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  • Day 94

    Steinige Wege

    February 21 in New Zealand ⋅ ☀️ 9 °C

    Es ist ein sehr kühler Morgen und ich ziehe alle Jacken an, die ich habe. Die Aussicht von der Hunters Hut auf die Berge ist phänomenal und die aufgehende Sonne erzeugt ein ganz besonderes Licht. Wir stehen draußen auf der Veranda und genießen die Ruhe und Stille an diesem wunderschönen Ort. Uli und Jamie sind schon längst in ihre Etappen aufgebrochen. Wir sind für uns allein und in der Hütte sehe ich erst jetzt an der Wand eine Art Gedenkschrift mit zwei Fotos von zwei Männern. Es sind Russell Griebel und Bob Waldie, zwei Jäger, die beide während ihres Dienstes ums Leben kamen, als die alte Bush Edge Hut durch eine Sturzflut im Februar 1995 überflutet und weggerissen wurde. Ihnen zu Ehren wurde die heutige Hunters Hut errichtet, in der auch ein paar Gegenstände aus der Bush Edge Hut wiederzufinden sind. Das tragische Schicksal der beiden Jäger macht mich sehr betroffen. Wie schnell sich das Wetter hier von einem Moment auf den anderen ändern kann, ist für mich immer noch schwer vorstellbar. Einige Neuseeländer haben schon zu uns gesagt, manchmal gäbe es vier Jahreszeiten an einem Tag.

    Nach einem dürftigen Frühstück laufen wir los und leider geht’s schon wieder steil nach oben. Die Anstrengung der letzten Tage, das wenige Essen und die morgendliche Kälte haben mich kraftlos und steif gemacht. Alle paar Schritte muss ich stehen bleiben und warten, bis sich der Atem wieder beruhigt. Ein kleiner Snack würde mir jetzt gut tun, aber wir haben nur noch 2 Päckchen Instant Nudeln und 1 gefriergetrocknetes Essen. Die Nudeln gibt’s zum Mittag und das gefriergetrocknete Essen zum Abendbrot. Ich weiß nicht, was uns dazu bewogen hat, so wenig Nahrung einzukaufen. Vermutlich glaubten wir, mit leichten Rucksäcken besser über die Berge zu kommen. Was uns das an Kraft und Energie abverlangt, haben wir nicht geahnt.

    Immer wieder geht’s rauf und runter, über Felsen und zerklüftetes Gestein. Ohne Wanderstöcke wären diese Etappen unmöglich. Wir laufen über Felder mit zigtausenden roten Steinen, überqueren Flüsse und erreichen nach 4,5 Stunden die Porters Creek Hut. Dort treffen wir auf Franka und Dirk aus Jena. Sie sind ein paar Jahre älter als wir und laufen den Trail in die entgegengesetzte Richtung. Es ist echt schön, mal zwei „Ossis“ auf dem Trail zu treffen und wir haben gleich eine gute Gesprächsbasis. Als sie ihre Nussriegel auspacken und genüsslich reinbeißen, tropft mir der Zahn. Ich habe Hunger und bin kurz davor, sie zu fragen, ob sie mir einen abgeben. Danny hat die Nudeln überbrüht und reicht mir den Topf. Aus praktischen Gründen essen wir gleich direkt daraus und schlürfen die überwürzte Brühe. Wenigstens bekommen wir so wieder ein paar Salze zugeführt. Gegen 13 Uhr verabschieden wir uns und laufen unsere zweite Tages-Etappe bis zur Red Hills Hut. Wenn wir da heute Abend ankommen, können wir morgen Vormittag direkt nach St. Arnaud reinlaufen und wären raus aus den Richmonds. Wir können essen, uns waschen und einen kleinen Erholungs-Urlaub planen. Wahnsinn! Das Paradies scheint zum Greifen nah!

    Bis zur Red Hills Hut sind es jedoch noch 10,5 Kilometer, die wieder mit 5 Stunden angegeben sind. Hoch und runter, gerölliger und unebener Boden, Flussüberquerungen, Klettern - wieder das ganze Programm. Die Etappe zieht sich ewig in die Länge und zum Schluss wird’s auf der Wiese auch nochmal ein bisschen schlammig. Am Horizont ist sie erst ganz klein zu erkennen. Aber mit jedem Schritt kommen wir ihr näher, der Red Hills Hut. Kurz vor 19 Uhr erreichen wir sie und sind die Ersten. Gleich danach kommt Jack aus Australien, ein sehr junger Wanderer, der uns viele Tipps gibt. Später treffen noch alte Bekannte ein: Mike und Ryan aus den USA. Wir kennen sie von der Whanganui River Kanu-Tour. Die Wiedersehensfreude ist groß und wir tauschen uns über unsere Erlebnisse aus. Als ich später im Schlafsack liege und langsam Ruhe in der Hütte einzieht, denke ich: Nur noch 1x schlafen, dann geht’s raus aus den Richmonds. Vom Naturparadies zurück in die Zivilisation. Dort warten warmes Wasser, Seife und Essen auf mich. Ich freue mich sooo sehr darauf!
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