• Ein Ziegenpfad über dem Fluss

    20 Februari 2024, New Zealand ⋅ ☀️ 11 °C

    Obwohl die Matratzen in der Mid Wairoa Hut sehr dick und bequem sind, habe ich nicht gut geschlafen. Hugo aus Holland ist als Erster auf den Beinen. Wir anderen tun es ihm gleich und versuchen, uns beim Kaffeekochen nicht in die Quere zu kommen.

    Meine morgendliche Wäsche ist ein Feuchttuch, denn das ist - neben den Flüssen - die einzige Möglichkeit der Körperhygiene. Zuerst fahre ich mir damit übers Gesicht, dann unter die Achseln und zum Schluss durch den Intimbereich. Anschließend kommt es in eine Ziplock Tüte, wo wir den Müll der letzten Tage sammeln. Einen kleinen Mini-Deo-Stick haben wir auch dabei und bauen fest darauf, dass diese kleinen Maßnahmen unseren Körpergeruch in Schach halten.

    Auf der Tagesordnung stehen heute 8 Flussüberquerungen. Normalerweise lässt man dafür seine Schuhe an und hat im Idealfall ein zweites Paar dabei, was immer trocken bleibt. Das zieht man dann abends in der Hütte oder auf dem Zeltplatz an. Da ich keine Lust habe, mit kalten Füßen in nassen Schuhen durch die Gegend zu laufen, frage ich Danny, ob ich wieder seine Crocs anziehen kann. „Kein Problem!“ - sagt Danny. Wir verabschieden uns von den anderen Wanderern und wünschen uns gegenseitig alles Gute für den weiteren Weg. Kurz nach 8 Uhr stiefeln wir los.

    Unser Weg führt uns entlang dem Wairoa River. Moment mal, sagte ich „Weg“? Das hier ist maximal ein Ziegenpfad, der über einem Fluss hängt. Der Waldboden ist an einigen Stellen so stark erodiert, dass gerade mal ein Fuß auf den schmalen Pfad passt. In Schlangenlinien geht es entweder steil runter zum Fluss oder steil nach oben. Teilweise ist der Hang etwas abgerutscht, so dass wir genau hinschauen müssen, an welche Stelle wir treten, damit uns nicht das gleiche passiert. Wir hangeln uns an einer Felswand entlang, an der ein Metallseil befestigt ist - die einzige Möglichkeit, Halt und Stabilität zu finden. „Nur nicht nach unten schauen“, denke ich, und bin mit meinen Nerven schon wieder total am Ende.

    Nach der Überquerung der Gipfel und dem Klettern über steile Geröllhalden dachte ich, die schwierigste Sektion sei geschafft. Zu früh gefreut! Dieser Weg ist für mich sehr schwierig zu laufen und technisch überaus anspruchsvoll. Außerdem ist er mental sehr frustrierend, denn ich habe das Gefühl, wir kommen überhaupt nicht voran. Für 1 Kilometer brauchen wir fast 1 Stunde. Die angegebene Zeit von 4,5 Stunden bis zur Top Wairoa Hut, wo wir eine Mittagspause einlegen wollen, können wir niemals einhalten.

    Jetzt geht es gerade mal mit der ersten Flussüberquerung los. Ich ziehe meine Schuhe und Socken aus und binde alles an meinem Rucksack fest. Dann schlüpfe ich in Dannys Crocs und laufe durch den Fluss. Danny hüpft derweil freudig von Stein zu Stein und ist am Ende sogar schneller am anderen Ufer als ich. Weil der Weg dann wieder durch unwegsames Gelände führt, ziehe ich meine Wanderschuhe wieder an. Die Socken über die noch nassen Füße zu ziehen, ist eine friemelige Angelegenheit. Danny wartet geduldig. Blöd ist nur, dass das jetzt die ganze Zeit so weitergeht, denn es warten noch 7 weitere Überquerungen. Jedes Mal dieses An- und Ausgeziehe der Schuhe und Socken, es nervt total und nimmt zusätzlich nochmal viel Zeit in Anspruch. Ich glaube, ich verstehe jetzt, warum grundsätzlich empfohlen wird, die Schuhe nicht zu wechseln und man alles mit einem Paar laufen soll, egal, ob durch Wald, Wiesen, Flüsse. Nasse Füße gehören auf der Südinsel leider zum Trail-Alltag.

    Nach 5,5 Stunden treffen wir endlich in der Top Wairoa Hut ein - eine Stunde später als angegeben. Wir packen ein paar Instant Nudeln aus und wollen uns eine kleine Suppe daraus kochen. Jacinda, eine Neuseeländerin mit auffällig großer Brille, gesellt sich zu uns. Sie ist „Section Hiker“, läuft also nur bestimmte Teile vom Trail. Sie wirkt sehr „sphärisch“ und hat gleichzeitig eine sehr erfrischende Art. Auf alles, was wir ihr von uns erzählen, reagiert sie überschwänglich erfreut. Meine Laune hebt sich dadurch wieder etwas. Gegen 14:30 Uhr brechen wir auf zur Hunters Hut, fast schon etwas spät, denn 5 Stunden sind dafür angegeben.

    Es geht mal wieder extrem steil nach oben! Ich komme schnell außer Puste und mit jedem Schritt schwindet meine Kraft. Dazu kommt, dass sich die Landschaft jetzt drastisch verändert, wir betreten die „Red Hills“. Sie sind Teil des Nelson Mineral Belt. Die Erde ist hier sehr reich an Eisen, Magnesium, Kobalt und Nickel, was den Steinen eine leuchtend rote und orange Färbung verleiht. Über diese scharfkantigen und schroffen Steine soll ich jetzt kilometerweit meinen Rucksack tragen. Ich kann nicht mehr und muss immer wieder weinen. Danny „the machine“ trägt meinen Rucksack und nimmt mir damit eine große Last ab.

    Die orangefarbenen Pfähle führen wieder steil nach oben auf einen Gebirgs-Sattel. Nebel zieht auf und es weht ein kühler Wind. Der nächste Pfahl ist kaum noch zu erkennen. Wir laufen über einen exponierten Grat und überwinden eine Kammschulter unterhalb des 1.600m hohen Mount Ellis. Ein älterer Herr mit weißen Haaren kommt uns entgegen. Er sieht ganz zerzaust aus. Er läuft in die entgegengesetzte Richtung und will es heute noch bis zur Top Wairoa Hut schaffen, von der wir schon vor Stunden aufgebrochen sind. Ich möchte nicht mit ihm tauschen, denn sein Weg ist noch weit.

    Im Endeffekt jedoch bedeuten Kilometer-Angaben hier gar nichts. Alles hängt vom Terrain und Höhenprofil ab. Wir können die Hunters Hut aus der Ferne erkennen, nähern uns ihr aber nur schleppend. In einem unachtsamen Moment falle ich nach vorn auf meine Knie. Ich schreie und Danny blickt erschrocken auf mich. Alles dran? Ja, alles dran. Nur Schürfwunden, ich stehe auf und weiter geht’s.

    Wir laufen und laufen und laufen. Es dämmert schon und wir sind immer noch nicht da. Der Weg führt uns wieder nach unten zum Motueka River, den wir überqueren müssen. Unsere letzte Flussüberquerung für heute. Am anderen Ufer teilt uns ein Schild mit, dass es von hier nur noch 15 Minuten bis zur Hunters Hut sind. Leider gehen die steil bergauf. Ich weiß nicht mehr, wie ich da hoch gekommen bin. Meine Füße und Beine haben mich einfach dahin getragen.

    Kurz nach 20 Uhr öffnen wir die Tür zur Hunters Hut und treten, nein, fallen hinein. Zwei Frauen liegen schon auf ihren Matratzen, Uli und Jamie. Sie begrüßen uns sehr freundlich und fragen, wo wir her kommen. Während ich Wasser hole fürs Abendessen, höre ich, wie Danny die Mädels in der Hütte unterhält. Ihr Gekicher und Gelächter dringt bis nach draußen. Ein Gefühl des Angekommen-Seins macht sich breit, auch wenn es nur für ein paar Stunden ist. Ich genieße die letzten Momente der Aussicht, bevor die Sonne hinter den Bergen verschwindet.
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