Satellite
Show on map
  • Day 141

    Spagat zwischen zwei Welten

    December 18, 2022 in Germany ⋅ ☁️ -1 °C

    Das Ende des ersten Teils unseres Abenteuers kam gefühlt unerwartet und ganz plötzlich. War ich nicht gerade noch am anderen Ende der Welt? Tief im Dschungel? Mit den Füßen im Indischen Ozean? Noch im Flieger Richtung Heimat spüre ich die Gerüche des Ozeans, exotischer Speisen und Pflanzen in der Nase und sehe Bilder von atemberaubenden Landschaften, aber auch bitterer Armut vor meinen Augen.

    Mein Leben zu Hause, es war für einige Monate ganz weit weg. Wir waren unterwegs auf unserem ganz persönlichen Abenteuer, haben neue Dinge ausprobiert, fremde Kulturen und wunderbare Leute von überall auf der ganzen Welt kennengelernt. Wir hatten keinen eintönigen Alltag – jeder Augenblick war einzigartig und so anders als zu Hause.
    Und nun bin ich wieder hier.
    Glücklich und berührt von Euren vielen lieben Willkommensgrüßen.

    Es ist eigentlich kaum zu begreifen:
    16 Stunden Flug ..... und
    mit einem Schlag
    ist meine Welt wieder eine komplett andere: Statt der kurzen Hose und einem Top trage ich Skiunterwäsche, warme Jeans, dicke Jacke, Mütze und Schal...... und friere trotzdem.
    Endlich kann ich mal wieder "richtig" ( das heißt heiß und in einer Maschine) waschen und chicke Kleidung anziehen, wo ich doch viereinhalb Monate nur einfachen Safari Look getragen habe.
    Die Klamotten hängen zum Trocknen auf einem Wäscheständer und nicht in irgendwelchen Dornengewächsen oder Bäumen.
    Morgens beim Aufwachen schaue ich als erstes nach Viktor, aber der ist nicht da.
    Niemand bereitet mir in einem Morgenritual meinen Kaffee und unser Frühstück vor. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das, dass ich ihn so vermissen würde.
    Hier dreht sich zur Zeit alles um Weihnachten - auf der Straße, in den Geschäften, in den Häusern, einfach überall.
    Dabei war in Afrika bisher nicht der leiseste Hauch von Adventssstimmung zu spüren.
    So rühren mich bei meiner ersten Chorprobe die Weihnachtslieder, die wir singen, zu Tränen.

    Vollkommen angekommen bin ich jedoch noch nicht.
    Es kommt mir vor wie ein Spagat zwischen zwei Welten.
    Wo genau gehöre ich hin? Vieles erscheint so unwirklich.
    Eigentlich kenne ich doch alles, aber es fühlt sich irgendwie fremd an.
    Ganz allmählich fange ich an, die tausend Eindrücke des Erlebten zu verarbeiten, langsam und Schritt für Schritt.
    Die Bilder im Kopf finden nach und nach ihre Ordnung, doch emotional ist längst noch nicht alles aufgeräumt.
    Ich vermisse lieb gewonne Weggefährten, die unkomplizierte Lebensweise, das Klima, die Freundlichkeit der Menschen und
    die Gefühle, die man mit dieser Zeit verknüpft.
    Natürlich gab es auch, wie Ihr ja wisst, Momente, die anstrengend waren. Momente, in denen es mir nicht gut ging, ich erschöpft und überfordert war und nur noch nach Hauses wollte.
    Doch während mich auf der Reise so manches Mal das Gefühl von Heimweh überkommen hat, spüre ich jetzt wieder Fernweh: Ich träume von den Orten, an denen wir tolle Abenteuer erlebt haben. Ich vermisse, dass jeden Tag etwas Neues passiert ist.
    Was für Monate unseren Alltag, unser Fühlen und Denken bestimmt hat, ist plötzlich nicht mehr da.
    Von unserer Südamerikareise weiß ich, dass das nach Hause kommen ein sehr schwieriger, vielleicht sogar der schwierigste Part einer langen Reise sein kann. Während man sich selbst verändert hat, ist das eigene Umfeld in der Heimat gleich geblieben.
    Gehört man noch dazu, haben die Freunde einen vergessen und ist überhaupt Zeit vorhanden, am Leben der anderen teilzuhaben?
    Schließlich steht Weihnachten vor der Tür und jeder hat einen vollen Terminkalender.
    Wie wird es sein, ferne Bekannte auf der Straße anzutreffen, was interessiert sie wohl so, fragen sie überhaupt etwas?
    Finde ich mich noch zurecht? Hat sich alles verändert?
    Der Unterschied zwischen der Reisewelt und dem Alltagsleben gleicht einem Spagat, der bei Manchen schnell bewältigt wird, während andere länger für diese Gelenkigkeit brauchen. Ich zähle definitiv zur zweiten Sorte.
    Ich muss versuchen, wieder meinen Platz zu finden.
    Doch egal wie schwierig das Heimkehren auch sein mag, in der Zwischenzeit hilft es, sich an die vielen wunderbaren Momente und Erlebnisse zu erinnern. Sie sind es, die das Leben ausmachen und für die sich so eine Reise lohnt.
    Meine Sicht auf die Welt und auf mein eigenes Leben hat sich verändert.
    Ich schätze den Wert meines privilegierten Daseins, das mir ohne mein Zutun in die Wiege gelegt worden und Millionen Menschen auf dieser Welt verwehrt ist, mehr als je zuvor.
    Vor ihnen empfinde ich die höchste Achtung, vor ihrer Lebensleistung und den Überlebensstrategien in einer Umwelt, in der ich kaum oder gar nicht bestehen würde.
    Das habe ich auf dieser Reise gelernt und dafür bin ich dankbar.
    Es hat mir die Augen geöffnet für das, was wirklich wichtig ist und dass Zufriedenheit nicht von der Höhe des eigenen Kontos abhängt.
    Was mir außerdem klar geworden ist: Ich bin noch nicht bereit, mich wieder dem ganz normalen Alltag anzupassen.
    Denn unsere Reise hat uns so viele neue Türen und Möglichkeiten geöffnet.
    Es wäre zu schade, diese jetzt schon wieder zu schließen.
    Wir sind noch nicht am Ende angelangt.
    Also habe ich gestern meinen Rückflug nach Tansania gebucht und werde mit Viktor gemeinsam unseren Traum zu Ende bringen.
    Read more