansetzen, aber winke dann ab und gehe in mein Zimmer. Zum Abendessen treffe ich sie wieder. Wir quatschen drauf los und ich erzähle ihr meinen Tag. Sie sagt, das der Abstieg heute sehr anstrengend war und es teilweise an einem sehr tiefen Abgrund lang ging. Dann gesellt sich noch ein weiterer Deutscher zu uns. Er kennt mich aus der Herberge in Zubiri. Er war derjenige, wegen dem mich Monika aus Eckernförde nicht mehr beachtet hat. Er heißt Benedikt, ist Rentner, verheiratet, 2 Töchter, 5 Enkelkinder und kommt aus der Nähe von Saarlouis. Das andere ist Conny und sie kommt aus der Nähe von Dresden. Sie ist verheiratet, hat Kinder und einen Hund. Sie geht den Camino, weil sie mal Abstand von zu Hause brauchte. Ihre Kinder sind nun alt genug und sie braucht 40 Tage für sich. Wir reden lange und es macht wieder Spaß. Der Austausch ist toll und tut gut. Das Gefühl, alleine zu sein, ist wieder weg. Benedikt geht morgen nur 10 Kilometer, weil er das Gefühl hat, dass er immer wieder die gleichen Leute trifft. Das will er nicht mehr. Conny entscheidet jeden Tag gegen 12 Uhr erst, wie weit sie geht. Je nachdem, wie sie sich fühlt. Dann erst sucht sie sich eine Herberge. Wir verabschieden uns.
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